Hinweise des Tages

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

(AM/KR)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Zum Einstand des SPD-Arbeitsministers Olaf Scholz
    • Scholzens erste Amtshandlung: Arbeitnehmerschutz verhindert
      Nach dem Entwurf zur Erneuerung der Arbeitszeitrichtlinie von 1993 soll eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden die Obergrenze sein. Die Ratspräsidentschaft schlug außerdem die Möglichkeit für einzelne Mitgliedsländer vor, eine Arbeitszeit von bis zu 60 Stunden zuzulassen. Deutschland forderte aber, dass die Tarifparteien Vereinbarungen treffen können sollen, die über dieses Limit noch hinausgehen. Bei der Leiharbeit ist umstritten, wie lange diese Arbeitskräfte zu schlechteren Konditionen als die Stammbelegschaft beschäftigt werden können. Vorgeschlagen wurde zuletzt eine Frist von sechs Wochen, die Bundesregierung will sechs Monate.
      Quelle: Reuter
    • Scholzens zweite Amtshandlung: Absenkung der »Hartz IV«-Sätze für Krankenhauspatienten
      Oskar Lafontaine wies darauf hin, dass bereits mehrere Gerichte diese Praxis als rechtswidrig eingestuft hätten, da der Regelsatz eine Pauschalleistung sei. An die Adresse des frisch gekürten Arbeitsministers Olaf Scholz gerichtet, der für die Vorlage die Verantwortung trägt, sprach der Linksfraktionschef von »Anmaßung und Ignoranz« gegenüber Beschlüssen des Deutschen Bundestages. Für eine Kürzung der Regelleistung bei Krankenhausaufenthalten gebe es keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Dies habe der Petitionssausschuß des Bundestages ausdrücklich bestätigt und daraufhin das Arbeitsministerium gebeten, die Abstellung dieser Praxis zu prüfen. Auch das Plenum des Bundestages habe diese Vorgehensweise einstimmig bestätigt. Die Koalitionsregierung hat dennoch am Mittwoch eine gegenteilige Verordnung beschlossen.
      Quelle: Junge Welt
    • Anstelle eines Kommentars zitieren wir die letzten Umfragewerte:
      „Wäre am Sonntag Bundestagswahl, die SPD bekäme nur noch 28 Prozent der Stimmen (November: 30 Prozent).“
      Quelle: FR
  2. Arbeitsmarkt und Mindestlöhne
    • Jeder Sechste ist Niedriglöhner
      Zwei Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr mit einer Vollzeitbeschäftigung weniger als 7,50 Euro brutto in der Stunde verdient – das ist knapp jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte. Im Vergleich zu 2004 ist das ein Anstieg von 10,7 Prozent. Die Senkung der Löhne betrifft Minijobs, Teil- und Vollzeitstellen: Zusammengerechnet arbeiteten im vergangenen Jahr 5,5 Millionen Menschen für weniger als 7,50 Euro pro Stunde – das sind 17,7 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Zwei Jahre zuvor waren es noch 4,6 Millionen.
      Quelle: FR
    • Kein Anspruch mehr
      Ältere Menschen und Frauen sind die Verlierer der Umstellung der Arbeitslosenhilfe auf Hartz IV. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die sich mit den finanziellen Folgen der Hartz-IV-Reform für Langzeitarbeitslose beschäftigt.
      Quelle: Tagesspiegel
    • Einer von uns
      Lieber SZ-Leser, laut Marktforschung sind Sie 48 Jahre alt, höhergebildet, haben rund 3000 Euro netto monatlich zur Verfügung und stehen mitten im Leben. Schön für Sie.
      Jetzt zeigen wir Ihnen jemanden, bei dem es früher genauso…
      Quelle: SZ-Magazin

      Kommentar eines NachDenkSeiten-Lesers: Dies ist ein erschütterndes Dokument über den rasend schnellen sozialen Abstieg in ALG II und die nach sehr kurzer Zeit eigentlich nicht mehr vorhandene Chance, da jemals wieder herauszukommen.

