Buchkritik: Gnadenlose Abrechnung mit der deutschen Wirtschaftspolitik
Von Achim Truger
Von Achim Truger
Von Heiner Flassbeck aus FR vom 03.06.2006.
Ein aufmerksamer Nutzer der NachDenkSeiten macht mich auf den jüngsten Monatsbericht aufmerksam. Siehe unten Anhang. Dort werden die im April kräftig gestiegenen Verbraucherpreise notiert und daraufhingewiesen, dass dafür höhere Kraftstoff- und Heizölpreise und die durch den langen Winter verteuerten Nahrungsmittel mitverantwortlich sind, und dass die geplante Mehrwertsteuererhöhung Anlass für Verteuerungen sein wird. Dies – zusammen mit der angeblich fortschreitenden Belebung der Inlandsnachfrage – spreche „für ein hohes Maß an stabilitätspolitischer Wachsamkeit“. Hier werden geldpolitische Gegenmaßnahmen vorbereitet. Das ist der helle Wahnsinn.
Fast sechs Jahre lang schrieb ich im sozialdemokratischen Vorwärts eine Kolumne mit dem Titel „Gegen den Strom“. Viele Leser lasen dieser Kolumne wegen den Vorwärts. Dann schrieb ich „Die Reformlüge“. Die SPD-Führung fand die darin enthaltene Kritik an ihrer Reformpolitik offensichtlich nicht in Einklang mit meiner Funktion als Kolumnist. Jedenfalls bedeutete man mir Ende 2004, man brauche den Platz der Kolumne für die Programmdiskussion und andere Texte.
Schon wegen dieser Erfahrung war ich gespannt darauf, wie die Besprechung von „Machtwahn“ im Vorwärts ausfallen würde. Weil mit den von mir skizzierten und kritisierten „mittelmäßigen Eliten“ auch weite Teile der SPD-Führung gemeint sind, hätte ich eine kritische Rezension durchaus verstanden, wenn sie irgendwie begründet worden wäre. Was in der neuen Ausgabe des Vorwärts steht, ist eher traurig, auch wenn es von einem Redakteur der „Zeit“ stammt, den wir gelegentlich in den NachDenkSeiten lobend erwähnt haben.
Die neue Debatte um Mehrkosten und Missbräuche wird immer unverständlicher. Entweder die Meinungsführer wissen nicht mehr, was sie tun, oder sie betreiben ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Wenn wir jetzt über die Missbräuche, über die Kürzung der Zahlungen nach Hartz IV und andere Revisonen der gerade 1 ½ Jahren geltenden Gesetze diskutieren, dann vergessen wir allzu schnell, was die Hartz-Reformen eigentlich sollten und was sie schon angerichtet haben und wie eine Politik und Wissenschaft zu beurteilen ist, die eine solche Malaise zu verantworten hat.
Ich mache im folgenden in Stichworten den Versuch, diese Debatte etwas einzuordnen.
Die Wirtschaftspolitik Großbritanniens wird häufig als Vorbild für Deutschland vorgehalten. Liberale Kommentatoren loben die flexibleren Arbeitsmärkte, die aktivierende Arbeitsmarktpolitik, die Politik der Deregulierung und Liberalisierung. Kaum bekannt ist, dass in GB makroökonomisch expansive Initiativen unternommen wurden und dass seit 2001 eine expansive öffentliche Investitionspolitik aktiv zur Krisenüberwindung eingesetzt wurde. Die WSI Mitteilungen haben uns dankenswerter Weise gestattet diesen Aufsatz in die NachDenkSeiten einzustellen.
