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Arbeitslosigkeit

Das „Soll“ auf dem Erfolgskonto der Bundesregierung

In den üblichen Erklärungen um die Jahreswende rühmten die Bundesregierung, CDU, SPD, ja sogar der Bundespräsident die „Erfolge“ der Bundesregierung. Eine etwas andere Erfolgsbilanz zieht einer unserer Leser.
Was beim Selbstlob der Regierenden unter den Tisch fällt.

Arbeitsmarktexperte Paul Schröder: Keiner weiß, wie viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger es gibt.

Die Hartz-Gesetze hätten zu einem statistischen Chaos geführt, in dem niemand mehr den Durchblick behält. Vergangenes Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen um knapp 600.000 gesunken, aber bis Ende Oktober sind nur 392.000 neue sozialversicherungspflichtige Stellen entstanden. Oder: Wenn man die Bezieher von Arbeitslosengeld I und II zusammenrechne, dann habe sich ihre Zahl letztes Jahr nur um 257.000 vermindert. Hier tue sich also eine Lücke von rund 340.000 Menschen auf, die irgendwie aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden seien.
Es sei nicht einmal klar, wie viele Hartz-IV-Empfänger es wirklich gibt. Auch der Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Stellen sei keine verlässliche Zahl. Es irritiere, dass immer mehr Beschäftigte mit regulären Jobs nebenher noch Hartz-IV beziehen müssen. Offenbar nähmen vor allem Teilzeitstellen und Niedriglohnjobs zu.
Auch die Angabe der Bundesagentur, dass „nur“ 43 Prozent aller Arbeitslosen Langzeitarbeitslose seien, müsse in Frage gestellt werden: Ein Langzeitarbeitsloser müsse nur einen 1-Euro-Job machen oder eine Trainingsmaßnahme absolvieren, dann gelte er wieder als “kurzzeitig arbeitslos”.
Quelle: Interview mit Ulrike Herrmann in der taz

Spiegel-Interview mit dem Staatsoberhaupt: Der neoliberale Stammtisch unter sich

Wenn Bundespräsident Horst Köhler, der Chefredakteur des Spiegels Stefan Aust, und der Leiter des Berliner Büros, Gabor Steingart zusammensitzen, dann sind neoliberale „Reformer“ unter sich. Da wird, wie Tom Schimmeck in der taz schrieb, den Schwachen mal so richtig Druck gemacht und den Mächtigen devot am Bauch gekrault. Ein solches Interview hat auch sein Gutes: Unser Bundesaufsichtsratsvorsitzender wird so richtig aus seiner ideologischen Reserve gelockt. Hier ein paar Kostproben.

“Die Zeit drängt – Deutschland braucht einen dritten Arbeitsmarkt”

Unter diesem Titel hat Iris Gleicke, Sprecherin der ostdeutschen SPD- Bundestagsabgeordneten ein 15-Punkte-Papier vorgelegt, das zum Jahresende einige Aufmerksamkeit auf sich zog. Text siehe unten. Obwohl die Vorschläge inzwischen wieder ziemlich aus der Diskussion verschwunden sind, will ich einige Anmerkungen dazu machen und Fragen stellen. Auch deshalb, weil unsere Leser sich für dieses Dokument sehr interessiert haben.

Die Reformen greifen! Aber wo greifen sie hin?

„Die Reformen der vergangenen Jahre beginnen zu greifen“ sagte der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache und ähnlich die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache Die Reformen greifen aber überwiegend den Normalverdienern und den Ärmeren in die Tasche. Wie sich aus den Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger im Jahre 2007 mehr Wachstum, mehr Beschäftigung oder eine Sicherung der sozialen Sicherungssysteme ergeben sollte, das gilt bei unseren „Reformern“ als eine Frage der besseren Vermittlung dieser „Reformen“. Doch wie sollte den Bürgern etwas vermittelt werden können, was nicht vermittelbar ist, weil ein Zusammenhang zwischen den belastenden „Reformen“ und einer Verbesserung der künftigen Entwicklung nicht erkenn- oder nachvollziehbar ist? Wolfgang Lieb.

Erich Kästner: Knigge für Unbemittelte

Ein Gedicht aus dem Jahre 1928, das so treffend zu der Kampagne von BILD und anderen Medien passt, um mit der dummen Geschichte des unrasierten Enrico F., der Kurt Beck attackierte, Arbeitslose als arbeitsscheues Gelichter zu diskriminieren.

