Zweiter Nachtrag zu Johannes B. Kerner vom 20.11.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Weil die Sendung Johannes B. Kerners vom 20.11. viele Leser der NachDenkSeiten betroffen gemacht hat, weil dort die Vorherrschaft der konservativen und neoliberalen Kräfte so beispielhaft sichtbar geworden ist und außerdem der Disput um das manipulative Element bei dieser Sendung noch einige interessante Ergänzungen erfuhr, fügen wir noch drei E-Mails an:

Eine erste Mail von M.M.:

zum Thema JBK habe ich auch noch etwas hinzuzufügen, da ich selbst bereits Publikumsgast einer JBK-Sendung war.

Richtig ist, dass es sich hierbei um Aufzeichnungen handelt. In aller Regel finden diese aber am gleichen Abend der späteren Ausstrahlung statt. Die redaktionelle Überarbeitung beschränkt sich meines Wissens nur auf das Herausschneiden. Dabei werden z.B. Versprecher von JBK herausgeschnitten, wenn ein Teil komplett ohne Versprecher wiederholt wurde. Erlebt habe ich auch schon, dass Passagen eines kritischen Gastes, der nicht dem neoliberalen Mainstream entspricht, in der ausgestrahlten Sendung nicht wiederzufinden waren.

Zu beachten ist also folgende Passage Ihres Lesers M.N.:

Die Regie schaltet nun das Signal auf eine andere Kamera, welche auf den im Studio befindlichen Monitor gerichtet ist. Zu sehen sind dort die betreffenden Abgeordneten in Büßerpose, der Schnitt erfolgt zeitgleich mit dem Stichwort “Hexenjagd”. Der Kameramann unterstreicht die erzeugte Atmosphäre mit einem langsamen Zoom Out. Fazit: Innerhalb von nicht einmal 20 Sekunden ist dieses Glanzstück an Improvisation sicher nicht zu bewerkstelligen. Der gesamte Auftritt folgte einem minutiös umgesetzten Drehbuch, welches darauf zielte die Thesen der Herren Hahne und Friedman mit den technischen Möglichkeiten eines Studioauftritts zu unterstreichen. Ohne das konzertierte Wirken von Gästen, Moderator, Regie und Technik wäre dieser synchronisierte Auftritt nicht möglich gewesen. Der neoliberale Geist macht auch vor dem unverfänglich weil unpolitisch erscheinenden Unterhaltungsprogramm nicht Halt.

Auch das Studio-Publikum bekommt alle Einspielungen, welche der Zuschauer in der ausgestrahlten Sendung sieht, bereits während der Aufzeichnung einer JBK-Sendung in der ausgestrahlten Fassung zu sehen. So ist es von Ihrem Leser richtig beobachtet, dass eine Kamera auf einen im Studio befindlichen Monitor gerichtet ist, auf welchem die „Ypsilanti-Hexenjagd“ dann gezeigt wurde. Es würde also sehr wohl eine 20-sekündige Improvisationsleistung der Regie darstellen, dem Studio-Publikum diese Einblendung bereits während der Aufzeichnung auf dem Studio-Monitor zu präsentieren. Dies spricht also für die von Ihrem Leser getroffene Annahme, dass die entsprechenden Einblendungen bereits vor der Sendung aufbereitet worden waren.

Beste Grüße
M. M.

Eine zweite Mail vom Hauptkritiker M.R.:

danke, dass Sie diesen Vorgang verfolgen und verschiedene Meinungen nebeneinander stehen lassen.

Das, was der NDS-Leser MM zur Diskussion hinzufügt, finde ich größtenteils nachvollziehbar. So sagt er auch, dass es eine Aufzeichnung sei. Warum es allerdings eine Einschränkung darstellen solle, dass diese “aber” am gleichen Abend stattfindet, ist mir nicht ganz klar. Das schließt die redaktionelle Aufbereitung ja nicht aus.

Diese findet m.E. auch in dem Maße statt, wie das Ihr Leser MM aufzählt: herausschneiden von Versprechern und von Wechseln des Talkgastes. Hinzufügen würde ich noch zwei weitere Vorgänge. Zum einen die “Untertitelung” respektive Einblendung der Namen der Talkgäste inkl. der Hauptaussagen derselben. Dabei kommt es auch schon mal vor, dass die Aussagen im Kasten stehen, bevor der Gast sie gemacht hat. Zum anderen werte ich auch die Wahl der Kamera/Bildregie als redaktionelle Aufbereitung. Es stehen mehrere Kameras im Studio, die Kameramänner bekommen natürlich schon während der Aufzeichnung Hinweise, was sie wie filmen sollen. Im Gegensatz zu einer Live-Sendung muss bei JBK jedoch nicht sofort entschieden werden, welches Kamerasignal gesendet werden soll. Die Redaktion hat einige Stunden Zeit die endgültige Fassung zusammen zu schneiden. Von daher sehe ich da keine Improvisationsleistung innerhalb von 20 Sekunden – was der Hauptkritikpunkt meiner letzten Mail war.

