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Agenda 2010

Arm – aber frei? Zur sozialen Situation von Künstlerinnen und Künstlern

Es bedarf immer mal wieder eines Anschubs wie zuletzt des Abschlussberichts der Enquete-Kommission „Kultur für Deutschland“ des Deutschen Bundestages vom Dezember 2007, damit die soziale Situation von Kulturschaffenden in die öffentliche Wahrnehmung rückt und eine Misere deutlich wird: Die hochqualifizierten, meist jüngeren Menschen in den Kulturberufen verdienen jämmerlich wenig und gehören auch von ihrer sozialen Absicherung her dem sog. modernen Prekariat an. Von Petra und Joke Frerichs.

Ökonomisierung von Bildung und Privatisierung von Bildungspolitik – Pädagogische An- und Einsprüche

Die „Wissensgesellschaft“ ist heutzutage in aller Munde. Im Vergleich zu früheren Begriffen wie Industrie- oder Dienstleistungsgesellschaft soll der Begriff der Wissensgesellschaft eine strukturelle Verschiebung in Bezug auf die Wertigkeit von Ressourcen beschreiben: Nicht mehr Rohstoffe, Arbeit und Kapital stehen danach an erster Stelle, sondern Wissen. Die Aneignung, der Zugang, das Haben von und der Umgang mit Wissen soll eine immer größere Bedeutung erlangen. Diese Zeitdiagnose könnte bei Lehrern und Pädagogen Anlass zur Freude sein, könnte mit dem Bedeutungszuwachs von Wissen doch auch das Verstehen, das Begreifen und das Erkennen zum Thema werden. Doch Wissen reduziert sich in der Wissensgesellschaft auf die Vermittlung von „Beschäftigungsfähigkeit“ und Selbstverantwortung im Kontext ökonomischer Sachzwänge. Der philosophische Hintergrund von Bildung durch Effektivitäts- und Effizienzinstrumente aus der Ökonomie abgelöst.
Die Übertragung privatwirtschaftlicher Regulative auf die Bildungseinrichtungen ebnet den Weg zur Ökonomisierung von Bildung.
Von Monika Witsch, Hochschullehrerin für Pädagogik an der Universität DuisburgEssen.

Tod auf dem Hochsitz

Vor einigen Tagen meldeten die Medien, dass sich ein 58 Jahre alter Mann auf einem Hochsitz zu Tode gehungert hat. Er hinterließ ein Tagebuch, in dem er sein Sterben dokumentierte. Weiter heißt es: „Aus dem in blaues Plastik eingebundenen Büchlein geht hervor, dass der frühere Außendienstler schon länger arbeitslos war. Seine Ehe sei gescheitert, seine erwachsene Tochter habe sich von ihm losgesagt“. Er bekam kein Arbeitslosengeld mehr. Er musste seine Wohnung räumen. Er hätte Hartz IV beantragen können, tat dies aber nicht, so dass er völlig ohne Geld dastand. Das Tagebuch des Toten wird an seine Tochter geschickt. Der Tote hatte in dem Büchlein darum gebeten.

Soweit die Meldung. Was mag in dem Büchlein gestanden haben? Vielleicht das Folgende.
Von Joke Frerichs.

Karlsruhe: Der Dienstherr als Herr der Beamten

Die Verlängerung der Arbeitszeit begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Mit diesem lapidaren Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde eines bayerischen Beamten gegen die seit dem 1. September 2004 geltende Anhebung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit für Beamte von 40 auf 42 Stunden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gerade zeitgerecht zu den Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst, wo die Arbeitgeber eine Verlängerung der Arbeitszeit verlangen, präsentiert das oberste Gericht eine Entscheidung, die auf jegliches Pro und Contra von Arbeitszeitverlängerungen verzichtet und geradezu obrigkeitsstaatliche Züge erkennen lässt. Wolfgang Lieb

BILD: Wozu Arbeiten? Hartz IV reicht doch!