WSI: Enttäuschende Bilanz der Hartz-Reformen

Was die Zwischenberichte der wissenschaftlichen Evaluierung der ersten drei Hartz-Gesetze bereits vor einem Jahr angedeutet hatten, bestätigen nun die Endberichte: Die Reformen am Arbeitsmarkt haben zwar den Arbeitsmarkt flexibilisiert, sie haben aber “nur in geringem Umfang zur Überwindung der Arbeitslosigkeit beigetragen”. Einige der mit großen Erwartungen auf den Weg gebrachten Instrumente haben nahezu völlig versagt. Hierzu gehören die Personalserviceagenturen, die Arbeitslose als Leiharbeitnehmer in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln sollten.

Jürgen Rüttgers, der Taschenspieler aus Nordrhein-Westfalen

Die Tricks von Taschenspielern beruhen auf einer Täuschung ihrer Zuschauer. Ihr Zauberkunststück besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit des Publikums mit Reden und Gesten auf Nebensächlichkeiten lenken, damit es nicht bemerkt, wie ihm etwas vorgegaukelt wird. Mit solchen Gaukeleien macht Rüttgers Politik: Er mimt auf der Bühne der Bundespolitik den sozial Gerechten und lenkt die Wählerinnen und Wähler seines Landes von der Politik seiner Landesregierung ab. Hinter dem Ablenkungsmanöver verbirgt sich aber eine Politik, wie sie unsozialer von kaum einer anderen konservativen Regierung vorangetrieben wird. Wolfgang Lieb.

Spielmaterial längeres Arbeitslosengeld I und Investivlohn

Zur Zeit erleben wir Musterbeispiele dafür, wie in der politischen Debatte Aussagen und Vorschläge nahezu ausschließlich der Imagebildung und nicht der Vorbereitung politischer Taten dienen. Mein Rat, solchen Spielen nicht auf den Leim zu gehen. Albrecht Müller.

Arbeitslosigkeit als unabänderlich hinnehmen oder trotz allem dagegen angehen?

Das ist meines Erachtens die entscheidende Frage, bei der sich die Geister heute scheiden. Die einen, vermutlich die Minderheit, sehen immer noch einen Sinn darin, mit makroökonomischen Instrumenten Beschäftigungspolitik zu betreiben. Die andern halten dies für eine eitle Hoffnung. Die öffentliche Debatte und auch die praktische Politik kümmert sich vornehmlich um die Verwaltung der Arbeitslosigkeit – um Hartz IV und seine Korrektur, um die Milderung der Folgen der Arbeitslosigkeit mithilfe eines Bürgergeldes und so weiter.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat am 15.11. eine Studie darüber vorgelegt, wie erfolgreichere Länder verfahren sind. Die Studie zeigt, dass ideologisch so unterschiedliche Länder wie Schweden und Großbritannien die Arbeitslosigkeit mit sehr ähnlichen Mitteln und erfolgreich bekämpft haben. Beide Länder verfolgten auch in der Konjunkturflaute 2000/2001 einen expansiven Mix aus Geld-, Lohn- und Finanzpolitik. Warum soll das bei uns nicht möglich sein? Leben wir in einer andern Welt? Leben wir auf einem anderen Globus mit einer anderen Globalisierung? Albrecht Müller.

„Blanke Heuchelei“ nennt Müntefering Rüttgers Vorstoß zur Verlängerung des Alg I für ältere Arbeitlose. Wer heuchelt eigentlich mehr?

„Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 14. Juni 2005 beschlossen, die gestaffelte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von bis zu 32 Monaten bis 31. Januar 2008 zu verlängern“, so heißt es in den Willy-Brandt-Haus-Materialien vom 15. Juni [PDF – 24 KB]. Der SPD-Arbeitsmarktexperte Brandner begründete diese Änderung von Hartz IV damit, dass ältere Arbeitslose auf dem angespannten Arbeitsmarkt weiter nur geringe Chancen hätten. Dieser Antrag wurde sogar in den Bundesrat eingebracht und dann auf Druck des damaligen Bundeskanzlers Schröder im Zusammenhang mit dessen Neuwahl-Coup zurückgezogen. Zur Zeit dieses Fraktionsbeschlusses war Franz Müntefering Vorsitzender der SPD-Fraktion. Heute nennt er einen ähnlichen Vorstoß von Rüttgers eine „Sauerei“. Wolfgang Lieb.

Ursula Engelen Kefer: Rüttgers Vorstoß, die Dauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer bis auf 24 Monate zu verlängern, ist reiner Populismus.

Anstelle populistischer Effekthascherei sollte alles getan werden, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern und die ungerechte Behandlung älterer Arbeitsloser zu beseitigen. Letzteres darf jedoch nicht auf dem Rücken der Jüngeren abgeladen werden, die angesichts von Strukturwandel und einer falschen Wirtschaftspolitik gleichfalls nicht für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden können. Ein Beitrag der ehemaligen Verwaltungsratsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit und früheren DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer.