Die Zeitungsverleger jubeln – aber die schönen Zahlen sind nur Hülsen.

Ein Artikel von Hermann Zoller

Die Parteien haben sich in der Medienlandschaft eingerichtet. Ihre Begeisterung kennt keine Grenzen. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) jubelt: „Egal ob Papier oder Pixel: Zeitungen sind immer stärker ein sowohl gedruckt als auch digital genutztes Produkt. Ihre Gesamtreichweite aus Print und Digital beträgt 79,4 Prozent. Damit lesen in Deutschland 56,1 Millionen Personen ab 14 Jahren mindestens wöchentlich Zeitung.“. Ein Kommentar von Hermann Zoller.

Natürlich ist es erfreulich, wenn viele Menschen Zeitung lesen. Die Totgesagte lebt also noch und zwar als Papier und in Pixeln. Doch der Glanz der Statistik ist trügerisch; sie überstrahlt Probleme. Und derer gibt es einige. 
 
Die Presse gilt in der Demokratie zurecht als 5. Gewalt, als Kontrolleur des politischen Geschehens, als Aufklärer, als unabhängiger Informant, der es den Staatsbürgern erleichtern soll, den Durchblick zu bekommen, um sich ein Urteil bilden zu können. – Werden die Zeitungen diesem Anspruch gerecht?
 
Die NDS haben schon eine lange Liste von Hinweisen veröffentlicht, die belegen, wie Berichterstattung manipulativ eingesetzt wird, gegen den Grundsatz Comment is free…but facts are sacred verstoßen wird. Viele Berichte sind nur das Weiterreichen von Agentur-Material, schlimmer noch nur etwas redigierte Pressemitteilungen von Ministerien, Organisationen und Stiftungen. So werden beispielsweise Gutachten der Bertelsmann-Stiftung als Wahrheiten in die Welt gesetzt; ein Hinterfragen findet nicht statt. Und so könnte man eine lange Liste aufstellen, die belegt, dass hier Leserin und Leser keine journalistische Leistung angeboten wird. Damit erfüllen die Zeitungen nicht in dem Maße ihre staatsbürgerliche Pflicht, wie das nicht nur wünschenswert wäre, sondern eigentlich zu fordern ist. Deshalb gibt es von Parteien auch kaum Kritik an den Printmedien; man hat sich wohlig eingerichtet. Die große Linie wird nicht angezweifelt. Was hier oder da mal kritisch kommentiert wird, das stört nicht wirklich. Kommentare gehören eh nicht zum meistgelesenen Teil einer Zeitung.
 
Die „Verlegerische Verantwortung“ wird zwar ständig betont, aber sie ist längst schon nur noch Mittel zum Zweck: zum Zweck der Gewinngewinnung. Und das hat vielfältige Folgen. So ist die dpa, die Deutsche Presseagentur (im Besitz der Verleger), schon längst nicht mehr eine Nachrichtenagentur, sondern – die Kolleginnen und Kollegen mögen mir das verzeihen – eine Lieferantin von Material, mit dem man mit möglichst wenig Arbeitsaufwand, also möglichst wenig Redigieren oder gar weiterem Recherchieren, die Seiten füllt. Das kann auch nicht wundern, denn die Redaktionen werden seit Jahren ausgedünnt. Tausende Redakteursplätze wurden eingespart, Redaktionen ausgedünnt, zusammengelegt, Journalisten vor Ort zur Ausnahme. Da wundert es auch nicht, wenn man in vielen Zeitungen dieselben Texte liest. Da werden die Arbeitslosenzahlen der Bundesagentur für Arbeit ebenso unhinterfragt als Jubelmeldungen verbreitet wie die Forderungen nach der Rente mit 70. Je mehr Felder ein Journalist bearbeiten muss, desto weniger wird er sachverständig für Schwerpunkte. Und das kommt auch noch dazu: Wenn man nur die Journalisten einstellt, die die „richtige“ politische Sichtweise haben, dann kommt man auch ganz ohne Anweisungen von oben aus. Der Journalist schreibt ganz frei seine Meinung.
 
Ein Beispiel für die aktuelle Entwicklung sind die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“: Einst waren sie konkurrierende Blätter; heute erscheinen sie im selben Verlag: Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/Die Rheinpfalz, Ludwigshafen/Südwest Presse, Ulm. Die „Nachrichten“ sind gleichzeitig Mantellieferant für zum Beispiel die „Waiblinger Kreiszeitung“, die „Winnender Zeitung“, die „Schorndorfer Nachrichten“ und die „Backnanger Zeitung“. „Nachrichten“ und „Zeitung“ werden inzwischen von einer Redaktion hergestellt. Die Inhalte der beiden Zeitungen stimmen in einem hohen Maße überein. Und inzwischen arbeiten viele Redakteure für die Printausgabe und die elektronische; sind nicht nur mit Bleistift und Papier unterwegs, sondern auch mit Fotoapparat und Kamera, schreiben nicht nur eine Reportage, sondern machen auch noch das Interview für den Bildschirm. Das kann alles nicht ohne Folgen bleiben auf den Inhalt. Von dem einst proklamierten politischen Ziel der publizistischen Vielfalt ist da nichts mehr zu lesen.
 
Wer sich über den aktuellen Stand der Pressekonzentration informieren möchte, der findet hier eine ergiebige Quelle.
 
Und das gehört auch zum Thema: Der Zeitungsverlegerverband – ebenso wie der Verband der Zeitschriftenverleger – jammern zum Steineerweichen, wenn es bei Tarifverhandlungen um höhere Gehälter, bessere Honorare, mehr Freizeit geht. Da ist von den Jubelmeldungen nichts mehr zu hören; da steht eher der publizistische Weltuntergang vor der Tür.
 
Zusammengefasst lässt sich feststellen: Unsere Medienlandschaft wird nur noch bedingt den Anforderungen, die die Demokratie an sie stellt, gerecht. Die gedruckten Medien sind weitgehend in einem politischen Gleichklang (von Ausnahmen selbstverständlich abgesehen). Die öffentlich-rechtlichen Medien wirken kaum konkurrierend, eher verstärkend. Die weitere Entwicklung, die immer mehr durch die technische Entwicklung geprägt werden wird, und damit noch mehr Möglichkeiten zur publizistischen Konzentration und noch mehr Mittel zur Manipulation eröffnen wird, bedarf dringend der kritischen Betrachtung. Es ist nahezu absurd, dass das Politikfeld „Medienpolitik“ auf der politischen Bühne so gut wie nicht mehr auftaucht. Auch der aktuelle Streit um die Höhe der Rundfunkgebühr geht am Kern der Problematik vorbei.

Das Problem ist heute brennender als vor Jahrzehnten, da noch heftig über die Pressekonzentration und über Redaktionsstatute gestritten und einiges sogar erreicht wurde. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Substanz der Demokratie. – Demokratien sterben mit einem Knall oder mit einem Wimmern. Doch das leise Dahinsiechen einer Demokratie ist alltäglicher – und gefährlicher … Das haben Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ warnend geschildert.

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