    • Anhaltende Forderungen nach Arbeitsentgelt gefährden Millionen Arbeitsplätze am Standort Deutschland *
      Seit Jahrzehnten haben sich die ArbeitnehmerInnen daran gewöhnt, für die von ihnen erbrachten Leistungen auch ein gewisses Entgelt in Form von Lohn, Gehalt, oder anderen Zuwendungen zu erhalten. Dies hat in einem System abgeschotteter und nationaler Wirtschaften auch einigermaßen funktioniert.
      Doch die Welt hat sich in den vergangenen Jahren gravierend verändert, so dass es im Rahmen eines effizienten ökonomischen Handelns bei Strafe des eigenen wirtschaftlichen Untergags nicht mehr möglich ist, an Gewohnheiten festzuhalten, welche aus einer völlig anderen ökonomischen Epoche stammen. Als aktuelles Beispiel sei hier nur die PIN Group genannt. Als Postzustellungsunternehmen hat diese sich über einen langen Zeitraum durch konsequente Lohnzahlungszurückhaltung fit für den anstehenden Fall des Briefmonopols gemacht. Nun, da der Erfolg unternehmerisch weitsichtiger Tätigkeit in greifbare Nähe gerückt ist, glaubt die Politik durch eigenmächtiges Handeln ökonomische Gesetzmäßigkeiten aushebeln zu können und beginnt eine Diskussion um Mindestlöhne im Zustellungsbereich. Wie verheerend solch eine Verbiegung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten sein kann, zeigt sich darin, dass die PIN Group nach dem Beschluss zur Einführung derartiger Mindestlöhne gezwungen war, die Streichung von 1000 Arbeitsplätzen bekannt zu geben. Und nach nochmaliger Überprüfung der ökonomisch relevanten Eckdaten erwägt der Mehrheitseigner nun die Schließung des Zustellunternehmens. Das ist auch vollkommen nachvollziehbar. Denn um Kapital an einem Ort zu halten, bedarf es einer besonders hohen Rendite. Und diese lässt sich mit der Zahlung von Löhnen einfach nicht realisieren.
      Quelle: Gesellschaft und Visionen [PDF – 20 KB]

      (* Vorsicht! Satire!)

    • Arbeitsmarkt
      Wer Mindestlohn will, muss die Wirtschaft befreien
      Über kein Thema streiten die Deutschen derzeit so heftig wie über den Mindestlohn. Verhärtete Meinungen prallen aufeinander. Wer hat Recht? Das hängt von den Umständen ab. In einer liberalisierten Wirtschaftsordnung kann Mindestlohn nützlich sein. Doch im überregulierten System Deutschlands richtet er Schaden an.
      Quelle: WELT
    • Kommentar AM: Dieser Kommentar aus dem Hause von Springers „Welt“ ist eigentlich nicht lesenswert. Aus zwei Gründen weisen wir dennoch darauf hin:

      • Er zeigt musterhaft die Ideologie und eingetrichterte Vorurteilswelt, in der solche Kommentatoren leben. Deutschland ist überreguliert. Frankreich mindestens ebenso. Die einzige Begründung für diese Behauptung ist der Hinweis, die „atmende“ (ein faszinierend dummer Begriff) Wirtschaft (der USA und Großbritanniens) hätte ein „anstellungs- wie entlassungsfreudiges“ System. Also hire and fire als Idealmodell. Dann geht auch Mindestlohn. Auch für diese Behauptung fehlt die Begründung.
      • Interessant ist weiter der Hinweis auf ein angebliches „arbeitsmarktpolitisches Paradoxon“ und die Behauptung, die „explodierenden Wachstumsjahre der deutschen Wirtschaft mit ihrer Vollbeschäftigung“ würden eine Ausnahme darstellen. Das Paradoxon besteht angeblich darin, dass der „rapide Prozess der Rationalisierung (und Verlagerung) von Arbeit die Zahl der für Unqualifizierte und wenig Qualifizierte erreichbaren Arbeitsplätze drastisch hat schrumpfen lassen.“

      Hier deckt sich die Argumentation mit der Argumentation in manchen linken Kreisen.
      Beide Zirkel leugnen die Bedeutung einer fehlenden Makropolitik und die Möglichkeiten einer guten Makropolitik zur Förderung der Binnennachfrage und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Beide hängen mehr oder weniger der These vom Ende der Arbeit an. Immerhin merkt der Autor in der „Welt“ noch an, dass eigentlich „das Quantum möglicher Arbeit unbegrenzt ist“, übersetzt: Dass es auch heute eine Menge Nützliches zu tun gäbe. Dass die Wirtschaftspolitik die Verantwortung hätte, diese Möglichkeiten zu nutzen, sieht der Autor nicht.

