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Schulden – Sparen

Die Zerstörung des sozialen Immunsystems – am Beispiel der von der Stadt Gießen geplanten Privatisierung des Wochenmarkts

In der Gießener Stadtverwaltung gibt es offenbar Pläne, den dortigen Wochenmarkt zu privatisieren, für dessen Betrieb bisher die Stadt zuständig ist. Der Markt gehöre, so lässt die Oberbürgermeisterin verlauten, zu den „defizitären Einrichtungen“, die den Haushalt der Stadt belasteten. Mit 26.000 Euro habe der Eigenbetrieb Wochenmarkt im Jahr 2011 zu Buche geschlagen. Die Kosten fallen an für die Auswahl und Zulassung der Beschicker, die Führung der Gebührenkasse, die Marktaufsicht inklusive Reinigung und Instandhaltung des Marktgeländes und Abfallentsorgung. Man befinde sich gegenwärtig in einem „Interessenbekundungsverfahren“ und verhandle mit möglichen neuen Betreibern. Von Götz Eisenberg[*]

Skurriles, makroökonomisch falsches Denken prägt unsere Sprache und damit auch das Denken der Verantwortlichen. Offensichtlich unheilbar.

Im Hinweis Nr. 7 haben wir heute auf ein Interview des Managermagazins mit Joseph Stiglitz (siehe auch Anlage 1) hingewiesen. In diesem Interview gebraucht „mm“ wie auch der interviewte Stiglitz die Worte „Sparkurs“ bzw. „Sparmaßnahmen“. Das ist ein aus der einzelwirtschaftlichen/betriebswirtschaftlichen Betrachtung entnommener Sprachgebrauch. Bei einem einzelnen Wirtschaftssubjekt genügt in der Regel die Sparabsicht, um erfolgreich zu sparen. Volkswirtschaftlich ist das nicht der Fall, wie man heute in Griechenland, in Spanien und übrigens auch bei uns studieren kann. Was dort abgeht ist kein Sparkurs und was den Griechen von der Troika aufgezwungen wird, sind auch keine Sparmaßnahmen. Dennoch hat sich dieser Sprachgebrauch eingebürgert und prägt auch das wirtschafts- und finanzpolitische Handeln. Deshalb weisen wir darauf hin. Vielleicht würde die richtige Politik mit dem richtigen Sprachgebrauch anfangen. Aber vermutlich ist dieses Unterfangen hoffnungslos. Schließlich versuchen wir, ich in meinen Büchern und wir in den NachDenkSeiten, schon spätestens seit 2004 den richtigen Sprachgebrauch zu vermitteln. Albrecht Müller.

Wenn Theorie und Realität einfach nicht zusammenfinden wollen

Europa ächzt unter dem Joch der Austeritätspolitik. Sowohl Spanien als auch Portugal mussten in den letzten Tagen melden, dass sie „trotz größter Sparanstrengungen“ ihr Defizitziel deutlich verfehlt haben. Hier muss die Frage gestattet sein, ob diese Länder ihr Defizitziel nun „trotz“ oder doch wohl eher „wegen“ der „größten Sparanstrengungen“ verfehlt haben. Der vor allem von deutscher Seite propagierte Ansatz, ein Land durch Budgetkürzungen und neoliberale Reformen fit für die Zukunft zu machen und dabei dann auch gleich die Staatsfinanzen zu sanieren, mag in der marktliberalen Theorie funktionieren. In der Praxis funktioniert dieser Ansatz jedoch nicht, was sich mittlerweile eigentlich herumgesprochen haben sollte. Mit jedem Tag, an dem die Politik an ihren ideologischen Scheuklappen festhält, forciert sie die Krise und verhindert deren Beendigung. Von Jens Berger

Trüber Herbst in Griechenland (3/3)

Niels Kadritzke wirft in seiner dreiteiligen Serie einen sehr ausführlichen Blick auf die momentane Lage in Griechenland. Im dritten und letzten Teil beschäftigt er sich mit den erfolglosen Versuchen der Regierung Samars, die Staatseinnahmen zu erhöhen und deren nach wie vor hohes Korruptionspotential. Der erste Teil der Artikelserie erschien am Montag auf den NachDenkSeiten, der zweite Teil am Dienstag.

Trüber Herbst in Griechenland (2/3)

Niels Kadritzke wirft in seiner dreiteiligen Serie einen sehr ausführlichen Blick auf die momentane Lage in Griechenland. Im zweiten Teil beschäftigt er sich mit der innergriechischen Entwicklungen und der zunehmend fehlenden Akzeptanz der Samaras-Regierung. Der erste Teil der Artikelserie erschien gestern auf den NachDenkSeiten, der dritte und letzte Teil wird morgen erscheinen.

