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Sozialstaat

Christoph Butterwegge: Neoliberalismus und Standortnationalismus – eine Gefahr für die Demokratie

Die tiefe Sinnkrise des Sozialen besteht darin, dass es – quer durch die etablierten Parteien und fast alle gesellschaftlichen Lager – primär als Belastung der Volkswirtschaft und potenzielle Gefährdung ihrer Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten gesehen, aber nicht mehr als eigenständiger Faktor begriffen wird, der mit über die Demokratie, die Humanität und Lebensqualität einer Gesellschaft entscheidet. Das neoliberale Konzept verlangt, jeden Glauben an die autonome Gestaltungsmacht der Wirtschafts- und Sozialpolitik fahren zu lassen. Ökonomismus, Fatalismus und tiefe Resignation hinsichtlich einer Verbesserung des gesellschaftlichen Status quo gehören zu seinen zwangsläufigen Folgen.

Die Mission des Dr. Hugo Müller-Vogg: Abschied vom Versorgungsstaat oder: Wie Meinung für die Vermögensberater gemacht wird

Schon oft hat mir Hugo Müller-Vogg in der BILD-Zeitung entgegengelächelt – für mich war er immer der nette Mann mit Schnauzer von Seite 2. Schon oft habe ich ihm in Politmagazinen, Nachrichtensendungen und Diskussionsrunden zugehört. Ich wollte aber noch mehr, also was tun wenn man mehr wissen will? Richtig: man surft im Internet und mit ein bisschen Glück findet man, was man sucht, so auch die Homepage. Lesen Sie dazu Anmerkungen unseres Lesers Matthias Burghardt.

Der Fetisch der zu hohen Lohnnebenkosten muss entzaubert werden. Die bisherigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme sind eher finanzielle Verschiebemanöver, als dass sie ein solides Fundament schafften.

Die Senkung der Lohnnebenkosten ist in aller Munde, so als ob dies das Patentrezept zur Verbesserung der Beschäftigung und zur Senkung der Arbeitslosigkeit wäre. Auch die Große Koalition ist mit dem Ziel gestartet, die so genannten „Lohnnebenkosten“ zu reduzieren, um die Beschäftigung zu verbessern. Dabei weist diese simple Vorstellung vom Zusammenhang zwischen den Lohnnebenkosten und der Beschäftigung gleich mehrere Denkfehler auf. Lesen Sie dazu und zu den bloßen finanziellen Verschiebemanövern bei den bisherigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme einen Beitrag von Ursula Engelen-Kefer.

Im Interesse der ArbeitnehmerInnen kann die Forderung nach einer weiteren Absenkung der Beitragspunkte in der Arbeitslosenversicherung allerdings nicht sein.

Das steht in einem Brief des Betriebsratsvorsitzenden Manfred Steingrube an Bundeskanzlerin Merkel. Der Brief ist bemerkenswert. Der Autor stellt messerscharf heraus, dass das ganze Getue um die Senkung der Lohnnebenkosten an den Interessen der Arbeitnehmerschaft weit gehend vorbeigeht. Für sie wäre eine intakte Arbeitslosenversicherung wichtig. Diese ist aber mit Hartz IV zerstört. Der Brief könnte auch für andere unsere Leser in ähnlichen Funktionen wichtig sein. Manfred Steingrube ist mit der Veröffentlichung auf den NachDenkSeiten einverstanden. Dankschön.

Die mediale Lobby für die Privatversicherer betreibt nun auch eine Kampagne gegen die gesetzliche Krankenversicherung.

Ausgerechnet unter Berufung auf die BILD-Zeitung, die ja mit den Privatversicherern kommerziell verbandelt ist, empören sich der Stern und der SPIEGEL über die angebliche „Fettsucht“ bei den gesetzlichen Krankenkassen. Die Verwaltungskosten seien von 1995 bis 2005 von 6,1 auf 8,15 Milliarden Euro auf 5,7 Prozent der Gesamtkosten gestiegen.
Tatsache ist allerdings, dass der Anteil der Verwaltungskosten seit 2002 gesunken ist und Tatsache ist auch, dass die Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb bei den privaten Krankenversicherungen prozentual im Jahre 2001 bei 13%, also deutlich mehr als doppelt so hoch wie bei den gesetzlichen lagen.

