Spannende Nachwahl zur französischen Nationalversammlung

Ein Artikel von Christoph Habermann

Am vergangenen Sonntag fand im vierten Wahlkreis des Départements Doubs im Osten Frankreich eine Nachwahl für die Nationalversammlung statt.

Der bisherige Abgeordnete Pierre Moscovici musste sein Mandat am 1. November 2014 niederlegen, nachdem er zum Mitglied der Europäischen Kommission berufen worden war.

Der erste Wahlgang brachte eine handfeste Überraschung: Die landesweiten Medien und auch die „politischen Kreise“ in Paris hatten erwartet, dass der sozialistische Kandidat auf Platz drei landen und damit am kommenden Sonntag im zweiten Wahlgang nicht mehr vertreten sein werde. Es ist anders gekommen. Von Christoph Habermann.

Bei einer Wahlbeteiligung von 39,5 Prozent gegenüber 60,5 Prozent im Juni 2012 erreichten die Kandidatin des „Front National“ Sophie Montel 32,6 Prozent und der Kandidat der Sozialistischen Partei Frédéric Barbier 28,8 Prozent. Der Kandidat der seit kurzem wieder vom früheren Präsidenten Sarkozy geführten bürgerlichen Rechten „UMP“ Charles Demouge schied mit 26,5 Prozent wider Erwartungen aus.

Der sozialistische Kandidat verlor gegenüber dem Ergebnis von Moscovici 10.000 Stimmen, der Kandidat der „UMP“ etwa 3.600 Stimmen und die Kandidatin des „Front National“ nur 1200.

Für den zweiten und entscheidenden Wahlgang am 8. Februar hat der Kandidat der Grünen zur Wahl des sozialistischen Kandidaten aufgerufen, während der Kandidat der französischen Links-Partei keine Empfehlung abgegeben hat. Beide hatten im ersten Wahlgang etwas mehr als drei Prozent der Stimmen erreicht.
Entscheidend für das Ergebnis, aber weit darüber hinaus auch für die künftige innenpolitische Auseinandersetzung in Frankreich, wird sein, wie sich die „UMP“ verhält.

Dort findet erneut der Kampf zweier Linien statt. Der frühere Premierminister und heutige Bürgermeister von Bordeaux, Alain Juppé, der 2017 als Präsidentschaftskandidat der bürgerlichen Rechten antreten will, folgt der von Jacques Chirac in den 1980er Jahren definierten Linie des „Front républicain“, mit der die linken Parteien und die bürgerliche Rechte sich auf gemeinsames Handelns gegen den „Front National“ verständigen. Danach ruft die Partei der bürgerlichen Rechten im Fall einer Stichwahl zwischen einem Kandidaten oder einer Kandidatin der sozialistischen Partei und des „Front National“ zur Wahl des sozialistischen Kandidaten auf so wie die sozialistische Partei Kandidaten der bürgerlichen Rechten gegen den „Front National“ unterstützt.

Das prominenteste Beispiel für den „Front Républicain“ war die Stichwahl zwischen Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen um das Amt des französischen Staatspräsidenten im Jahr 2002. Nachdem ihr Kandidat Lionel Jospin im ersten Wahlgang auf dem dritten Platz gelandet war, rief die Sozialistische Partei im zweiten Wahlgang zur Wahl von Chirac auf, um Le Pen zu verhindern

Diese strategische Linie unterstützt die stellvertretende Parteivorsitzende Nathalie Kosciusko-Morizet, die im vergangenen Jahr erfolglos für das Amt der Bürgermeisterin von Paris kandidiert hatte.

Juppé ruft dazu auf, den „Front National“ zu verhindern durch Stimmabgabe für den sozialistischen Kandidaten. Der „Front National“ sei der „Hauptgegner“ und die Wähler der bürgerlichen Rechten müssten alles tun, um zu verhindern, dass die Rechtsextremen Verantwortung auf nationaler Ebene bekommen. Kosciusco-Morizet erklärte: „Wenn ich vor dieser Wahl stünde, würde ich mich, mit Bedauern und nicht leichten Herzens, dafür entscheiden für den Kandidaten zu stimmen, der gegen den des „Front National“ antritt.“

Parteichef Nicolas Sarkozy erklärte vor der UMP-Fraktion der Nationalversammlung, man müsse gewiss nein zum „Front National“ sagen, „aber die Wähler entscheiden lassen.“
Diese Strategie des „ni PS ni Front National“, also weder für noch gegen eine der beiden Parteien eine Empfehlung für den zweiten Wahlgang zu geben, entspricht dem, was Sarkozy schon in seiner Zeit als Präsident propagiert hatte.

Das ist inzwischen die Mehrheitsposition seiner Partei. Sein früherer Ministerpräsident und innerparteilicher Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur 2017, Francois Fillon erklärt: „Kein Entgegenkommen gegenüber dem „Front National“ und keine Nachsicht mit der Sozialistischen Partei“.

Der Fraktionsvorsitzender der UMP in der Nationalversammlung, Christian Jacob, ruft zur Stimmenthaltung auf mit der Begründung: „Wir haben zwei politische Gegner unterschiedlicher Natur, aber zwei politische Gegner, in denen ich mich nicht wiedererkenne.“

Der Parteivorstand der UMP hat nach einer Sitzung am späten Dienstag Nachmittag unter Leitung von Sarkozy mit 22 gegen 19 Stimmen einen Beschluss gegen den Willen von Sarkozy gefasst, der tatsächlich aber nur klarer sagt, was dieser im Laufe des Dienstags verklausuliert formuliert hatte. Der entscheidende Satz des Beschlusses lautet:

„Die UMP ruft alle, die sich zu ihren Werten bekennen, dazu auf, ihre doppelte Ablehnung durch einen leeren Stimmzettel oder durch Enthaltung zum Ausdruck zu bringen.“

Das ist die „ni – ni“-Strategie, die Strategie des „weder noch“ in Reinkultur

In welchem Zustand die Partei sich befindet, wird daran deutlich, dass es im Absatz davor heißt:

„…der Front National muss mit größter Entschiedenheit bekämpft werden. Die Ideen dieser Partei, ihr Wille die Franzosen gegeneinander aufzubringen, die fehlenden Skrupel ihrer Führung, die die Wahl von Francois Hollande ermöglicht haben, machen jede Form des Entgegenkommens heute und in Zukunft unmöglich.“

Wie viel Einfluss die in einer Kampfabstimmung beschlossene Wahlempfehlung der UMP haben wird, das wird man auch für den Fall der Wahl der Vertreterin des „Front National“ nur ungefähr einschätzen können.

Ich rechne damit, dass Alain Juppé, der nicht Mitglied des Parteivorstands ist, bei seiner Haltung bleiben und sich dem Beschluss nicht beugen wird.
Sicher ist, dass schon am Abend des 8. Februar innerhalb der UMP und zwischen den politischen Parteien die Auseinandersetzung über den richtigen Umgang mit dem „Front National“ weitergehen wird. Diese Auseinandersetzung wird entscheidenden Einfluss auf die Frage haben, wer 2017 Präsidentschaftskandidat der UMP und ihrer liberalkonservativen Verbündeten wird.

Dieser Beitrag stützt sich, was die Zitate angeht, wesentlich auf Artikel von „Le Monde“ vom 2. und 3. Februar 2015.

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