Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist ein Täuschungsmanöver gegenüber der Nachfolgegeneration und ein Ablenkungsmanöver vom politischen Versagen

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Die Rente mit 67 ist ein Täuschungsmanöver zu Lasten all derjenigen, die nach 1947 geboren sind und unselbständig beschäftigt sind. Sie werden nicht nur Opfer der jetzt schon vollzogenen und der noch geplanten Rentenkürzungen [1] [2] sein, sondern sie werden darüber hinaus auch noch länger arbeiten müssen oder realistischerweise weitere drastische Rentenabschläge hinnehmen müssen.

Ein Täuschungsmanöver ist die jetzt vom Kabinett gebilligte Entscheidung, das Renteneintrittsalter ab 2012 bis 2029 gleitend zu erhöhen, schon deshalb, weil weder für die nächsten 6 Jahre bis zum Einstieg geschweige denn für die nächsten 23 Jahre bis zur vollen Umsetzung der Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre eine auch nur einigermaßen realistische Voraussage für die Finanzsituation der Rentenkasse möglich ist.
Wer so tut – und die meisten tun so – als sei diese Erhöhung der Lebensarbeitszeit von unselbständig Beschäftigten ausschließlich eine Konsequenz der Arithmetik oder der demographischen Statistik ist Opfer eines Denkfehlers oder – noch schlimmer – Opfer der eigenen und der von der Versicherungswirtschaft betriebenen Propaganda.

Der Denkfehler ist, dass die Politik offenbar nur noch innerhalb des Systems einer statischen Rentenstatistik denkt. Man behandelt die Symptome des Rentensystems und schaut nicht auf die Ursachen für dessen Probleme und dessen finanziellen Engpässe.

Genauso wie die Hartz-Gesetze nichts oder allenfalls ganz wenig bewirken können, wenn keine Arbeit nachgefragt wird, so können auch die Probleme der gesetzlichen Rente nicht gelöst werden, wenn man nur an den Stellschrauben innerhalb des Systems dreht.
Wie bei Hartz wird nur „gefordert“, ohne dass „gefördert“ würde. So wird jetzt bei der Rente allen Arbeitnehmern das weitere Opfer einer längeren Arbeitszeit und damit eine zusätzliche faktische Kürzung ihrer Rente zugemutet, ohne dass außer dem Kürzel „50 Plus“ auch nur eine vage Idee beschrieben würde, wie man das effektive Renteneintrittsalter wenigstens in die Nähe von 65 Jahren bringen könnte oder wie man das Abschieben von über fünfzigjährigen Arbeitnehmern aus den Betrieben aufs Altenteil verhindern könnte. Derzeit erreichen gerade mal 35,2 % der Rentner die Altersgrenze von 65. Angesichts dieser brutalen Realität ist es völlig unglaubwürdig, am Kabinettstisch über ein höheres Renteneintrittsalter zu entscheiden, ohne auch nur den kleinsten Hinweis zu geben, wie dieses spätere Ausscheiden angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktsituation und dem immer schlechter werdenden Gesundheitszustand der Arbeitnehmer jemals von einer beachtlichen Zahl von Arbeitnehmern realistischerweise auch nur annähernd erreicht werden könnte. Für die allermeisten Arbeitnehmer – ich rede nicht von Professoren, Journalisten und leitenden Verwaltungsbeamten – ist ein Ausscheiden aus einer Vollerwerbstätigkeit erst mit 67 doch völlig unerreichbar. Es wäre viel ehrlicher gewesen, schlicht eine Rentenkürzung von 7,2% anzukündigen.

Die Finanzknappheit der Rentenkasse oder genauer, die sinkenden Beitragseinnahmen, resultieren doch aus dem Rückgang von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, aus der Massenarbeitslosigkeit und aus den ausfallenden Beitragsleistungen der 1-Euro- und Minijobber und aus dem insgesamt gesunkenen Beitragsniveau durch Billiglöhne und stagnierenden Löhneni, aus den Kosten für die Frühverrentung von entlassenen älteren Arbeitnehmern und aus der falschen Finanzierung des Beitritts der Neuen Länder. Wenn in diesiier Situation – was die Große Koalition und der Finanzminister vorhaben – die staatlichen Zuschüsse in die Rentenkassen gedeckelt , ja sogar gesenkt werden, und die Beitragssätze nur wenig angehoben werden sollen, bleibt bei dann rein arithmetisch zwangsläufigen sinkenden Finanzmitteln in der Rentenkassen als Ausweg nur die Rentensenkung oder jetzt das Hinausschieben des Renteneintrittsalters, was sich wiederum bei früherem Renteneintritt gleichfalls wieder als Rentenkürzung von 3,6% pro Jahr auswirkt – bei einer Anhebung von 65 auf 67 Jahre also um 7,2% und mehr für alle die früher in Rente gehen.

