Aus einer Stellungnahme des Verteidigungsministeriums an das Verwaltungsgericht Köln geht hervor, dass die Bundesregierung ihre Aussagen zu Waffenlieferungen an Israel in dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Völkermord im Gazastreifen in Rücksprache und Einvernehmen mit Israel getätigt hat. Entsprechende Dokumente liegen unter anderem dem STERN und Drop Site News vor. Die Dokumente des BMVg lassen nach Einschätzung von konsultierten Völkerrechtsexperten zudem Zweifel aufkommen, ob das Auswärtige Amt vor dem IGH im April 2024 vollständig und vollumfänglich die Wahrheit gesagt hat. Die NachDenkSeiten hatten vor diesem Hintergrund einige Fragen an das Verteidigungs- und Außenministerium. Von Florian Warweg.
Hintergrund
Wie alles anfing …
Am 1. Februar 2024 veröffentlichte die Regierung Nicaraguas, die bereits 1984 eine Klage gegen die USA vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen des von den USA initiierten und finanzierten Contra-Krieges mit Abertausenden von ermordeten Zivilisten sowie der Verminung seiner Seehäfen gewonnen hatte, ein Kommuniqué, in dem sie erklärte, dass sie erste Schritte eingeleitet hat, um Deutschland vor dem höchsten UN-Gericht wegen „Beihilfe zum Völkermord in Gaza“ anzuklagen. Am 1. März 2024 reichte das mittelamerikanische Land dann offiziell Klage gegen Deutschland ein (die NachDenkSeiten berichteten u.a. hier und hier) und begründete diese ausführlich – unter anderem mit Verweis auf die massive finanzielle und militärische Unterstützung für Israel.
Zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 13. Mai 2025 hatte die Bundesregierung nachweislich Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Israel im Wert von 485,1 Millionen Euro bewilligt.
Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Aussagen des Auswärtigen Amtes vor dem IGH
Am 8. und 9. April 2024 fanden die ersten Anhörungen vor dem IGH statt. In diesem Rahmen kritisierte ein Vertreter Nicaraguas die mutmaßliche Lieferung von 10.000 Schuss 120-Millimeter-Präzisionsmunition für israelische Panzer aus Bundeswehrbeständen, die auf eine Anfrage Israels zurückgehe.
Die deutsche Hauptvertreterin vor dem IGH, die Spitzendiplomatin und von 2019 bis 2022 Vizepräsidentin des Bundesnachrichtendienstes, Tania Ruth Hilde Freiin von Uslar-Gleichen, bestätigte am nächsten Tag in Den Haag die Anfrage Israels nach der Panzermunition, betonte aber, diese werde „noch geprüft“. Im weiteren Verlauf erklärte sie, die Bundeswehr hätte seit 2023 keine Waffen oder Munition mehr an Israel geliefert und verkündete abschließend:
„Die einzigen Güter, die die deutsche Bundeswehr an Israel liefert, sind medizinische Hilfsgüter und Helme.“
Doch interne Dokumente des Verteidigungsministeriums (BMVg), die kürzlich durch einen presserechtlichen Antrag beim Verwaltungsgericht Köln erlangt worden sind, werfen Fragen über die Vollständigkeit dieser Angaben der AA-Vertreterin vor dem IGH auf. Denn aus diesen Dokumenten, die Stern und Dropsite News vorliegen, geht hervor, dass sich die Bundesregierung vor ihrer Aussage vor dem IGH mit der Kriegspartei Israel abgesprochen hat. In dem internen Dokument des BMVg heißt es dazu unter anderem, „im Einvernehmen mit dem betroffenen Staat [Israel] beschlossen, für die Anhörung in Den Haag …“.
Die Bundesregierung hat diesen internen Dokumenten zufolge „im Einvernehmen“ mit Israel entschieden, was im Verfahren vor dem IGH offengelegt wird und was nicht. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 26. Mai 2025 bestätigt dies, wie der Stern in seiner entsprechenden Berichterstattung unter dem Titel „WAFFEN FÜR ISRAEL – Hat die Bundesregierung vor Gericht nur die halbe Wahrheit gesagt?“ ausführt.
In dieser Stellungnahme des Gerichts heißt es, dass die Aussage der Bundesregierung vor dem IGH in Den Haag, es seien nur „Sanitätsmaterial und Helme“ aus Bundeswehrbeständen geliefert worden, „nach Angaben der Antragsgegnerin [des Bundesverteidigungsministeriums] im Einvernehmen mit dem Staat Israel“ erfolgte.
Angaben aus Lieferungen direkt aus Bundeswehr-Beständen an Israel, sogenannte „Länderabgaben“, könnten dabei, so die Argumentation des Verteidigungsministeriums „aus Gründen der vertraglich vereinbarten Vertraulichkeit“ nicht offenbart werden, da die Offenlegung solcher Informationen das Vertrauen zwischen Deutschland und Israel erheblich beeinträchtigen könnte.
In einem früheren Schreiben des BMVg, datiert auf den 15. Januar 2025 heißt es zudem, die in dem presserechtlichen Antrag „erfragten differenzierten Informationen über Bundeswehrausfuhren“ seien „in dem Verfahren vor dem IGH nicht offengelegt“ worden.
Die Investigativ-Plattform Dropsite News erwähnt zudem noch ein weiteres internes Schreiben des Ministeriums unter Leitung von Boris Pistorius vom 23. Juli 2025, in dem in diesem Zusammenhang auf eine „Vertraulichkeitsvereinbarung“ mit Israel verwiesen wird.
