Mein Gott, Elon! Wie Tech-Milliardäre den neuen Menschen er- und den alten abschaffen wollen

Mein Gott, Elon! Wie Tech-Milliardäre den neuen Menschen er- und den alten abschaffen wollen

Mein Gott, Elon! Wie Tech-Milliardäre den neuen Menschen er- und den alten abschaffen wollen

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Der Tesla-Chef greift nach seiner ersten Billion und nach den Sternen. Er will die Menschheit auf den rechten Weg führen, auf dass sie in vielleicht Millionen Jahren in vielleicht Milliarden Galaxien Fuß fassen mag. Hört sich wahnsinnig an, ist genau das, aber der bittere Ernst einer Kaste von Superreichen aus dem Silicon Valley. Ihr Heiland ist die Technik und ihre Spielwiese die Erde. Die ist etlichen Bedrohungen ausgesetzt – Musk und Co. sind die vielleicht schlimmste. Von Ralf Wurzbacher.

Menschen brauchen Ziele. Eines derer von Elon Musk mag es sein, der erste Billionär auf Erden zu werden. Das könnte klappen. Vor einer Woche genehmigte eine satte Mehrheit der Tesla-Aktionäre dem Konzerngründer ein Vergütungspaket im Wert von bis zu einer Billion US-Dollar. Der Deal: Wenn Ihr mir Eure Aktien gebt und ich meinen Anteil auf 25 Prozent hochschraube, beschere ich Euch eine goldene Zukunft. Dafür geht Musk ins Risiko. Am Ende seines Zehn-Jahres-Plans muss der E-Autobauer an der Börse 8,5 Billionen Euro schwer sein, fast sechsmal so viel wie heute. Dazwischen gilt es Etappen zu meistern: Bis zu einem Börsenwert von zwei Billionen Dollar sind 20 Millionen Fahrzeuge auszuliefern, bei der Marke 6,5 Billionen muss der bereinigte Gewinn mindestens 400 Milliarden Dollar erreichen.

Eine Reihe weiterer Vorgaben sind von ähnlichem Kaliber. Und sollte all das nicht hinhauen, geht der Firmenpatriarch leer aus. Schafft er es, verdoppelt sich auch sein bestehendes Portfolio im Wert, womit er sich dann gleich zum zweifachen Billionär aufschwingen würde. Wenn man schon mal dabei ist. Mit einem geschätzten Vermögen von 470 Milliarden Dollar ist der 54-Jährige heute bereits der reichste Mensch der Welt. Aber er sagt, das sei ihm nicht wichtig. Mehr als Geld interessiere ihn, per Viertelbeteiligung seinen Einfluss bei dem Unternehmen zu sichern. Dabei geht es ihm um mehr als nur den Verkauf schnöder Elektrovehikel. Zwei Verpflichtungen drehen sich um Robotaxis sowie KI-Roboter, mit einem avisierten Absatz von jeweils einer Million bis 2035. Letztere sollen Optimus heißen und laut Musk „das größte Produkt aller Zeiten“ werden. Zum Beispiel sollen sie als Chirurgen „mit einer Präzision, die übers Menschliche hinausgeht“, zum Einsatz kommen, oder als ständige Begleiter von Delinquenten, um „weitere Verbrechen zu verhindern“. Von Musk ist der Satz überliefert: „Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, eine Roboterarmee zu bauen, auf die ich keinen großen Einfluss hätte.“

Tauend Mozarts, Tausend Einsteins

Es dürfte allerhand Leute geben, denen genau das Bauchschmerzen bereitet: Ein exzentrischer Superreicher, der ein Millionenheer an Androiden befehligt. Das trifft auf manches mehr zu, was der Techmilliardär an Visionen hegt, die er, mit Kapital im Überfluss, auch noch umzusetzen versucht. Dabei gibt es noch einige mehr seiner Art, die sich mit fettem Portemonnaie berufen fühlen, groß zu denken und groß zu handeln, um Gutes zu tun. Denn genau das behaupten die sogenannten Tech Brothers, kurz Tech-Bros, beziehungsweise glauben sie wahrscheinlich wirklich daran, dass ihre Mission der Menschheit zum Besten gereichen wird. Amazon-Boss Jeff Bezos zum Beispiel will alsbald zum Mond, Musk zum Mars und für beide wäre das nur der Auftakt dazu, den ganzen Kosmos zu erobern. „Wenn wir eine Billion Menschen hätten, hätten wir zu jeder Zeit Tausend Mozarts und Tausend Einsteins“, meint Bezos. Das aber gehe nur mit riesigen Raumstationen, „die Planetenoberflächen sind einfach viel zu klein“.