IMK-Report zu den Eckpunkten der Gesundheitsreform: Widersprüchlich und unzureichend.

Die vorliegenden Eckpunkte sind kein Beitrag zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Gesundheitssystems. Sie sind in sich widersprüchlich, erhöhen die Lohnnebenkosten und verschärfen tendenziell sogar die ungleiche Wettbewerbsposition von gesetzlicher (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV). Die höheren Einnahmen durch die beabsichtigte Beitragssatzerhöhung um 0,5 Prozentpunkte stabilisieren die Finanzsituation voraussichtlich nur kurzfristig. Der Blick auf die Entwicklung der vergangenen 15 Jahre zeigt, dass das Gesundheitssystem primär unter Einnahmenproblemen leidet. So haben sich die Gesundheitsausgaben insgesamt ähnlich wie das Bruttoinlandsprodukt entwickelt, aber die Einnahmenbasis – die Gehälter der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – konnte damit nicht Schritt halten. Notwendig gewesen wäre daher ein mutigerer Schritt zur Stabilisierung der Einnahmen durch eine stärkere Steuerfinanzierung vor allem von sog. versicherungsfremden, im allgemeinen Interesse liegenden Leistungen – etwa die Mitversicherung von Familienangehörigen oder Leistungen bei einer Mutterschaft – und die Integration von PKV und GKV. Siehe IMK-Report Nr. 13 [PDF – 134 KB].

Arbeitsmarktzahlen im Juli: Kein Anlass zum Jubel – der Milliardenüberschuss der Bundesagentur ein Zeichen der Ohnmacht

Mit 4,386 Millionen registrierten Arbeitslosen weisen die „aktualisierten“ Datenbestände im Juli 12.000 Arbeitslose weniger als im Vormonat und 451.000 weniger als im Juli vorigen Jahres aus. Die Arbeitslosenquote betrug 10,5 Prozent. Im Mai habe es voraussichtlich 26,23 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gegeben – 54.000 mehr als im Jahr davor. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger um 39.000, dazu trugen die Ein-Euro-Jobs bei. In solchen „Arbeitsgelegenheiten“ waren laut BA im Juni etwa 300.000 Arbeitslosengeld-II-Bezieher beschäftigt, die dadurch nicht mehr als arbeitslos gezählt werden – 80.000 mehr als vor einem Jahr.
Zahlen, die offenbar für die meisten Medien Anlass zum Jubel sind. Die Schattenseiten werden ausgeblendet.

IWH legt eine bedrückende Analyse über die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft vor – ein Exempel für das Scheitern angebotsorientierter Wirtschaftspolitik.

Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle resümiert [PDF – 349 KB]: Trotz vorteilhafter Rahmenbedingen auf der Angebotsseite war das vergangene Jahr kein gutes für die ostdeutsche Wirtschaft. Die gesamtwirtschaftliche Produktionsaktivität stagnierte, die Beschäftigung ging zurück, der Aufholprozess kam trotz sinkender Einwohnerzahl nicht voran. Die Binnennachfrage in Ostdeutschland insgesamt wird angesichts der schwachen Einkommensperspektiven der privaten Haushalte gedrückt bleiben. Eine Wende am Arbeitsmarkt ist nicht in Sicht. Das Produktionswachstum resultiert vollständig aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die registrierte Arbeitslosigkeit steigt trotz des anhaltenden Beschäftigungsabbaus nur deshalb nicht, weil das Arbeitsangebot weiter abnimmt.

Unser Fazit: Man kann allein durch die Verbesserung von Angebotsbedingungen, Subventionen und Steuererleichterungen bei Betriebsansiedlungen, durch Ausscheren aus Tarifbindungen, geringe Löhne und Niedriglohnsektoren die Wirtschaft nicht in Gang bringen.

Unsicherheiten einer kapitalgedeckten Altersversorgung, über die kaum berichtet wird.

Nahezu täglich können wir in unseren Medien Berichte über die Unsicherheiten oder gar den Niedergang der gesetzlichen Rente lesen. Verluste bei kapitalgedeckten Altersversorgungen bleiben im Dunkeln und die Opfer bleiben alleine oder müssen sich vor Gericht ihre Ansprüche erstreiten. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat jüngst in zwei Urteilen das Finanzierungssystem des Versorgungswerks der niedersächsischen Zahnärzte für rechtswidrig erklärt. Ein Kläger hatte dagegen geklagt, dass seine “Gesamtrente” von ursprünglich monatlich insgesamt 1.581,- € im Jahr 2002 über 1.498,- € im Jahr 2003 auf 746,- € im Jahr 2004 gesunken ist, weil die Rentenanpassungen gemindert wurden.

