Alle reden über die soziale Gestaltung der Globalisierung, doch von den Ergebnissen der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) wird in den Medien kaum Notiz genommen

Ein Artikel von Ursula Engelen-Kefer

Die IAK wird von der ältesten multilateralen Organisation, der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) durchgeführt. Sie soll die Interessen von Arbeitnehmern in allen Teilen der Welt schützen und fördern. Die IAK tagte vom 30. Mai bis 15. Juni 2007 alljährlich in Genf. Während die Show-Veranstaltung des G 8-Treffens wochenlang von den Medien hochgejubelt wurde und 4.500 Journalisten nach Heiligendamm reisten, um ein paar nichtssagende Pressestatements groß aufzublasen, wurde über die Konferenz von 160 Mitgliedstaten, wo Beschlüsse über die weltweite Förderung von Arbeitnehmerrechten gefasst wurden, fast gar nicht berichtet.
Trotz intensivster Suche haben wir gerade zwei ernstzunehmende Berichte, einen in der FR und einen in der taz, gefunden. Wir haben sogar davon gehört, dass von einzelnen Wirtschaftsredaktionen, die IAK ganz bewusst totgeschwiegen wurde.
Die NachDenkSeiten wollen dieser Schweigespirale gegenüber Arbeitnehmerinteressen wenigstens ein wenig entgegenwirken. Die ehemalige DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer hat für die deutschen Gewerkschaften auf dieser Konferenz teilgenommen, sie stellt uns ihren Bericht zur Verfügung.

Ergebnisse der Internationalen Arbeitskonferenz der IAO

Der G8- Gipfel stärkt zwar der IAO den Rücken, doch den Worten müssen Taten folgen.

Von Ursula Engelen-Kefer
Mitglied im Verwaltungsrat der IAO

Bei der Internetsuche nach den Ergebnissen der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) über google.de oder google.com wird das akute Vermittlungsproblem der ältesten multilateralen Organisation in Zeiten fortschreitender Globalisierung deutlich: Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hat es schwer, dass ihre Beschlüsse und Erfolge öffentlich zur Kenntnis genommen werden. An Arbeitnehmerinteressen desinteressierte, ja zunehmend sogar arbeitnehmerfeindlich ausgerichtete Medien schweigen die Anliegen und Interessen von Arbeitnehmern, die die IAO in allen Teilen der Welt schützen und fördern soll, weitgehend tot.

Bleibt nur zu hoffen, dass wenigstens die Beschlüsse des jüngsten Weltwirtschaftsgipfels der G8 zur sozialen Flankierung der Globalisierung der IAO neue politische Unterstützung bringen. Noch nie zuvor haben sich – wie unter der deutschen Präsidentschaft in diesem Jahr in Heiligendamm – die Staats- und Regierungschefs auf einem Weltwirtschaftsgipfel so eindeutig hinter die Arbeit der dreigliedrigen und ältesten multilateralen Organisation der Vereinten Nationen gestellt. Als Gewerkschaften sind wir jetzt gefordert darauf zu achten, dass solchen Erklärungen auch entsprechendeTaten folgen.

Die soziale Gestaltung der Globalisierung – wie bereits in der G8 Arbeits- und Sozialministerkonferenz in Dresden vorbereitet – nimmt in dem Abschlusskommunique des G8-Gipfels einen beachtlichen Raum ein – nicht nur hinsichtlich des Umfangs, sondern auch im Hinblick auf die Inhalte. So werden etwa folgende Ziele offen angemahnt: die Förderung und Weiterentwicklung der rechtlich verbindlichen Arbeitsstandards der ILO, die Pflicht zur Wahrnehmung sozialer Verantwortung der Unternehmen, die Umsetzung der Leitsätze der OECD für Multinationale Unternehmen, die Verwirklichung der Anforderungen des Globalen Pakts der Vereinten Nationen sowie die Forderung nach mehr Investitionen in Soziale Schutzsysteme.

Im Medienschatten des G8-Gipfels fand in Genf die alljährliche Internationale Arbeitskonferenz (vom 29. Mai bis 15. Juni) statt. Was Globalisierungskritiker in und um Heiligendamm zu Recht monierten – die soziale Gestaltung der Globalisierung – dafür haben die seit 1919 bestehenden Internationalen Arbeitsorganisation und die jährlichen Internationalen Arbeitskonferenzen schon seit langem ein internationale Mandat und darin liegt der Kern ihrer Aufgaben.

