„Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache

„Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache

„Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Unsere Alltagssprache ist von und mit unzähligen, aus anderen Sprachen entlehnten Begriffen angereichert. Wollen wir das so weiterlaufen lassen? Ist das eine Bereicherung? Oder eher ein Zerfall? Und nicht aufzuhalten? Fremde Einflüsse auf unsere Sprache gab es immer schon. Ob so rasant wie heute? Fraglich. Ob notwendig? Eine Möglichkeit, sich aus der Masse herauszuheben? Oder von keiner gesellschaftspolitischen Bedeutung? Zu Beginn der Überlegungen als Kostprobe eine Aufzählung. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

  • Im Fokus der Story steht das Narrativ
  • Ich bin fine
  • Das war gut performt
  • Es kommt auf das Framing an
  • Mantra
  • Cool
  • Woke
  • Awareness
  • Fokusthemen – (Donnerwetter, diese Wortkombination gibt‘s auch)
  • Chaiselongue
  • Trottoir
  • Desinformation
  • Thinktank
  • Korrumpieren, korrupt
  • Kriminell
  • Komplott
  • Jury
  • Experte
  • Detail
  • usw. und sofort

Die deutsche Sprache ist im Laufe der letzten Jahrhunderte immer wieder von fremden Einflüssen ergänzt und bereichert worden. Die Oberschicht hat ihre Konversation mit aus anderen Sprachen entlehnten Wörtern geschmückt. So kennen wir von der preußischen Oberschicht den Hang zum Französischen. Auch das Volk hat sich im Reichtum fremder Sprachen bedient. Ich habe noch im Ohr, wie eine meiner Großmütter, eine einfache Bauersfrau mit Volksschulabschluss, ihre Sprache mit französischen Einsprengseln bereicherte. Beim Zitieren und Demonstrieren ihrer Sprache nutze ich ihren Kurpfälzer Dialekt:

Hol emol de Botchamber un stell‘en newe des Canape. Un wenn de naus gehsch uff die Toilette em Hof, doan bass uff, dass de Melac disch net beißt. Unn wenn de nochher ins Dorf geesch, dann bleib uffm Trottoir, damit dir nix bassiert, und verlier net‘s Portmonee. Und falls es rechent, daonn nimm en Parapluie mit.

Nebenbei: Außer den vielen, aus dem Französischen stammenden Wörtern haben wir in meiner Heimat auch die Hunde nach Franzosen benannt. Ein besonders übler Zeitgenosse unter den französischen Heerführern in der Zeit Ludwig XIV war Melac. Nach ihm, der im pfälzischen Erbfolgekrieg maßgeblich die Zerstörung vieler Städte und Dörfer und zum Beispiel auch des Heidelberger Schlosses zu verantworten hat, wurden besonders böse und aggressive Hunde benannt. Außerdem übrigens auch eine kleine Erhebung, der Melac-Pass. Über drei Jahrhunderte hinweg hat sich diese Tradition gehalten.

Vom Einfluss der Franzosen geblieben ist nicht nur die Zerstörung der mittelalterlichen Substanz viele Städte und Dörfer, geblieben ist auch der Einfluss auf die Sprache.

Manche Begriffe sind inzwischen verschwunden. Andere Begriffe werden noch benutzt. Toilette auf jeden Fall, Trottoir manchmal, Kanapee selten, Botchamber wahrscheinlich schon deshalb nicht mehr, weil es Botchamber, also Nachttöpfe, fast nicht mehr gibt. So ändert sich Sprache. Hin und zurück.

Manche neue, entlehnte Sprache und Begriffe kommen modisch daher. Das gilt meines Erachtens für die zurzeit unentwegt gebrauchten und am Anfang schon erwähnten Wörter: Narrativ und im Fokus.

Für Narrativ könnte man auch Bericht oder Erzählung sagen. Jedenfalls wird es heute viel zu viel verwendet. Narrativ ist ein richtiges Modewort geworden.

Ähnliches gilt für „im Fokus“. Im Fokus der neueren Debatte um Krieg und Frieden steht Russland – so heißt es zum Beispiel. Warum sollte man nicht stattdessen sagen: im Mittelpunkt der neueren Debatte. … Oder im Kern geht es in der neueren Debatte zu Krieg und Frieden um den Umgang mit Russland?

Eine ziemlich perverse Formulierung und ihren Umgang damit habe ich beim Begriff „Gelabelt“ gefunden. (Das Wort gibt‘s wirklich!) Schaut man bei Wiki nach, dann findet man das hier:

Wenn Sie diese Darstellung zum Begriff „labeln“, wenn Sie diese Konjugation zur Kenntnis genommen haben, dann werden Sie vielleicht verstehen, warum ich diesen Text zum Umgang mit unserer Sprache geschrieben habe. Am Fall „labeln“ sieht man, welcher Wahnsinn mit der Veränderung der Sprache einhergehen kann. Nicht muss.

Die laufenden und – wie ich finde – schnellen Veränderungen in unserer Sprache sind interessant. Wenn es Ihnen ähnlich geht und wenn Ihnen Begriffe begegnen, die in der obigen Liste noch nicht enthalten sind, dann wäre ich dankbar, wenn Sie mir Ihre Funde schicken würden – an die E-Mail-Adresse [email protected]. Danke im Voraus. Ich werde dann in einem zweiten Beitrag die Liste um Ihre Funde ergänzen.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Wikipedia

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