Karlsruhe: Der Dienstherr als Herr der Beamten

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Die Verlängerung der Arbeitszeit begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Mit diesem lapidaren Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde eines bayerischen Beamten gegen die seit dem 1. September 2004 geltende Anhebung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit für Beamte von 40 auf 42 Stunden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gerade zeitgerecht zu den Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst, wo die Arbeitgeber eine Verlängerung der Arbeitszeit verlangen, präsentiert das oberste Gericht eine Entscheidung, die auf jegliches Pro und Contra von Arbeitszeitverlängerungen verzichtet und geradezu obrigkeitsstaatliche Züge erkennen lässt. Wolfgang Lieb

Der Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten ist nicht verletzt. Eine Gesundheitsgefahr geht von einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden nicht aus. Den Interessen der Beamten an der Vermeidung einer übermäßigen Belastung ist durch Sonderregelungen für ältere Beamte sowie für jugendliche und schwer behinderte Beamte Rechnung getragen. Es liegt auch kein Verstoß gegen das Alimentationsprinzip vor. Solange sich die Besoldung im Rahmen des Angemessenen hält, ist der Dienstherr bei einer Erhöhung der Arbeitszeit grundsätzlich nicht verpflichtet, einen zusätzlichen Vergütungsanspruch zu gewähren. Der Beschwerdeführer wird auch nicht gegenüber Angestellten im öffentlichen Dienst des Freistaats Bayern, für die eine günstigere Arbeitszeitregelung gilt, gleichheitswidrig benachteiligt. Das Recht der Beamten und das der Angestellten unterscheiden sich grundlegend voneinander. Dies gilt auch für den Bereich der Arbeitszeitregelung. Die Arbeitszeit der Beamten wird seit jeher einseitig durch den Dienstherrn festgesetzt, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wird durch die Tarifparteien
vereinbart. Diese Unterschiede sind grundsätzlich geeignet, die Ungleichbehandlung im Hinblick auf die wöchentliche Arbeitszeit zu rechtfertigen.

Das ist alles, was das Karlsruher Gericht als Verlautbarung zur Begründung seiner Klageabweisung für nötig erachtete. Und man muss wohl vermuten, dass sich die Richter auch keine tiefschürfenderen Gedanken gemacht haben.

Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei nicht verletzt.
Es wird darüber hinaus berichtet, dass sich die zuständige Kammer sogar auf das argumentative Niveau herabließ, wonach sich noch im Jahr 1938 die regelmäßige Arbeitszeit der Beamten auf 51 Wochenstunden belief.

Die Debatte, die um die Arbeitszeitverkürzung (auch im Öffentlichen Dienst) stattfand, scheint an den Richtern vollständig vorbeigegangen zu sein. Jedenfalls hielten sie es bis auf die „Gesundheitsgefahr“ und die „Vermeidung übermäßiger Belastung“ nicht für erforderlich, auch nur auf ein einziges, weiteres Argument gegen eine Arbeitszeitverlängerung einzugehen.

So ganz nach dem Stammtischmotto, wonach Beamte ohnehin nur eine „ruhige Kugel“ schieben und meist nur zur Mittagspause und gegen Feierabend wieder aufwachen, werden allgemeine Erkenntnisse der Arbeitsforschung, wonach es in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme von Stress in Form von Zeit- und Leistungsdruck am Arbeitsplatz gegeben hat [PDF – 4,9 MB] und eine längere Arbeitszeit das Erkrankungsrisiko erhöht, schlicht geleugnet.

Dass sich aber der Arbeitsdruck auch im Öffentlichen Dienst deutlich erhöht hat, ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die Zahl der Beschäftigten seit der Wiedervereinigung erheblich gesunken ist. Im Jahr 1991 waren noch rund 6,7 Millionen Personen im öffentlichen Dienst beschäftigt, am 30.06.2006 dagegen noch 4,6 Millionen

Personal im öffentlichen Dienst

Sämtliche weiteren Argumente, die für kürzere Arbeitszeiten sprechen, spielen für die Richter bei ihrer Entscheidung offenbar keine Rolle.