Die Ergebnisse dieser Sonderorganisation der UN mit inzwischen über 160 Mitgliedsstaaten und dreigliedriger Besetzung – d.h. Regierungen, Arbeitsgeberorganisationen und Gewerkschaften – können sich durchaus sehen lassen. Es gibt inzwischen mehr als 180 Internationale Arbeitsnormen in allen Bereichen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, die nach Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten rechtliche Verbindlichkeit erlangen. Dies gibt den vor allem auch den Gewerkschaften die Möglichkeit, sich als maßgeblicher Partner in dieser einzigen dreigliedrigen UN-Organisation für die Arbeitnehmer in allen Teilen der Welt einzusetzen – im Übrigen viele Jahrzehnte vor dem Auftreten der heute im öffentlichen Rampenlicht stehenden Globalisierungskritiker der vielen Nichtregierungsorganisationen. Allerdings hapert es bislang häufig an der Umsetzung dieser Arbeitsstandards in die konkrete Gestaltung der Globalisierung für die Masse der Menschen – schon längst nicht mehr nur in den Entwicklungsländern, sondern durch die Ausbreitung von Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und Armut auch in den Industrieländern.

Man darf es deshalb als ein positives Signal werten, dass beide Partner der Grossen Regierungskoalition in Berlin bei der Vorbereitung des G8 Gipfels auf die Bedeutung der Internationalen Arbeitsstandards der IAO gerade auch im Zusammenhang mit den internationalen Wirtschafts-Finanz und Handelsverflechtungen hingewiesen haben.

Ein diesbezüglicher Kernsatz im Kommunique des G8-Treffens lautet: ”Wir betonen, dass die Arbeitstandards nicht für protektionistische Zwecke benutzt werden sollen und ersuchen zugleich die WTO-Mitglieder und betroffene Internationale Organisationen, in enger Zusammenarbeit mit der IAO die Einhaltung international anerkannter Kernarbeitsnormen entsprechend der IAO-Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte und den Folgemaßnahmen zu fördern. Wir verpflichten uns ferner, in bilateralen Handelsabkommen und in multilateralen Gremien menschenwürdige Arbeit und die Einhaltung der Grundprinzipien der IAO-Erklärung zu fördern.” Man kann allerdings nur hoffen, dass solchen papierenen Erklärungen nun endlich auch Taten folgen und die jahrzehntelangen Bemühungen der Gewerkschaften innerhalb und außerhalb der IAO mehr Erfolg bei ihrer Umsetzung beschieden ist.

IAO-Strategie für menschenwürdige Arbeit

Die diesjährige Internationale Arbeitskonferenz hat einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der Strategie für eine menschwürdige Arbeit getan. Unter dem sperrigen Titel “Stärkung der Kapazität der IAO” wurde eine Einigung über inhaltliche und organisatorische Wege und Instrumente erreicht. Dabei geht es um solche nicht gerade wenig anspruchsvollen Ziele wie ausreichende und produktive Beschäftigung, menschenwürdige Arbeitsbedingungen einschließlich existenzsichernder Entlohnung, um Sozialen Schutz und Sozialen Dialog – geradezu ein Mammutprogramm, das nun auf internationaler und nationaler Ebene umgesetzt werden soll.

Diese Ziele brauchte die IAO nicht etwa neu erfinden: Die menschenwürdige Gestaltung der Arbeit ist seit ihrem Bestehen eines ihrer Kernziele und sowohl in der Erklärung von Philadelphia 1944 wie auch der Dreigliedrigen Grundssatzerklärung der grundlegenden Arbeitnehmer- und Menschenrechte von 1998 fest verankert.

Die neue Ausrichtung der Arbeit der IAO liegt darin, dass die einzelnen Tätigkeitsbereiche und Instrumente der IAO integriert und zielgerichteter auf die Erfüllung dieser Strategie für menschenwürdige Arbeit ausgerichtet werden sollen. Dies ist durch entsprechende integrierte Politikgestaltung auf der jeweils nationalen Ebene zu flankieren.

