Schlagwort:
soziale Herkunft

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Rhetorik der Sozialverträglichkeit – zum Studiengebühren-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat in letzter Instanz die Klage der Studierendenschaft der Universität Paderborn abgewiesen, mit der diese in einem Musterprozess die Rückzahlung eines Semesterbeitrages in Höhe von 500 € durchsetzen wollte. Die politische Allerweltsformel von der „sozialen Verträglichkeit“ musste als „juristische“ Begründung für das Urteil herhalten. Die obersten Verwaltungsrichter haben sich nicht etwa mit der der in Artikel 5 GG verankerten Wissenschaftsfreiheit, die ja die Studierfreiheit mit erfasst, oder mit dem Recht auf freie Berufswahl nach Artikel 12 GG oder dem Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 GG auseinandergesetzt, sondern sie haben sich kritiklos die Argumente des nordrhein-westfälischen „Innovationsministeriums“ zu eigen gemacht. Das Urteil ist ein politisches und kein juristisches.
Aber nicht einmal die politische Rhetorik von der „Sozialverträglichkeit“ wurde hinterfragt. Wolfgang Lieb

Rezension: „Hochschule im historischen Prozess“ von Jens Wernicke

Es kann mittlerweile kein Zweifel mehr daran bestehen, dass wir am Beginn einer epochalen Umstrukturierung des deutschen Hochschulsystems stehen, die einige Kommentatoren mit der Zäsur der von Humboldt inspirierten preußischen Universitätsreform (1810) vergleichen. Die treibenden Kräfte dieses Umbaus bringen selbst zum Ausdruck, dass es nicht um die Reform einer überlieferten Struktur ginge, sondern um eine gänzliche Neukonstruktion der Hochschulen in ihren tragenden Säulen. Als Leitbild wurde dafür aus dem angelsächsischen Raum der Terminus der »unternehmerischen Hochschule« importiert.
Die vorliegende Veröffentlichung ist hervorragend dazu geeignet, das Verständnis dieses Umbaus und die mit ihm verbundenen politischen Widersprüche und Auseinandersetzungen zu fördern und begrifflich zu schärfen. Dieses Vorwort von Torsten Bultmann ist zugleich eine gute Rezension.

Rezension: Hochschule und Demokratie 1968-2008

Zum 40jährigen Jubiläum von „1968“ erschien das fünfte BdWi-Studienheft „Hochschule und Demokratie“. Nach Meinung der HerausgeberInnen soll jedoch gerade kein Jubiläum gefeiert werden, sondern der Frage nachgegangen werden, „ob die Themen, Analysen, und Strategien, die im politischen 68er-Milieu und der durch dieses nachhaltig mitgeprägten zeitlich folgenden Bildungsreformbewegung entwickelt wurden, etwas zum Verständnis des Aktuellen beitragen“ (S. 2). Deshalb gliedert sich das Heft in drei Teile: Retrospektive (I), Hochschule in der Demokratie – 1968-2008 (II) und Demokratie in der Hochschule – 1968-2008 (III). Von Dominik Düber

Schul- und Bildungspolitik der CDU in Hessen

Deregulierung, Privatisierung und Entprofessionalisierung einhergehend mit einem sozialen Kahlschlag sind die Kennzeichen der Regierung Koch in Hessen: Abkassieren bei den sozial Benachteiligten, bei Studierenden und bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Dem Gehaltsabbau und der Arbeitszeitverlängerung für die Landesbediensteten folgten der Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Zunahme deregulierter Beschäftigungsverhältnisse gepaart mit dem Abbau professioneller Standards und staatlicher Verantwortung bei öffentlichen Dienstleistungen. Entstaatlichung ging Hand in Hand mit größer werdender sozialer Ungleichheit und Selektion vor allem im Bildungswesen.
Von Jens Wernicke

Teach First Deutschland und die Privatisierung (zuerst) der Lehrerausbildung

„Ich freue mich, dass die Initiative Teach First Deutschland Kinder und Jugendliche an Schulen in besonders benachteiligten Gebieten aktiv unterstützen will. Das ist eine interessante Möglichkeit, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. Besonders bemerkenswert finde ich, dass eine praxisorientierte Qualifizierung der zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen mit einer Veränderung der Schulkultur sowie einer aktiven Karriereunterstützung verbunden werden soll. Das Projekt hat meine volle Unterstützung“, meintPriska Hinz Bildungs- und forschungspolitische Sprecherin Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

„Ich unterstütze Teach First Deutschland, da diese Initiative gesellschaftliche Kräfte dort bündelt, wo sie am dringendsten gebraucht werden – an unseren Schulen“ sagt Prof. Dr. Erich Thies, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz. Was steckt in Wirklichkeit hinter Teach First. Von Jens Wernicke.

