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Arbeitslosigkeit

Aufklärung und Gegenaufklärung

In der vergangenen Woche gab es einige erfreuliche Entwicklungen: In mehreren Blättern erschienen Beiträge über die Interessenverflechtung von Wirtschaftswissenschaftlern, speziell von Raffelhüschen mit der Versicherungswirtschaft. Außerdem flog der Schwindel über die angeblich weltweit und seit 1945 niedrigste Geburtenrate auf. Beide Erfolge gehen mit auf die NachDenkSeiten zurück. Siehe eine Reihe von Eintragungen. – Am Wochenanfang erschien allerdings auch noch ein Hammer der Gegenaufklärung: Eine Prognos Studie mit Prognosen zur Arbeitslosigkeit im Jahre 2030 („rund 2,3 Millionen“, mehr als 1,4% Wachstum pro Jahr sei im Durchschnitt nicht drin). Eine solche Prognose zu machen, ist absurd. Das Entscheidende: Es wird quasi unterstellt, dass unsere Möglichkeiten, Einfluss auf die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Wachstum zu nehmen, gegen null gehe.

Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung (BIAJ): 6,9 Millionen Arbeitslosengeldempfänger / 4,976 Millionen registrierte Arbeitslose

Die vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe veröffentlichten Daten [PDF – 173 KB] geben einen realistischen Einblick in die teils verwirrenden Daten über die statistische und die tatsächliche Arbeitslosigkeit. Paul Schröder macht auch einen Ländervergleich und stellt die Veränderungen bei der Zahl der registrierten Arbeitslosen für den Monat März von 1992 bis 2006 zusammen.

„Die Arbeitslosigkeit sinkt“ lauten die meisten Schlagzeilen – Saisonbereinigt steigt die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vormonat unerwartet um 30.000

Soeben wollte ich mich über die Veröffentlichung der Arbeitslosenstatistik durch die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg informieren. Ich gebe bei Google eine entsprechende „News-Suche“ ein.
Unter den (am 30.03.06 um 16.00 Uhr) 30 angebotenen Schlagzeilen sprechen 19 davon, dass die Arbeitslosenzahl „fällt“ oder „sinkt“ oder es wird positiv dargestellt, dass sie unter 5 Millionen gesunken ist.
Liest man weiter in den Texten, so findet man – wenn überhaupt – meist am Rande vermerkt, dass Nürnberg allerdings auch gemeldet hat, dass sich die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen unerwartet deutlich um 30.000 zum Vormonat erhöht hat. Gleichzeitig meldet das Statistische Bundesamt, dass die Zahl der Erwerbstätigen im Februar gesunken ist und zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 119.000 oder 0,3 Prozent auf 38,24 Millionen abgenommen hat. Die Erwerbstätigenquote verringerte sich um 0,1 Prozent auf 67,3 Prozent. Außerdem seien 12,5 Prozent der Erwerbstätigen „unterbeschäftigt“.
Ich bin zwar dagegen, dass die Stimmung in unserem Land schlecht geredet wird, daran haben sich die meisten Medien in der Vergangenheit ja munter beteiligt. Aber muss nun die große Mehrheit der Medien, nur weil wir eine Große Koalition haben, die Lage schöner reden als sie tatsächlich ist?

Tarifpolitischer Jahresbericht 2005 des WSI: Gemischte Bilanz – Reallohnverluste überwiegen

Die Bilanz des Tarifjahres 2005 fällt gemischt aus: In wenigen Branchen konnten die Gewerkschaften deutliche Reallohnsteigerungen durchsetzen, so zum Beispiel in der Stahlindustrie und in der chemischen Industrie. Im öffentlichen Dienst gelang nach langwierigen Verhandlungen die Vereinbarung über ein vollständig neues Tarifwerk. In vielen anderen Branchen kämpften die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand. Geringe Lohn- und Gehaltssteigerungen zwischen 1 und 2 %, Einschnitte in manteltarifliche Regelungen und Leistungen und die Vereinbarung weiterer tariflicher Öffnungsklauseln und Flexi-Bestimmungen prägten die Abschlüsse in zahlreichen Tarifbereichen.
Die Zahl der Erwerbstätigen ging leicht zurück und die Arbeitslosenzahl stieg jahresdurchschnittlich von 4,4 auf 4,8 Mio. Die Gewinnsituation der Unternehmen verbesserte sich erneut: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen nach knapp 12 % in 2004 im vergangenen Jahr noch einmal um über 6 %.

