Die Ohrfeige und das „neue Deutschland“

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Bundespräsident Gauck verleiht Beate und Serge Klarsfeld das Bundesverdienstkreuz für ihre Verdienste bei der Aufklärung von NS-Verbrechen und ihren Kampf gegen Antisemitismus. Welch noble Geste der Bundesrepublik Deutschland, mit Beate Klarsfeld eine Aktivistin auszuzeichnen, deren berühmteste Tat es war, 1968 den damaligen CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen seiner Verstrickungen in den Nationalsozialismus symbolisch geohrfeigt zu haben.
Bei genauerem Hinsehen allerdings entpuppt sich diese Auszeichnung ebenso wie die zahlreichen Bekenntnisse deutscher Politiker zur „deutschen Verantwortung“ eher als ein Akt der Freisprechung von eben dieser Verantwortung (von Schuld ist schon gar nicht mehr die Rede). Von Erik Jochem

Mit den gerade im 70. Jahr nach dem Ende der Nazi-Herrschaft geradezu massenhaften öffentlichen Bekenntnissen der deutschen Politik zur deutschen Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus werden wir mit der Auszeichnung der Eheleute Klarsfeld mit dem Bundesverdienstkreuz Zeugen eines formelhaften Beschwörungsritus zur Austreibung böser Geister, die das gloriose Selbstbild Deutschlands als europäische Führungsmacht bedrohen könnten (nämlich die Erinnerung an das Großmacht- und Herrenmenschendenken der Deutschen im Nationalsozialismus).

Die politische Klasse – angeführt durch den Bundespräsidenten – bescheinigt sich selbst und den Deutschen eine größtmögliche Erinnerungskultur und damit einhergehend eine größtmögliche Distanz zu den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Wer sich dermaßen politisch korrekt zum Unrecht der Väter bekennt, den schützt hinfort die Mauer der eigenen demonstrativ aufgebauten Rechtschaffenheit vor Inanspruchnahme für eben diese Verbrechen. Die Ritualisierung und die Penetranz des Gedenkens inflationiert seinen Wert, die Verbrechen und ihr Gedenken verblassen zur zeitgeschichtlichen Banalität.

Die Hohlheit und zugleich der praktische Nutzen dieser Art von Exorzismus zeigen sich etwa in der Diskussion um die Entschädigungsforderungen Griechenlands für deutsche Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Mit welchem Recht, wird die politische Klasse künftig fragen, kann das Deutschland, das sich dermaßen deutlich von den alten Verbrechen distanziert, für diese noch in Anspruch genommen werden? Unmoralisch handelt nicht, wer Entschädigung verweigert, sondern wer solche von dem geläuterten „neuen Deutschland“ immer noch – nach all den Läuterungen und „all den Jahren“ – fordert.

Der eigentliche Mehrwert einer solchen Verantwortungsrhetorik aber liegt darin, Deutschland überzeitlich auf der Seite „des Guten“ zu verankern. Wenn der (deutsche) Nationalsozialsozialismus „das Böse“ war, dann konstituiert die maximale verbale Distanzierung das „gute Deutschland“. Und das „gute Deutschland“ kann schlechterdings nichts mehr „Böses“ tun. Auch deutsche Kriegseinsätze gehören künftig zur „Normalität“ und man steht auf der Seite „des Guten“.

Es feiert eine deutsche Geschichtsideologie fröhliche Urständ, deren Vorläufer Nietzsche in seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen einen „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ schon beschrieben hat. Die „kritische Historie“ beseitige schädliche Erinnerungen.

Wie solche Erinnerungen beiseite geschoben werden, zeigt sich gleichfalls am Beispiel der Haltung der deutschen Regierung gegenüber Griechenland.

Während die politische Klasse Deutschlands ihre Distanz zum Nationalsozialismus zelebriert, exekutiert sie im Fall Griechenland denselben zynischen Legalismus, der zur Ära des Nationalsozialismus gehörte. Warum konnte es Unrecht sein, so fragten viele Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, Gesetze und Befehle befolgt zu haben, egal was menschlich daraus folgte? Wie – so fragt dieses „neue Deutschland“ – kann es Unrecht sein, einer Generation von Griechen das Recht auf Selbstbestimmung und sogar auf menschenwürdiges Leben zu verweigern, wenn das nun mal die Konsequenz (aufgezwungener) Verträge ist?

Wann ohrfeigt Beate Klarsfeld Wolfgang Schäuble?

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