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Meinungsmache

Kritik windiger Rentenprognosen und Familienrechnungen

Die Bertelsmann-Stiftung behauptete letzte Woche in einer Studie, Familien würden vom gegenwärtigen Rentensystem „benachteiligt“. Kinder finanzierten in ihrem späteren Erwerbsleben mit ihren Einzahlungen in die Rentenkasse nicht nur die Altersversorgung ihrer eigenen Eltern, sondern auch die der Kinderlosen aus ihrer Elterngeneration.
Am gleichen Tag klagten der Direktor das arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und ihm folgend natürlich die CDU-Mittelstandsvereinigung, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) darüber, dass die Rentenpläne der Koalition von 2014 bis 2020 Mehrausgaben von über 60 Milliarden € verursachen würden. Der Chef des BDI, Ulrich Grillo, schimpfte über den „Ausbau sozialer Wohltaten“ und sprach vom „Betrug am Bürger“.
Gewagte Rechnungen, die eine Menge Fragen aufwerfen, meint Jens Jürgen Korff [*].

Sotschi wird einmal mehr zur Anti-Russland-Kampagne genutzt

Wer als unbedarfter Leser an diesem Wochenende die Onlineausgaben der ZEIT, des SPIEGELS,des Hamburger Abendblatts oder vielen anderen Presseorganen gelesen hat, muss wohl oder übel zu dem Schluss kommen, dass sich am Rande des Fackellaufs im russischen Woronesch etwas Ungeheuerliches abspielt haben muss. Russische Sicherheitskräfte, so die Botschaft zwischen den Zeilen, sollen einen homosexuellen Demonstranten am Rande der Strecke „niedergerungen“ haben, nur weil dieser eine Regenbogenfahne bei sich trug. Das passt natürlich 100% ins Bild des „schwulenhassenden“ russischen Präsidenten Putin. Schaut man sich jedoch die Geschichte ein wenig näher an, wird klar, dass die deutschen Zeitungen einmal mehr die Wahrheit verdrehen, um Russland in einem möglichst düsteren Licht darzustellen. Von Jens Berger.

Untaugliche Erfolgsmeldungen zur Eurorettung: Neue Krisen vorprogrammiert

Die Euro-Macher, aber auch die Regierungschefs in den Krisenländern, sind mit einer Reihe von Erfolgsmeldungen nach dem Ausbruch der Eurokrise vor knapp vierzehn Jahren ins neue Jahr gestartet. Mario Draghi verkündet im Neujahrs-SPIEGEL, die Eurokrise sei noch nicht überwunden, aber es gäbe „viele ermutigende Zeichen“. Bundesfinanzminister Schäuble erklärt die „Ansteckungsgefahr“, also den Zusammenbruch des gesamten Kartenhauses durch einen einzigen insolventen Staat im Euroraum für gebannt. Irland hat sich aus dem autoritären Regime unter dem Rettungsschirm zurückgezogen und bereits erfolgreich bei der Platzierung von Anleihen auf den Kapitalmärkten gepunktet. Wenn es auch eher politische Gründe gegenüber dem als bedrohlich wahrgenommenen Nachbarland Russland sind, Lettland ist am Neujahrstag als 18. Mitgliedsland in den Eurowährungsraum aufgenommen worden.
Gegenüber diesen eher positiven Meldungen zur Eurorettung erschrecken die Hurrameldungen aus den (Kredit-)Nehmerländer, die durch die oktroyierte Schrumpfpolitik brutal in die Krise katapultiert worden sind. Von Rudolf Hickel.

Bei Polizeiangaben ist Vorsicht geboten – heute in Hamburg wie bei der Erschießung Benno Ohnesorgs in Berlin. Zum Beispiel.