Studiengebühren schrecken ab – für manchen überraschend?

Wer auch immer die Ergebnisse der HIS-Studie kurz vor dem ›Bildungsgipfel‹ lancierte – das Timing war perfekt. Das zentrale Diskussionsthema – die Nachdenkseiten berichteten – war die Aussage, dass Studiengebühren im Jahr 2006 bis zu 18.000 Menschen vom Studium abgehalten hätten. Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt hatten erst zwei Länder (NRW und Niedersachsen) Studiengebühren eingeführt. Hierbei seien Frauen und Kinder aus sogenannten ›bildungsfernen Schichten‹ besonders betroffen. Nichts davon ist überraschend, dennoch schreien einige in bewährter Manier: ›Haltet den Dieb‹. Ein Rückblick von Klemens Himpele.

Das Fundament des elitären Klassenbewusstseins

Ist eine Gesellschaft, die offen von “sozial Schwachen” und “bildungsfernen Schichten” spricht, eingebettet in ein sozialdarwinistisches Fundament? Meint eine solche Gesellschaft etwa damit, dass Armut und mangelnde Bildung vererbte Mängel sind? Oder handelt es sich bei solchen und ähnlichen Begrifflichkeiten nur um unglücklich gewählte Wortkonstrukte?
Von Roberto De Lapuente

Studiengebühren schrecken ab

Sie wollen es ja selbst nicht wahr haben, die Vertreter des Marktliberalismus. Aber sie haben mal wieder recht: Die Nachfrage nach einem Gut ist abhängig von seinem Preis. Verteuert man den Preis einer Ware, so sinkt die Nachfrage danach. Wen wundert es daher, dass junge Leute sich durch Gebühren vom Studium abschrecken lassen? Von Karl-Heinz Heinemann

Buchrezension: „Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft“ von Heinz Bude

„Unsere Gesellschaft steht vor einer tiefen Spaltung. Dieses Buch macht deutlich, warum wir uns vom Traum einer gerechten Gesellschaft verabschieden müssen. Immer mehr Menschen sind von den Segnungen des Wohlstands ausgeschlossen und haben keine Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Lebensläufe, die man für solide hielt, geraten ins Schlingern, weil Arbeitsplätze, die man sicher glaubte, wegbrechen. Ungelernte Aushilfskräfte kann es genauso treffen wie hochqualifizierte Wissenschaftler. Heinz Bude, einer der besten Kenner der deutschen Gesellschaft, entwirft zum ersten Mal ein umfassendes Bild jener zerklüfteten Verhältnisse, die in Zukunft immer stärker unsere Gesellschaft prägen werden. Jetzt ist es Zeit, darüber zu diskutieren, wie wir künftig leben wollen.“
So preist der Klappentext das neue Buch des Professors für „Makrosoziologie“ an der Universität Kassel an.
Der Sozialwissenschaftler Christian Girschner hat für uns das Buch rezensiert.
Sein Fazit: Das Buch „Die Ausgeschlossenen“ ist eine ideologische Rechtfertigungsgrundlage für eine Politik der „neuen Mitte“, die nicht mehr über die ungleiche Verteilung des Reichtums sprechen will, weil man sich von jeden politischen Ansatz der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums (einschließlich einer keynesianisch orientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik) längst verabschiedet und diese durch eine sozial-politische Metaphorik der noch zu realisierenden „Chancen- und Leistungsgerechtigkeit“ ersetzt hat.