Trüber Herbst in Griechenland (1/3)

Niels Kadritzke wirft in seiner dreiteiligen Serie einen sehr ausführlichen Blick auf die momentane Lage in Griechenland. Im ersten Teil beschäftigt er sich mit mit dem neuen Sparprogramm und dessen Auswirkungen auf die politische Diskussion. Die weiteren Teile der Artikelserie werden morgen und übermorgen folgen.

Die griechischen „Versäumnisse“ werden von Berlin maßlos übertrieben

Die Diskussionen über die Möglichkeit – oder Wahrscheinlichkeit – eines „Grexit“ geht weiter – auch nach dem Antrittsbesuch des griechischen Regierungschefs Samaras in Berlin und Paris. Innerhalb der deutschen Regierungskoalition reicht offenbar selbst ein Machtwort der Kanzlerin nicht aus, um geschwätzige Populisten im eigenen Lager zum Schweigen zu bringen („CSU macht Merkel lächerlich“). Zu den deutschen und vor allem bayerischen Stimmen, die den Abschied Griechenlands vom Euro als unvermeidlich und die Folgen für die gesamte Eurozone als „beherrschbar“ ansehen, gesellen sich mittlerweile gewichtige Politiker aus den Niederlanden, Finnland (Außenminister Tuomioja), Österreich (Außenminister und Vizekanzler Spindelegger), Estland und der Slowakei. Und selbst Luxemburgs Regierungschef Juncker, den man in Athen als den verlässlichsten Verbündeten im Euroraum sieht, schließt das Worst-Case-Szenario für Griechenland nicht mehr aus. Auf das bereitet man sich in Berlin, trotz der kreidebeladenen Formulierungen Merkels gegenüber ihrem Athener Gast, auch weiterhin vor. Insofern war es wohl ein kalkuliertes Signal, dass die FTD kurz vor dem Treffen Merkel-Samaras die Existenz einer bislang geheimen Arbeitsgruppe enthüllte, die seit einem Jahr die möglichen Konsequenzen eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone prüft. Ein weiterer Lagebericht von Niels Kadritzke.

„Sparzwang“ in Zeiten des Nullzinses?

Wenn die Bundesrepublik Deutschland neue Schulden aufnimmt, so muss sie dafür nur einen lächerlich geringen Zinssatz zahlen – für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren oder weniger kriegt sie von den Anlegern sogar eine Prämie dafür, dass diese dem Staat Geld leihen dürfen. Dennoch beherrscht das Mantra, nach dem der Staat immer weniger Schulden aufnehmen sollte, die politische Diskussion. Dies ist ein grandioser Denkfehler, der uns noch sehr teuer zu stehen kommen könnte. Von Jens Berger.

Hintergrund: Staatsverschuldung in Deutschland

Seit Monaten wird die deutsche und europäische Politik von der Eurokrise bestimmt. Im Fokus der Krisenberichterstattung steht vor allem die Staatsverschuldung, die vom Mainstream der Beobachter als Ursache für die derzeitige Krise identifiziert wurde. Beschränkte sich die Berichterstattung in Deutschland anfangs der Krise auf die so genannten GIIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien), rückt nun auch die Staatsverschuldung Deutschlands in ihren Blickwinkel. Aus diesem Grund soll im Folgenden das Phänomen der Staatsverschuldung ausführlich untersucht und seine Bedeutung für die derzeitige Eurokrise dargestellt werden. Von Axel Troost.

Zypern – ein weiteres Opfer der Finanzkrise

Die Republik Zypern ist ein sehr anschauliches Beispiel für den Charakter der Eurokrise. Ebenso wie Irland und Spanien hatte Zypern am Vorabend der Finanzkrise kein Staatsschulden- und auch kein Haushaltsproblem. Noch im Jahre 2008 konnte Zypern einen Haushaltsüberschuss von 0,9% erzielen und damit seine Staatsschuldenquote auf 48,9% des BIP senken – weit unter den Maastricht-Kriterien von 60%. Nicht die Staatsschulden, sondern die geographisch und kulturell bedingte Nähe zum Krisenstaat Griechenland und die zu großen Banken wurden dem Land zum Verhängnis. Bislang konnte die zypriotische Volkswirtschaft dank einer antizyklsich Wirtschaftspolitik an der großen Krise vorbeischrammen. Doch nun droht Zypern eine von der Troika EU/EZB/IWF verordnete Austeritätspolitik, die dem Land wahrscheinlich das Genick brechen wird. Von Jens Berger.