Die Instrumente der ILO sind auf die Erreichung dieser Zielsetzung auszurichten. Dabei geht es um Forschung und Analysen über die Zusammenhänge der verschiedenen Politikbereiche, die die Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne betreffen, um die Ausrichtung der Technischen Hilfsprogramme der ILO auf die praktische Umsetzung derartiger integrierter Ansätze in den Mitgliedsländern, um die Verstärkung der Maßnahmen der ILO zur Umsetzung und Ergänzung der wesentlichen Internationalen Arbeitsstandards.

Im Vordergrund sollen die Kernarbeitsnormen der Dreigliedrigen Erklärung von 1998 stehen: Vereinigungsfreiheit und Kollektivvertragsfreiheit, Verbot der Zwangsarbeit, Beseitigung der Kinderarbeit, Verhinderung von Diskriminierungen aller Art.
Es geht aber auch um die Grundsätze zur Sozialen Sicherheit.

Dringlich ist nun eine Verstärkung der Bemühungen zur Ratifizierung und die praktische Umsetzung – vor allem in den weniger entwickelten Ländern. Notwendig ist aber auch ihre Ergänzung: In Entwicklungsländern sind vor allem steuerfinanzierte Systeme des Sozialen Schutzes zur Befriedigung der Grundbedürfnissen von Gesundheitsversorgung, Bildung, Alterssicherung unerlässlich. In den Industrieländern müssen zusätzliche Sicherungssysteme für die zunehmende prekäre – abhängige und selbständige – Beschäftigung entwickelt werden.

Zusätzlich soll die ILO stärkeren Einfluss auf andere internationale Institutionen ausüben, ihre Instrumente ebenfalls stärker auf integrierte internationale und nationale Maßnahmen zur Schaffung “guter Arbeit” auszurichten.

Die ILO beabsichtigt, bei der Internationalen Arbeitskonferenz 2008 zu einem solchen integrierten Ansatz für “gute Arbeit” eine verbindliche Internationale Urkunde auszuarbeiten.

Entschließung über die Förderung nachhaltiger Unternehmen

Ein wichtiger Teil der Strategie für menschenwürdige Arbeit ist die Förderung nachhaltiger Unternehmen. Dazu hat die diesjährige Internationale Arbeitskonferenz eine Entschließung angenommen, die allerdings keine rechtliche Verbindlichkeit für die praktische Umsetzung hat. Hierbei geht es darum, dass Unternehmen menschenwürdige Arbeit anbieten und innerhalb eines Rahmens nachhaltiger Entwicklung tätig sind. Zu diesem Rahmen gehören soziale, wirtschaftliche Entwicklungen ebenso wie der Umweltschutz. Dazu müssen Regierungen als Verantwortliche für nachhaltige Entwicklungsbedingungen und Unternehmen sowie Gewerkschaften gemeinsam auf dieses Ziel hinarbeiten.

Zu einem für nachhaltige Unternehmen förderlichen Umfeld gehören insbesondere: Frieden, politische Stabilität, good governance, Sozialer Dialog, Achtung universeller Menschenrechte und internationaler Arbeitsnormen, stabile Wirtschaftspolitik, Handel und nachhaltige Wirtschaftsintegration, Rechtsstaatsprinzip, fairer Wettbewerb, ausreichende wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, Bildung, Ausbildung, lebenslanges Lernen, sowie angemessener sozialer Schutz.

Die Rolle der IAO hierbei könnte dabei z.B. sein: eine stärkere Ausrichtung ihrer eigenen Programme und Instrumente auf diese Zielsetzung; die Festlegung prioritärer Arbeitsnormen, deren Ratifizierung und praktische Umsetzung besonders dringlich voranzubringen ist (Arbeitsaufsicht, Arbeitsklauseln, Arbeitnehmervertreter, Mutterschutz, Entwicklung von Humanressourcen, Förderung von Genossenschaften), die Förderung von Landesprogrammen für menschenwürdige Arbeit in Unternehmen, Überprüfung der Außendienststrukturen der IAO zur effizienten Umsetzung.

Ein wichtiges Thema hierbei ist die Integration der rechtlich verbindlichen Internationalen Arbeitsstandards auf der einen Seite und der freiwilligen Vereinbarungen zwischen Unternehmens- und Betriebsleitungen mit den Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften zur Corporate Social Responsibility (CSR) auf der anderen Seite. Dies ist eine ständige Auseinandersetzung insbesondere zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften innerhalb und außerhalb der IAO. Ein regelmäßiges Streitthema ist: Wie viel Verbindlichkeit und braucht eine nachhaltige Entwicklung im Unternehmen und darüber hinaus.