Die BILD-Hetze gegen Arbeitslose und die Kampagne für eine Senkung der Hartz IV-Regelsätze gehen weiter. „Deutschland diskutiert über Hartz IV“ brüstet sich BILD seiner Selbstinszenierung. Dabei zieht das Boulevardblatt nur einige abgestandene „Studien“ noch einmal hoch, über die selbst ihre Urheber sagen, sie seien „in der abgedruckten Form fehlerhaft“ [PDF – 44 KB]. In der bei BILD üblichen Personalisierung von Botschaften werden einige passende Arbeitslose präsentiert, die sich als Hartz IV-Empfänger über diejenigen lustig machen, die einer Arbeit nachgehen: „Wer arbeiten geht, ist doch richtig schön blöd“. Und natürlich lässt die BILD-Zeitung wieder einmal ihre „Hausexperten“ Sinn, Straubhaar, Rürup und das arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft“ zu Wort kommen, die übereinstimmend verlangen, die Arbeitslosen mehr zu fordern und die Sozialabgaben zu senken. BILD schürt Ressentiments gegen Arbeitslose und stigmatisiert sie als Sozialschmarotzer. Wolfgang Lieb

12. BILD: Wer arbeitet, ist der Dumme!

So lautete am 11.2.08 in Riesenlettern die Schlagzeile von BILD. „Immer mehr Arbeitnehmer bekommen weniger Geld als Hartz-IV-Empfänger“ und „Ohne Arbeit hätten wir 1 Euro mehr!“ wird eine Familie aus Dortmund zitiert. BILD stützt sich dabei auf eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und Vergleichsgrafiken des Bundes der Steuerzahler und nicht zuletzt schreibt Hugo Müller-Vogg noch einen Kommentar „Mehr Netto, damit sich Arbeit lohnt“.
Wieder einmal sollen Arbeitnehmer gegen Arbeitslose ausgespielt werden. Wolfgang Lieb

Zur Erinnerung: Die Zusammensetzung der Hartz-Kommission

Am 22. Februar 2002 wurde die Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt eingesetzt. Ich habe deren Zusammensetzung leider selbst längst verdrängt oder vergessen. Die Auswahl der Mitglieder sagt aber mehr über den Geist und das Weltbild, das hinter den Hartz-Gesetzen steht, als tausend Worte. Deshalb auch für Sie nochmals die Liste zu Ihrer Erinnerung.

BILD hetzt mal wieder gegen Arbeitslose: „85% der Arbeitslosen würden für Job nicht umziehen!“

„Die Hartz-Reformen haben nicht dazu geführt, dass Arbeitslose eher bereit sind, einen neuen Job anzunehmen! Im Gegenteil: Viele Arbeitslose sind mit den Hartz-IV-Leistungen zufrieden und würden auch keine Lohneinbußen in einem neuen Job in Kauf nehmen.“ So lautet ein „alarmierendes Ergebnis“ das in der Ausgabe vom 5.2.08 mit Kommentar von BILD auf Seite 2 gehoben wird.
BILD zieht dabei offenbar auf eine schon etwas länger zurückliegende Studie des IAB [pdf – 272KB] noch einmal hoch.
Dabei wurde nach der Konzessionsbereitschaft von Arbeitslosen gegenüber ihrer letzten Arbeit im Hinblick auf Lohneinbußen gefragt, in einer Grafik wurde u.a. dargestellt, ob Arbeitslose längere Arbeitszeiten, längere Anfahrtswegen gegenüber ihrer früheren Arbeit oder ggf. ein Umzug in Kauf nehmen würden.
Was BILD verschweigt ist der laut Studie dabei von den Arbeitslosen erwartete Lohn: dieser lag durchschnittlich bei knapp 6,80 Euro.
Wer würde aber für einen solchen Niedriglohnjob mit unsicherer Dauer einen teuren Umzug und den Verlust seiner sozialen Bezüge in Kauf nehmen?

Mindestlohn und Maximalgehalt

Zurzeit findet in Deutschland eine äußerst interessante Debatte statt, bei der es offenbar um zwei Seiten der gleichen Medaille geht. Auf der einen Seite wird heftig diskutiert, ob sich Deutschland einen Mindestlohn leisten kann, auf der anderen stehen die nach Meinung der meisten Beobachter weit überzogenen Gehälter vieler Vorstandsmitglieder in der öffentlichen Kritik. Heiner Flassbeck hat uns diesen Beitrag aus WuM, Januar 2008, zur Verfügung gestellt.