Es ist aber geradezu eine Bankrotterklärung der gegenwärtigen Politik oder ein Ablenkungsmanöver vom eigenen politischen Versagen, wenn man ausschließlich auf die rentenstatistischen Daten der näheren oder gar der fernen Zukunft schielt: Es ist eine Bankrotterklärung

  • im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oder für mehr Beschäftigung, um wieder zusätzliche Beitragszahler zu bekommen,
  • gegenüber einer Wirtschaftspolitik, die durch mehr Wachstum zu einer höheren Ausschöpfung des Erwerbspersonenpotentials oder einer höheren Erwerbsbeteiligung von Freuen führen könnte, um auch dadurch die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen,
  • gegenüber einer an der Produktivitätssteigerung und an der Inflationsrate orientierten Lohnpolitik, womit die Beiträge steigen würden,
  • gegenüber einer Erhöhung der Beitragssätze, (wobei man sich allerdings nicht scheut, die Kosten für eine notwendig werdende private Zusatz-Altersvorsorge voll und ganz auf die betroffenen Arbeitnehmer abzuwälzen),
  • gegenüber einer Ausdehnung der Rentenbeitragszahler über die unselbständig Beschäftigten hinaus,
  • gegenüber einer Erhöhung oder Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, um auch darüber mehr Beitragszahler mit höheren Beiträgen heranzuziehen,
  • gegenüber einer gerechten Umverteilung der Produktivitätsgewinne zwischen Kapital und Arbeit und zwischen Alt und Jung, mit der auch die demografische Entwicklung weitgehende aufgefangen werden könnte.

Alle diese Lösungswege sind durch die ideologischen Scheuklappen des gegenwärtigen politischen Denkens versperrt.

  • Die Ausschöpfung des Erwerbspersonenpotentials (Arbeitslose und Frauen) benötigte eine aktive Arbeitsmarktpolitik, d.h. eine aktive Konjunktur- und Wachstumspolitik und nicht nur Gottvertrauen auf einen irgendwann vielleicht einmal eintretenden Aufschwung.
  • Lohnerhöhungen verlangten einen Paradigmenwechsel, von einer ausschließlich “defensiven Strategie“ (Bofinger) gegen die Herausforderungen der Globalisierung, wonach angeblich nur mit sinkenden Reallöhnen Arbeitsplätze gesichert werden können. Die skandinavischen Länder könnten ein Vorbild für eine offensive Strategie sein, dort (wie übrigens fast überall bei unseren Wettbewerbern) stiegen die Löhne deutlich, ohne das das dem Wirtschaftswachstum den geringsten Abbruch tat, im Gegenteil.
  • Gegen eine Erhöhung der Beitragssätze, steht das Dogma der „Senkung der Lohnnebenkosten“. Wie hoch müssen eigentlich die Exportüberschüsse noch steigen, bis endlich diese Legende, dass die hohen Arbeitskosten unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdeten, aus der Welt geräumt werden kann?
  • Gegen die Ausdehnung der Beitragszahler oder die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, steht die geballte Macht der Besserverdienenden und der Selbständigen (übrigens gerade auch unter Politikern und Journalisten).
  • Gegen den Erhalt der gesetzlichen Rente als auskömmliche Volksrente, steht vor allem das inzwischen alles beherrschende Interesse der Versicherungswirtschaft, durch den Abbau dieser Rente auf das Bedürftigkeitsniveau in einen Milliardenmarkt einer privaten Altersvorsorge vorstoßen zu können.

Ergebnis: In Deutschland geht man lieber die Spirale nach unten, koste es noch so viele Opfer – und das ausschließlich wieder einmal bei denjenigen, die ohnehin schon viele Opfer bringen mussten und ohnehin nicht viel über der Armutsgrenze liegen.

Anmerkungen:

Zum Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten:
Auszug aus SVR November 2005
„Der seit Jahren zu beobachtende, nun aber noch verstärkte Rückgang der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ergibt sich aus einem gefährlichen Zusammenwirken zweier Faktoren: Zum einen werden die Versicherten in den Sozialen Sicherungssystemen zu einer verdeckten Besteuerung herangezogen. Gleichzeitig eröffnet der Staat mit hoch subventionierten Formen flexibler Beschäftigung ein stark nachgefragtes Substitut für reguläre Arbeitsplätze.

Zu den versicherungsfremden Leistungen und Umverteilungsmechanismen der Sozialen Sicherungssysteme:
Der Gesamtumfang dieser versicherungsfremden Elemente wird auf rund 130 Mrd Euro beziffert. Abzüglich der Bundeszuschüsse an diese Versicherungen verbleibt eine Fehlfinanzierung von etwa 65 Mrd Euro. Bei einer ordnungspolitisch gebotenen vollständigen Umfinanzierung dieser Zahlungen durch Steuern, könnten die Sozialabgaben um mehr als 7 Beitragspunkte gesenkt werden.

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