Die bekannt gewordenen „Mogeleien“ der Hamburger Polizei (Siehe Anlage 2) erinnern an die Vorgänge beim Schah-Besuch in Berlin Anfang Juni 1967. Weil der einschlägige Text so vieles zeigt, habe ich die entsprechenden Passagen aus Horst Graberts Autobiografie gescannt. Er war damals Chef der Senatskanzlei, also der oberste Beamte Berlins unter dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz. Sein spannender Bericht – siehe Anlage 1 – zeigt, dass die damalige politische Führung der Stadt und die Öffentlichkeit gleich zweimal von der Berliner Polizeiführung in die Irre geführt – auf Deutsch: belogen – wurde. Von Albrecht Müller

Flirt nach rechts

Mit dem Slogan „Wer betrügt, fliegt“ will die CSU im Wahljahr 2014 gegen Armutsmigranten aus Osteuropa Stimmung machen und damit vor allem bei rechtskonservativen Wählern punkten. Dass dieser Stammtischjargon nun auch deutsche Großparteien erreicht hat, ist mehr als bedenklich. Wie sich das Ganze entwickeln könnte, zeigt ein Blick ins Nachbarland Österreich. Ein Gastartikel von Emran Feroz

Die Edel-Mafia der Plünderer und Ausbeuter und ihrer regierungsamtlichen und ehedem regierungsamtlichen Helfer dirigiert den Kampagnenteil unserer Medien und regiert die Welt

Eine friedliche Weihnachtsstimmung will bei mir partout nicht aufkommen und ich kann sie Ihnen beim besten Willen nicht vermitteln, weil wir gerade wieder einmal Zeuge eines ungeheuerlichen Vorgangs geworden sind: Wer über viel Geld und publizistische Kraft verfügt, kann nicht nur die wesentlichen politischen Entscheidungen bestimmen, er kann auch aus kriminellen Plünderern von Volksvermögen Freiheitshelden machen. Und aus den vermutlich üppig bezahlten Helfern im Weichbild der PR-Agenturen werden Helden im Kampf für die Menschenrechte und die Freiheit. Es geht um Michail Chodorkowski und um Genschers und der Bundesregierung großartige Hilfe für diesen rechtskräftig verurteilten Plünderer und „Freiheitshelden“. Von Albrecht Müller

Aufbau einer neuen Konfrontation zwischen West und Ost. Oder: Der Rückfall in die Vierziger und Fünfzigerjahre.

Zur Zeit sind wir Zeuge eines zugleich spannenden und bedrückenden Vorgangs: Wenn in den Zeitungen, im Hörfunk und im Fernsehen über die Ukraine, über die europäische Union und die Russen gesprochen wird, erinnert das an die Zeit des Kalten Krieges von vor 50 Jahren. Wir im Westen sind die Guten, die Russen sind die Bösen. Der Spiegeltitel dieser Woche zeigt beispielsweise einen Putin mit unsympathischen Zügen.

Putin mag ja unsympathisch sein. Aber diese Darstellung wie die meisten anderen Medienprodukte und wichtige Äußerungen von Politikern zielen auf den Aufbau einer neuen Konfrontation zwischen dem „guten“ Westen und den „bösen Russen“. Das ist im Widerspruch zu dem erfolgreichen Versuch Willy Brandts, Helmut Schmidts und der sozialliberalen Koalition bis hin zu Helmut Kohl, die Konfrontation zwischen Ost und West zu beenden. Wir sind zurück im kalten Krieg. Siehe dazu auch diesen Beitrag von Jens Berger und die Äußerungen von Steinmeier, Özdemir u.a. in Anlage 2. Albrecht Müller.

Der verschwiegene „Klassenkampf von oben“ – Wir dokumentieren einen politischen Skandal sondergleichen