Ist die Deutsche Rentenversicherung willens, offensiv für ihr Produkt, die gesetzliche Rente, einzutreten? Zweifel sind angebracht.

Am 11. Juli war ich zu Gast im Stuttgarter Haus der Deutschen Rentenversicherung. Ich begann meinen Vortrag mit der Bemerkung, dass mich die Einladung in dieses Haus besonders gefreut hat. Denn so könne ich konkret wahrnehmen, dass es die Verwalter der gesetzlichen Rente, die Deutsche Rentenversicherung wirklich gibt. Ich hätte nämlich schon Zweifel bekommen, weil ich von der Deutschen Rentenversicherung wenig höre und sehe, wenn es darum geht, den täglichen Versuch der neoliberalen Ideologen und ihrer professoralen Speerspitzen abzuwehren, die gesetzliche Rente schlecht zu reden.

Gibt es ein „europäisches Sozialmodell“? Kann es ein Gegenmodell in einer neoliberal globalisierten Wirtschaft sein?

Nachdem der Europäische Verfassungsvertrag durch das Nein der Franzosen und Niederländer vor allem deshalb gescheitert ist, weil in diesen Ländern das dem Vertrag zugrunde liegende ökonomische Leitbild und seine konkreten Auswirkungen von einer Mehrheit abgelehnt worden ist, stellt sich die Frage, ob ein stärker sozial ausgerichtetes Modell eine neue identitätstiftende Perspektive für eine politische Einigung Europas bieten könnte. Dazu wäre es notwendig, dass zunächst einmal eine Verständigung darüber herbeigeführt würde, welches unter den recht unterschiedlichen nationalen Sozialmodellen denn gemeint ist und welches Modell sich zu einem gemeinsamen europäischen entwickeln könnte. Dazu ist in letzter Zeit eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen; Volker Bahl hat sich mit ihnen auseinandergesetzt.

Bertelsmann-Studie über die Vorstellungen der Arbeitnehmer zu ihrem Rentenübergang. Oder: Woher Bundespräsident Köhler seine Denkanstöße bezieht.

Tatsächlich zeigen auch Umfragen, dass die Deutschen sich darauf einstellen, später in Rente zu gehen. Ich finde, es könnte durchaus auch darüber diskutiert werden, ob starre Altersgrenzen überhaupt noch in unsere Zeit passen.

Das sagte Köhler im Mai auf dem 8. Seniorentag in Köln.

Arbeitnehmer in Deutschland wollen auch in fortgeschrittenem Alter beruflich aktiv bleiben – Mehrheit möchte Renteneintritt in der Altersphase zwischen 60 und 67 selbst bestimmen.

Das ist die Überschrift einer Befragung der Bertelsmann Stiftung, die am 24.07.06 vorgestellt wurde.
Ist diese Übereinstimmung Zufall – oder haben die guten Beziehungen zwischen Bertelsmann und dem Bundespräsidialamt Köhler zu diesem „Denkanstoß“ verholfen?

„Arme Alte“ im „produktiven Alter“ – Rente mit 67 führt zu mehr sozialer Ungleichheit – IAT untersuchte Auswirkungen einer Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters

Die geplante Heraufsetzung des Rentenalters wird die soziale Ungleichheit im Alter verschärfen. Wer gut qualifiziert und gesundheitlich leistungsfähig ist, hat gute Chancen auf vollwertige und längere Beschäftigung, für diejenigen, die mangels Arbeitsangeboten oder eigener Leistungsfähigkeit nicht bis 67 arbeiten können, wird der Übergang vom Berufsleben in die Rente länger und prekärer. „Vermehrte soziale Abstiegsprozesse im Alter infolge von beruflichen und privaten Fehlschlägen sind zu erwarten“, so die Arbeitsmarktforscher des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen), Dr. Martin Brussig und PD Dr. Matthias Knuth. Zu diesen Ergebnissen kommen Untersuchungen im Rahmen des Projektes „Altersübergangsmonitor“, die das IAT für die Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt hat.