Vorwort

NachDenkSeiten: Das kritische Jahrbuch 2013/2014

» Direkt bestellen »

 

Vorwort

Ein Vorwort von Jakob Augstein

Gedanken zur Gegenöffentlichkeit

Gegenöffentlichkeit ist ein widersprüchliches Wort. Man sollte meinen, es schließt sich selber aus. Es kann doch nur eine Öffentlichkeit geben. Die öffentliche. Und in der Öffentlichkeit wird in der Demokratie alles abgemacht. Aber wir wissen, dass die Verhältnisse nicht so sind. Es ist eine hübsche Idee, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung von Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit dient. Aber sie trifft nicht zu.

Das Problem besteht nicht darin, dass die Journalisten nicht schreiben dürfen, was sie wollen. Solche Fälle gibt es. Aber sie sind selten. Eigentlich kann jeder schreiben, was er will. Aber so viele Journalisten wollen so wenig. Und sie haben ihre Leser daran gewöhnt, mit so wenig zufrieden zu sein.

Wenn man fragt: welche Rolle sollen die Medien spielen, auf wessen Seite stehen sie, was ist ihre Funktion, dann haben sich in den vergangenen Jahren die Antworten geändert. Im Beruf des Journalismus geht es heute seltener um Kritik, mehr um Stabilisierung.

Weniger um das Hinterfragen, eher um das Erklären des Bestehenden. Das gilt nicht für alle Medien, so wie früher nicht für alle das Gegenteil galt. Aber es gilt zu oft für die großen Medien, für den Mainstream.

»Die freien Medien sind ja sozusagen ein Teil des Lebenselixiers jeder Demokratie«, das hat Angela Merkel einmal vor jungen Journalisten gesagt, die ja angeblich eine der mächtigsten Frauen der Welt ist, aber sicher nicht eine der wortmächtigsten. Und es trifft auf eine unangenehme Art und Weise zu. Viele Journalisten verstehen sich heute mitnichten als Gegner (Kritiker oder Gegenüber) der Politik, sondern als Partner. Wenn das so weitergeht, dann braucht man keine Journalisten mehr. Dann tun Pressesprecher es auch. Das scheint der Zug der Zeit ohnehin zu sein: Es soll mittlerweile mehr Pressesprecher in Deutschland geben als Journalisten.

Es ist kein Wunder, dass die Kanzlerin die Journalisten so wohlwollend loben kann. Die Demokratie hat sich verändert, und die Journalisten, die ihr dienen und sie schützen sollen, auch.

Man muss sich sogar langsam fragen, ob wir dasselbe wie die Kanzlerin meinen, wenn wir von Demokratie reden. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat geschrieben: »Die großen Demokratien zeichnen sich heute weniger durch eine Überschneidung als vielmehr durch eine Verschmelzung von staatlicher und unternehmerischer Macht aus: Staatliche Aufgaben von Schulen über Gefängnisse bis hin zum Militär werden in großem Stil outgesourct; Investmentbanker und Konzernchefs fungieren als Minister und Staatssekretäre; auch wenn sie die entsprechenden Fonds nicht selbst verwalten oder anlegen, sind Staaten doch Eigentümer unvorstellbar großer Mengen an Finanzkapital; und vor allem ist die Staatsmacht über ihre Steuer-, Umwelt-, Energie-, Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie einen endlosen Strom direkter Unterstützungen und Rettungsprogramme für sämtliche Bereiche des Kapitals ganz unverhohlen in das Projekt der Kapitalakkumulation eingespannt.

Die breite Masse, der Demos, kann die meisten dieser Entwicklungen nicht verstehen oder nachvollziehen geschweige denn bekämpfen und ihnen andere Ziele gegenüberstellen.«

Das alles geschieht im Rahmen der Demokratie. Und solche Demokratien brauchen die Medien vor allem als Instrumente der Vermittlung der Staatsmacht. Denn wenn wirklich Gefahr droht, schließen allzu viele Journalisten die Reihen fest um das System.

Wir haben das bei den großen Skandalen um Recht, Moral und Öffentlichkeit gesehen, Wikileaks oder Geheimdienstüberwachung.

Mit großer Verblüffung musste man feststellen: ganz und gar nicht alle Journalisten der großen deutschen Zeitungen stellten sich vorbehaltlos auf die Seite der Bürger, ja sie verteidigten nicht einmal ihre eigenen Rechte. Sondern ganz schön viele hielten lieber zum Staat und brachten viel Verständnis für Rechtsbrüche und Machtansprüche auf.

