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Agenda 2010

BILD täuscht mal wieder – Deutschland sei auf dem Arbeitsmarkt „sozialistischer“ als das kommunistische China

Franz Müntefering in einer Fotomontage als „Großer Vorsitzender Mün-te-fe-ling“ und mit dicker Balkenüberschrift titelt am 15.9.06 BILD: Schockbericht der Weltbank „Deutschland sozialistischer als China!
Zum Glück könnte man eigentlich nur sagen: Wir haben keine 36.000 Todesurteile, bei uns gibt es nicht Millionen von Wanderarbeitern, die auf der Straße nächtigen, es gibt nicht tausende von verunglückten Bergleuten, keine verseuchten Flüsse mehr und unmenschliche Ausbeutung. Aber selbst der mehr als dumme Vergleich ist wie Joachim Jahnke nachweist eine Täuschung: China wird in der zitierten Weltbankliste gar nicht geführt, sondern Hongkong.
Der Unsinn dieser Weltbankliste ergibt sich auch schon daraus, wenn man dort einmal nachliest, wer alles vor Deutschland liegt.

Manipulation des Monats – im Magazin FOCUS:

Das Statistische Bundesamt teilt mit:

Die kalenderbereinigte Wachstumsrate der Arbeitskosten für das erste Quartal 2006 gegenüber dem Vorjahr wurde gegenüber der ersten Veröffentlichung vom 8. Juni 2006 für Deutschland von 0,6% auf 0,5% korrigiert. Sie ist damit niedriger als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten. Die Arbeitskosten sind im vergleichbaren Zeitraum im Euro-Währungsgebiet um 2,2% und in der Europäischen Union um 2,4% gestiegen. Frankreich (+ 3,9%) und das Vereinigte Königreich (+ 2,7%) verzeichneten deutlich höhere Wachstumsraten der Arbeitskosten. Die größte Steigerung der Arbeitskosten je geleistete Stunde wurde in Lettland mit einem Plus von 19,0% ermittelt.


Quelle: Statistisches Bundesamt (Hervorhebungen KR)

Für die Leser des Magazins FOCUS wurde daraus diese Botschaft aufbereitet:

Arbeit wird in Deutschland teurer. Die Kosten pro Arbeitsstunde sind im Frühjahr gestiegen. Vor allem die Bruttolöhne legten zu.


Quelle: FOCUS

 

Sachverständigenrat will den Arbeitszwang erhöhen. Das Arbeitslosengeld II soll um 30% gekürzt werden.

Unsere Wirtschaftsweisen haben in ihrem im Auftrag der Bundesregierung erstellten Gutachten, mal wieder eine tolle arbeitsmarktökonomische Idee: Das Alg II, bisher als eine Sozialleistung zur Sicherung des Existenzminimums definiert, soll unter Umgehung des Grundgesetzes auf ein existenzbedrohendes Niveau von 240 Euro und außerdem die Einkommensgrenze für Mini-Jobs von 400 auf 200 Euro gesenkt werden. Zudem sollen Erwerbseinkommen bis zu 200 Euro künftig voll auf das Alg II angerechnet, sprich abgezogen werden. Der Hunger wird die Arbeitlosen und Mini-Jobber schon zur Arbeit um jeden Preis treiben. Mit den so eingesparten staatlichen „Transferleistungen“ sollen dann über ein Kombilohnmodell die Löhne der Arbeitgeber subventioniert werden.

Zweiter Nachtrag zu Becks Treppenwitz

Uns erreichen Erfahrungsberichte aus der Arbeitswelt, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Diese Erfahrung kommt in den Talkshows ohnehin zu kurz. Ein Grund mehr für uns, die Spalten dafür zu öffnen. Hier der Bericht eines anderen „Leistungsträgers“:

Hartz IV: Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch? – oder: wie Herr Jörges vom Stern der raffinierten Verschwörung des Fürsorgestaats zugunsten von Familien auf die Schliche gekommen ist.

Sie erinnern sich sicher, im Mai 2006 hat Ulrich Jörges, der stellvertretende Chefredakteur des Stern, unter der Überschrift „Der Kommunismus siegt“, „Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“ eine Polemik gegen den Sozialstaat und gegen Hartz IV-Empfänger geschrieben, die Schlagzeilen und ihn zum Stammgast vieler Talk-Shows gemacht hat. Helga Spindler, Professorin für öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Essen, ist den Fakten nachgegangen und sieht in der Argumentation von Jörges ein Beispiel dafür, wie ein Teil der Gesellschaft Abschied vom Anspruch an Solidarität im Staatswesen nimmt und es offenbar für schick hält, die humanitären und verfassungsgeschichtlichen Wurzeln zu kappen und dabei vermutlich noch nicht einmal ahnt, was das für Folgen haben wird. Helga Spindler hat den NachDenkSeiten diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Nachtrag zu Kurt Becks Treppenwitz

Die SPD Führung scheint keine Ahnung davon zu haben, was sie mit Hartz IV zusammen mit den Grünen und der Bundesratsmehrheit der Union angerichtet hat. Sie begreift offenbar nicht, dass weite Teile der Arbeitnehmerschaft, auch die so genannten Leistungsträger, mit Hartz IV der Unsicherheit preisgegeben worden sind. Ich komme darauf zurück, weil ich gerade einen Beitrag von Kurt Beck im sozialdemokratischen „Informationsdienst für aktive Mitglieder”, dem so genannten INTERN, gelesen habe.

