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Agenda 2010

ver.di gelingt es auch im “Aufschwung” nicht, Verteilungsspielraum auszuschöpfen: Eine Faustregel für kommende Tarifverhandlungen

Gestern früh meldete der Deutschlandfunk unter der Überschrift “Einigung im Tarifstreit: Drucker bekommen mehr Geld”, dass die rund 150.000 Beschäftigten der Druckindustrie mehr Geld erhalten. ver.di und der Bundesverband Druck und Medien hätten sich in der Nacht auf einen neuen Flächentarifvertrag geeinigt. Danach sollen die Löhne ab Mai um drei und im April nächsten Jahres noch einmal um ein Prozent steigen. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 27 Monate. Damit hat Verdi innerhalb kürzester Zeit bereits das zweite Mal in Folge den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum (Produktivitätsentwicklung plus Inflationsziel der Europäischen Zentralbank) nicht ausgeschöpft. Und das, obwohl sich Deutschland doch im “Aufschwung” befindet, wie der Bundeswirtschaftsminister gleichfalls gestern wieder betont hat: Ein “Aufschwung auf breitem Fundament”, “die Einkommen der privaten Haushalte nehmen kräftig zu“, so Gabriel. Von Thorsten Hild [*]

Frühjahrsprognose der Konjunkturforschungsinstitute: Eine tibetanische Gebetsmühle für gutes Karma und zur Verteidigung der herrschenden Lehre

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dieser Satz wird dem Physiker Niels Bohr zugeschrieben und er trifft besonders auf die Konjunkturprognosen der Wirtschaftswissenschaftler zu. 1,9 % Wachstum des BIP für dieses und zwischen 1,2 bis 2,6 % für das nächste Jahr, sagt die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnosen unter Federführung von DIW, ifo-Institut, RWI und IWH voraus. 1,6% für 2014 und 2,5% für 2015 hingegen das IMK [PDF].
Die Gemeinschaftsprognose liefert seit Jahren nichts mehr als „teuer bezahlte Falschmeldungen“ und diese Falschmeldungen sind jetzt sogar noch bezahlt von einem sozialdemokratischen Wirtschaftsminister. Von Wolfgang Lieb

Disput zwischen Rudolf Hickel und Albrecht Müller über die politische Einschätzung des Mindestlohns

Am 31. März erschien auf den NachDenkSeiten ein Beitrag von Rudolf Hickel unter der Überschrift „Flächendeckende Mindestlöhne: Epochenwandel auf den Arbeitsmärkten – Sieg der Vernunft über neoklassisches Marktversagen“ mit einer kritischen Anmerkung von Wolfgang Lieb. Zu Hickels Artikel schrieb Albrecht Müller einen weiteren kritischen Kommentar mit dem Titel „Das ist ein Gefälligkeitsartikel für SPD und Gewerkschaften“. Diese Kritik erwidert nun Rudolf Hickel. Wir wollen unseren Leserinnen und Lesern diesen Disput nicht vorenthalten und stellen Rudolf Hickels Antwort mit einer Replik von Albrecht Müller ein.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Kommentar A.M. zum Mindestlohnartikel von R. Hickel: Das ist ein Gefälligkeitsartikel für SPD und Gewerkschaften.

Wolfgang Lieb hat am Schluss des gestern eingestellten Artikels von Rudolf Hickel über flächendeckende Mindestlöhne schon eine kritische Anmerkung gemacht. Diese teile ich, gehe aber ein Stück darüber hinaus: Bei kritischer Betrachtung kann man die flächendeckende Einführung der vorgesehenen Mindestlöhne von 8,50 € im Jahre 2017 nicht als „Epochenwandel“, als „gesellschaftliches Megaprojekt“ und als „Sieg der Vernunft über neoklassisches Marktversagen“ werten. Hier versucht einer, nämlich Rudolf Hickel, die sozialdemokratische Seite der Großen Koalition und die Große Koalition als Ganzes heraus zu hauen, und damit auch den Gewerkschaftsführungen einen Dienst zu erweisen. ‚Wenn schon der „linke“ Hickel die Mindestlohnregelung gut findet, dann sollten auch Gewerkschafter ihren Widerstand einstellen und die Große Koalition feiern’, so die unterschwellige Botschaft. Albrecht Müller.

