Bertelsmann bestimmt die Qualität unserer Schulen

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Unter dem Titel „SEIS macht Schule“ bietet die Bertelsmann Stiftung den Schulen ein Selbstevaluations- und Steuerungsinstrument an, das den „Entwicklungsprozess einer Schule zielgerichtet, effizient, systemisch und nachhaltig“ zu einer “Besseren Qualität in allen Schulen” führen soll.
An die Stelle der Urteilskraft von erfahrenen Pädagogen als Beratungslehrer oder der staatlichen Schulaufsicht oder der Willensbildung von Eltern, Schülern und Lehrer in Schulkonferenzen, steuert nunmehr Bertelsmann mit einer von ihr ausgearbeiteten Datenerhebung und mittels des Datenabgleichs die Qualität unserer Schulen. Wolfgang Lieb.

Vergleichen heißt immer auch bewerten (zumal wenn es um Qualität geht) und wer Rankings oder Vergleiche als Steuerungsinstrument akzeptiert, übernimmt die Bewertung derjenigen, die die Vergleichskriterien festlegen. Die Qualität der Schulen bestimmt also derjenige der die Maßstäbe setzt und die Reihung bestimmt – also im Projekt “Bessere Qualität in allen Schulen” eben die Bertelsmann Stiftung.

Die Beteiligung von Schulen an der von der Bertelsmann Stiftung im Internet angebotenen Selbstevaluation scheint nach eigenem Bekunden groß zu sein. Inzwischen gibt es schon ein flächendeckendes Netzwerk an „innovativen“ Schulen in Deutschland.

„Die Bertelsmann Stiftung hat aus der internationalen Praxis heraus ein Steuerungsinstrument erarbeitet, das Schulleitungen und Kollegien helfen soll, Schulentwicklungsprozesse mit Hilfe von Daten zu evaluieren und zu planen: Das Steuerungsinstrument „SEIS“ (Selbstevaluation in Schulen) besteht aus einem international tragfähigen Qualitätsverständnis von guter Schule“, so preist die Stiftung ihr Projekt an.
Dass sich die Schulen dabei an von der Stiftung vorher festgelegten Kriterien vergleichen lassen, wird offenbar von den teilnehmenden Schulen nicht als problematisch empfunden – noch nicht einmal, dass sie die (die mehr oder weniger sinnvollen) Fragen in den Fragebögen nicht verändern dürfen.

„Wir stehen für den Vergleich von Schulen als Mittel zur Qualitätsverbesserung“. Wie bei allen Vergleichen oder Rankings geht es also darum „Qualität“ zu quantifizieren oder Qualität in Quantität auszudrücken, denn nur so lässt sich vergleichen und messen.

„Durch die Erhebung von Daten“ sollen die Projekteilnehmer erkennen, „wie gut ihre Schule ist“, in dem sie ihre Stärken und Schwächen erkennen.

Rankings sollen Objektivität vorspiegeln und deshalb heben sich solche Evaluierungen ganz bewusst von der eigenen Urteilsfähigkeit der Lehrer, der Eltern oder der Urteilskraft von außen stehenden, erfahrenen Beratungslehrern oder der externen staatlichen Schulaufsicht ab: „Das Instrument basiert auf Daten: Schulentwicklung gründet somit nicht länger nur auf Intuition oder Tradition.“.

Die Fetischisierung der Rangliste sei Ausdruck und Symptom einer spezifischen Erscheinungsform von Unbildung, nämlich mangelnder Urteilskraft, schreibt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann unter Berufung auf Immanuel Kant. „Tatsächlich ersetzt jede Reihung ein qualifiziertes Urteil, da sie besessen ist von der falschen Vorstellung, Urteilen hieße Quantifizieren“, meint Liessmann.

Nun muss man den neuhumanistischen Bildungsbegriff des Wiener Philosophen nicht teilen, aber Recht hat Liessman, wenn er schreibt, dass der Gedanke des Vergleichens und der Reihung in Verbindung mit dem Paradigma betriebswirtschaftlichen Denkens steht, das den Betriebsablauf von Schulen eher mit dem von Unternehmen vergleicht.

Auf nahezu allen Feldern, auf denen die Bertelsmann Stiftung ihre Mission erfüllt, spielen Rankings eine entscheidende Rolle. Da Wettbewerb und Konkurrenz nach der Grundphilosophie der Stiftung das beste und effizienteste Steuerungsinstrument ist, muss mit Ranglisten auch dort ein Wettbewerb fingiert und inszeniert werden wo – wie etwa bei den Schulen – gar kein Markt existiert. Darüber hinaus – und das ist das eigentliche Steuerungsinstrument – wird durch die Vergleiche und durch die Vernetzung der Schulen nicht etwa nur eine Selbsteinschätzung der einzelnen Schule ermöglicht sondern zugleich ein Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Schulen ausgeübt:
„Damit innovative Schulen miteinander in Kontakt treten können, haben wir im Internet eine Datenbank mit allen innovativen Schulen unserer Netzwerke eingerichtet“.