Es gehört zu dieser Wesensveränderung der Medien, dass der Schein unbedingt gewahrt bleiben muss. Dafür bedarf es einer Inszenierung.

Die freie Rede muss sich hin und wieder gegen irgendeinen Widerstand durchsetzen. Das erhöht dann ihren Wert.

Also gibt es beispielsweise in der Bild-Zeitung eine Kolumne, die den Titel trägt: »Das wird man ja noch sagen dürfen.« Diese Wendung ist geradezu ein gefl ügeltes Wort, oder sagen wir genauer ein struppig gefi edertes. Es ist die Essenz des Ressentiments. Es birgt in sich eine ganze Weltanschauung, klaustrophobisch in seiner spießigen Engstirnigkeit und maßlos ausgreifend in seinem allgemeinen Geltungsanspruch.

Was heißt das? Man tut so, als gäbe es jemanden, der einem den Mund verbietet. Man könne nicht einfach sagen, was man will. Man müsse sich das Recht nehmen. Man täte es gegen einen Widerstand. Hoch lebe die Pressefreiheit und die Demokratie!

Aber man kann getrost davon ausgehen: Wenn einer so redet, »das wird man ja noch sagen dürfen«, dann lügt er schon. Denn er weiß, dass er sagen kann, was er will. Und das, was »man« ja noch sagen dürfen soll, ist zumeist nichts als das wenig refl ektierte Vorurteil.

Es gibt niemanden, der verbietet, das Vorurteil zu verbreiten – außer Vernunft und Anstand. Gegenöffentlichkeit ist etwas anderes. Sie bietet Gelegenheit zum Gespräch zwischen anspruchsvollen Autoren und Lesern, die sich ihrer Vernunft bedienen wollen und ihr Gefühl für Anstand bewahren. Das sind übrigens geradezu konservative Werte. Na und? Günter Gaus hat gesagt: »Ich bin von Geblüt konservativ. Ich bin aber links.« Das stammt aus einem schönen Gespräch, das Alexander Kluge einmal mit ihm geführt hat. Es geht darin um die Medien und die Öffentlichkeit und um das linke Denken. Da gab es auch diesen Wortwechsel:

Kluge: »Eine linke Position wäre also skeptisch empfi ndend?«

Gaus: »Ja.«

Kluge: »Geduldig?«

Gaus: »Ja.«

Kluge: »Langfristig angelegt, über die Generationen hinweg?«

Gaus: »Ja, aber in einem Punkt sollten sich linke Positionen von denen unterscheiden, die es gegeben hat und wohl auch noch gibt, und von denen ich fi nde, dass sie zu Recht zurückgedrängt worden sind: Man sollte nicht denken, dass man gesellschaftliche Fragen für alle Zeiten beantworten kann.«

Gaus hatte da etwas Wichtiges gesagt. Es steckte darin die Warnung vor dem Sektierertum, vor der Selbstgerechtigkeit, vor dem Dogmatismus. Das sind Risiken, die jeder eingeht, der sich gegen den Mainstream stellt. Denn so leicht lässt sich das Paradoxon, das in der Idee der Gegenöffentlichkeit steckt, nicht aufl ösen. Es ist eine heikle Angelegenheit: Je stärker das »Gegen« vom allgemeinen Bewusstsein entfernt ist, desto schwächer droht das »Öffentlich« zu werden. Aber wer die Leute aufklären will, muss sie erreichen. Die Gegenöffentlichkeit muss für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Die Leute müssen von ihr erfahren und mit ihr etwas anfangen können. Und sie müssen – ganz praktisch – unter zumutbaren Bedingungen Zugang zu ihr finden können.

Darum kann ein Medium, das sich damit begnügt, gegen alles Mögliche zu sein, aber an der Öffentlichkeit kein Interesse mehr hat, für die Meinungsbildung dieser Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielen.

Die Medien der Gegenöffentlichkeit müssen Rückzugsräume für die Vernunft, für die Kritik, für die Neugier bieten. Den NachDenkSeiten gelingt dieses Kunststück.

Bibliographie

Albrecht Müller, Wolfgang Lieb
„Nachdenken über Deutschland. Das kritische Jahrbuch 2013/2014“
Westend Verlag, Oktober 2013, 264 Seiten,
14,99 €
ISBN 978-3-86489-030-7

Download: Vorwort [PDF – KB]