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Europäische Union

Die Eurokrise in Zahlen (I) – Wie Musterschüler zu Problemkindern wurden

Mit steter Regelmäßigkeit behaupten die deutsche Regierung und viele deutsche Medien, dass die Eurokrise eine direkte Folge des finanzpolitischen Schlendrians einiger Eurostaaten sei. Eine unwahre Aussage wird jedoch nicht wahrer, wenn man sie regelmäßig wiederholt. Ein Blick auf die statistischen Daten der OECD reicht aus, um diese Aussage zu widerlegen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall – am Vorabend der Finanzkrise galten die heutigen Problemkinder noch als finanzpolitische Musterschüler. Von Jens Berger

Das faule Vermächtnis des Helmut Kohl

Aufgrund ihrer falschen Politik hatten wir bislang wenig Anlass, die Kanzlerin Angela Merkel zu verteidigen. Aber diesmal müssen wir sie in Schutz nehmen. In Schutz nehmen gegen die Angriffe des Egomanen und inzwischen nur noch an seiner eigenen Legende strickenden „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl. Er fällt in einem Akt kalter Rache über die heutige Politik und speziell über die Kanzlerin her. In seinem selbstbeweihräuchernden Personenkult erhebt er sich selbst zu einer der großen Figuren der Geschichte, der nach seiner selbstgerechten Wahrnehmung alles richtig gemacht hat. Dabei will er nur vertuschen, dass Angela Merkel nur den Scherbenhaufen zusammenkehren muss, den dieser altkluge Philister hinterlassen hat.

Statt griechische Inseln nun Goldbarren als Pfand

„Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ forderte die Bild-Zeitung als Gegenleistung für die Rettung vor dem griechischen Staatsbankrott. Sozialministerin von der Leyen ist da handfester, sie will für deutsche Gelder aus dem Rettungsfonds Gold als Sicherheit. Sie gibt damit einen Startschuss für einen Wettlauf der Kreditgeber, sich die Filetstücke Griechenlands unter den Nagel zu reißen. An allem was Griechenland bisher noch als Ausweis seiner Kreditwürdigkeit anbieten konnte, könnte bald der „Kuckuck“ kleben. Es wäre alles weggepfändet, die „Märkte“ reagierten noch panischer und die Griechen müssten gegenüber dem Rest der Gläubiger dann endgültig Konkurs anmelden. Und die „Gerichtsvollzieher“ der Gläubigerländer dürften danach gleich in die anderen Mittelmeerländer weiterziehen. Von Orlando Pascheit und Wolfgang Lieb

Der griechische Taxi-Streik – ein Kampf um Privilegien

Der Streik des Taxigewerbes droht, Griechenland die Touristensaison zu verderben. Wenn erboste „taksitsides“ in Athen die Einfahrt zum Hafen blockieren, oder in Kreta den Flughafen Herakleon abriegeln oder den Grenzübergang zur Türkei versperren, sollte man meinen, das viel für sie auf dem Spiel steht. So ist es in der Tat. Aber sind die Streikenden und Demonstrierenden deshalb gegenüber der Gesellschaft im Recht? Das ist die Frage. Von Niels Kadritzke

Das Rettungspaket des EU-Gipfels aus griechischer Sicht

Eine abschließende Bewertung der Brüsseler Beschlüsse vom 21. Juli ist beim derzeitigen Informationsstand kaum möglich. Dennoch lassen sich im Blick auf die griechischen Entwicklungen einige vorläufige Anmerkungen machen, die man je nach Stimmung sarkastisch, ironisch oder verbittert formulieren kann. Von Niels Kadritzke

Das Denken in Institutionen – Eine spezifisch deutsche Ideologie

Ein grundlegendes Defizit unter deutschen Intellektuellen bei der Diskussion über die derzeitige europäische Krise ist die Ausblendung der ökonomischen Ursachen dieser Krise und damit – notwendigerweise – das Fehlen von effektiven Lösungsansätzen für die Europa zu sprengen drohende Euro-Krise. Die ökonomische Krise wird in jüngsten Abhandlungen etwa von Jürgen Habermas oder von Heribert Prantl vor allem als eine Krise der Institutionen interpretiert. Dieser Denkansatz greift jedoch zu kurz. Die europäischen Institutionen und schon gar deren demokratische Legitimation werden vielmehr umgekehrt zunehmend dem „Protektorat“ der herrschenden Wirtschaftsdoktrin unterstellt. Von Volker Bahl