    • Saublödes Spiel
      Euro-Zentralbanker Trichet attackiert den Mindestlohn. Zu Unrecht und nicht aus Versehen. Das Foul hat Methode.
      Quelle: FR
  3. Axel Springer plant Pin-Exodus
    Erst standen 900 Arbeitsplätze auf der Kippe – nun droht möglicherweise allen 9000 Mitarbeitern des Postzustellers Pin das Aus. Der Axel Springer Verlag bereitet laut Medienberichten die Schließung der Tochter vor. Am Montag soll darüber auf einer Aufsichtsratssitzung entschieden werden.
    Quelle: FTD

    Kommentar AM: Siehe dazu den Kommentar in Hinweis Nr. 1 vom 5. Dezember 2007

  4. Der Zug rollt in die falsche Richtung
    Die GDL wird als böser Bube gebrandmarkt, aber der Tarifkonflikt bei der Bahn spiegelt die organisationspolitischen Schwächen der DGB-Gewerkschaften wider.
    Quelle: FR
  5. Claus Kleber neuer Chefredakteur beim Spiegel
    Die Mitarbeiter KG entscheidet, dass ein Fernsehmoderator künftig über den “Spiegel”-Titel bestimmt. Gruner + Jahr hatte offenbar geahnt, dass es bei einer noch längeren Personalsuche für die Spiegel-Spitze bald geknallt hätte. Jetzt hat sich die Mitarbeiter KG des Blattes durchgesetzt. Und selbst die mit der Personalie Claus Kleber nicht überglückliche Fraktion um Stefan Aust kann in einem Punkt aufatmen: Der Konflikt um die Frage, ob der Spiegel in Zukunft eher ein redaktionell orientiertes oder stärker der Verlagsseite – und damit de facto Gruner + Jahr (G+J) – untergeordnetes Unternehmen wird, ist zumindest vorerst ausgestanden. Gewonnen hat – die Redaktion.
    Quelle: TAZ

    Kommentar AM: Man soll dem Neuen eine Chance geben. Aber fragen, wofür Claus Kleber steht, darf man wohl. Ich verbinde inhaltlich nichts mit ihm – ein unbeschriebenes Blatt, mit einer eher angepassten, konservativen Grundlinie. Dass der Spiegel mit ihm zu seiner Rolle als wenigstens teilweise kritischem Magazin zurückfindet, ist fraglich. Man muss bei dieser Wertung Kleber zugute halten, dass er hiermit keine Ausnahme im neuen Zeitgeistjournalismus darstellt. So ist halt die Entwicklung: von Gaus zu Kleber.

  6. Deutschland bremst Streubombenverbot
    Offensichtlich geht es der Bundesregierung mehr um den Schutz ihrer Waffenbestände und um die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie als um den Schutz von Zivilisten.
    Quelle: FR
  7. Die Tagesshow oder die Welt in 15 Minuten
    Seit Jahrzehnten lassen sich Abend für Abend über zehn Millionen Menschen vor der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau nieder. Doch welche Art von Information vermittelt eigentlich dieses Hochamt der Fernsehnachrichten? Walter van Rossum der Autor das Buches „Meine Sonntage mit Sabine Christiansen“ hat sich die Tageschau einmal etwas genauer unter die Lupe genommen.
    Allabendlich mache die Tagesschau ihre Zuschauer zu Komplizen, indem sie den ausgewählten Stand der Dinge zur geltenden Norm erhebe. Die Konfrontation mit kritischen Fragen vor laufender Kamera finde in den Nachrichten nicht statt. Es handle sich eher um Stichwort-Journalismus: kostengünstig, servicefreundlich, Investoren glücklich machend.
    Quelle: Deutschlandfunk
  8. Gute Regierungsführung?
    • Eklat in Lissabon: Afrikanische Präsidenten verärgert über Angela Merkel
      Hauptthema ihres Vortrags vor den 73 in Lissabon versammelten Staats- und Regierungschefs: Menschenrechte und gute Regierungsführung. “Simbabwes Lage geht uns alle an, in Europa wie in Afrika”, betonte Merkel. Die EU sei sich in ihrer Bewertung der Lage in dem Land im südlichen Afrika einig. “Einschüchterung Andersdenkender und Behinderungen der unabhängigen Presse sind durch nichts zu rechtfertigen.” Die Zeit zur Überwindung der dortigen Krise dränge, so die Kanzlerin. Als Beispiele für schlechte Regierungsführung und Missachtung von Menschenrechten nannte sie neben Simbabwe auch Sudan, Weißrussland und Birma.
      Merkel lobte die Bemühungen verschiedener afrikanischer Staaten, die Krise in Simbabwe zu überwinden. “Aber die Zeit drängt, wenn wir an die Lebenssituation der Menschen in diesem Lande denken.”
      Quelle: SPIEGEL
    • Mindestlohndebatte: Post vom Tagelöhner
      Lothar Daniel trug bis vor kurzem für den Briefdienstleister Pin Post aus. Jetzt kämpft er für den Mindestlohn – indem er öffentlich macht, wie ärmlich er ohne ihn leben muss.
      Quelle: SPIEGEL

      Kommentar AM: Die Arroganz unserer Politikerinnen und Politiker ist schon beachtlich. Da redet Angela Merkel vor afrikanischen Staatschefs über Menschenrechte und „gute Regierungsführung“. Das mit den Menschenrechten kann ich ja verstehen, obwohl wir uns manchmal besser auch an die eigene Nase fassen würden. Das mit der „guten Regierungsführung“ ist sozusagen ein Hammer:

      Bei uns wird unter der Ägide zuvor der Bundeskanzler Kohl und Schröder und jetzt der Bundeskanzlerin Merkel eine wichtige Errungenschaft nach der anderen ruiniert: die gesetzliche Rente, die Arbeitslosenversicherung, ein öffentliches Unternehmen nach dem andern, private Unternehmen werden an Heuschrecken verscherbelt, es wird ein Niedriglohnsektor eröffnet, regierungsamtlich werden niedrige Löhne gefordert und das Abgleiten in Minijobs subventioniert und gefeiert. Viele Menschen leben in Not. Siehe oben die Geschichte des Tagelöhners Lothar Daniel. Diese Bundesregierung, die letzte und die vorletzte haben in der Beschäftigungspolitik erbärmlich versagt, obwohl die Bedingungen für eine gute Beschäftigungspolitik weit besser sind als in jedem afrikanischen Staat.
      Und dann fährt unsere Bundeskanzlerin nach Lissabon zum Treffen der EU mit Afrika und gibt den afrikanischen Präsidenten Ratschläge für „gute Regierungsführung“. Das ist unglaublich und nur so zu verstehen, dass die Bundeskanzlerin offenbar mit ihren Angriffen auf die afrikanischen Staaten und ihre Regierungen sich in einem guten Licht erscheinen lassen will. Klar nickt dann mindestens die Hälfte aller Deutschen und Angela Merkel wird vermutlich bei BILD gefeiert. Das ist auch das einzige Ziel. Sich feiern lassen, indem man andere angreift. Wenn ich Afrikaner angreife wegen ihrer schlechten Regierungskunst, dann bleibt beim deutschen Publikum hängen, bei uns sei es selbstverständlich anders als in Afrika und gut bestellt. Ein billiger Trick der Meinungsmache, aber er funktioniert. Übrigens auch im privaten Leben.

  9. Weniger statt mehr
    Rund 80000 Streikende haben am Donnerstag und Freitag einen wesentlichen Teil des öffentlichen Dienstes in Großbritannien praktisch lahmgelegt. Die Wut der Streikenden richtete sich gegen einen von der Regierung erzwungenen Tarifvertrag, der über die nächsten drei Jahre eine schrittweise Gehaltserhöhung von drei Prozent vorsieht. Das bedeutet zwei Prozent in diesem Jahr, keine Gehaltserhöhung im nächsten und noch mal ein Prozent mehr ein Jahr darauf. Die Inflationsrate liegt aber bei rund vier Prozent pro Jahr. Die Gehaltserhöhung die, so die Brown-Regierung, angeblich der Armutsbekämpfung dienen soll, ist also in Wirklichkeit eine drastische Gehaltskürzung. Sie gilt für den gesamten öffentlichen Sektor, also den Verwaltungsapparat, die Post und das Gesundheitswesen.
    Quelle: Junge Welt
  10. Erstmals Sherrifs in der Schule
    Im Berliner Bezirk Neukölln stehen ab heute Wachschützer der Bielefelder Sicherheitsfirma Germania vor den Schulen – ein Novum in Deutschland. Neuköllns Bürgermeister behauptet, anders sei die Unversehrtheit der Schüler nicht zu garantieren.
    Quelle: TAZ
  11. „Vorne ist verdammt weit weg“ – Eine Film-Komödie
    Heute ein Film-Tipp einer Freundin der NachDenkSeiten.
    Quelle: Internet Movie Database Inc.
    Quelle: Filmstarts.de GbR

    Der Einfachheit halber ihre Mail im Wortlaut:
    Ich hatte am Samstag das Glück, in einem Sneak-Preview (also Überraschungsvorführung von Filmen, welche noch nicht angelaufen sind) in Tübingen einen höchst interessanten Film zu erwischen…

    Ich zitiere aus der Besprechung von filmstarts:

    (…)

    Es gibt im Kino bestimmte Themengebiete, die sich nach Meinung vieler nur schwer miteinander verbinden lassen, und deshalb entweder gar nicht erst für die große Leinwand realisiert werden oder deren Ergebnis dann eher zwiespältige Reaktionen hervorruft. So überrascht es doch, dass „Vorne ist verdammt weit weg“, der deutsche Beitrag des Regisseurs Thomas Heinemann, eben solch einen Versuch unternimmt, indem er aktuelle wirtschaftspolitische Inhalte in einer Komödie mit satirischem Anspruch zum thematischen Mittelpunkt macht. Als Verbindungsfigur dient der vom Radiosender Bayern 3 und diversen Bühnenprogrammen vor allem im Süden Deutschlands bekannte Kabarettist Frank-Markus Barwasser (der hier auch als Autor und Produzent fungierte) in der Rolle seines Alter Egos Erwin Pelzig. Das Ergebnis ist in weiten Teilen amüsant und recht bissig, rutscht aber auch immer mal in halbgare Albernheiten ab, die für den eigentlichen humoristischen Ansatz des Films nicht nötig gewesen wären.
    So beginnt alles mit einem Missgeschick des gutmütigen Erwin Pelzig (Frank-Markus Barwasser), das seinem Nachbarn und siebenfachen Vater Johann Griesmaier (Peter Lohmeyer) zum Glück nur fast die Hand kostet, ihn aber für mehrere Wochen ins Krankenhaus befördert. Das ist doppelt tragisch, da Griesmaier eine Anstellung als Fahrer des einflussreichen Großindustriellen Bieger (Philipp Sonntag) innehat, die aber kurzerhand von Pelzig selbst übernommen wird. Dieser bekommt in seinem neuen Job als Chauffeur schnell firmeninterne Unstimmigkeiten mit. Bieger, sich gerade erst von einem Infarkt erholend, wurde von seiner Tochter Melanie (Franziska Schlattner) während seiner Abwesenheit seines Amtes enthoben, die nun ihrerseits mit Hilfe des schmierigen Beraters Kienze (Tobias Oertel) den Betrieb ins billigere Ausland verlagern will. Außerdem ist es da noch der geschäftsuntüchtige Sohnemann Bertram Bieger (Martin Eschenbach), der seine Aktienanteile an Kienze verkaufen möchte und somit interessierten Investorengruppen die Tür öffnet. Nun liegt es an Pelzig, mithilfe der Eskortdame und früheren Wirtschaftsanwältin Chantal (Christiane Paul) einzugreifen, und die „Bieger Einkaufswagenfabrik AG“ vor dem Untergang zu retten. Dabei soll ihm ein einfaches „Gerücht“ große Dienste erweisen