Neue Arbeitsnormen zu Arbeit im Fischereisektor

Die diesjährige Internationale Arbeitskonferenz hat mit großer Mehrheit ein Übereinkommen und eine Empfehlung zum Schutz der Arbeitnehmer im Fischereisektor angenommen. Bereits 2004 und 2005 haben die Internationalen Arbeitskonferenzen in den erforderlichen zweijährigen Lesungen versucht, zu diesem wichtigen Thema der Schaffung von Mindeststandards von Arbeitsbedingungen im Fischereisektor Internationale Standards zu erarbeiten. Die Verabschiedung des Übereinkommens ist mangels der erforderlichen Mehrheiten (zwei Drittel der Konferenzteilnehmer) damals nicht gelungen. Zwischen 2005 und 2007 sind nun intensive Konsultationen von Seiten der IAO vorgenommen und entsprechende Änderungen an den Texten der Urkunden vorgenommen worden.

Bei der Behandlung auf der diesjährigen Internationalen Arbeitskonferenz waren die Kontroversen nun weitgehend ausgeräumt, so dass die jetzt vorliegenden Urkunden mit großer Mehrheit angenommen werden konnten. Dabei geht es um die Beschäftigten im kommerziellen Fischereisektor – vor allem die Verantwortung der Schiffseigner oder Betreiber der Schiffe für die Sicherheit und den Schutz der Beschäftigten, die Einhalten des Mindestalters von grundsätzlich 16 und ausnahmsweise15 Jahren bei einer Beschäftigung am Tag und 18 Jahren bei einer Tätigkeit auch während der Nacht, die erforderliche Ausbildung, medizinische Untersuchungen, Besatzungsstärke und Ruhezeiten, Arbeitsverträge für Fischer, Heimfahrten, Anwerbung und Vermittlung, Entlohnung, medizinische Dienste, Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Verhütung von Arbeitsunfällen, Soziale Sicherheit. (Übereinkommen müssen nach den Statuten der IAO innerhalb von zwei Jahren den Parlamenten der Mitgliedsländer zur Ratifizierung vorgelegt werden. Wenn es ratifiziert ist, d.h. in nationale Gesetzgebung überfuhrt ist, müssen der IAO alle fünf Jahre Berichte zum Umsetzung vorgelegt werden, wobei die Regierungen Stellungnahmen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften einholen müssen.)

Gravierende Verletzung von Gewerkschaftsrechten

Dass die ILO durchaus “Biss” haben kann, wenn es um die Ahndung gravierender Verletzungen von Gewerkschaftsrechten geht, zeigen die Fälle aus Burma und Weißrussland. In beiden Ländern wurden seit Jahrzehnten unter einer Militärdiktatur (Burma) und einer kommunistischen Diktatur (Weißrussland) die Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten. In Burma ist bis heute Zwangsarbeit unter der Regie des Militärs nicht abgeschafft , die Tätigkeit von Gewerkschaften ist untersagt und in Weißrussland ist es der Lukaschenko –Diktatur gelungen, die unabhängigen Gewerkschaften weitestgehend zu beseitigen und durch Staatsgewerkschaften zu ersetzen. Einen herben Rückschlag haben die vor allem von Seiten der Gewerkschaften forcierten Anstrengungen erlitten, im Fall Kolumbien der mit großen Blutopfern verbundenen Verfolgung von Gewerkschaften und ihren Funktionären entgegenzutreten. Ferner eskaliert auch die Auseinandersetzung mit dem menschenverachtenden und gewerkschaftsfeindlichen Regime in Simbabwe.