Eurozone stabilisieren

Nach mehr als einem Jahr Anti-Krisenpolitik und „Griechenland-Rettung“ stehen die EU-Instanzen und die Bundesregierung vor dem Scherbenhaufen ihrer neoliberalen Spardiktate-Politik. Trotz der Sanierungsversuche hat sich die Situation in den südeuropäischen Krisenländern (und teilweise Irland) nicht verbessert, die Staatsschuldenquoten steigen und die Verunsicherung hat weiter zugenommen. Zwei Gründe sind dafür neben anderen besonders wichtig: Erstens stürzen die Krisenländer wegen der ihnen aufgezwungenen drakonischen „Sparmaßnahmen“ in die Rezession, was Arbeitsplätze, Masseneinkommen und Steuereinnahmen wegbrechen lässt. Zweitens sind die an die Rettungskredite gebundenen Zinsen von fünf bis sechs Prozent viel zu hoch und von den Ländern objektiv nicht leistbar. Von Werner Schieder MdB

Die griechische Krise und das Dilemma der Privatisierungen

Nebenbei bemerkt, flocht der Moderator im Frühprogramm des griechischen Staatssenders NET am letzten Dienstag ein, seit acht Monaten habe er kein Gehalt mehr bezogen. Das Mitleid der TV-Zuschauer dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Im privaten Sektor sind ausbleibende Lohnzahlungen längst die Regel.
Die Kassenlage im staatlichen Fernsehen ist eines von vielen Anzeichen dafür, dass der griechische Staat die Grenze zur Zahlungsunfähigkeit bereits überschritten hat. Im öffentlichen Dienst insgesamt beträgt der Gehaltsrückstand durchschnittlich zwei Monate. Ähnlich sieht es bei den Rentenkassen aus: Bis die Rente bewilligt ist, vergehen im Durchschnitt 18 Monate, in denen nur eine Abschlagszahlung geleistet wird. Müsste man die vollen Renten von Anfang an auszahlen, wären einige Berufskassen bereits pleite. Und über die Summen, die der Staat dem privaten Sektor schuldet (z.B. Baufirmen und Krankenhaus-Lieferanten) gibt es nur Schätzungen, die gnädigste liegt bei 10 Mrd. Euro. Von Niels Kadritzke

Weniger Urlaub für die Südeuropäer?

Eine Entgegnung auf Jens Bergers Beitrag „Die Kanzlerin der Stammtische“ von Heiner Flassbeck.
Nun ist es endlich raus, was schief läuft in Euroland. Frau Merkel sagt (lt. WELT online vom 18.5.): „Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen.“ Jetzt kann man endlich verstehen, warum für die schwere Krise in Euroland offenbar keine Lösung gefunden werden kann. Die europäische Tragödie ist laut der deutschen Bundeskanzlerin die Folge der Weigerung der Südeuropäer, auf Urlaub zu verzichten. Diese Äußerung zeigt aber besser als alles bisher Gesagte, was wirklich die europäische Tragödie ausmacht: Die Unfähigkeit unserer Spitzenpolitiker und ihre ökonomischen Berater auch nur im Ansatz zu begreifen, was eine Währungsunion bedeutet und wie sie funktioniert.

Guy Burgel: Strauss-Kahn war nicht der Retter Griechenlands

Inhalte eines am 18. Mai 2011 in der französischen Tageszeitung Le Monde erschienenen Artikels von Guy Burgel, Professor an der Pariser Universität Paris-Ouest-Nanterre-la Défense.
Originaltitel: „Non, M.Strauss-Kahn n’est pas le sauveur de la Grèce“.
Burgel ist Autor eines Buches über die Entwicklung Griechenlands im 20. Jahrhundert („Miracle athénien au XXe siècle, Verlag CNRS Editions 2002“). Übertragen von Gerhard Kilper

Die Kanzlerin der Stammtische

Die Umfragewerte sind im Keller, die CDU verliert wichtige Wahlen – in ihrer Not versucht es die Kanzlerin mit Populismus. Dass auch Bundeskanzlerin Merkel die Parolen des Stammtisches beherrscht, bewies sie gestern auf einer Veranstaltung im sauerländischen Meschede. Vor 1.500 jubelnden Sympathisanten umriss Merkel, an welche Bedingungen sie weitere Kredite an die angeschlagenen südeuropäischen Euro-Staaten knüpfen will und spielte dabei wieder einmal mit dem Klischee vom fleißigen und sparsamen Deutschen, der dem faulen Griechen sein hart erarbeitetes Geld in den Rachen werfen muss, so dass die Südeuropäer es in Saus und Braus verprassen können. Von Jens Berger