Man könnte derlei als Hirngespinst eines Übergeschnappten abtun, vielleicht sogar einen ernsthaften Zukunftsentwurf darin sehen. Das Gefährliche ist jedoch, dass Leute wie Bezos, Musk und Co. ihre Energien schon heute auf das Ziel richten, diese „riesigen Raumstationen“ zu bauen. Gobales Internet mit einer Armada aus Satelliten (Starlink), Mondtourismus (SpaceX), die Verschmelzung von Mensch und Computer (Neuralink): Diese und andere Musk-Unternehmungen spülen nicht nur massig Geld in seine Kassen. Sie bilden quasi die Vorarbeiten für sehr viel weitreichendere Projekte, die zwar bloß irre Phantastereien sind. Aber die Denke und das Treiben ihrer Schöpfer bestimmen gleichwohl ganz konkret im Hier und Jetzt den Gang der Dinge und den Kurs, den Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gehen. Das ist doppelt fatal: Erstens werden gewaltige geistige und materielle Ressourcen für fixe Ideen verpulvert. Und zweitens fehlen genau diese Ressourcen dafür, den realen Problemen der Erde beizukommen.

Menschheit auf dem Sprung

Da wären etwa Armut und Hunger. Musk will diesen Nöten ausdrücklich ein Ende setzen, aber eben nicht jetzt, sondern später. Und „später“ meint irgendwann in ganz ferner Zukunft. Tatsächlich sieht sich der Tesla-Boss in „enger Übereinstimmung“ mit einer philosophischen Denkrichtung namens Longtermismus. Der operiert mit wahrhaft „langen“ Zeitreihen und astronomischen Größenordnungen. Ausgangspunkt und Antrieb seiner Vertreter ist nicht bloß das Überleben der Menschheit, sondern die Besiedlung des Weltalls. Nach dem „Plan“ des Schweden Nick Bostrom, Begründer und Oberguru der Szene, sollen wir ausschwärmen, um dereinst den sogenannten Virgo-Supercluster mit bis zu 200 Galaxienhaufen zu kolonisieren. Er hat errechnet, wie viele Menschen es dafür bräuchte. Ergebnis: 10 hoch 38, eine Eins mit 38 Nullen.

Das wäre eine Menge Holz, beziehungsweise organisches Material. Wobei: Bostrom und Gefährten denken über den Homo sapiens hinaus. Sie halluzinieren durch monströse Computersimulationen erschaffene Räume, in denen Billionen virtueller Wesen – mithin körperloses Bewusstsein – ein glückliches Leben führen. Das Portal Netzpolitik.org hatte vor zweieinhalb Jahren Émile Torres interviewt, einen ehemaligen Forschungsassistenten von Ray Kurzweil, Futurist und Leiter der technischen Entwicklung bei Google. Nach Torres Darstellung geht es Bostrom um eine Platzfrage. In Simulationen passten „einfach mehr hinein, so dass die zukünftige Bevölkerung noch größer sein könnte, 10 hoch 38 im Virgo-Superhaufen, 10 hoch 58 im gesamten Universum“. Auch in puncto Langlebigkeit der „Menschheit“ sind Longtermisten Optimisten. Hier kursieren Zahlen von 10 hoch 40 Jahren bis hin zu 10 hoch 100 Jahren. Das allerdings würde voraussetzen, dass wir von der Erde rechtzeitig den Absprung schaffen, weil die irgendwann von der Sonne verschluckt wird.