Regierungserklärung zum Europäischen Rat – Merkel die Patin

Das also soll sie gewesen sein, die große Debatte zwei Tage vor der Verabschiedung des Fiskalpakts und des ESM, unkündbare völkerrechtliche Verträge, die die Demokratie in Deutschland und ganz Europa auf unabsehbare Zeit zum Handlanger der „Märkte“ machen und eine aktive Wirtschaftspolitik und den Sozialstaat praktisch auf Dauer strangulieren [PDF – 191 KB]. Die gestrige Regierungserklärung der Kanzlerin und die Debatte im Bundestag darüber hätte man sich auch sparen können. Merkel konnte sich wie ein Mafia-Boss als Patin aufspielen. Sieht so die Beteiligung des Parlaments an den Entscheidungen auf europäischer Ebene aus? Von Wolfgang Lieb.

Fiskalpakt durch Schuldentilgungspakt und Wachstumsinitiative ablösen

Bei der Zustimmung zum Fiskalpakt zeichnet sich im Deutschen Bundestag die verfassungsrechtlich erforderliche Mehrheit ab. SPD und DIE GRÜNEN haben ursprünglich ihr Ja an drei Bedingungen geknüpft: eine Wachstums- und Beschäftigungsinitiative vor allem für die Euro-Krisenländer, ein entschiedener Einstieg in die Finanztransakti­onsteuer sowie einen zu schaffenden Fonds zur Tilgung übermäßiger Staatsschulden. Alle drei Forderungen sind für sich genommen richtig und verdienen Unterstützung. Die entscheidende Frage ist jedoch, in welchem Ver­hältnis diese drei Forderungen zu den mit dem Fiskalpakt eingehandelten gesamtwirtschaftlichen Folgen stehen. Von Rudolf Hickel.

Ohne Zugeständnisse wird sich die neue griechische Regierung nicht halten können

Die Schreckensmeldungen über die Lage der griechischen Finanzen, den wirtschaftlichen Niedergangs und über die um sich greifende sozialen Not nehmen seit den Wahlen in Griechenland nicht ab. Dennoch gibt es keine Anzeichen auf Seiten der EU-Kommission, der EZB und des IWF für eine Neubewertung der griechischen Krisen-Rezeptur und ein Kurswechsel ist auch angesichts der Signale aus Berlin kaum zu erwarten. Andererseits spitzt sich die Krise im gesamten Euroraum immer weiter zu (siehe Spanien, siehe Zypern), sodass die Stunde der Wahrheit auch für die Regierung Merkel näher rückt. Die „große Krise“ in ganz Europa überdeckt im Augenblick die „kleine“ griechische Krise und dürfte der Athener Regierung eine kurze Atempause verschaffen. Aber auf mittlere Sicht (und das sind nur Monate) wird sich die dreigeschirrige griechische (Regierungs-)Troika aus Nea Dimokratia, Pasok und Dimar ohne deutliche „Zugeständnisse“ seitens der EU-EZB-IWF-Troika nicht halten können. Von Niels Kadritzke.

Zustimmung der Länder zum Fiskalpakt – Schmierentheater zweiter Akt

Nachdem der Bundesrat schon im Mai seine grundsätzliche Zustimmung zum Fiskalpakt signalisiert hatte [PDF – 117 KB], war es nicht mehr überraschend, dass es bei den Bund-Länder-Verhandlungen im Kanzleramt nicht mehr darum ging, ob eine der weitreichendsten vertraglichen Bindungen für Bund, Länder und Gemeinden sinnvoll oder ob er schädlich ist, sondern nur noch um den Preis, den die Bundesregierung für den von ihr in Europa vorangetriebenen Pakt an die Länder zu bezahlen bereit ist.
Wer bei einer Verhandlung seinem Verhandlungspartner in der Sache schon zugestimmt hat, kann natürlich keine harten Bedingungen mehr stellen, dementsprechend billig ließen sich die Länder durch die Bundesregierung auch abspeisen. Das Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlungen vom Sonntag lässt sich so zusammenfassen: Wir (die Länder) zahlen jetzt in bar (nämlich mit der Zustimmung zum Fiskalpakt), ob und in welchem Umfang (vom Bund) geliefert wird, das wird irgendwann später ausgehandelt und wer dann Verhandlungspartner sein wird, das werden die Bundestagswahlen zeigen. Von Wolfgang Lieb.