Inhaltlich wäre jetzt noch das Zeigen der Bilder der Hessen-SPD zu klären. Einerseits kann man von einer Redaktion eine gewisse Rechercheleistung und Drehbuchideen zu den eingeladenen Talkgästen erwarten. Ob bei diesen Vorgaben JBK oder die Gästen den ausschlaggebenden Anteil haben, hängt sicher auch von der Prominenz des Gastes ab. Allein das Aussuchen der Gäste gibt ja schon die Richtung vor, in der sich die Sendung inhaltlich bewegt (s. dazu auch die Mail D im Beitrag 3640, in der ein weiteres Beispiel des Lobens über Merkel angesprochen wird).

Andererseits halte ich es, im Gegensatz zur Aussage von MM, auch für möglich, dass das Studiopublikum eben nicht das gleiche Material zu sehen bekommt, wie letztlich der Fernsehzuschauer in der ausgestrahlten Sendung. In diesem Fall meine ich damit, dass die Bilder eben auch nachträglich “reingeschnitten” werden könnten. Technisch stellt es kein Problem dar, während der Nachbereitung ein Bild auf dem Monitor im Studio einzufügen und dann für den Zuschauer am Bildschirm zum Vollbild zu zoomen.

Wie man es dreht und wendet, am Schluß kommt doch immer wieder heraus, dass sich hier in die Hetze gegen Ypsilanti eingereiht wurde. Und dabei vertrat ich in meiner letzten Mail den Standpunkt, diesen Umstand nicht zur Generierung von “Verschwörungstheorien” zu nutzen, sondern maximal als weiteren Mosaikstein in einer sich ausbreitenden verklärten Meinung zu sehen.

Von “Verschwörung” spreche ich deshalb, weil die ursprüngliche Mail des Lesers M.N. mit der JBK-Analyse für mir von der Tonalität her nach der Idee eines allmächtig Lenkenden klang, der diese Verklärung “bewusst” betreibe. Und wie auch schon geschrieben, halte ich dabei den Einzelnen (Herren Hahne, Friedman, JBK und Redaktion) für kurzsichtig bzw. dumm, da jeweils Einzelinteressen verfolgt werden und nicht in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden. Dass diese Einzelsichten zu einer fragwürdigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung beitragen, die von den NDS glücklicherweise wesentlich weitsichtiger aufgefasst und interpretiert werden, ist das Tragische dabei. Dazu eine Textstelle, die ich gestern gelesen habe:

“Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren, die immer mehr konsumieren wollen, deren Geschmack standardisiert ist und leicht vorausgesehen und beeinflußt werden kann. Er braucht Menschen, die sich frei und unabhängig vorkommen und meinen, für sie gebe es keine Autorität, keine Prinzipien und kein Gewissen – und die trotzdem bereit sind, sich kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet, und sich reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufügen; Menschen, die sich führen lassen, ohne daß man Gewalt anwenden müßte, die sich ohne Führer führen lassen und die kein eigentliches Ziel haben außer dem, den Erwartungen zu entsprechen, in Bewegung zu bleiben, zu funktionieren und voranzukommen. […] Jeder glaubt sich dann in Sicherheit, wenn er möglichst dicht bei der Herde bleibt und sich in seinem Denken, Fühlen und Handeln nicht von den anderen unterscheidet.

(Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, 8. Auflage, S. 100f.)

Mit freundlichen Grüßen
M. R.

Und eine abschließende Mail des Autors M. N. des ursprünglichen Beitrags, der den Anstoß für diese Debatte geliefert hat.

Bei ihm muss ich mich zugleich entschuldigen dafür, dass der Eindruck entstanden ist, er habe schlampig recherchiert. Das ist nicht so:

… Leider haben sie in Ihrem Beitrag “Nachtrag zum Blick hinter die Maschen des JBK” den ersten Teil der Sendung verlinkt. Hier der Link zum entsprechenden mittleren Abschnitt der Sendung, ohne Umwege:

Hier ist ganz eindeutig zu sehen, dass der Schnitt auf den im Studio befindlichen Monitor erfolgt. Es handelt sich nicht um eine redaktionelle Nachbearbeitung. Auf diesem feinen aber gewichtigen Unterschied baut meine Analyse auf, der Vorwurf der schlampigen Recherche ist hier unangebracht. Ich stieß heute auf eine aktuelle Kolumne von Peter Hahne in der BamS. Und wunderte mich, wem die tiefgehenden Sonntagsgedanken da gewidmet wurden: Johannes B. Kerner, man mag es nicht für möglich halten. Zwei Wochen nach seinem Auftritt in der JBK- Sendung huldigt Peter Hahne dem ZDF- Moderator, der in seiner Sendung den Gregor Gysi mal so richtig “gegrillt habe”. Auch eine Art, sich für den eigenen glorreichen Auftritt vor zwei Wochen zu bedanken. Hier schließt sich der Kreis.
Quelle: Bild

Mit freundlichem Gruß
M. N.

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