Griff nach der Superintelligenz

Diese Perspektive treibt die Tech-Bros an, schon jetzt vorzusorgen, indem sie schon jetzt alles Menschenmögliche tun, um die Abreise zu organisieren. Der Mars ist da nur ein Zwischenstopp auf dem Trip in unendliche Weiten und alle Ewigkeit. So erklärt sich auch das Scheffeln von Reichtümern. Es braucht das ganze Geld, um die Weichen in Richtung „Fortschritt“, also Abflug zu stellen. Der Deutschlandfunk hatte im Sommer einen sechsteiligen Podcast zum Thema gebracht, wovon sich die letzte Folge speziell mit dem Longtermismus und dem eng damit verbundenen Transhumanismus befasst. In dessen Zentrum steht die Optimierung des menschlichen Körpers und Geists durch Verkupplung mit Künstlicher Intelligenz (KI) über Computer-Hirn-Schnittstellen, wie sie Musk mit Neuralink anstrebt. Der will aber noch mehr, nämlich eine Superintelligenz mit gottgleicher Macht erschaffen. Zitat: „Entweder wir entwickeln eine übermenschliche Intelligenz, oder es ist Schluss mit der Zivilisation.“

Im Silicon Valley, dem Hauptquartier der US-amerikanischen Techbranche, sind solche Ansichten laut Torres „allgegenwärtig“. Sie seien maßgeblich „hinter vielen Forschungstätigkeiten“ rund um die Entwicklung einer Künstlichen Allgemeinen Intelligenz (Artificial General Intelligence, AGI), die als Sprungbrett zur Superintelligenz verstanden werde. „Es handelt sich also nicht nur um eine merkwürdige und sonderbare Ideologie, über die man einfach schmunzeln kann. Nein, sie beeinflusst unsere Welt wirklich auf grundlegende Weise.“ Noch einmal: Leute wie Bezos, Musk, Meta-Chef Marc Zuckerberg und Techinvestoren der Sorte Peter Thiel (Palantir), Jaan Tallinn (Skype) und Marc Andreesen (Netscape) begreifen sich als Altruisten. Nicht selten firmieren sie als Philantropen, wie vorneweg Microsoft-Gründer Bill Gates. Bekanntlich hatte der es sich in der Pandemie zur ganz persönlichen Herzensaufgabe gemacht, alle Erdenbewohner zu impfen – was vielen der zu Rettenden den Tod gebracht hat.

Klimawandel kein Problem

Solche Opfer gehören zum Kalkül. Der Longtermismus steht in der Tradition des Utilitarismus, einer moralphilosophischen Strömung aus dem 18. Jahrhundert, die sich „das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl Menschen“ auf die Fahnen schrieb. Für das vermeintliche Glück der vielen mussten in der Zwischenzeit allerhand Glücklose ins Gras beißen. Der Anfang der 2010er-Jahre entstandene Effektive Altruismus knüpft an den Utilitarismus an. Er ist dem gleichen Ziel verschrieben, legt allerdings für dessen Erfüllung strenge Kosten-Nutzen-Kriterien an. Kurzum: Die Kräfte müssen dort konzentriert werden, wo sie am meisten Menschenleben retten. Diesen Ansatz pervertieren die Longtermisten, indem sie ein künftiges Himmelreich mit Phantastillionen an Glückseligen postulieren, das in der Wertigkeit verhältnismäßig höher steht als das aktuelle Erdendasein mit nur sieben Milliarden Menschen. Dass ihr Traum kaum aufgehen dürfte, weil sich die Menschheit brandaktuell in einem erbärmlichen Zustand befindet und ihr Überleben ziemlich bedroht erscheint, stört sie nicht weiter. Beziehungsweise bestärkt das die Techutopisten noch darin, ihr Ding durchzuziehen, bevor es zu spät ist, und koste es, was es wolle.

