Tagebucheintrag zum Ende der Woche
Lichtblicke muss man im politischen Geschehen nach wie vor mit der Lupe suchen. Was mir bei den Koalitionsverhandlungen und darüber hinaus auffiel:
Lichtblicke muss man im politischen Geschehen nach wie vor mit der Lupe suchen. Was mir bei den Koalitionsverhandlungen und darüber hinaus auffiel:
Als Ergänzung zum letzen Eintrag zum Thema (24.10.) die faktenreiche Analyse eines unserer Nutzer:
Vielen Dank (unter anderem) für Ihren Bericht “Barroso ruft zur Reform der Sozialsysteme auf ” mit dem Hinweis auf die entsprechende Mitteilung der U-Kommission unter Ihrem Präsidenten Barroso. Der Beitrag bietet eine gute Gelegenheit, sich einmal klar zu machen, dass sich an der Person Barrosos viele Phänomene aufzeigen lassen, die heutzutage bei vielen Politpersonen und in der praktischen Politik zu erkennen sind.
Mit Sorge beobachten Kenner der Kirchen die dortige Entwicklung. Jetzt erreichte uns eine Mail zu diesem Thema, das wir unseren Nutzern zur Kenntnis geben. Bitte beachten Sie, falls Sie das Thema interessiert, auch den Link auf die Homepage des Prof. Degen und dessen Rede.
Tagebuchnotizen vom 18.10. abends. Wieder neigt sich ein denkwürdiger Tag seinem Ende entgegen.
„Wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken…, dass es in erster Linie um Posten geht“, sagte Michael Glos im ZDF. Wo er Recht hat, hat er Recht. Ich beobachte nun Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildungen seit den siebziger Jahren. Dass vor dem ersten Gespräch über die Ziele und Vorhaben einer neuen Regierung nicht nur die Ressorts zwischen den Koalitionspartnern aufgeteilt wurden sondern auch noch die Minister vorgestellt werden, das hat es nach meiner Erinnerung noch nie gegeben. Andererseits, wenn man schon keine neuen Ziele hat, dann bleiben eben nur die Namen, die für die Inhalte einer künftigen Politik stehen.
Ich gebe zu, ich war so naiv zu hoffen, in einer großen Koalition wären die beiden großen Parteien von ihrer gegenseitigen Polemik gegen eine aktive Konjunktur- und Beschäftigungspolitik befreit; klammheimlich hatte ich gehofft, sie würden im Interesse der Arbeitslosen und der um ihren Job Bangenden und zum Wohle des überwiegenden Teils der auf den Binnenmarkt orientierten Wirtschaft den Knoten durchhauen und (schon vor Klärung der Personalfragen) wenigstens einen neuen Akzent setzen: Wir als Staat investieren, wir ermuntern alle andern das gleiche zu tun, die Grundstrukturen unserer Gesellschaft stimmen, jetzt geht es los mit der Ankurbelung der Wirtschaft. Nichts davon. Die bislang völlig erfolglosen Agenda-Reformer haben weiter das Sagen.
Bundeskanzler Schröder hat mit seinem Kurswechsel hin zum Niedrigsteuerland für Unternehmen und Kapitaleinkommen, zur Ausblutung der Staatseinnahmen bis an die Grenze der staatlichen Handlungsfähigkeit, mit seinem Einstieg in die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, mit dem „Fordern“ der Arbeitslosen oder dem Druck auf Niedriglöhne einer konservativen Politik das Bett gemacht. Nach nur zwei Tagen anbandeln haben sich nun SPD und CDU ins gemachte Bett gelegt. Es war zwar schon immer nur eine schöne Redensart, dass Sachfragen vor der Aufteilung von Ressorts und vor der Verteilung von Posten stehen, dass es aber so offenkundig zunächst nur um die Verteilung der Felle geht, das hat man in der Geschichte der Regierungsbildungen in Deutschland noch selten erlebt.
Gestern stand in verschiedenen Medien, der rechte Seeheimer Kreis und die Parlamentarische Linke in der SPD Fraktion hätten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der die SPD-Verhandlungsführer aufgefordert werden, für einen Kanzler Schröder „hart zu bleiben.“ Die Parlamentarische Linke lässt sich an der Nase herumführen. Schröder hat die SPD programmatisch ausgehöhlt und sie neoliberal auf dem Kopf gestellt, er hat die Mehrheit für Rot-Grün verspielt und er hat viele fähige Köpfe mit einem kritischen Potential „weggebissen“. Die Linke in der SPD nimmt das hin und nimmt offenbar nicht einmal wahr, dass von den linken Tönen des Wahlkampfes in den Koalitionsverhandlungen – soweit erkennbar – weder personell noch sachlich etwas übrig geblieben ist. Angesichts des gängigen und erfolgreichen Brainwashing ist es angebracht, an den Gesamtvorgang zu erinnern.