Flächendeckende Mindestlöhne: Epochenwandel auf den Arbeitsmärkten – Sieg der Vernunft über neoklassisches Marktversagen

Das gesellschaftliche Megaprojekt eines flächendeckend gesetzlich regulierten Mindestlohns ist nicht mehr aufzuhalten. Sicherlich sind gegenüber dem lupenreinen, in sich konsistenten Konzept einer gesetzlich fixierten Lohnuntergrenze unter dem Druck massiver Kritik von Wirtschaftsverbänden und neoklassischen Ökonomieberatern auch problematische Kompromisse durchgesetzt worden. Dazu zählt die Vorgabe, Jugendliche unter achtzehn Jahren müssten vor der Wahl eines kurzfristig günstigen Mindestlohnjobs gegenüber einem Ausbildungsplatz „selbst geschützt“ werden. Auch die geplante Sonderregelung für Langzeitarbeitslose ist problematisch. Allerdings sind im bisherigen Entscheidungsprozess über das Mindestlohngesetz die vielen Versuche, ganze Branchen zur Ausnahmezone zu erklären, verhindert worden. Von Rudolf Hickel.

Sind die Löhne in Griechenland immer noch zu hoch? Zur Diagnose von Hans-Werner Sinn

„Die Welt“ berichtete kürzlich von den Ergebnissen einer neuen Studie des europäischen Sachverständigenrats EEAG (European Economic Advisory Group), einer Gruppe von sechs Volkswirten aus fünf Ländern, darunter Hans-Werner Sinn vom Münchener Ifo-Institut. Die Untersuchung zur europäischen Wirtschaft bietet die üblichen Diagnosen und Vorschläge: In den Euro-Krisenländern sei ein „gewisser Grad an fiskalischer Austerität“ ebenso erforderlich wie eine Lohnflexibilität nach unten, Arbeitsmarktreformen könnten die Rezession verkürzen etc. (EEAG 2014, S. 7). Ein Gastartikel von Günther Grunert [*]

Was nützt ein „Hochschulzukunftsgesetz“, das Reformen in der Zukunft verbaut?

Die NRW-Landesregierung hat am 20. Februar einen überarbeiteten Entwurf eines Hochschulzukunftsgesetzes (HZG NRW) [PDF – 795 KB] vorgelegt. Im Neuentwurf sind zum allergrößten Teil nur redaktionelle, klarstellende oder symbolische Änderungen vorgenommen worden. An einigen Stellen sind verbindliche Regelungen zu Soll-Bestimmung abgeschwächt worden. Ein kleiner Reformschritt könnte der neu eingefügte „Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen“ sein. Bei den vor allem von Seiten der Rektoren, der Hochschulratsvorsitzenden und von Wirtschaftslobbyisten besonders bekämpften Regelungen sind jedoch im neuen Entwurf entweder Klarstellungen im Sinne der Kritiker vorgenommen worden oder die Regierung ist vor dem öffentlichen Aufstand zurückgewichen oder hat einige Reizparagrafen gleich ganz gestrichen.
Man muss sich fragen, ob ein so entkerntes „Hochschulzukunftsgesetz“, das die Zukunft für ein Leitbild zu einer demokratischeren Hochschule in öffentlicher Verantwortung eher verbaut, überhaupt noch Sinn macht. Von Wolfgang Lieb.

Ministerin Schulze knickt ein und verteidigt Rektorenbezüge

„Wer die besten Köpfe will, muss entsprechende Gehälter zahlen“ [PDF – 61.3 KB], dieser Satz der NRW-Wissenschaftsministerin hätte gepasst, wenn es um die Anwerbung von WissenschaftlerInnen oder vor allem um die Bezahlung des wissenschaftlichen Nachwuchses ginge, aber nicht in erster Linie, wenn es um die Gehälter der Hochschulmanager geht. Auch im NRW-Innovationsministerium scheint sich das Bild festgesetzt zu haben, dass Professorinnen und Professoren leitende Angestellte einer Maschinenfabrik oder eines Medienkonzerns sind, die der Weisung ihres Vorstands zu gehorchen hätten, der für den Gewinn der Firma verantwortlich ist. Von Wolfgang Lieb.

Warum wir Arbeitsrechte im Kontext des EU-US-Freihandelsabkommens anders diskutieren sollten

Pro- und Contra-Stimmen zum EU-US-Freihandelsabkommen (TTIP) haben häufig eine Gemeinsamkeit, wenn es um die Frage der Arbeitsrechte geht: Beide stellen die von den USA nicht unterzeichneten ILO-Kernarbeitsnormen in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Die einen sehen TTIP als Chance, die USA zur Unterschrift unter weitere Kernarbeitsnormen zu bewegen. Die anderen lehnen TTIP ab, gerade weil sie die Arbeitsstandards in den USA für viel zu niedrig halten, erkennbar an der Nichtunterzeichnung von sechs der acht Kernarbeitsnormen. Überzeugend sind beide Argumentationen nicht. Ein Gastartikel von Patrick Schreiner[*].