    (…)

    Ich kann mich der Kritik nur anschließen… der antimoderne Held des Filmes erinnert in den besten Szenen an die Kunstfigur des Mr. Hulot von Jacques Tati, als bayerische Ausgabe hiervon allerdings sehr geschwätzig, ständig moralisierend und frei philosophierend. Auch wird sich dieser Film eines Tages sicherlich gut als Zeitzeugnis, als Dokument, als plakative Darstellung der allgemeinen Stimmung im “refomierten” Deutschland im Jahre des großen Aufschwungs? 2007 eignen. Leider wird der Filmgenuss etwas getrübt durch einige wirklich schlechte Nebendarsteller, sowie die doch sehr ärgerliche Darstellung der “freiberuflichen” Chantal, welche mit der zwar schön anzuschauenden Christine Paul völlig fehlbesetzt wurde, das hätte man auch weniger sexistisch (weniger bayrisch “Pauli-mäßig” ;-), dafür subversiv-kritisch inszenieren können.

    Der Film behandelt erstaunlich bissig die typischen “Nachdenkseiten-Themen”, natürlich insgesamt eher undifferenziert bis naiv, wie halt in deutschen Komödien so üblich (was will man nach Jahrzehnten dumpfer deutscher Komödien mit Til Schweiger mehr erwarten?), aber dennoch meiner Meinung nach sehenswert und vor allem eine Art von Dammbruch gegen die ganzen Reformfloskeln, gegen die “Reformübereinkunft” in den ganzen deutschen Medien, ich bin sehr gespannt, wie das deutsche Feuilleton und Publikum auf diesen Film, der am 13.Dezember anläuft, reagiert. Also mein Tipp an die NDS-Redaktion: Diesen Film und die zugehörigen Rezensionen mal im Auge behalten…..

    AM: Diese Empfehlung geben wir gerne an unsere Leserinnen und Leser weiter.

    KR: Die Qualitäten des Films scheinen mir vor allem aus diesem „filmstarts-Zitat“ über die Rolle des Erwin Pelzig erkennbar zu sein: „Irgendwo zwischen fränkischem Geschwätz und bayerischer Gemütlichkeit stolziert er wie ein Fremdkörper durch den Film, wirkt in jeder Szene völlig deplaziert mit seinem Hut und der altmodischen Herrenhandtasche, und scheint irgendwie nicht von dieser Welt. Dennoch gelingt es ihm gerade dadurch, in den richtigen Momenten die Grundprobleme deutscher Wirtschaftsinteressen auf den Punkt zu bringen, die lediglich auf schnellen Profit aus sind und sich nicht im geringsten um die Sicherung von Arbeitsplätzen scheren. Da besitzen Sätze wie „Vorne ist verdammt weit weg, vor allem, wenn man ganz hinten steht“ einen geradezu philosophischen Ansatz und offenbaren in ihrer Einfachheit vieles, was einem Großteil der Bundesbürger auch im wahren Leben bezüglich der wackeligen Arbeitsmarktlage auf der Seele brennen dürfte.
    Der Film macht in den Momenten seiner satirischen Zuspitzung und Übertreibung wirklich großen Spaß. Wenn zum Beispiel Kienze mit den unmöglichsten Anglizismen wie „emotional baggage“ (für die zu entlassene Arbeiterschaft) und Sätzen wie „it‘s all about the money, honey“ sein Umfeld penetriert, wird ein überhöhtes, aber dennoch treffsicheres Bild eines prototypischen Unternehmensberaters skizziert. Pelzig bleibt im gesamten Geschehen die Galions- und Kunstfigur, eine Mensch gewordene Antithese zu den gezeichneten korrupten Wirtschaftsgeschäften, die mit einer naiv-dümmlichen Beiläufigkeit Machtstrukturen unterläuft und offen legt, die aktueller kaum sein könnten und von ihm mit gut beobachteten Sprachspitzen kommentiert werden.“

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