Kategorie:
Schulsystem

Von der „Selbstständigen“ zur „Kommunalen Schule“

Neben der Debatte um die sog. „Selbstständige Schule“ gibt es inzwischen einen neuen schulpolitischen Diskurs. Es ist dies der Diskurs um die Kommunalisierung von Schule unter den Schlagwörtern „Kommunale Schule“ oder „Kommunale Bildungslandschaft“. Auch wenn vereinzelt auch Sinnvolles unter diesem Label firmiert, ist die Debatte vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie – wie bereits von der „Selbstständigen Schule“ bekannt – für den Fall einer „Kommunalisierung“ der Schulen das Blaue vom Himmel herab verspricht. In Zwischentönen wir jedoch deutlich, dass das Ziel einer solchen Dezentralisierung in erster Linie Kürzungen im Bildungsbereich sind, die sich angeblich mittels sagenhafter Synergieeffekte bei gleichzeitiger „Qualitätssteigerung“ erreichen lassen sollen.
Es geht darum, die Zuständigkeit – angefangen von den Lehrerarbeitsverhältnisse bis hin zur Definition von Bildungsinhalten – auf die Kommunen als pädagogische „Alleskönner“ zu übertragen. Hinter den wohlklingenden Worten von Liberalisierung und Dezentralisierung versteckt sich nicht nur eine massive Verschlechterung der Lehr-, Lern- und Arbeitsbedingung sondern gleichzeitig auch eine Überwindung der Eintrittshürden für private Akteure auf dem „Bildungsmarkt“ Schule.
Von Jens Wernicke

Ein westfälischer (Schul-)Frieden

Der gestern zwischen SPD/Grünen und der CDU erzielte „Schulkompromiss“ [PDF – 2 MB] wird gefeiert wie der Westfälische Frieden, mit dem der Dreißig Jährige Krieg beendet wurde. Ein Stück weit trifft der Vergleich sogar zu, denn seit einem Volksbegehren über den ersten Anlauf zu einer „kooperativen Schule“ im Jahre 1978, herrschten heftige Auseinandersetzungen über das Schulsystem in diesem Lande, einem der wenigen verbliebenen Herzstücke der Landespolitik. Zwar wurde die Gesamtschule eingeführt und leider auch ständig bekämpft, aber am dreigliedrigen Schulsystem hat sich letztlich nichts geändert. Die Hauptschule war in Art. 12 der Landesverfassung festgeschrieben und keine Regierungsmehrheit seit über 30 Jahren konnte diese Barriere überwinden. Insofern ist die Möglichkeit der Einführung eines „Sekundarschule“ ein Fortschritt und vielleicht eine Chance. Doch mehr als eine Hoffnung besteht nicht. Von Wolfgang Lieb

Gläserne Schüler in Bayern – Daten erfassen, statt Probleme lösen

Die Kultusminister haben sich bereits im Jahr 2006 darauf verständigt, dass personenbezogene Daten von Kindern anonym in ein “nationales Bildungsregister” einfließen sollen. Nach den Plänen der Kultusministerkonferenz sollte bis 2008 ein Zentralregister mit Schülerdaten aufgebaut werden, dies stieß jedoch auf heftigen Widerstand. CSU und FDP haben nun einen neuen Gesetzentwurf für eine Schülerdatenbank in Bayern vorgelegt, der sich noch im Verfahren der Verbändeanhörung befindet. Es ist geplant Daten von Schülerinnen und Schülern insbesondere Name, Adressdaten, Religionszugehörigkeit, Migrationshintergrund, schulische Daten, Leistungsdaten, Daten zur schulischen und beruflichen Vorbildung sowie zur Berufsausbildung datentechnisch zu erfassen. Bei den Lehrkräften werden insbesondere Name und Angaben zur Lehrbefähigung und zum Unterrichtseinsatz, bei den Erziehungsberechtigten Name und Adressdaten erfasst. Von Christine Wicht

Der Bildungsstreik – linksautonome Protestromantik mit gestrigen Forderungen?