Wenn Sie heute die hoffentlich guten Reden zum 100. Geburtstag von Willy Brandt hören, dann werden Sie selten etwas davon vernehmen, dass Willy Brandt und seine Partei im Wahlkampf 1972 einer massiven Kampagne finanziell potenter Kräfte ausgesetzt waren, einem Putschversuch. Damals rotteten sich Leute aus der Wirtschaft zusammen, gründeten Briefkastenfirmen und allerlei Initiativen und schalteten meist anonym über 100 Anzeigen. Diese Wahlhilfe für die CDU und CSU kostete nach Schätzungen rund 34 Million DM und damit mehr als der offizielle Wahlkampf der großen Parteien. In den meisten historischen Werken kommt diese politische Intervention des „großen Geldes“ nicht vor oder wird allenfalls am Rande erwähnt. Das ist offensichtlich ein Liebesdienst der Historiker für die finanziell gut ausgestattete Oberschicht. Deshalb dokumentieren wir den „Klassenkampf von oben“. – Wenn Sie politisch interessiert sind oder sich einfach für die jüngere Geschichte interessieren oder einfach nur wissen wollen, wie die Machtverhältnisse in Deutschland waren und sind, dann sollten Sie sich die Machwerke anschauen. Das kostet allerdings etwas Zeit. Aber es lohnt sich. Albrecht Müller.

Der Kuss der Patin – Irrungen und Wirrungen um Ursula von der Leyen

Die Benennung Ursula von der Leyens zur künftigen Verteidigungsministerin ist in der Tat eine politische Überraschung. Wenig überraschend ist indes die Reaktion der Medien auf diese Personalie. Schenkt man den Leitartiklern der Republik Glauben, so ist Angela Merkel ein echter Coup gelungen, mit dem sie die umtriebige Niedersächsin von der Leyen zu ihrer Thronfolgerin gekürt hat. Quer durch nahezu alle Kommentare ziehen sich dabei zwei grandiose Denkfehler: Zum einen soll das Verteidigungsministerium angeblich ein echtes Sprungbrett für politische Karrieren sein und zum anderen wird von der Leyen wie eh und je als „Powerfrau“ dargestellt, die dank ihrer „überwältigenden“ Fähigkeiten für jede Aufgabe geeignet ist. Dabei sollten die Kollegen es doch eigentlich besser wissen. Die Benennung von der Leyens zur Verteidigungsministerin mag ein Coup gewesen sein – aber in einer ganz anderen Art und Weise als es den Medien vorschwebt. Von Jens Berger.

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Zum Mitgliederentscheid – Die Resignation wird zunehmen

Das Ergebnis der Mitgliederbefragung ist so, wie es die Parteiführung der SPD erwartet und sich ausgerechnet hat. Knapp 76 Prozent der 370.000 abstimmenden Mitglieder haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt, rd. 24 Prozent haben ihn abgelehnt. Mit diesem Ergebnis können die Parteispitze und die SPD-Mitglieder im Kabinett jegliche Kritik an der Regierungspolitik in den kommenden Jahren abwehren, schließlich hat ja eine große Mehrheit der Parteimitglieder dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Die SPD wird stolz auf ihre Regierungsbeteiligung sein und sie wird – wie schon in der rot-grünen Regierung und danach in der Großen Koalition – die Politik der Kanzlerin Merkel diszipliniert mittragen.
Der Mitgliederentscheid ist kein Aufbruch zu mehr Demokratie, sondern er wird vor allem in der Arbeitnehmerschaft die politischen Ohnmachtsgefühle noch steigern und zu noch mehr Resignation führen. Von Wolfgang Lieb

Die Debatte um die Rente mit 63 – wieder einmal ein Musterbeispiel von Meinungsmache

„Eine Frühverrentungswelle schwappt heran“, so macht die wirtschaftsliberale FAZ auf und die angeblich sozial-liberale Frankfurter Rundschau titelt „Frühe Rente benachteiligt Frauen“. Die Vorkämpfer der Rente mit 67 machen mit massiver propagandistischer Unterstützung des Bundessozialministeriums und der Deutschen Rentenversicherung gegen die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarte Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren mobil. Keiner redet mehr über die Zerstörung der gesetzlichen Rente, die mit den Rentenreformen insgesamt und zusätzlich mit der Rente mit 67 politisch ausgelöst wurde. Dass 2011 gerade einmal 12,5 Prozent der 63-Jährigen tatsächlich noch vollzeitbeschäftigt waren, darüber spricht niemand. Von Wolfgang Lieb

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Die Treibjagd auf Willy Brandt geht weiter. Die Jagdgesellen lassen ihm auch zum 100. keine Ruhe.

Jetzt erschien in der Reihe ZEIT Geschichte ein Sonderheft zu Willy Brandt. Im Editorial hat der Chefredakteur Christian Staas in einem halben Absatz gleich mehrere der üblich gewordenen üblen Nachreden aneinandergereiht. Siehe hier und unten. Diese Kernsätze des Editorial wie auch einige Gemeinheiten im Inneren des Heftes sind eingepackt in durchaus interessante und freundliche Artikel zum Geburtstag Willy Brandts. Dieses Umfeld erhöht die Glaubwürdigkeit der Behauptungen, Willy Brandt habe „keine Antwort“ gewusst „auf die Krise nach der Wirtschaftswunderzeit“ und er habe sich „in düstere Stimmungen verloren – in Depressionen, sagen manche“. Von Albrecht Müller

Mein Rat an SPD-Mitglieder: Sagt Nein zum Koalitionsvertrag.

Der Grafiker Klaus Staeck hat gestern in der Frankfurter Rundschau für die Zustimmung zum Koalitionsvertrag geworben, unter anderem mit dem Hinweis, „dass sogar die stets kritischen Gewerkschaften dem Ergebnis zustimmen“. Bei aller Liebe, das ist dann doch zu viel irreführende Propaganda für diesen Koalitionsvertrag. Wie Klaus Staeck auch sah ich keine wirklich vorhandene Möglichkeit, den Eintritt in Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition zu vermeiden. Aber das Ergebnis der Verhandlungen ist enttäuschend für Sozialdemokraten. Hier haben jene in der SPD die Feder geführt, die uns auch die Agenda 2010 eingebrockt haben. Die Verhandlungen hätten die Chance geboten, wenigstens ein bisschen von diesem Pfahl im Fleisch der Sozialdemokraten abzurücken. Das ist nicht geschehen. Es ist deshalb wichtig, dass möglichst viele Sozialdemokraten bei der Mitgliederbefragung ein Zeichen setzen und sagen: „So nicht, Nein“. Von Albrecht Müller

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Koalitionsvertrag – Gedankensplitter zum Kleingedruckten

Wenn man die Fernsehinterviews mit Merkel, Gabriel und Seehofer sieht, dann könnte man den Eindruck gewinnen, als hänge das Schicksal der Republik an einem Mindestlohn, an der abschlagsfreien Rente mit 63, am Doppelpass oder vielleicht noch daran wie in den nächsten vier Jahren jenseits der derzeitigen Haushaltsplanung noch zusätzlich 23 Milliarden für „Wohltaten“ (wie es immer so schön heißt) aufgebracht werden könnten. Über die politische Grundrichtung des Koalitionsvertrags, nämlich der Fortsetzung des Merkel-Kurses oder über das Kleingedruckte wird nur noch von einzelnen Gruppen Kritik geäußert. In der allgemeinen Berichterstattung geht solche Kritik aber völlig unter. Wenn man wissen will, was eigentlich das Regierungshandeln in den kommenden Jahren bestimmen soll, dann lohnt sich der Blick gerade auch auf die verdeckten Kleinigkeiten oder auf solche Dinge, die im Vertrag gar nicht mehr angesprochen werden. Von Wolfgang Lieb

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Macht PISA dumm?

Herr Wolfram Meyerhöfer, am 3. Dezember werden die Ergebnisse der neuesten, inzwischen fünften PISA-Studie, PISA 2012 genannt, der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie gehören von Beginn an zu den größten Kritikern dieses Programms [PDF – 89.4 KB]. Wogegen richtet sich Ihre Kritik?
Nun, ich habe ursprünglich mal versucht, mit Hilfe von PISA und ähnlichen Studien Wege zur Verbesserung von Schule zu finden. Dafür geben diese Studien aber nichts her. Zudem war es, als würden Sie ein Bild aufhängen wollen: Sie schlagen einen Nagel in die Wand und Schlag für Schlag bröckelt Ihnen die ganze Wand entgegen. Bei näherer Betrachtung erweist sich jedes theoretische und methodische Element von PISA als brüchig. Ein Interview von Jens Wernicke.