Der deutsche „Marshall-Plan“ besteht hauptsächlich aus Kontrolle, Verzicht, Strafe und schmerzhaften Opfern: ein Marshall-Plan der demütigt und Schmerzen zufügt.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Als ich damit angefangen habe, mich bei den NachDenkSeiten – zunächst als Leser – zu engagieren, ging es mir um die immer penetranter werdenden Forderungen von Wirtschaft, Medien, Ökonomen und Politik, das Volk möge seinen Gürtel gefälligst enger schnallen, damit es der Wirtschaft gut geht. Das wurde mir angesichts der zunehmenden Spaltung in arm und reich immer befremdlicher. Roger Strassburg*.

Ich war Ende der 90er Jahren schon schockiert, als ich im Spiegel den ersten Artikel über “Sozialschmarotzer” gelesen habe. Das war nicht das, was ich vom Spiegel gewohnt war, dass der Spiegel Stimmung gegen eine wehrlose Minderheit anhand von einigen schwarzen Schafen unter ihnen macht. Zuerst habe ich gedacht, das sei ein einmaliger Ausrutscher. Das war aber kein Aussetzer, es war der Anfang vom Untergang des kritischen Journalismus beim Spiegel.

Ich war ebenfalls schockiert, als Schröder seiner Fraktion sinngemäß erklärte, “so wurde es entschieden, und so wird abgestimmt. Basta!”. Eine seltsame Vorstellung von Demokratie. Und ich konnte es kaum glauben, als ich zum ersten Mal einen Politiker habe fordern hören, es müsse mehr Niedriglöhne geben. Es war mir – und ist mir immer noch – einfach befremdlich, dass Politiker Niedriglöhne fordern und trotzdem gewählt werden können! Wie kann ein Volk Parteien wählen, die allen Ernstes fordern, dass das Volk Wohlstand abgeben soll?

Dieses “das Volk muss seinen Gürtel enger schnallen”- Denken wird m. E. hauptsächlich durch den orthodoxen Dogmatismus bei den “führenden” Ökonomen, deren Hang zum Einheitsdenken und durch das stetige Nachplappern deren Ergüsse in den Medien und in der Politik in Deutschland gefördert. Es kam mir – und kommt mir immer noch – so vor, als würde die Politik sich als eine Obrigkeit verstehen, die dem deutschen Volk zu befehlen hat, wo es langgeht – man denke nur an Schröders “Basta!”.. Mich wundert es nur, dass so viele im Volk diese Rolle bereitwillig annehmen und sogar begrüßen.

Was jetzt passiert, ist aber etwas ganz anderes, etwas, was ich während meiner Zeit in Deutschland noch nie erlebt habe und nie erwartet hätte. Im Laufe der Eurokrise werden die Stimmen immer penetranter, die ein Europa nach deutschem Vorbild verlangen, die “mehr Brüssel” fordern, aber mehr Berlin meinen. Es wird alles denunziert, was sich gegen die deutsche “Disziplinierung” der “Sünder” stellt. Und die Mehrheit des Volkes jubelt.

Deutschland war trotz allem, was es im Zweiten Weltkrieg angestellt hat, Nutznießer eines wohlwollenden, wenn auch nicht ganz altruistischen Plans, (West-)Deutschland wieder auf die Beine zu helfen – des Marshall-Plans. Die Deutschen gefallen sich jetzt in der Rolle des Retters Europas, des großzügigen, der einen neuen Marshall-Plan für Europa aufstellt. Doch der deutsche Marshall-Plan besteht hauptsächlich aus Kontrolle, Verzicht, Strafe und schmerzhaften Opfern. Das ist der “Marshall-Plan” eines Besserwissers, eines Lehrmeisters, eines Zuchtmeisters, wenn man so will, eines Sadisten, der seine Befriedigung aus der Demütigung des anderen und der Zufügung von Schmerzen erlangt. Ein Marshall-Plan auf Deutsch – das ist weniger Marshall als „Marsch, Marsch“! In Europa wird wieder Deutsch gesprochen.

Das Deutschland diese Rolle in Europa je wieder einnehmen würde, hätte ich nie gedacht.

Die Ordinaten in Medien, Parteien und Öffentlichkeit sind nach rechts verschoben worden, und zwar gewaltig.


* Roger Strassburg ist Amerikaner, er lebt mit seiner Familie in Bayern, er arbeitet von hier aus für ein internationales Unternehmen und ist ein wichtiger ehrenamtlicher Helfer der NachDenkSeiten.

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