Die EU-Wahlen und der Krieg

Die EU-Wahlen und der Krieg

Die EU-Wahlen und der Krieg

Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Die EU-Wahlen sind Anlass, daran zu erinnern, dass es in Texten wie dem Vertrag zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten und der Charta von Paris um eine Friedensordnung geht – und nicht um die NATO. Die Weigerung der NATO, legitime Sicherheitsinteressen Russlands zu beachten, ist ein Ursprung des Ukrainekriegs. Bei den Wahlen könnte ein Zeichen dagegen gesetzt werden. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anfang April tagten die Außenminister der NATO in Brüssel und berieten über die Kriege, in denen NATO-Unterstützung für jeweils eine Seite stattfindet. Sie bereiteten den großen NATO-Gipfel in Washington im Juni dieses Jahres vor – dort wird es auch um 75 Jahre NATO gehen. Kurz nach der Brüsseler Tagung tagte der NATO-Ukraine-Rat über die Forderung der Selenskyj-Regierung nach einer Flugabwehr, wie sie Israel hat.

Es geht der NATO und der Regierung in Kiew um einen ›Abwehrkampf gegen Russland‹; den wahren Grund für Russlands Invasion blenden alle NATO-Unterstützer üblicherweise aus, nämlich die Weigerung der NATO, den Sicherheitsinteressen Russlands entgegenzukommen und die große Ukraine mit ihrer langen Grenze mit Russland nicht ins gegnerische Lager – also in die NATO – aufzunehmen.

Am 22. April tagten dann die Außenminister der EU zusammen mit den für Militär verantwortlichen Ministern. Dabei ging es um einen Ausbau der militärischen Unterstützung der Ukraine durch die NATO. Die EU ist in diese militärische Eskalationsspirale, die die Gefahr selbst eines nuklearen Infernos in sich trägt, immer massiver einbezogen. Dazu erklärt das ‚Bundesministerium für Verteidigung‘:

Im Kontext der Krisenlage 2014 und der russischen Annexion der Krim-Halbinsel kam es zu einer strategischen Neuorientierung und Intensivierung der Beziehungen zwischen EU – Europäische Union – und NATO – North Atlantic Treaty Organization – auf der Basis komplementärer und sich ergänzender Fähigkeitsprofile. Während des NATO-North Atlantic Treaty Organization-Gipfels 2014 in Wales wurde in Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der EU betont. In der Folge haben der Präsident des Rates der EU Donald Tusk, der Präsident der Kommission Jean-Claude Junker und der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 8. Juli 2016 in Warschau eine Gemeinsame Erklärung EU und NATO („Joint Declaration (PDF, 95,6 KB)“) unterzeichnet. Diese legt den Fokus auf neue Herausforderungen im Süden und Osten und die sieben folgenden Prioritäten für die EU-Europäische Union-NATO North Atlantic Treaty Organization-Zusammenarbeit:

  1. Abwehr und Bewältigung hybrider Bedrohungen;
  2. Operationen (u.a. auch maritim);
  3. Cyber-Sicherheit und -Verteidigung;
  4. Verteidigungskapazitäten;
  5. Verteidigungsindustrie und Forschung;
  6. Übungen (u.a. hybride Szenarien) und
  7. Resilienzbildung von Partnern

Die hier zutage tretende Militarisierung fußt auf Halbwahrheiten, so wird die Krim-Krise für ihre Legitimation herangezogen, nicht aber der westlich zumindest unterstützte Putsch zugunsten einer Pro-Nato-Regierung in Kiew Wochen zuvor. Die Widersprüchlichkeit der EU- und der NATO-Politik wird auch hier sichtbar, hat doch die Europäische Union 2012 den Friedensnobelpreis erhalten. Das Komitee begründete damals seine Entscheidung mit diesen hehren Worten:

Das Norwegische Nobelkomitee hat entschieden, dass der Friedensnobelpreis 2012 an die Europäische Union (EU) vergeben wird. Die Union und ihre Vorgänger haben über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden.