Beck macht einen Treppenwitz – und keiner lacht

Der SPD-Vorsitzende hält die Leistungsträger für eine der wichtigen Zielgruppen der SPD. Klingt ja prima und wird entsprechend freundlich kommentiert. Aber eigentlich ist das ein Witz, denn die so genannten Leistungsträger, rund 25 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, sind von Rot-grün mit Zustimmung des jetzigen Koalitionspartners Union vor zwei Jahren kräftig rassiert worden. Mit Hartz IV. Neben den davon betroffenen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger hat Hartz IV eine „wichtige“ Funktion bei den (noch) Arbeitenden. Ihnen wurde das Vertrauen in das Funktionieren der Arbeitslosenversicherung geraubt. Zerstört. Sie wurden damit von einem Tag auf den andern der vermehrten Angst vor Arbeitslosigkeit aus- und unter Druck ihre Arbeitgeber gesetzt. Diese Folge von Hartz IV wird häufig nicht beachtet.

Statistisches Bundesamt: Arbeitskostenvergleich und die Mär von den zu hohen Lohnebenkosten in Deutschland.

Nach dem IW und dem IMK legt nun auch das Statistische Bundesamt einen Arbeitskostenvergleich [PDF – 846 KB] vor. Wir haben zwar schon mehrfach dargelegt, dass für einen Vergleich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Lohnstückkosten viel aussagekräftiger sind, aber immerhin widersprechen die Daten der Wiesbadener Statistiker, sowohl der Legende dass die deutschen Arbeitskosten im internationalen Vergleich zu hoch seien und sie widerlegen auch die Mär von den zu hohen Lohnnebenkosten. Darüber hinaus darf man auch mal fragen, woraus demn die Arbeitgeberpflichtbeiträge alternativ bezahlt werden sollten, wenn nicht dann ausschließlich aus den Löhnen der Arbeitnehmer.

Christoph Butterwegge: Wer über den Reichtum nicht reden will, kann auch keine Lösungsangebote zur steigenden Kinderarmut machen

Laut Kinderschutzbund ist die Zahl armer Kinder seit 2004 um hundert Prozent gestiegen. Insgesamt 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre leben heute auf Sozialhilfeniveau. In Berlin liegt die Quote der in Armut lebenden Kinder bei 37 Prozent. Auch die Bundeskanzlerin konnte sich auf dem Berliner Forum „Deutschland für Kinder“ diesem gesellschaftspolitischen Skandal nicht mehr entziehen. Zu mehr als dem üblichen Statement: „alle Familienförderungsinstrumente auf den Prüfstand stellen“, mochte sich Angela Merkel aber nicht durchringen.
Kinderarmut könne nur durch eine integrale Beschäftigungs-, Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik, die Maßnahmen zur Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen einschließt, beseitigt werden, meint Butterwegge in einem Vortrag, den wir in unserer Rubrik „Andere interessante Beiträge“ dokumentieren.

Die INSM legt mal wieder einen „Bildungsmonitor“ vor: Diesmal wird Sachsen auf Platz 1 gesetzt. Der Osten Deutschlands bildet für den Westen aus.

Einmal mehr wird über den von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) veröffentlichten „Bildungsmonitor 2006“ in der Presse (bis auf „Die Zeit“) meist kritiklos berichtet. Viele Medien verschweigen, wer hinter dieser „Studie“ steht, sie nehmen deren Bewertungen einfach als „bare Münze“. Dass es bei diesen „Messungen“ nicht um die Qualität von Bildung geht, sondern darum, inwiefern das Bildungssystem „zu einer Steigerung von Standortqualität, Wachstum und Beschäftigung“ im Sinne der Vorstellungen der neoliberalen PR-Agentur INSM beitragen kann, wird tunlichst verschwiegen.

Die vormalige Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit Engelen-Kefer zum Geschacher über die Verwendung der Überschüsse der BA

Der „Überschuss“ der Bundesagentur soll in diesem Jahr zwischen 8,8 und 9,6 Milliarden Euro betragen. Die Vorschläge aus der Politik zur Verwendung dieser Mittel schießen dieser Tage ins Kraut. Eine Weitere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung oder der Griff in die Taschen der Beitragszahler zum Stopfen von Löchern im Bundeshaushalt werden gefordert. Die ehemalige Vize-Chefin des DGB Ursula Engelen-Kefer sieht eine Stärkung der Arbeitsmarktpolitik zur beruflichen Eingliederung Arbeitsloser als vordringliche Aufgabe. Bei aller Kritik an der Art und Weise, wie die BA die Überschüsse erwirtschaftet hat, und an den Konsequenzen, die daraus folgten (siehe Anmerkung), schließen wir uns dieser Forderung an.