Burma

Im Falle Burma hat die IAO mit ihren dreigliedrigen Entscheidungsgremien bereits die härteste Stufe der Sanktionen in Gang gesetzt: die Anrufung der UN zum Wirtschaftsboykott, zur Unterbindung von Auslandsinvestitionen, Handel und sonstige Wirtschaftsverflechtungen mit Burma. Bisher funktioniert dies in unterschiedlichem Ausmaß, hat allerdings zu ersten Zugeständnissen der Militärdiktatur geführt- die IAO kann eine Beobachtungsstelle im Lande unterhalten, die jetzt auch unbelästigt arbeiten können soll. Zudem wird Menschen, die Beschwerden wegen Zwangsarbeit vorbringen, der Rechtsweg ohne Repressalien für Leib und Leben – wie dies in der Vergangenheit der Fall war – ermöglicht. Keine Entscheidung ist bisher darüber gefallen, ob der nächste Schritt gemacht werden soll: die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in DEN HAAG wegen einer Verletzung der Menschrechte.

Weißrussland

Im Fall Weißrussland hat die Europäische Union entschieden, die Handelspräferenzen ab Ende Juni diesen Jahres zeitweise auszusetzen, wenn kein ausreichender Fortschritt in der Gesetzgebung und Praxis zur Anerkennung und freien Tätigkeit unabhängiger Gewerkschaften erzielt ist. Unter diesem Druck hat es in den vergangenen Monaten eine groß angelegte Lobby-Kampagne der Regierung Weißrusslands vor allem gegenüber den Mitgliedsländern der EU gegeben, um zu suggerieren, dass die Regierung Weißrusslands den Empfehlungen der IAO zur Anpassung von Gesetzgebung und Praxis schon Folge leistet. Dabei werden fast die gleichen Argumente und Versprechungen geäußert wie vor 16 Jahren, als die IAO begonnen hat, sich mit den gravierenden Verletzungen der Gewerkschaftsrechte in Weißrussland näher zu befassen. Keine der drei Gruppen in der Konferenz ist davon überzeugt, dass ernsthafte Verbesserungen in Weißrussland in die Wege geleitet wurden und die manifeste Kritik an Weißrussland wegen der Verletzung der Gewerkschaftsrechte wird daher aufrechterhalten. Da die EU ihre Entscheidung zur Aussetzung der Handelspräferenzen an die Bewertung der IAO gebunden hat, müsste die Aussetzung der Handelspräferenzen Ende Juni in Kraft treten.

Kolumbien

Diese konsequente Haltung der drei Gruppen in der Internationalen Arbeitskonferenz zur Durchsetzung der grundlegenden Menschen- und Arbeitnehmerrechte hat allerdings einen empfindlichen Dämpfer erhalten: Das brennende Thema der gravierendsten Verletzungen von Arbeitnehmer- und Menschenrechten und die Verantwortlichkeit der Regierung in Kolumbien wurden leider überhaupt nicht behandelt. Dies ist eine schwere Schlappe für die Glaubwürdigkeit des Kontrollmechanismus dieser Organisation. Denn es gibt kaum ein Land mit gravierenderen Verletzungen der Gewerkschaftsrechte über jetzt mehr als 10 Jahre. Inzwischen sind in Kolumbien mehr als 3000 Gewerkschafter umgebracht worden, nur weil sie gewagt haben, sich für die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen in privaten und öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen einzusetzen.

Dabei wird immer klarer, dass ein großer Teil dieser bei der ILO in Beschwerde-Verfahren dokumentierten Gewerkschaftsmorde auf das Konto regierungsnaher paramilitärischer Truppen geht. Erst im März dieses Jahres lag dem Verwaltungsrat ein Fall einer Universität vor, wobei die Gewerkschafter, die sich für die Erhöhung der Löhne einsetzten, von regierungsnahen Stellen zum “militärischen Ziel” und “hohem Staatsrisiko” erklärt wurden. Dies ging aus einem offiziellen beweiskräftigen Dokument hervor, das der ILO vorliegt. Damit werden Gewerkschafter von regierungsnahen Stellen sozusagen als “Freiwild” zum Abschuss freigegeben.

Durch intensive internationale Lobby-Arbeit konnte die Regierung Uribe die Arbeitgeberseite und auch einen Teil der Regierungen in der Internationalen Arbeitskonferenz davon überzeugen, dass sie in Kolumbien auf gutem Wege sei, die bürgerkriegsähnlichen Zustände unter Kontrolle zu bringen. Dass die Gewalt von Regierungsstellen selbst gegen Gewerkschafter und Gewerkschaften fortgesetzt wird, spielte dabei offensichtlich keine Rolle.

