Archiv: Monat: September 2006

Hartz IV: Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch? – oder: wie Herr Jörges vom Stern der raffinierten Verschwörung des Fürsorgestaats zugunsten von Familien auf die Schliche gekommen ist.

Sie erinnern sich sicher, im Mai 2006 hat Ulrich Jörges, der stellvertretende Chefredakteur des Stern, unter der Überschrift „Der Kommunismus siegt“, „Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“ eine Polemik gegen den Sozialstaat und gegen Hartz IV-Empfänger geschrieben, die Schlagzeilen und ihn zum Stammgast vieler Talk-Shows gemacht hat. Helga Spindler, Professorin für öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Essen, ist den Fakten nachgegangen und sieht in der Argumentation von Jörges ein Beispiel dafür, wie ein Teil der Gesellschaft Abschied vom Anspruch an Solidarität im Staatswesen nimmt und es offenbar für schick hält, die humanitären und verfassungsgeschichtlichen Wurzeln zu kappen und dabei vermutlich noch nicht einmal ahnt, was das für Folgen haben wird. Helga Spindler hat den NachDenkSeiten diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Studiengebühren: Feldversuch in England

Jugendliche aus armen Familien trauen sich kaum noch zu studieren. Die Angst vor einem Schuldenberg ist zu groß, zumal die Studiengebühren steigen und steigen. So überschreibt der SPIEGEL einen Beitrag über die Wirkung der vor 10 Jahren eingeführten Studiengebühren in England. Laut Statistik hätten Jugendliche mit bildungsfernem sozialem Hintergrund in Großbritannien die schlechtesten Karten. Viele müssen während des Studiums arbeite oder ihr Studium unterbrechen, um zu arbeiten, damit der Schuldenberg nicht zu hoch wird. Die Gebühren sind von umgerechnet 1.700 auf 3.000 Euro gestiegen und sollen ab Herbst auf 4.500 Euro weiter steigen.
Lediglich in Schottland ist die Zahl der Bewerber gestiegen. Schottische Studenten sind – bislang jedenfalls – von den Studiengebühren befreit.

INSM-Verlagsbeilage in der SZ: Was braucht Deutschland jetzt?

Mit einer achtseitigen Propagandaanzeige legt die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ der Kanzlerin, dem Arbeitsminister, Herrn Westerwelle und Herrn Bütikofer Floskeln über das „Wachstum“ in den Mund und sagt dann wie es geht: Steuern senken, Bildung fördern, Arbeit bezahlbar machen, Bürokratie stoppen.
Übersetzt heißt das: Unternehmenssteuern senken, Studiengebühren einführen, Löhne senken, Kündigungsschutz aufheben. So einfach ist das im ökonomischen Weltbild der INSM. Für Geld ist sich der Verlag der Süddeutschen Zeitung offenbar für nichts zu schade. Haben eigentlich alle mit Sprechblase Abgelichteten zugestimmt, dass Sie Propaganda für die Wirtschaftslobby betreiben? Wenn nein, werden Sie etwas dagegen unternehmen?
Wirtschafts- und Sozialpolitik mit “Tunnelblick” nennt Joachim Jahnke diesen Kurs und belegt mit vielen Daten und Grafiken, dass wir geradewegs auf die Klippen zu segeln.

Nachtrag zu Kurt Becks Treppenwitz

Die SPD Führung scheint keine Ahnung davon zu haben, was sie mit Hartz IV zusammen mit den Grünen und der Bundesratsmehrheit der Union angerichtet hat. Sie begreift offenbar nicht, dass weite Teile der Arbeitnehmerschaft, auch die so genannten Leistungsträger, mit Hartz IV der Unsicherheit preisgegeben worden sind. Ich komme darauf zurück, weil ich gerade einen Beitrag von Kurt Beck im sozialdemokratischen „Informationsdienst für aktive Mitglieder”, dem so genannten INTERN, gelesen habe.

Ich drücke mich vornehm aus: unsere Regierenden sind nicht mehr ganz bei Trost.

Unter der Überschrift „Bogen des Missvergnügens“ berichtet die Financial Times am 30.8. von einem gemeinsamen Auftritt der Bundeskanzlerin und des Vizekanzlers Müntefering. Selbiger meinte: “Wir werden im Moment gemessen an dem, was im Wahlkampf gesagt wurde. Das ist unfair.” Ich dachte, ich lese falsch. Aber, Sie lesen richtig. Unsere Regierenden werden immer dreister. Sie beklagen sich darüber, dass wir uns der Wahlkampfaussagen erinnern.

Gammelfleisch – offenbar schützt uns unser Staat nicht vor verdorbenen Lebensmitteln

Bisher, das gebe ich zu, war ich so naiv zu hoffen, wir würden wenigstens vor den größten gesundheitlichen Schäden durch Kontrollen unserer Behörden geschützt. Vermutlich kann ich diese Hoffnung in den Kamin schreiben. Dafür spricht die neuerliche Erfahrung mit den Fleischskandalen: die Kontrollen funktionieren nicht, auch weil sie falsch angesiedelt sind und Kontrolleure mit den zu Kontrollierenden verflochten sind, es wird verharmlost und abgewiegelt. An diesem Beispiel wird wieder einmal sichtbar, wie verheerend der Drang nach De-Regulierung und Dezentralisierung ist, und wie mafios die Verhältnisse vermutlich bei uns auch schon sind.

