Flache Steuer oder platte Ideologie?

Ein Artikel von Heiner Flassbeck

Von Heiner Flassbeck, Wirtschaft & Markt, Juni 2005.

Manche Sachen sind so einleuchtend, dass sich kaum noch jemand traut, darüber nachzudenken. Das gilt wohl auch für den in vielen Varianten seit vielen Jahren diskutierten Vorschlag, das Steuerrecht radikal zu vereinfachen. Am radikalsten, weil scheinbar am einfachsten ist dabei das Konzept, das man neudeutsch „flat tax“ nennt, also eine Einkommensteuer, die nur auf einem einzigen sehr niedrigen Satz beruht. Dagegen ist sogar das in Deutschland als revolutionär angesehene Drei-Stufen-Konzept, das sich die CDU zu Eigen gemacht hat, noch richtig kompliziert.

Vorbilder in Sachen flat tax sind so erfolgreiche Länder wie die Slowakei (19 %) oder Irland (12 %) und sogleich wird natürlich in Deutschland haarscharf gefolgert, dass es nur an diesem Steuerkonzept liegen kann, wenn solche Länder seit Jahren kräftig wachsen. Warum, so die Apologeten der radikalen Steuervereinfachung, soll nicht auch Deutschland seine Schwächephase überwinden können, wenn wir nur bereit sind, einmal einen wirklich großen Schritt zu tun.

Die Begründungen für die verblüffende Wirkung einer solchen Wunderdroge sind allerdings an Schlichtheit kaum zu übertreffen. Die Leistungsanreize würden steigen, sagen die einen, wenn die Steuern nur niedrig wären und der Staat sich einfach aus vielen Tätigkeiten heraushielte. Klar, das leuchtet unmittelbar ein. Wenn der Staat die Polizei ausdünnt, müssen die Wohlhabenden sich durch extrem teure eigene Sicherheitsdienste schützen, was ihre Leistungsbereitschaft ungeheuer erhöht. Wenn der Staat kein Geld mehr für die Schulen und Universitäten hat, dann müssen die besser Verdienenden die Ausbildung ihrer Kinder selbst bezahlen und ihr Leistungsanreiz steigt ungemein, wenn sie einen erheblichen Teil ihres Einkommens jeden Monat an die Erziehungsanstalt ihrer Kinder überweisen statt an das Finanzamt. Die weniger gut Verdienenden müssen vielleicht auf eine vernünftige Ausbildung ihrer Kinder ganz verzichten, weil die unbezahlbar wird, aber ihre Leistungsanreize steigen sicher auch, weil sie ja ein paar Euro mehr in der Tasche haben, mit denen sie sich einen Big Mac mehr oder ein neues Computerspiel leisten können.

Noch abstruser ist die Behauptung, die Steuergesetze würden mit einer flat tax massiv vereinfacht und jeder könnte in Zukunft seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen. Da wird man aber große Bierdeckel brauchen. Es ist ja nicht der Steuertarif als solcher, der das Abgabensystem einer modernen Industriegesellschaft verkompliziert, sondern es ist die bei jedem Steuersatz äußerst komplexe Frage, was denn das wirklich verdiente Einkommen eines Menschen ist. Welche Kosten darf er geltend machen, bevor sein Gewinn ermittelt ist, welche Einkommen werden überhaupt zur Besteuerung herangezogen, wo und wie werden Einkommen besteuert, deren Herkunft in verschiedenen Ländern oder verschiedenen Zeitphasen zu suchen ist? Diese und die meisten andere der zentralen Fragen, um die es geht, haben mit dem Steuertarif als solchem überhaupt nichts zu tun.

Wozu brauchen wir eigentlich Heerscharen von Buchhaltern, Wirtschaftsprüfern und Finanzbeamten, wenn das verdiente und steuerbare Einkommen bei fast allen Wirtschaftssubjekten ohne weiteres vorliegt und nur ein wie auch immer gearteter Einkommenssteuertarif darauf gelegt werden muss? Selbst den kompliziertesten Steuertarif auf ein vorhandenes zu versteuerndes Einkommen zu legen, sollte im Zeitalter hoch leistungsfähiger Computer wirklich kein Problem sein.

So erweist sich die flache Steuer als platte Ideologie. Worum es geht, ist nicht die Vereinfachung und sind auch nicht die Leistungsanreize. Es geht einzig und allein um das Zurückdrängen des Staates und um die Weigerung der Bezieher höherer Einkommen, mehr als proportional zur Finanzierung des Gemeinwesens beizutragen. Doch machen wir uns nichts vor: Selbst zu diesem proportionalen Beitrag wird es nicht kommen, weil diejenigen, die am meisten verdienen auch in einem radikal reformierten Steuerrecht die meisten Möglichkeiten haben, durch geschickte Einkommensdefinition die Reststeuer zu vermeiden oder zumindest deutlich zu vermindern. Und das gilt auch dann, wenn, wie die Advokaten der flachen Steuer großspurig verkünden, die Bemessungsgrundlage für die Steuer durch die Abschaffung von „Ausnahmetatbeständen“ und „Steuersubventionen“ verbreitert wird.

Die Regel für die wirkliche Erfassung von steuerbarem Einkommen ist einfach und unmittelbar einleuchtend und doch wird sie von den aufgeregten Steuersenkern und „Bürgerkonventen“ nicht einmal erwähnt: Wer ein durchschnittliches Lohneinkommen bezieht und mehr als 90 % dieses Einkommens konsumiert, hat kaum Möglichkeiten, Steuerumgehung zu betreiben. Wer ein hohes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit oder mehrere Einkommen ganz unterschiedlicher Herkunft sein eigen nennen darf und weniger als 70 % seines Einkommens unmittelbar konsumiert, dem wachsen ungeahnte Möglichkeiten zu, sein wahres Einkommen zu verschleiern oder es der Steuer zu entziehen.

Schon deshalb ist ein progressiver Tarif angemessen. Man kann dann wenigstens erwarten, dass de facto eine proportionale Belastung heraus kommt. Die flache-Steuer-Anhänger wollen selbst die proportionale, die prozentual gleichartige Belastung hoher und niedriger Einkommen nicht. Sie wollen eine Gesellschaft, in der jeder auch gegen den Staat seine spezifische Überlegenheit ausspielen oder seine Schwäche erleiden muss. Der demokratische Staat als Korrektiv ist ihnen zuwider, weil er ihre Überlegenheit wenigstens in einigen Teilbereichen in Frage stellt. Von einer solchen Position bis zur Abschaffung der Demokratie ist es übrigens nicht weit. Wer sagt denn, dass alle Menschen den gleichen Anteil am politischen Leben haben können und sollen, wenn man ihnen eine halbwegs menschenwürdige Teilnahme am wirtschaftlichen Leben via „modernisiertes“ Steuersystem zu verweigern versucht?

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