Nochmals: 10. Studierendensurvey20

Horrormeldungen aus dem Studentenalltag, etwa in Köln: man kommt nicht in die Veranstaltungen, die man laut Studienplan belegen müsste, denn die sind überfüllt. In Seminaren mit hunderten von Teilnehmern bekommt man seine Kreditpunkte, die die Studienleistung quantifizieren sollen, ohne sich je zu Wort gemeldet und mit dem Professor ein Wort gewechselt zu haben. Wie auch, bei 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern?! Alles falsch. „Die Zeit“ berichtet über Glücksgefühle der Studierenden im Hörsaal. Noch nie waren die Studierenden mit der Qualität des Studiums so zufrieden wie heute, lässt Bundesbildungsministerin Annette Schavan mitteilen. Sie stützt sich auf den 10. Studierendensurvey, also einer empirischen Erhebung. Man glaubt es nicht, und so sieht man mal genauer hin. Von Karl-Heinz Heinemann

Korrektur zu „An den Hochschulen bleibt die „Elite“ unter sich“

In meinem Beitrag vom 15.08.08 ist mir ein Irrtum unterlaufen. Ich habe aus dem „9. Studierendensurvey“ zitiert und nicht aus dem neuen, gerade veröffentlichten „10. Studierendensurvey“ [PDF – 1.5 MB]. Das bedaure ich sehr.
Ich muss meine Kritik jedoch nur insoweit korrigieren, dass in der Presseerklärung, die das BMBF anlässlich der aktuellen Veröffentlichung herausgegeben hat, darauf hingewiesen wird, dass sich die “Schere” der sozialen Herkunft beim Hochschulzugang vergrößert hat. Allerdings sieht Ministerin Schavan die Schuld für die „akademische Selbstreproduktion“ ausschließlich bei den Schulen. Die Tatsache, dass auch die Übergangsquoten von Abiturienten an die Hochschulen von der sozialen Herkunft bestimmt werden, wird von der Bundesbildungsministerin nach wie vor ignoriert. Wolfgang Lieb

An den Hochschulen bleibt die „Elite“ unter sich

Bei der Vorstellung des „9. Studierendensurveys“ lenkt das Bundesbildungsministerium das Augenmerk vor allem die vermeintlichen Erfolge. Die zentralen Aussagen seien, dass die Studierenden mit der Qualität der Lehrveranstaltungen zunehmend zufrieden seien. Viele wünschten sich allerdings noch eine bessere Betreuung während des Studiums und beim Übergang in den Arbeitsmarkt sowie einen höheren Praxisbezug.
Unerwähnt bleibt, dass die soziale Selektion im Studium eher zugenommen hat und dass dien neuen Studienabschlüsse mit Bachelor und Master vor allem an den Universitäten an Zustimmung verloren haben. Wolfgang Lieb

Anmerkungen zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium

Nach Jahren umwälzender Hochschulreformen hin zur „unternehmerischen“ Hochschule, nach einer weitgehend vollzogenen grundsätzlichen Umstrukturierung des Studiums in konsekutive Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen des sog. Bologna-Prozesses, nach einer mit hohem propagandistischen Aufwand durchgeführten „Exzellenz-Initiative“ nimmt sich endlich ein wissenschaftspolitisch bedeutsames Gremium der neben der Forschung zentralen Aufgabe der Hochschulen an: der Lehre und dem Studium. Das ist für sich genommen schon ein Gewinn.

Aus vielen Feststellungen ergibt sich ein ziemlich kritisches Urteil über die zurückliegenden Reformen. Vielen Forderungen und Empfehlungen kann man nur zustimmen, sie sind allerdings altbekannt. Neues, wie die Einführung von Lehrprofessoren, ist kritisch zu bewerten. Der WR hat einen ganzen Bauchladen an unverbindlichen Vorschlägen vorgestellt, woraus sich jeder bedienen kann, ohne dass sich viel ändern dürfte. Eine Konzentration auf das Wesentliche wäre wirkungsvoller gewesen.

Studiengebührenurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs: Chancengleichheit durch Verschuldung

Mit Wortverdreherei und juristischer Rabulistik gelingt es der Mehrheit der Richter am hessischen Verfassungsgerichtshof, den eindeutigen Wortlaut des Artikels 59 der Hessischen Landesverfassung in sein Gegenteil zu wenden. Aus der Unentgeltlichkeit des Studiums wird die Zulässigkeit des Bezahlstudiums für alle. Wer kein Geld hat, muss sich eben verschulden, dann hat er genauso viel, wie derjenige, der Geld hat. Ein klassischer Fall von Oberschichten-Justiz.