Beck macht einen Treppenwitz – und keiner lacht

Der SPD-Vorsitzende hält die Leistungsträger für eine der wichtigen Zielgruppen der SPD. Klingt ja prima und wird entsprechend freundlich kommentiert. Aber eigentlich ist das ein Witz, denn die so genannten Leistungsträger, rund 25 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, sind von Rot-grün mit Zustimmung des jetzigen Koalitionspartners Union vor zwei Jahren kräftig rassiert worden. Mit Hartz IV. Neben den davon betroffenen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger hat Hartz IV eine „wichtige“ Funktion bei den (noch) Arbeitenden. Ihnen wurde das Vertrauen in das Funktionieren der Arbeitslosenversicherung geraubt. Zerstört. Sie wurden damit von einem Tag auf den andern der vermehrten Angst vor Arbeitslosigkeit aus- und unter Druck ihre Arbeitgeber gesetzt. Diese Folge von Hartz IV wird häufig nicht beachtet.

Joachim Jahnke über die angebliche Trendwende auf dem Arbeitsmarkt: Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen gegenüber Juli leicht gestiegen

Wir haben auf den NachDenkSeiten auch gegenüber den jahrelangen Miesmachereien die Position durchgehalten, die wirtschaftliche Lage Deutschlands nicht schlechter zu reden, als sie tatsächlich ist. Denn wir wissen, wie wichtig es für einen wirtschaftlichen Aufschwung ist, eine positive Aufbruchsstimmung zu schaffen. Uns ärgert aber, wenn Politiker, die so ziemlich alles falsch gemacht haben, Zahlen schönreden und – wie etwa der CDU-Generalsekretär Pofalla – das dann noch „als Verdienst der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel“ verkaufen wollen.
Joachim Jahnke hat sich wie jeden Monat, die Zahlen genauer angesehen und kommt zum Ergebnis: Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen im August gegenüber Juli nicht weiter zurückgegangen, sondern um 5.000 leicht gestiegen.

Ahmadinedschad veröffentlicht seinen Brief an die Kanzlerin. Schweigen war keine kluge Antwort.

In einem Beitrag vom 24.7.06 haben wir auf den NachDenkSeiten Kanzlerin Merkel aufgefordert, ein offizielles Schreiben des iranischen Präsidenten öffentlich bekannt zu geben. Nun ist dieser Brief – und wir unterstellen, dass der Wortlaut identisch ist – auf der Website der „Presidency of the Islamic Republic of Iran“ (P.I.R.I) in einer Übersetzung aus dem Persischen veröffentlicht.
Unsere Leser können sich nunmehr selbst ein Urteil über den Inhalt dieses Briefes bilden.

Kein Problembewusstsein bei Phoenix u.a. bezüglich PR-Journalismus

Ein interessanter, nochmaliger Hinweis und Briefwechsel eines Freundes der NDS. Die Briefe von Phoenix sind ein „dolles“ Stück:
Donnerstag, 31.8. um 19:15 Uhr wiederholt Phoenix den Beitrag »Die ewige Rentenlüge«, zwei weitere Termine zur Wiederholung sind im September vorgesehen (5. September 8:15 Uhr und 6. September 18:30 Uhr). In diesem Zusammenhang habe ich erneut an Phoenix geschrieben und darum gebeten, dass man doch darauf hinweisen möge, dass der in dem Beitrag immer wieder auftretende Prof. Dr. Meinhard Miegel Lobbyist der privaten Versicherungswirtschaft sei. Den Mailwechsel möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, zumal er einmal mehr zeigt, wie gering das Problembewusstsein bezüglich PR-Journalismus und unterschwelliger Beeinflussung der Zuschauer bei den Fernsehanstalten ist:

Statistisches Bundesamt: Arbeitskostenvergleich und die Mär von den zu hohen Lohnebenkosten in Deutschland.

Nach dem IW und dem IMK legt nun auch das Statistische Bundesamt einen Arbeitskostenvergleich [PDF – 846 KB] vor. Wir haben zwar schon mehrfach dargelegt, dass für einen Vergleich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Lohnstückkosten viel aussagekräftiger sind, aber immerhin widersprechen die Daten der Wiesbadener Statistiker, sowohl der Legende dass die deutschen Arbeitskosten im internationalen Vergleich zu hoch seien und sie widerlegen auch die Mär von den zu hohen Lohnnebenkosten. Darüber hinaus darf man auch mal fragen, woraus demn die Arbeitgeberpflichtbeiträge alternativ bezahlt werden sollten, wenn nicht dann ausschließlich aus den Löhnen der Arbeitnehmer.