100 Tage Große Koalition: „Immer nur lächeln, lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie´s da drin aussieht, geht niemand was an.“

Auf diesen Refrain eines Evergreens aus Franz Lehárs Operette „Das Land des Lächelns“ spielt diese Woche die Titelgeschichte des SPIEGELs an. In ganz Deutschland scheint diese seit langem aus der Mode gekommene Operette auf allen Spielplänen zu stehen: Bei Konjunkturforschern, bei Ministern, bei Händlern, bei Konsumenten, bei Managern, bei Börsianern, bei Arbeitsvermittlerinnen, sogar bei Ex-Ministern, Talkmastern oder bei Spaßmachern, so fabuliert der SPIEGEL in gewohnter Oberflächlichkeit. Die Operette gilt als eine leicht bekömmliche Musikgattung, die vor allem der Unterhaltung und der Ablenkung von den Sorgen des Alltags dienen soll. Doch wie´s da drin aussieht, geht eben niemand was an!

Mit Niedriglohn mehr Jobs, glaubt Sinn.

Die “Aktivierende Sozialhilfe” ist der Schlüssel zur Überwindung der Arbeitslosigkeit, weil sie mithilft, “die gesamte Lohnskala aufzufächern (…)”
Exakt. Das genau wollte Sinn immer schon erreichen. “… so daß die Arbeitslosigkeit in allen Segmenten des Arbeitsmarktes verschwindet.”
Das wird natürlich nicht geschehen, und dann wird Sinn noch viele verkrustete Strukturen entdecken, die er dafür verantwortlich machen kann. Wie immer ignoriert Sinn die makroökonomischen Probleme unseres Landes – den Ausfall der Binnennachfrage und damit ein massives Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt zulasten der Arbeitnehmer. Der Beitrag in der „Welt“ ist nur dann zur Lektüre zu empfehlen, wenn Sie mal wieder nachlesen wollen, wie diese Art von Ökonomen denkt.

So wird unseren Studierenden das angebotsorientierte Wirtschaftsdogma eingebläut

Hans-Werner Sinn predigt im „Diskussionsforum 2005“ seines ifo-Institutes seine ökonomische Weltsicht. Sebastian Gechert, ein Leser der NachDenkSeiten, der Volkswirtschaftsstudent ist, stellte uns seinen Disput mit „Deutschlands bestem Ökonomen“ (BILD) zur Verfügung. Ein lesenswertes Beispiel dafür, welcher Un-Sinn unseren Studierenden eingetrichtert wird.

Verteilungsbericht 2005 des DGB: Umverteilung nach oben verschärft Stagnation und Massenarbeitslosigkeit

Die Abteilung Wirtschaftspolitik des DGB hat im Dezember 2005 ihren Verteilungsbericht vorgelegt:
„Deutschlands Wirtschaft befindet sich noch immer in einer seit 2001 vorherrschenden Stagnation. Der private Konsum und die gesamte Binnennachfrage lahmen, die Reallöhne sinken. Die öffentliche Infrastruktur leidet unter mangelnden Ersatz- und Modernisierungsinvestitionen.
Die zunehmende Schieflage der Verteilung zwischen Kapital und Arbeit, ist einerseits eine Auswirkung von Stagnation, Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau und steuerlicher Umverteilung nach oben. Andererseits wirkt die Polarisierung der Einkommen selbst als ein Hemmnis für wirtschaftliches Wachstum. Die leichte konjunkturelle Belebung im Herbst 2005 geht fast ausschließlich auf den nach wie vor wachsenden Export und Exportüberschuss zurück.“
Für den eiligen Leser haben wir die wichtigsten Ergebnisse des Verteilungsberichts knapp zusammengestellt.