Die Befürchtungen vor Start des Bildungsstreiks waren groß. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) erwartete „plumpe Krawallaktionen“, „sinnlosen Populismus“, die CDU-Bundestagsfraktion gar „Wahlkampf-Events der Linken“. Den Hauptgrund dafür sahen viele Organisationen in einer „aktiven Unterwanderung der Bildungsstreikforen durch linksradikale Gruppen“ (Philologenverband). Die FDP im Bundestag befürchtete, der Bildungsstreik könne für „anarchistische Gewalt“ missbraucht werden. Statt sich jedoch inhaltlich mit der Bewegung, den Inhalten und den konkreten Missständen zu beschäftigen, reichte wohl der Blick auf die Liste der unterstützenden Organisationen, um sich eine pauschale Ablehnungshaltung zu eigen zu machen. Der Erkenntnis, dass es um eine ernsthafte Verbesserung und Veränderung des herrschenden Bildungssystems ging und nicht um die Austragung „ideologischer“ Konflikte ging, standen vorgefertigte Urteile entgegen. Von Michael Kolain

Schul- und Bildungspolitik der CDU in Hessen

Deregulierung, Privatisierung und Entprofessionalisierung einhergehend mit einem sozialen Kahlschlag sind die Kennzeichen der Regierung Koch in Hessen: Abkassieren bei den sozial Benachteiligten, bei Studierenden und bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Dem Gehaltsabbau und der Arbeitszeitverlängerung für die Landesbediensteten folgten der Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Zunahme deregulierter Beschäftigungsverhältnisse gepaart mit dem Abbau professioneller Standards und staatlicher Verantwortung bei öffentlichen Dienstleistungen. Entstaatlichung ging Hand in Hand mit größer werdender sozialer Ungleichheit und Selektion vor allem im Bildungswesen.
Von Jens Wernicke

Maßnahmen gegen Kinderarmut

In letzter Zeit ist die Kinderarmut hierzulande beinahe zu einem Modethema avanciert, ohne dass die verantwortlichen Politiker bisher jedoch wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen hätten. Zwar hat sich die Bundesregierung erstmals auf ihrer Klausurtagung im August 2007 auf Schloss Meseberg mit dem Problem befasst, die Entfristung des vor dem 1. Januar 2008 nur drei Jahre lang gezahlten Kinderzuschlages in Höhe von maximal 140 EUR pro Monat war aber kaum mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf einen heißen Stein. Dass sich die Große Koalition von einer Entbürokratisierung des Kinderzuschlages, die am 1. Oktober 2008 in Kraft treten soll, der Erhöhung des Wohngeldes, seiner Ergänzung um eine Heizkostenkomponente, die den gestiegenen Energiekosten Rechnung tragen soll, und einer Anhebung der Mietobergrenzen, die zum 1. Januar 2009 geplant sind, eine spürbare Verringerung der (Kinder-)Armut verspricht, dokumentiert ihre mangelnde Bereitschaft, das Problem an der Wurzel zu fassen.
Dessen strukturelle Ursachen können viele der gegenwärtig in Politik, Massenmedien und Öffentlichkeit zirkulierenden Vorschläge zur Verringerung bzw. Verhinderung von Kinderarmut nicht beseitigen. Christoph Butterwegge hat uns diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Entscheidungsfindung mit dem Finger im Wind – über gravierende politische Fehlentscheidungen wegen Orientierung an Moden und Interessen.

Im „Spiegel” dieser Woche erschien ein Beitrag über den Diebstahl der Kindheit. „Gestresste Schüler, besorgte Lehrer – die Auswirkungen des auf 12 Jahre verkürzten Wegs zum Abitur“. Am 31.12.2007 erschien in SpiegelOnline ein Beitrag unter der Überschrift: „Wie viel Staat braucht das Land?“ (Auszüge siehe Anlage). Da wurde berichtet, dass viele Projekte der Privatisierung und Liberalisierung nicht erfolgreich waren und dass viele Kommunen schon eine Kehrtwende vollziehen. – Um uns herum tobt eine Diskussion um die Riester-Rente. Eine absolut groteske Reform, die man wirklich nur begreift, wenn man untersucht, wo unsere Steuergelder – unpräzise auch staatliche Förderung genannt, so als gebe es einen Goldesel bei Herrn Steinbrück – hinfließen: zur Lobby der Finanzindustrie. – Dann beklagt man die Verwahrlosung und mangelhafte Integration von jungen Menschen, solchen von ausländischer Herkunft und einheimischer. – Und man beklagt die Folgen des kommerzialisierten Fernsehens, der ständigen Darstellung von rücksichtsloser Gewalt, der grassierenden Verblödung. Und so weiter …
In allen diesen Fällen gilt: man konnte leicht vorher wissen, was man anrichtet. Die politische Entscheidungsfindung aber orientiert sich zum ersten an modischen Trends und zum zweiten am großen Geld und dessen Interessen. Albrecht Müller.