Im Plenum der Internationalen Arbeitskonferenz sowie im anschließenden Verwaltungsrat verfuhr die Regierung Kolumbiens nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Sekundiert von Arbeitgebervertretern griff der Regierungsvertreter Kolumbiens Gewerkschaftsvertreter scharf an, weil sie es wagten, ihre Sorge über die Nicht-Behandlung des Falles Kolumbiens in der Konferenz auszudrücken.

Der Verwaltungsrat ließ sich nicht von der über das ganze Jahr mit riesigem personellen und finanziellen Aufwand betriebenen Lobby-Arbeit der Regierung Uribe beeindrucken. Ohne Abstriche nahm er den Bericht mit scharfer Kritik gegenüber der Regierung Kolumbiens wegen der Duldung und teilweise auch Förderung des gewerkschaftsfeindlichen Klimas in Kolumbien an

Simbabwe

Im Fall “Simbabwe”, der sich durch brutale Gewalt unter Verantwortung der Regierung Mugabe insbesondere gegen Gewerkschafter ausdrückt und vor der Konferenz verhandelt werden sollte, hat die Regierung ihre anfängliche Zusage zurückgezogen und ist erst gar nicht erschienen. Ihre Vertreter hatten es vorgezogen, das Konferenzgeschehen aus dem dunkelsten Teil der Empore des Verhandlungssaals teilnahmslos zu verfolgen. Dies ist weiterer Akt der bitteren Schmierenkomödie des von einem ehemaligen Widerstandskämpfer zu einem der übelsten Diktatoren mutierten Mugabe auf der Weltbühne. Die Regierung Mugabe hat nicht nur ein fruchtbares Land Afrikas in Armut, Hunger, Elend und Chaos gestürzt. Vielmehr ist sie für die Drangsalierung bis zur Ermordung zahlreicher Gewerkschafter verantwortlich.

Anmerkung Wolfgang Lieb: Man mag den Einfluss der IAO gering schätzen und man mag auch die Beschlüsse ihrer Arbeitskonferenzen nicht für wirkungsmächtig halten. Das gilt für viele andere internationale Konferenzen bis hin zu den Umweltveranstaltungen aber in gleicher Weise. Alle diese Konferenzen leben von der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und ihre Wirkung erwächst aus dem Druck, den die öffentliche Meinung auf die Regierungen, auf die Arbeitgeberseite aber auch auf die Gewerkschaftsvertreter ausüben kann.
Umso bedauerlicher ist es, dass die Medien als Vermittler an die Öffentlichkeit von der diesjährigen Arbeitskonferenz kaum Notiz nahmen. Darin zeigt sich, dass Arbeitnehmerinteressen, etwa im Vergleich zum Umweltschutz gegenwärtig weit ins Abseits gedrängt sind. Darin spiegeln sich auch die Ungleichheit des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften und das mangelnde Engagement der Regierungen für die Rechte und die zu schützenden Interessen von Arbeitnehmern wieder. Umso wichtiger wären verantwortungsbewusste Journalisten und kritische Medien, die sowohl auf die Ziele als auch auf die auf der Arbeitskonferenz behandelten Missstände hinweisen. Wenn man hört, dass in einzelnen Wirtschaftsredaktionen entschieden worden ist, über diese Arbeitskonferenz nicht zu berichten, dann wirft das ein grelles Schlaglicht auf die die Unausgewogenheit der Berichterstattung auch in Deutschland. Dies vor allem, wenn man sich an die Medieninszenierung um das G 8-Treffen vor Augen hält, wo minimalste Ergebnisse und kleinste Gesten zu Weltereignissen hochstilisiert wurden.
Wir sehen es deshalb als unsere Pflicht an, unseren Leserinnen und Lesern die Ergebnisse der Internationalen Arbeitskonferenz der IAO zur Kenntnis zu bringen.

Hinweis auf die von uns gefundenen Presseveröffentlichungen über diese Konferenz:

Kampf für freie Gewerkschaften. Bei der ILO zeigen sich neue Fronten: Autoritäre Staaten bremsen den Fortschritt
Von Roland Bunzenthal

Quelle: FR

Und am Rande des G 8-Treffens spielen die Kernarbeitsnormen eine Rolle:
Gewerkschaften im Gipfelrausch. DGB-Chef Sommer frohlockt: Sozialstandards sind wieder oben auf der Agenda

Von Nikolai Fichtner
Quelle: taz

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