Dass etwa mit kürzeren Arbeitszeiten Arbeitsplätze geschaffen und umgekehrt mit längeren Arbeitszeiten Arbeitsplätze abgebaut werden, das ist nach Ansicht der Richter für den Dienstherrn Staat offenbar irrelevant. Dass der Staat in Deutschland im Gegensatz zu England oder Schweden der Staat durch den Personalabbau und durch Einstellungsverzicht im Öffentlichen Dienst erheblich zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit beigetragen hat, kümmert die Herren in den roten Roben nicht. Gerade im Öffentlichen Dienst ist aber die Verlängerung der Arbeitszeit eines der zentralen Argumente für eine Personaleinsparung. Dabei hätte der Staat gerade jetzt wieder mehr finanziellen Spielraum, auch dort endlich wieder für mehr Beschäftigung zu sorgen.

Die „Fürsorgepflicht“ des Dienstherrn Staat umfasst aus Karlsruher Sicht offenbar auch nicht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Während ansonsten auch von der Justiz über die demografische Entwicklung und die niedrige Geburtenrate geklagt wird, bleiben familien- und kinderfreundlichere Arbeitszeiten außer Betracht, wenn es um deren Verlängerung geht.

Bei über 8 Stunden Arbeitszeit pro Werktag kommen mit der Wegezeit leicht 10 Stunden und mehr an Abwesenheit von der Familie zusammen. Damit ist nahezu ausgeschlossen, dass etwa beide Ehepartner Vollzeit arbeiten können, wenn sie Kinder haben. Vor allem Frauen dürften sich einen doppelten Lebensentwurf, nämlich Beruf und Kinder haben zu wollen, bei Arbeitszeiten von 42 Stunden schlichtweg nicht leisten können. Damit erklärt sich wohl auch der deutliche Anstieg der Teilzeitarbeit im Öffentlichen Dienst (siehe die obige Grafik). Dadurch wird wieder die traditionelle „Hausfrauenehe“ oder die sog. „modernisierte Versorgerehe“ gefördert, mit dem Mann in Vollzeit und der Frau allenfalls mit einem Teilzeitjob. Dies bedeutet eine Zementierung der traditionellen Arbeitsteilung in der Familie.

Dass kürzere Arbeitszeiten mehr Zeit und Kraft lassen für das ständig geforderte „lebenslange Lernen“, dass damit das ach so oft zitierte „zivilgesellschaftliche Engagement“ erleichtert würde oder dass dadurch schlicht mehr Lebensqualität ermöglicht würde, war für diese Entscheidung, die ausschließlich die Sicht des Dienstherrn einnimmt, offenkundig unbeachtlich.

Aus dieser Sichtweise des Arbeitgebers versteht sich dann auch, dass eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich nach Ansicht der Richter nicht gegen das „Alimentationsprinzip“ verstoßen kann. Dass sich die Besoldung im „Rahmen des Angemessenen“ hält, ist für die höchstbezahlten Beamten am Bundesverfassungsgericht damit gleich mit entschieden.

Als das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2005 über die Rechtmäßigkeit der Kürzung von Beamtenpensionen urteilte, wurde dies im Wesentlichen durch einen Vergleich mit der Senkung der Renten für Angestellte begründet: „Die Verringerung des Versorgungsniveaus ist im Hinblick auf die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt.“

Damals unterschieden sich für die Richter „das Recht der Beamten und das der Angestellten“ also nicht grundlegend voneinander. Bei der Arbeitszeit ist das aber plötzlich anders. Dass sie bei Angestellten und Arbeitnehmern kürzer ist als bei Beamten, gilt – anders als damals – als Vergleich nicht mehr. Die Arbeitszeit von Beamten „wird seit jeher einseitig durch den Dienstherrn festgesetzt“, sagen die Verfassungsrichter und damit Basta.
Wie im preußischen Obrigkeitsstaat hat der Beamte kritiklos seinem Dienstherrn zu gehorchen und seinen Festsetzungen Folge zu leisten, so denken offenbar unsere obersten Richter wieder.

P.S.: Um wohlfeiler Kritik zu entgegnen: Mir geht es bei der Kritik dieses Beschlusses nicht um die Verteidigung von Beamtenprivilegien, sondern ausschließlich darum, wie das Gericht mit Arbeitszeitverlängerungen umgeht. Diese Entscheidung mit ihrer äußerst fraglichen juristischen Begründung stärkt der Arbeitgeberseite im öffentlichen und im privaten Sektor mit ihrer Forderung nach Verlängerung von Arbeitszeiten den Rücken. Sie beweist einmal mehr, auf welcher Seite die Karlsruher Richter stehen und welcher wirtschaftspolitischen Lehre sie anhängen.

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