Das Wissen – oder werde du mal Lehrer!

Die Gedanken einer bremischen Lehrerin.
Für alle, die jemals zur Schule gegangen sind oder deren Kinder zur Schule gehen.
Ein ergreifender Essay einer Lehrerin mit täglichem Kontakt mit der Wirklichkeit des Lernens oder Verweigerns.

Schulen in freier Trägerschaft erfreuen sich einer immer größeren Beliebtheit in Deutschland.

Im Schuljahr 2006/2007 besuchten rund 892 000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland eine Privatschule. Das entspricht 7,3 Prozent der Schülerinnen und Schüler insgesamt. Alleine in der Hauptstadt Berlin ist eine Steigerung der Schülerzahlen im Jahr 2006/2007 um 7,4 Prozent zu verzeichnen.
Die Entwicklung verdeutlicht, dass Eltern immer stärker dazu neigen, die Bildungseinrichtungen freier Träger den staatlichen Einrichtungen vorzuziehen. Dabei scheint auch der Glaube an die höhere Leistungsfähigkeit der Ersatzschulen maßgeblich zu sein. So lautet eine Antwort der Bundesregierung [PDF – 80 KB] auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion. Wolfgang Lieb

Zur Reform des dualen Bildungssystems

Nahezu alle internationale Untersuchungen, zuletzt der UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz stellen fest, dass das deutsche Schulsystem zu den sozial ungerechtesten vergleichbarer Staaten gehöre, weil es viel zu früh selektiere und Kinder aus sozial schwachen Familien benachteilige. Da die Abschaffung des dreigegliederten Schulsystems zugunsten einer integrierten Schule als ein Tabuthema gilt, wird nunmehr vermehrt über die Zukunft der Hauptschulen und ihrer Reform debattiert. Der bayerische Städtetag befasste sich aktuell mit einer Zusammenlegung von Real- und Hauptschule als zehnjähriges Schulmodell, wie das etwa auch von Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär a.D. vorgeschlagen wird. Eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung in Kombination mit einer Zugangsberechtigung zu Hochschulen ist ein weiterer Vorschlag. Von Christine Wicht.

Das Gymnasium macht alle anderen Bildungsanstalten, seien es nun Hauptschulen oder Stadtteilschulen, zu Restschulen

Schulstrukturdebatten sind überflüssig und blöde. Nicht auf die Struktur kommt es an, sondern auf den Unterricht?
Es ist genau umgekehrt – solange das Gymnasium als einzige, national gültige Krone des Auslese-Schulsystems erhalten bleibt, solange bleibt das ganze Gerede von individueller Förderung ideologische Tünche. Einen wirklich individualisierenden Unterricht gibt es erst, wenn die Schulform nicht mehr die Schablonen von Begabungen und Niveaus vorgibt, in die die Schüler gepresst werden, also, wenn es eine Schule für alle gibt.
Karl-Heinz Heinemann hat uns seinen Beitrag zur Einführung von Stadtteilschulen in Hamburg zur Verfügung gestellt.

UN-Sonderbericht über das deutsche Bildungssystem: Ohrfeige für Deutschland

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, hat gestern vor dem UN-Menschenrechtsrat seinen mit Spannung erwarteten Bericht über das deutsche Bildungssystem vorgestellt. Auch in diesem übt er deutliche Kritik an den diskriminierenden Wirkungen des deutschen Schulsystem: “Indeed, the Special Rapporteur believes that the classification process which takes place at lower secondary level (average age of students is 10, depending on each Land’s regulation) does not assess students in an adequate manner and instead of being inclusive, is exclusive; since he could verify during the visit that, for example, poor and migrant children – as well as children with disabilities – are negatively affected by the classification system.” (Quelle: ohchr.org [PDF – 196 KB]) Ein Beitrag von Jens Wernicke