Heiner Flassbeck zum Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst: Der Wert der Arbeit

Wenn die Tarifrunde der öffentlichen Dienstes in den nächsten Wochen in die heiße Phase gerät und eine durch die letzten Landtagswahlen gestärkte SPD lauter nach einem Mindestlohn ruft, wird sich wieder die alte Frage stellen, was Arbeit eigentlich wert ist. Auf diese für unsere Wirtschaft fundamentale Frage hat die herrschende Lehre von der Ökonomie leider nur eine sehr unbefriedigende Antwort gegeben. Man sagt, Arbeit sei genau so viel wert, wie der letzte eingesetzte Arbeiter produziert. Der Lohn pro Stunde müsse in einem funktionierenden Markt immer der Produktivität pro Stunde entsprechen. Sei er höher, sei Arbeitslosigkeit unvermeidlich. Für den öffentlichen Dienst und viele andere Menschen, die in Dienstleistungsberufen arbeiten, ist das eine frustrierende Vorstellung.
Diesen am 31.01.08 im Rheinischen Merkur erschienen Artikel hat uns Heiner Flassbeck zur Verfügung gestellt.

Weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung: 2006 bereits rund 6,5 Millionen Beschäftigte betroffen

  • Unter allen abhängig Beschäftigten liegt der Anteil von Niedriglöhnen (unterhalb von zwei Dritteln des Medians) 2006 bei gut 22% – d.h. mehr als jede/r Fünfte ist gering bezahlt.
  • Gegenüber 1995 ist der Niedriglohnanteil in Deutschland damit um gut 43% gestiegen.
  • Der durchschnittliche Stundenlohn der Niedriglohnbeziehenden ist seit 2004 gesunken, während er in den Vorjahren gestiegen ist.
  • Überdurchschnittlich betroffen von Niedriglöhnen sind insbesondere Minijobber/innen, Jüngere, gering Qualifizierte, Ausländer/innen und Frauen.
  • Der Anteil von Beschäftigten mit abgeschlossener Berufsausbildung am Niedriglohnbereich ist von 58,6% (1995) auf 67,5% (2006) deutlich gestiegen.
  • Im internationalen Vergleich hat Deutschland inzwischen einen hohen Anteil von Niedriglöhnen und eine fast beispiellose Ausdifferenzierung des Lohnspektrums nach unten.

Das sind die wichtigsten Ergebnisse einer Studie von Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom Institut Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) [PDF – 112 KB].

Gerhard Bosch: Auflösung des deutschen Tarifsystems

Noch Anfang der 90er Jahre lag die Tarifbindung in Deutschland bei rund 90%. 72% der Beschäftigten arbeiteten damals in Unternehmen, die Mitglied in einem Arbeitgeberverband waren. 2006 fielen nur noch 68% der westdeutschen und 53% der ostdeutschen Beschäftigten unter einen Tarifvertrag. Bei hoher Arbeitslosigkeit und schwächeren Gewerkschaften verschafft sich eine wachsende Zahl von Unternehmen Wettbewerbsvorteile durch Unterbietung der Tariflöhne. Der Niedriglohnsektor expandierte parallel zur Abnahme der Tarifbindung.

Über den antidemokratischen Charakter der herrschenden neoliberalen Lehre und Bewegung

Zum Jahresabschluss notiere ich ein paar Gedanken, die die Lektüre des Chile-Teils von Naomi Kleins „Schock-Strategie“ auslösten, teilweise auch nur zurückholten. Naomi Klein beschreibt dort die enge Kooperation zwischen den Chicago Boys um Milton Friedman und dem chilenischen Diktator Pinochet und seinen Schergen. Die Vertreter der ökonomischen Schule, die heute auch die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bei uns in beachtlich großem Maße prägt, fieberten dem Sturz des gewählten Präsidenten Allende entgegen. Die einschlägigen Papiere der neuen Herrscher ähnelten Milton Friedmans Vorstellungen: „Privatisierung, Deregulierung und Einschnitte bei den Sozialausgaben – die Dreifaltigkeit des freien Marktes.“ So Naomi Klein.

„Nur wenige arbeiten bis 65“

So beginnt eine Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom 19.12.2007 über eine Studie des Instituts. Und weiter heißt es dort: „Ende 2004 waren nur rund fünf Prozent aller 64-jährigen Männer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bei 64-jährigen Frauen lag die Beschäftigungsquote mit drei Prozent im Westen und einem Prozent im Osten sogar noch erheblich darunter. Wer die Regelaltersrente erreicht, ist demnach meist gar nicht mehr erwerbstätig, …“ „Bereits ab 55 sinken die Beschäftigungsquoten, ab 60 Jahren sogar rapide.“
Trotz dieser klaren und auch bekannten Lage wurde in diesem Jahr das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht – auf ein Alter das heute fast niemand erreicht. Was zu diesem korrupten Irrsinn zu sagen ist, finden Sie auf den NachDenkSeiten an vielen Stellen, u. a. im Nachwort zu „Machtwahn“.