Wendehälse

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Wie wurden doch noch vor kurzer Zeit die positiven Auswirkungen der Liberalisierung der Finanzmärkte in höchsten Tönen gelobt. Jede Kritik wurde als Verstoß gegen die „herrschende Lehre“ gegeißelt.

Wenn man dagegen die gestrigen Äußerung von Kanzlerin Angela Merkel, des 1. Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Norbert Röttgen, oder des haushaltspolitischen Sprechers der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Steffen Kampeter, hörte, gilt offenbar der Satz: Was stört mich mein Geschwätz von gestern.

Lesen Sie einmal selbst das Loblied auf die freien Kapitalmärkte, das die CDU/CSU noch im Mai 2002 als Minderheitsvotum zum Bericht der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderung und Antworten“ abgegeben hat.

„…Die Mehrheit steht der Globalisierung der Finanzmärkte ablehnend gegenüber. Schlimmer jedoch ist, dass die Mehrheit diese Skepsis an den Anfang ihrer Überlegungen stellt und daher bei allen weiteren Betrachtungen systematisch empirische Entwicklungen und Theorien ausblendet, die nicht in diese Kritik passen. So setzt sie sich bereits mit der sonst allgemein anerkannten Überzeugung der „herrschenden Lehre“ nicht einmal ernsthaft auseinander, wonach weitgehend freie Kapitalmärkte nicht nur notwendige Voraussetzung funktionierender internationaler Gütermärkte sind, sondern auch aus sich heraus dazu beitragen, den Wohlstand in der Welt zu mehren („das zentrale Argument für einen freien internationalen Kapitalverkehr ist sein Beitrag für das Wirtschaftswachs­tum“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 21). Sie erweckt stattdessen den Eindruck, die positiven Wirkungen globaler Finanzmärkte könnten nur unter sehr speziellen, in der Realität nicht gegebenen Voraussetzungen eintreten.

An vielen weiteren Stellen werden Stil und Inhalt des Mehrheitsberichts den Ansprüchen, die an eine ausgewogene Darstellung und wissenschaftliche Auseinandersetzung zu stellen sind, nicht gerecht. Dies betrifft vor allem die Teile, die sich mit dem Problem hoher Realzinsen, dem Entstehen und den Folgen von Finanzkrisen sowie dem europäischen Finanzmarkt und der Europäischen Währungsunion beschäftigen. Ein Bemühen um Konsens in der Arbeitsgruppe war bei der Mehrheit nicht festzustellen. Dies führte dazu, dass die Meinung der Minderheit im Kommissionsbericht fast an keiner Stelle sichtbar wird. Im Folgenden können nur die wichtigsten Themen angesprochen werden.

  1. liberalisierte Finanzmärkte
    Die Mehrheitsmeinung geht davon aus, dass die Globalisierung der Finanzmärkte für eine Vielzahl von Fehlentwicklungen und Krisen der Weltwirtschaft verantwortlich zu machen und deshalb einzuschränken und zu kontrollieren sei. Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte gelten als gefährlich und als Ursache von Finanzkrisen.

    Die CDU/CSU-Gruppe betont dagegen die durchweg positiven Auswirkungen der Liberalisierung der Finanzmärkte. Sie bewirkt z.B., dass

    • Kapital seiner produktivsten Verwendung zugeführt werden und damit eine wachstumssteigernde Wirkung entfalten kann.
    • kapitalsuchende Marktteilnehmer nicht nur auf ihre nationalen Märkte beschränkt bleiben bzw. verzerrte Preise zu zahlen haben.
    • „privates Kapital mittlerweile für eine zunehmende Zahl von Entwicklungs- und Schwellenländern zur dominierenden Finanzierungsquelle geworden (ist)“ (Deutsche Bundesbank 2001d: 17)
    • Investitionsrisiken auf verschiedene Marktteilnehmer verteilt werden können.
    • gesamtwirtschaftliches Angebot und Nachfrage zu niedrigen Preisen einen Ausgleich finden und die Auswahlmöglichkeiten der Marktteilnehmer reichhaltiger werden.
    • kurzfristige Schwankungen des Sozialproduktes durch Kapitalimporte bzw. -exporte ausgeglichen werden können.
    • die Effizienz nationaler Finanzsysteme erhöht wird.
  2. Finanzkrisen

    Die Mehrheit ist der Meinung, Ausgangspunkt der Finanz­krisen sei ein überhöhtes Kapitalangebot. Besonders attraktiv erscheinende Länder seien „überschwemmt“ worden. Die Welle sei dann zurückgeschwappt, wenn sich eine zu geringe Absorptionsfähigkeit des nationalen Marktes gezeigt habe.

    Die CDU/CSU-Gruppe widerspricht dieser einfachen Argumentation. Nachfrageaspekte bleiben dabei unberücksichtigt…
    Quelle: Deutscher Bundestag, Minderheitsvotum der CDU/CSU 11.1.7

    Siehe dazu im Rahmen der Debatte um die Regierungserklärung vom 7.10.08:

    Norbert Röttgen:„Sozialismus und liberale Marktgläubigkeit sind passé

    oder: Steffen Kampeter:
    „Wir er­fahren, dass weitere Banken durch die Vertrauenskrise in eine schwierige Situation getrieben werden. Deswegen ist die Frage berechtigt, ob wir mit dem Einzelfallma­nagement weitermachen können. Ich verstehe die Äuße­rungen des Bundesfinanzministers dahin gehend, dass wir uns künftig in Bezug auf strategische Fragen besser wappnen müssen. Deswegen ist eine Übereinkunft mit den Akteuren des Finanzmarktes wichtig. Wir müssen systemische Krisen mit einem umfassenderen System beantworten (…)

    Wir als Christlich Demokratische Union und wir als Christlich-Soziale Union sind der Auffassung, dass jetzt die Stunde der Politik ist. Wir wollen diese Krise bewäl­tigen.“

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