Prominente Kritik am Vorgehen der Bundesregierung vor dem IGH: „Politischer Skandal“
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) kritisiert auf Anfrage des Sterns die Art der Informationspolitik der Bundesregierung vor dem IGH. Wenn die Bundesregierung erkläre, „es seien vor dem IGH Angaben zu Länderabgaben nur im Einvernehmen mit Israel getätigt worden“, erscheine es „möglich, dass die genannten Güter doch nicht die einzigen, sondern nur die einzigen mitgeteilten Güter waren“. Somit wäre womöglich „nur ein Teil der Informationen zu den Länderabgaben preisgegeben“ worden – nur solche, mit deren Bekanntmachung Israel einverstanden war.
Gegenüber Dropsite News erklärte Matthias Goldmann, Professor für Internationales Recht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, sollte Deutschland vor dem IGH tatsächlich „unvollständige oder falsche Angaben gemacht haben“, würde dies „die deutschen Doppelstandards in aller Deutlichkeit offenbaren und damit die Glaubwürdigkeit Deutschlands und den Einsatz für die regelbasierte Weltordnung infrage stellen“. Dies wäre laut seiner Einschätzung „ein politischer Skandal“ und „ein Affront gegen ein internationales Gericht“.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 5. November 2025
Frage Warweg
Aus einer Stellungnahme des Verteidigungsministeriums an das Verwaltungsgericht Köln geht hervor, dass die Bundesregierung ihre Aussagen zu Waffenlieferungen an Israel in dem Verfahren vor dem IGH wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Völkermord im Gazastreifen in Rücksprache und Einvernehmen mit Israel getätigt hat. Entsprechende Dokumente liegen unter anderem dem „Stern“ und „Drop Site News“ vor. Da würde mich zunächst interessieren: Wie und wieso hat die Bundesregierung ihre Aussagen vor dem IGH mit der Kriegspartei Israel abgestimmt? Die Frage geht an das BMVG und das AA.
Müller (BMVg)
Herr Warweg, Sie waren vielleicht nicht da und haben das vielleicht nicht mitbekommen – – –
Zusatzfrage Warweg
Doch, ich habe das Protokoll gelesen. Da haben Sie aber nichts dazu gesagt.
Müller (BMVg)
Genau. – Wir haben auch dazu nichts zu sagen, weil das Verfahren, das Sie angesprochen haben, noch läuft. Deswegen kann ich hierzu keine Aussage treffen.
Giese (AA)
Das wird überall so gehalten, auch im Auswärtigen Amt.
Zusatzfrage Warweg
Die Dokumente des BMVg lassen nach Einschätzung von konsultierten Völkerrechtsexperten Zweifel aufkommen, dass das Auswärtige Amt vor dem IGH im April 2024 vollständig und vollumfänglich ausgesagt hat, was die Art der Waffenlieferungen an Israel angeht. Sie mögen sich erinnern: Die AA-Vertreterin hat damals dargelegt, dass aus Bundeswehrbeständen über die sogenannten Länderabgaben ausschließlich medizinische Hilfsgeräte und Helme geliefert würden. Können das Auswärtige Amt und das BMVg nach heutigem Kenntnisstand vollumfänglich ausschließen, dass die Bundeswehr 2023 auch Waffen oder Munition aus Bundeswehrbeständen an Israel geliefert hat?
Müller (BMVg)
Wir hatten das Thema Waffenlieferungen hier schon häufig. Sie wissen, wie unsere Kommunikation dazu ist, nämlich dass immer eine Einzelfallprüfung stattfindet, die dann auch die Belange des Bundesicherheitsrats [sic] betrifft, und dass wir dazu auch nur eingestufte Informationen haben. Insofern können Sie das so oft wiederholen, wie Sie wollen, aber darüber hinaus wird hier keine weitere Einordnung erfolgen und werden keine Aussagen dazu getätigt werden. Ihre erste Frage bezog sich auf ein Verfahren, das noch läuft, und deswegen habe ich darüber hinaus nichts hinzuteilen.
Frage Jung (jung & naiv)
Herr Müller, grundsätzlich gefragt: Wenn das BMVg eine Stellungnahme vor einem Verwaltungsgericht, einem Gericht in Deutschland abgibt, dann ist das wahrheitsgemäß?
Müller (BMVg)
Ganz grundsätzlich gilt: Solange das Verfahren läuft, kann ich mich hier nicht äußern. Weil das Verfahren nicht abgeschlossen ist, kann ich dazu aktuell nichts weiter sagen, tut mir leid.
Zusatzfrage Jung
Darum habe ich nicht danach gefragt, sondern habe grundsätzlich gefragt: Können wir, wenn das BMVg vor deutschen Gerichten Aussagen tätigt oder Stellungnahmen abgibt, davon ausgehen, dass die wahrheitsgemäß sind?
Müller (BMVg)
Das BMVg beteiligt sich an allen Gerichtsverhandlungen und wird dort immer aussagen.
Zusatzfrage Jung
Wahrheitsgemäß?
Müller (BMVg)
Immer aussagen.
–rund 10 Minuten später–
Vorsitzende Buschow
Es gibt eine Nachlieferung aus dem Verteidigungsministerium.
Müller (BMVg)
Ich bin ja auch selbstkritisch: Ich war gerade ein bisschen unglücklich über meine Antwort zu dem Verfahren vor dem IGH. Wenn man manche Worte vermeidet, dann hat es sofort den falschen Zungenschlag. Deswegen möchte ich noch einmal ganz klar sagen: Die Angehörigen des Geschäftsbereichs haben grundsätzlich die Pflicht, sich immer wahrheitsgemäß zu äußern. Das gilt natürlich auch für Gerichtsverfahren, in denen wir uns immer konstruktiv, nach bestem Wissen und Gewissen und nach bestem Kenntnisstand beteiligen und dann natürlich wahrheitsgemäß aussagen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 05.11.2025