Quantifizierung von Qualität um Vergleiche und damit Wettbewerb zu ermöglichen und über den Wettbewerb wiederum einen Anpassungsdruck zu schaffen, das ist also das Steuerungsinstrumentarium das zu „guten Schulen“ führen soll.

Die Bewertung erfolgt durch Reihung, es wird durch Platzziffern ausgedrückt, wer besser oder schlechter sein soll und an der Relation solcher Quantitäten soll sich dann die Qualität ermitteln lassen. Aus der Reihung ergibt sich die (qualitative) Bewertung.
An dieser Reihung und somit an den Messgrößen ihrer eigenen Bewertung sind die Schulen natürlich nicht beteiligt, sie können sich da nur den vorgegebenen Erhebungsfragebögen und den Umfrageergebnissen aussetzen und ihre „Qualität“ dann im Vergleich zu anderen Messergebnissen ablesen.

Nun ist es ziemlich trivial, dass derjenige die Qualitätsmaßstäbe bestimmt, der die Messkriterien bestimmt, eben auch „die Qualität“ bestimmt – und die bestimmt eben Bertelsmann.

Bertelsmann teilt die Schulqualität in fünf Dimensionen auf:

  • Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags
  • Lernen und Lehren
  • Führung und Management
  • Schulklima und Schulkultur
  • Zufriedenheit von Schülern, Lehrern Eltern.

Darüber was diese fünf Dimensionen über die Qualität einer Schule aussagen mag man nun streiten. Schaut man sich jedoch die Fragebögen jedoch einmal genauer an [PDF – 324 KB], dann kommen einem schon erhebliche Zweifel, was es etwa über die Qualität des Unterrichts aussagen soll, ob die Lehrer z.B. an die Tafel schreiben, Arbeitsblätter benutzen, aus Bücher lernen lassen oder ob die Schüler Videos und Filme schauen bzw. an Computern arbeiten bzw. das Internet benutzen.
Wer beurteilt da was zu einer besseren Qualität des Unterrichts beiträgt? (Über die Qualität der Inhalte des Unterrichts wollen wir gar nicht erst reden.) Ist eine Schule besser, weil dort schon früh das Internet benutzt wird oder noch an die Tafel geschrieben wird? Ist ein Lehrer besser weil er Schüler mit Tageslichtprojektor präsentieren lässt?
Und wer entscheidet darüber wie die Antworten – so sie denn überhaupt ehrlich und vergleichbar gegeben werden – gewichtet werden?

Man mag ja solche Fragen an einer Schule stellen und darüber in eine Diskussion unter Lehrern, Schülern und Eltern kommen, solche Fragen aber anonym beantworten zu lassen und aus den Antworten einen Wettbewerb um schulische Qualität zu machen ist ein geradezu absurder Versuch einer Pseudoobjektivierung von Qualität.

Diese Qualität wird dann bestenfalls vom Mainstream der momentan herrschenden Vorurteile über die Qualität etwa von Unterrichtsmethoden bestimmt, nach dem Motto, was die Mehrheit macht, das ist am besten. Im schlimmsten Fall – und so ist die Befragung angelegt – bestimmen die von Bertelsmann ernannten „Bildungsexperten“ durch Gewichtung und Reihung, was „Schule macht“.
(Wobei ich gerne einräume, dass ich Rainer Brockmeyer und Hans Günter Rolff kenne und eigentlich schätze, umso weniger kann ich verstehen, dass sie sich für dieses Projekt hergeben.)

Warum soll aber gerade Bertelsmann „Schule machen“? Warum nicht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft oder der Philologenverband? Warum überhaupt einzelne gesellschaftliche Gruppen oder einzelne Interessenverbände? Warum, wenn man das schon den Kultusministerien nicht mehr zu traut, nicht wenigstens alle Interessenvertreter gemeinsam?
Soll allein derjenige bestimmen können, was Qualität der Schulen ausmacht, der die finanziellen Mittel hat, solche Befragungen ausarbeiten zu lassen und zu organisieren?

Angesichts der zunehmend um sich greifenden Fetischisierung von Ranglisten hat Liessmann Recht, wenn er meint: Macht und Souveränität besitzt heute, „wer die Macht hat, solch eine Reihung zu veranstalten.“
Und diese Macht hat inzwischen Bertelsmann auf zwar nahezu allen wichtigen Feldern der Politik.

Der Staat und die Volksvertretung als Souverän haben ausgedient, der neue Souverän heißt Bertelsmann – eine Macht ohne jedes Mandat.

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