Das alles erfordert freilich reichlich Ignoranz und Kaltblütigkeit. Zum Beispiel erachten Longtermisten den Klimawandel als kaum gravierendes Übel und insofern beherrschbar, als dem globalen Süden die schlimmsten Verwüstungen blühten, wogegen der reiche Norden besser wegzukommen verspricht. Zigmillionen Todesopfer sind in dieser Sicht verkraftbar und teure Klimaschutzmaßnahmen nicht zu rechtfertigen, weil sie Mittel binden, die in die neueste Raketentechnologie investiert gehörten oder in die Entwicklung der Superintelligenz. Aus dem kosmischen Blickwinkel betrachtet sei der Klimakollaps nur „ein kleiner Schluckauf“, so Torres. „Viel schlimmer“ sei für die Langfristigkeitsprediger „der Verlust all der Menschen in der Zukunft.“

Ein Mars ist schon zu viel

Im Gewand der Menschenliebe feiern Sozialdarwinismus und Faschismus fröhliche Urständ. Für die Techavangardisten ist ein einziger KI-Wissenschaftler allemal mehr wert als Millionen Afrikaner, die durch Dürren und Überschwemmungen ihr Leben verlieren. Überhaupt ist ihnen die Fetischisierung von Intelligenz eigen, wie die Amadeu Antonio Stiftung in einem Beitrag konstatiert. Der IQ werde zum Schlüsselfaktor für das Fortkommen der Menschheit verklärt, heißt es darin. Nicht zufällig fänden sich „Parallelen zu Ideologien der Ungleichwertigkeit, besonders Rechtsextremismus“, um die Differenz von Menschen zu erklären. „Eugenik spielt dabei eine zentrale Rolle, sei es durch transhumanistische Selbstoptimierung, technologische Augmentation oder schlichtweg wissenschaftlichen Rassismus.“

In ihrem kruden Weltbild lassen sich die Tech-Bros durch nichts beirren, nicht durch Skrupel, Logik oder gesunden Menschenverstand. Zum Beispiel droht schon der Abstecher zum Mars zu scheitern, weil Astronauten der kosmischen Strahlung nicht gewachsen wären. Mithin müsste also zunächst der Supermensch kreiert werden, um den ersten Trippelschritt ins Universum zu machen. Aber der ist ja schon in Arbeit. Und dann warnt Musk allen Ernstes höchstselbst vor einer existenziellen Bedrohung durch KI mit der Aussicht auf eine terminator-ähnliche Zukunft. Dass er als Digitalisierungspionier und KI-Anbeter entscheidend zu der Entwicklung beigetragen hat, macht ihn nicht kirre. So wenig wie der Umstand, dass er und andere Techmilliardäre mit ihren profitgetriebenen, ausbeuterischen Geschäftsmodellen und ihrem obszönen Lebensstil den ruinösen Zustand der Welt nicht unwesentlich mitverschuldet haben.

Erlösung am Sankt-Nimmerleinstag

Dem jedoch widersprechen sie vehement, schließlich führen sie ja nur Gutes im Schilde, sprich eine glückliche Menschheit in Trilliardenzahl irgendwann im Irgendwo, noch dazu mit ganz neuen Menschen, weil der alte analoge Menschentyp eh zu nichts taugt, bis auf wenige Exemplare. Verglichen damit wirken die klassischen Religionen deutlich reizvoller. Die verheißen die Erlösung für den Moment des Todes und nicht erst zum Sankt-Nimmerleinstag.

Immerhin: Bis es so weit ist, sollen wir uns durch Optimus verwöhnen lassen, besagten humanoiden Robotern aus der Tesla-Werkshalle. Die ermöglichten ein „universell hohes Einkommen“ und bevölkerten als „persönliche Assistenten“ in rosiger Zukunft die Erde in Milliardenzahl, meint sein Schöpfer zu wissen. Den Wunderaladin gibt es natürlich nicht umsonst. Nur als Verkaufsschlager macht er Musk zum Billionär und er uns zum kommenden Herrscher im Virgo-Superhaufen. Gott bewahre! Besser noch: Mensch hilft sich selbst. Die Mittel dazu hätte er: Reichtum deckeln, Enteignung, Psychiatrie …

Titelbild: Frederic Legrand – COMEO/shutterstock.com

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