Griechenland – Schock ohne Therapie

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Griechen durch die ihnen von der der EU, der EZB und dem IWF auferlegte Schock-Strategie immer weniger in der Lage sind, ihre Schulden zu begleichen. Griechenland gleitet in eine „Rezessflation“ ab: das wirtschaftliche Wachstum bricht ein, die Inflation steigt, die Steuereinnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die Schulden zu bedienen, der Schuldenberg ist weiter gewachsen und die Verzinsung der Kredite steigt in schwindelnde Höhen. Die allgemein gehandelten Lösungsangebote, nämlich „Staatsinsolvenz“, Umschuldung oder ein Austritt aus dem Euro hätten katastrophale Folgen – keineswegs nur für Griechenland.
Kurzfristig müsste die Spekulation auf den Finanzmärkten durch Euro-Anleihen gestoppt werden. Wenn man die Europäische Union erhalten will, führt mittelfristig kein Weg an einer Minderung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Währungsunion vorbei. Eine Umkehrung der Lohnstückkostenpfade wäre für die übergroße Mehrheit der Deutschen die weitaus erfreulichste Option. Wolfgang Lieb

Lolek und Bolek ante portas

Am 1. Mai endet die siebenjährige Übergangsfrist, mit der Deutschland und Österreich ihren Arbeitsmarkt vor potentiellen Migranten aus acht mittel- und osteuropäischen Ländern abgeschottet haben. Ab nächsten Monat können Staatsbürger der Slowakei, Polens, Tschechiens, Ungarns, Sloweniens, Estlands, Lettlands und Litauens ihre Arbeitskraft ohne bürokratische Einschränkungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt anbieten. Während die Arbeitgeberverbände sich über den erhofften Zuzug von Fachkräften freuen, befürchten die Gewerkschaften eine Ausweitung des systematischen Lohndumpings zu Lasten der Arbeitnehmer. Schon bald wird sich zeigen, ob es sich Deutschland leisten kann, weiterhin auf einen flächendeckenden Mindestlohn zu verzichten. Jens Berger

Europa ohne Europäer

Seit dem Wahlerfolg der europaskeptischen „wahren Finnen“ ist das politische Europa wieder einmal in Erklärungsnöten. Die Finanz- und Schuldenkrise lastet schwer auf dem Selbstverständnis der EU. Jahrzehntelang wurden unpopuläre politische Reformen in allen Mitgliedsstaaten gerne als Entscheidungen Brüssels verkauft, was das Image der supranationalen Institutionen der EU schwer beschädigt hat. Kritik an der EU wurde dabei tabuisiert und selbst Detailkritik wurde meist durch Fundamentalverteidigung pariert, während Europapolitik hinter geschlossenen Türen stattfand. Wenn die Politik nicht bald anfängt, einen offenen Europa-Diskurs zu führen, dürften die Europaskeptiker, die meist im rechten Lager zu verorten sind, auch in Zukunft Wahlerfolge feiern und damit Europa nicht nur als Institution, sondern auch als Idee desavouieren. Jens Berger

Finnland, ein weiteres Menetekel

Quer durch Europa gewinnen „rechtspopulistische“ Parteien unaufhaltsam an Boden. Mit Fremdenfeindlichkeit, chauvinistischer Kritik an Europa und vorgespiegeltem sozialem Nationalismus bringen sie die etablierten, wirtschafts- und sozialpolitisch kaum noch unterscheidbaren „Volks“-Parteien in Bedrängnis. So jetzt auch in Finnland. Wenn es den fortschrittlicheren Kräften in Deutschland und Europa nicht gelingt, der großen Mehrheit der Menschen ihre Ängste vor einem weiteren sozialen Absturz zu nehmen, und die politische Linke es nicht schafft, den konservativen und rechtsextremen Parteien eine demokratische und soziale Zukunftsvision entgegen zu setzen, dann werden nicht nur die einzelnen Länder sondern Europa von der Rechten überrollt. Das konservative Geschwätz, dass rechtsextreme Kräfte in der Regierungsverantwortung „entzaubert“ würden, hat sich schon einmal in der europäischen Geschichte als tragischer Irrtum erwiesen. Das gesellschaftliche Klima ist auch bei uns schon durch Fremden- und Europafeindlichkeit vergiftet, die Tabubrüche werden weiter gehen und eine Rechtsverschiebung des politischen Spektrums ist schon Wirklichkeit. Wolfgang Lieb