IAT: Durch mehr Arbeitsplätze für qualifiziertere Beschäftigte könnte die Verdrängung gering Qualifizierter auf Arbeitsplätzen mit eher niedrigen Anforderungen verringert werden.

Das ist das Fazit einer empirischen Untersuchung des Instituts Arbeit und Technik (IAT). Wer sich einmal jenseits der marktdogmatischen Formeln der Sinns & Co, wonach die Arbeitslosigkeit nur eine Frage der zu hohen (rigiden) Löhne ist, mit der Wirklichkeit – also den empirischen Sachverhalten – beschäftigen will, der sollte sich die umfängliche Studie [PDF – 2.3 MB], die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, im Oktober 2005 vorgelegt wurde, einmal genauer ansehen. Hier nur das kurze Fazit.

Muss es so inhaltslos sein?

Anmerkungen zum Jahreswechsel-Brief der Bundeskanzlerin und einem Bundespräsidenten-Interview mit dem Stern:
Es ist nichts dagegen zu sagen, dass die Bundeskanzlerin zum Jahreswechsel zusätzlich zur Fernsehansprache auch noch einen Brief an uns schreibt, selbst wenn er wie im konkreten Fall uns Steuerzahler 2,95 Millionen Euro kostet. Aber dann erwarten wir auch, dass etwas drin steht, was über den jetzt schon erfolgten Nachdruck in den Zeitungen hinausreicht. Wenigstens irgend einen neuen und weiterführenden Gedanken. Das kann man von Merkels Brief leider nicht behaupten. Siehe unten. – Die neuesten Interview-Interventionen des Bundespräsidenten enthalten zwar ein bisschen was. Aber eher wieder Einseitiges zulasten der Arbeitnehmer und vor allem Unausgegorenes. Beiden Texten gemeinsam sind die Sprüche: Freiheit, gemeinsam sind wir stärker, Mut und Menschlichkeit, Bereitschaft für Veränderungen, usw.

IMK hebt seine Wachstumsprognose für 2006 leicht von 1,4 auf 1,7 Prozent an – dennoch schlechte Aussichten für Beschäftigte und Arbeitslose

Peter Hohlfeld und Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sehen in ihrer jüngsten Prognose für das kommende Jahr eine zaghafte Aufschwungstendenz (wenn man bei 1,7% Wachstum überhaupt schon von „Aufschwung“ sprechen will). Dank einer aufwärtsgerichteten Weltwirtschaft und einer angesichts sinkender Lohnstückkosten sich weiter verbessernden Wettbewerbsfähigkeit, rechnet das IMK mit einer Zunahme der Ausfuhren um 7 ½ %. Entgegen der Absicht der neuen Regierung rege die Fiskalpolitik die Konjunktur nicht an.

Es gibt auch positive Nachrichten aus der Wirtschaft – allerdings aus Schweden, das so einen ganz anderen wirtschaftspolitischen Kurs steuert als Deutschland

Schwedens Kommunen- und Länderverbund (SKL) sagt nach einem Bericht des „Dagens Nyheter“ einen fortgesetzten Zuwachs in Schweden für das nächste Jahr voraus. In einer Prognose rechnet SKL mit einem Anwachsen des BNP um 2,5 % in diesem Jahr, 2006 mit 3,0 %, 2007 mit 2,4 %, 2008 mit 2,1 % und 2009 mit 2,0 %.
Es wird erwartet, dass die Arbeitslosigkeit von 5,8 % in diesem Jahr auf 5,0 % im Jahr 2006 fällt und bis zum Ende der Prognosezeit auf diesem Wert verbleibt.
Die Inflation, als KPI (Kerninflationsrate) gemessen, wird dieses Jahr 0,5 % betragen und steigt der Prognose entsprechend im nächsten Jahr auf 1,5 %. Danach soll sie erwartungsgemäß auf dem Zielniveau der Reichsbank bei 2,0 % liegen.

Quelle 1: DN.EKONOMI
Quelle 2: SKL