Von Arne Heise, Standpunkte zur Staatswissenschaft Nr. 19.
Mindestens 2600 Künstler, Intellektuelle, Gewerkschafter etc. haben einen Wahlaufruf zu Gunsten der SPD und Gerhard Schröders unterzeichnet. Ihre öffentliche Intervention bei den Koalitionsverhandlungen wäre jetzt dringend geboten, weil sich abzeichnet, dass zentrale Aussagen des Aufrufs mit Füßen getreten werden. Unter den Unterzeichnern sind eine Reihe meiner Freunde und Weggefährten – Klaus Staeck, Johano Strasser, Egon Bahr, Peter Brandt, Herbert Ehrenberg, Werner Schaub, Friedrich Schorlemmer und viele mehr. An sie wende ich mich mit einer Mail/einem Brief. Da dieser Text von Interesse für NachDenkSeiten-Leser sein dürfte, füge ich ihn zusammen mit dem Aufruf vor der Wahl an.
Aus meiner Sicht wäre eine große Koalition dann sinnvoll, wenn sie sich darauf verständigen würde, die Binnenkonjunktur unseres Landes anzukurbeln und dafür undogmatisch alle Instrumente der Wirtschaftspolitik zu optimieren und einzusetzen. Die damit zu erreichende Verringerung der Arbeitslosigkeit und Verbesserung der Einkommenssituation der Arbeitnehmer und der auf den Binnenmarkt angewiesenen Unternehmer wäre die Basis zur Konsolidierung der Staatshaushalte und der sozialen Sicherungssysteme.
In der öffentlichen Debatte wird diese Priorität, endlich die Konjunkturschwäche unseres Landes zu überwinden, meist nicht gesehen. So soll aus der Sicht des amtierenden Bundeskanzlers die große Koalition vor allem die Agenda-Reformpolitik absichern und weiterführen.
Heute haben sich zu diesem Thema zwei Autoren zu Wort gemeldet, die ich gleichermaßen sympathisch finde: Richard Meng in der Frankfurter Rundschau mit “Wege einer großen Koalition” und Heiner Flassbeck in der taz mit “Auf dem falschen Trip. – In Deutschland gibt es derzeit fast alle Zutaten, die man für hohes Wachstum braucht – nur eine einzige extrem gewichtige fehlt: eine kräftig steigende Binnennachfrage”. Es lohnt sich, beide Texte parallel zu lesen. Ich gestehe, dass ich die Linie von Richard Meng und damit auch eines wichtigen Teils der Frankfurter Rundschau nicht mehr verstehe.
Mit Schwarz-Gelb hat es leider nicht gereicht, aber mit der großen Koalition mit einer „Agenda Plus“ ist ein Teilerfolg erzielt. Jetzt muss es mit Deutschland wieder aufwärts gehen, ruft die Belle Étage in Deutschland in den Souterrain. Achten Sie mal drauf, ab heute kommt nach der Tagesschau nicht die Wetterkarte sondern auf allen Kanälen der Start einer Werbekampagne „Du bist Deutschland“, die sich durch alle Tages- und Publikumszeitungen, alle Online-Medien und über alle Plakatwände ziehen wird. „Du bist Deutschland“! Wer hätte das gedacht?
Ein Leser der NachDenkSeiten schreibt sich seinen Ärger über die Lektüre von BILD vom 22.09.05 von der Seele.
Rot ist das Cover beim SPIEGEL ja immer noch, doch die Farbe hat nichts mehr mit der politischen Gesinnung zu tun, sondern allenfalls noch etwas mit der Zornesröte der Redaktionsoberen. Da hat doch der SPIEGEL, allen voran der Leiter der Berliner Redaktion, Gabor Steingart, und mangels eigener Positionen der wieselflinke Chefredakteur Stefan Aust, mit dem Spitznamen die „linke Bügelfalte“, alles getan und geschrieben, dass der nach deren Meinung historische Irrtum des deutschen Sozialstaates, der mit Bismarck begonnen und von Adenauer fortgesetzt wurde, endlich wieder revidiert wird und wir zwingend von der sozialen Marktwirtschaft in die Marktgesellschaft wechseln müssten. Aber der blöde Wähler bockte. Die Mehrheit der Deutschen hält am Sozialstaat fest.
Einer unserer Leser, Peter Hammels, macht uns auf die selektive Wahrnehmung der Reaktionen Großbritannien auf die Wahl in Deutschland, hier bei SpiegelOnline, aufmerksam. Ein Beispiel für die tägliche Manipulation. Das große Bild der Manipulation setzt sich aus solchen kleinen Mosaiksteinchen zusammen. Zu Ihrer Information übernehmen wir Hammels Leserbrief an SpiegelOnline.