Sven Giegold und die grüne Verdrängungsmaschine

Sven Giegold, Europaparlamentarier der Grünen und für viele im linken Spektrum der Grünen immer noch ein Hoffnungsträger, hat in der ZEIT vergangene Woche ein schlimmes Stück geschrieben, in dem er Sahra Wagenknecht angreift, weil sie einer Spaltung Europas das Wort rede und dem Euro Schuld für Vorgänge gebe, die von der Wirtschaftspolitik zu verantworten seien. Was der Beitrag vor allem wieder einmal zeigt, ist die Tatsache, dass die Grünen kein wirtschaftspolitisches Konzept haben und sich davor drücken, eines zu entwickeln. Und er zeigt zudem, dass die Grünen nicht wahr haben wollen, erhebliche Mitschuld an der Eurokrise zu haben, weil Deutschlands Lohndumping mit ihrer Zustimmung geschehen ist. Von Heiner Flassbeck[*] und Friederike Spiecker

Geheime Rektoren-Gehälter als Politikum

Mit der Veröffentlichung der aus Steuermitteln finanzierten üppigen Gehälter von Hochschulrektoren, scheinen die NachDenkSeiten in ein Wespennest gestochen zu haben. Die ertappten Präsidenten reden von „Skandal“ und „Rechtsbruch“ und sie erwägen Anzeigen wegen „Geheimnisverrats“. Es wird eine „gezielte Indiskretion“ des Wissenschaftsministeriums unterstellt und darüber hinaus werden die eigenen Gehaltsangelegenheiten zum Politikum erhoben. Wieder einmal wird der Bote der Information beschimpft, um von der Botschaft selbst abzulenken. Die Rektoren sehen „Vertrauen“ zerstört, wo doch sie selbst durch ihre „Selbstbedienung“ Vertrauen gegenüber den Hochschulangehörigen und der Öffentlichkeit verloren haben. Ein beachtlicher Teil der Uni-Präsidenten ist offenbar Opfer der Ideologie der „unternehmerischen Hochschule“ geworden: Sie betrachten sich als Chefs der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Hochschulen und wollen sich deren wissenschaftliche Leistungen auf ihrem Gehaltskonto gutschreiben lassen. Von Wolfgang Lieb.

Warum soll ein Uni-Präsident nicht 150.000 Euro Jahreseinkommen haben?

Diese Frage wurde mir seit der Veröffentlichung der Jahreseinkommen der NRW-Rektoren auf den NachDenkSeiten von vielen Journalisten gestellt. Warum soll ein/e Hochschulpräsident/in nicht so viel bekommen, wie der durchschnittliche Manager eines mittleren Unternehmens (also etwa zwischen 350.000 bis 600.000 Euro) oder wie ein nordrhein-westfälischer Sparkassendirektor (zwischen 190.000 – 750.000 Euro im Jahr) oder der WDR-Intendant (340.000 Euro p.a.)? Von Wolfgang Lieb

Guter aber kommentierungswürdiger Monitor-Beitrag zum Freihandelsabkommen

In seiner gestrigen Sendung hat sich das WDR-Magazin Monitor dankenswerterweise einmal mit den sogenannten Studien beschäftigt, auf deren Basis dem kommenden europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP sagenhafte Auswirkungen zur Wirtschafts- und Arbeitsplatzentwicklung zugeschrieben werden. Die NachDenkSeiten haben sich bereits im letzten Juni ausführlich mit der Bertelsmann-ifo-Studie beschäftigt, die nun auch Monitor aufgespießt. Seltsamerweise belässt es Monitor jedoch bei einer Kritik an der Politik und fasst die Autoren der Studie mit Glacéhandschuhen an. Von Jens Berger

Die Manipulation des Monats: Atypische Beschäftigung drängt normale Arbeitsverhältnisse nicht zurück?

Wie die Bertelsmann Stiftung mit Hilfe des „Instituts zur Zukunft der Arbeit“ (IZA) die Öffentlichkeit mal wieder über die Auswirkungen der Agenda-„Reformen“ an der Nase herumführen und die Leitmedien willige Erfüllungsgehilfen sind.
Selbst die traurigen Befunde eines neoliberalen Think-Tanks werden in Jubelmeldungen umgedeutet. Statt „Atypische Beschäftigung drängt normale Arbeitsverhältnisse nicht zurück“ müsste es nämlich heißen: Atypische Beschäftigung steigt erheblich schneller als Normalarbeitsverhältnisse. Oder: Jede/r Vierte ist inzwischen atypisch beschäftigt und jede/r Fünfte Vollbeschäftigte arbeitet für einen Lohn an der Armutsgrenze. Berichte über solche Tatsachen finden sich in unseren Medien so gut wie gar nicht. Von Wolfgang Lieb.