Zur Zeit erleben wir eine heftige Diskussion um die am 19.5. beschlossene Mehrwertsteuererhöhung (Siehe dazu unten die beiden Links I und II). Wenn Sie in den letzten Wochen NachDenkSeiten gelesen haben, dann waren Sie auf diese Debatte vorbereitet (Siehe zum Beispiel III und IV). Die Mehrwertsteuererhöhung ist schlimm, erstens weil sie ungerecht ist, zweitens weil sie dringend gebrauchte Kaufkraft entzieht und drittens weil sie tendenziell die Exportwirtschaft begünstigt und die für den Binnenmarkt arbeitende Wirtschaft (Einzelhandel, Handwerk, Binnenmarkt-Gewerbe) überproportional belastet. (Siehe auch III, kritisches Tagebuch vom 8.5.2005.) Unsere Eliten in Wirtschaft, Politik und Publizistik haben zum großen Teil diese Sachverhalte nicht begriffen, sie haben schon gar nicht begriffen, dass man die richtige Konjunkturpolitik nicht erst machen kann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die Weichen hätten spätestens im letzten Jahr bei der Erarbeitung der Koalitionsvereinbarung richtig gestellt werden müssen. Siehe dazu auch den einschlägigen Auszug aus „Machtwahn“ unter V.
Fall 4: »Von den Weltmärkten verdrängt«
„Die Welt“ berichtet heute über eine Studie, die die Forschungsabteilung der Deutschen Bank im Auftrage der „Welt“ gemacht hat:
Deutschland fällt im Wohlstandsvergleich zurück
Studie: Spanien überholt die Bundesrepublik voraussichtlich im Jahr 2008 – Ökonom fordert Wachstumskonzept ein.
So der Titel der „Welt“. Auch dieser Artikel und die zu Grunde liegende Studie dienen vor allem der Panikmache und der Ablenkung von der falschen Wirtschaftspolitik.
Der designierte SPD-Vorsitzende Kurt Beck will den differenzierten Einsatz von Kombilöhnen. In Branchen und Regionen, die keine höhere Löhne zahlen können, wie z. B. bei Spargelbauern, sollen Kombilöhnen möglich sein, bei anderen nicht. Eine absurde Vorstellung, die vor allem etwas sagt über den ökonomischen „Verstand“ der führenden Personen. Im folgenden finden Sie den einschlägigen und kritischen Böckler Impuls. Vorweg noch einige Anmerkungen.
Von Albrecht Müller, Stand Juni 2004.
„In Skandinavien gelingt scheinbar die Quadratur des Kreises: Wachstum und soziale Sicherheit, hohe Steuern und konkurrenzfähige Ökonomie. Das glückt, weil viel in Bildung investiert wird”, so beginnt ein Interview der taz mit Joakim Palme, Sozialwissenschaftler und Sohn von Olof Palme (vom 4.5.2006 Interview ROBERT MISIK).
Wir werden darauf aufmerksam gemacht, weil die Antworten von Palme über weite Strecken dem entsprechen, was Sie bei uns in den NachDenkSeiten und auch in unseren anderen Publikationen finden. Genauso interessant wie die Antworten von Palme, ist die Tatsache, wie weit selbst Journalisten der taz, die man zu den eher Kritischen zählen könnte, vom herrschenden Geist geprägt sind.
„Mehr Beschäftigung braucht eine andere Verteilung.“
Für Interessierte wieder einmal ein wichtiges Dokument zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit, das wir selbst bei kleinen Meinungsdifferenzen gerne weiterverbreiten. Dem habe ich nichts hinzuzufügen außer dem Link:
Quelle: MEMORANDUM 2006 [PDF – 244 KB]
Verzeihen Sie die drastische Sprache. Aber wenn eine Korrektur der erwarteten Wachstumsrate von 1,2 auf 1,8 in diesem Jahr als „kräftiger Aufschwung“ interpretiert wird – siehe unten, dann ist diesen Experten nicht mehr zu helfen. Das ist kein Aufschwung, und schon gar kein kräftiger, so gerne wir das hätten. Die 1,8% dürften knapp über der Rate des Produktivitätszuwachses liegen. Das heißt: das bisschen Wachstum wirkt sich kaum auf dem Arbeitsmarkt aus. Was wir wirklich an wirtschaftlicher Dynamik bräuchten, habe ich vor kurzem in einem Beitrag skizziert. Siehe Ziffer 3. meiner Einführung zur Vorstellung von “Machtwahn” am 11.4.2006.
So der Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftler Ronald Schettkat über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in den VDI nachrichten vom 13.4.06.