Das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. … Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können. …

Die Teilung zwischen Ost und West ist in weiten Teilen beendet. Die Demokratie wurde gestärkt. …

Die Arbeit der EU repräsentiert ‘Bruderschaft zwischen den Nationen’ und entspricht einer Form von ‘Friedenskongress’, wie Alfred Nobel dies als Kriterium für den Friedenspreis 1895 in seinem Testament umschrieben hat.“

Auch der EU-Vertrag ist in seinen Ursprüngen auf Frieden in Europa ausgerichtet:

SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben,

EINGEDENK der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen,

IN BESTÄTIGUNG ihres Bekenntnisses zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit,

IN BESTÄTIGUNG der Bedeutung, die sie den sozialen Grundrechten beimessen…

IN DEM WUNSCH, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken,

IN DEM WUNSCH, Demokratie und Effizienz in der Arbeit der Organe weiter zu stärken,

um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern, …

IM HINBLICK auf … die europäische Integration …

HABEN BESCHLOSSEN, eine Europäische Union zu gründen…“ Es folgen die Staaten.

Ein Januskopf ist die Formulierung zur Militärpolitik, die der EU-Vertrag – wie die NATO-Propaganda – „Sicherheit“ nennt:

ENTSCHLOSSEN, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu verfolgen, wozu nach Maßgabe des Artikels 42 auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte, und so die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken…

Die „Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents“ im Sinn der „Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte“ steht im Gegensatz zur NATO-Orientierung der sogenannten Sicherheitspolitik. Die NATO-Strategie ist die der Abschreckung und nicht die der internationalen Kooperation im Sinn der hier ausgedrückten Ziele der Völkerverständigung.

Bei den EU-Wahlen käme es jetzt darauf an, ein Zeichen dafür zu setzen, die Militarisierung der EU umzukehren in eine Sicherheitspolitik, die die Gesundheit der Menschen und die natürlichen Lebensgrundlagen stärkt, statt sie durch Aufrüstung, Abschreckung, Eskalation, Drohungen und Krieg ständig und immer heftiger zu schwächen. Der Bezug dafür ist unter anderem die Charta von Paris von 1990, die die friedlichen Inhalte des EU-Vertrages unterstreicht:

Wir begrüßen die Unterzeichnung des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa durch zweiundzwanzig Teilnehmerstaaten, der zu niedrigeren Niveaus der Streitkräfte führen wird. Die Annahme eines substantiellen neuen Satzes vertrauens- und sicherheitsbildender Maßnahmen, der zu mehr Offenheit und Vertrauen zwischen allen Teilnehmerstaaten führt, findet unsere volle Zustimmung. Beide sind bedeutende Schritte hin zu erhöhter Stabilität und Sicherheit in Europa.

Die beispiellose Reduzierung der Streitkräfte durch den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa wird – gemeinsam mit neuen Ansätzen für Sicherheit und Zusammenarbeit innerhalb des KSZE-Prozesses – unser Verständnis von Sicherheit in Europa verändern und unseren Beziehungen eine neue Dimension verleihen. In diesem Zusammenhang bekennen wir uns zum Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen.

Es geht Texten wie dem Vertrag zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten und der Charta von Paris um eine Friedensordnung und nicht um die NATO. Die Wahl der Zugehörigkeit zu einem Militärpakt gibt die Charta von Paris nicht frei, denn diese Wahl ist an den Zusammenhang der Abrüstung und der gemeinsamen – gegenseitigen – Sicherheit gebunden. Die EU-Wahlen sind Anlass, daran zu erinnern und darauf im Sinn des Überlebens Europas zu beharren. Das ist eine Herausforderung nicht nur – aber auch – für die Friedensbewegung.

Titelbild: Savvapanf Photo / Shutterstock

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