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SPD

„Für eine Partei der Zupacker“.

So überschrieb die „Welt am Sonntag“ einen Namensartikel des SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck.
Unsere Leserin Brigitta Huhnke hat diesen Beitrag einmal einer Sprachanalyse unterzogen und kommt dabei auf Erkenntnisse, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

Die neue Programmatik der SPD zielt auf die „linke Mitte“ – allerdings nur noch der oberen zwei Drittel der Gesellschaft. Für das untere Drittel bleibt allenfalls die Notfallhilfe.

Weil man nicht auf die nahe liegende Idee kommen darf, dass es an der praktischen Politik der SPD liegt, dass diese Partei von immer weniger Menschen als Hüterin der „sozialen Gerechtigkeit“ wahrgenommen wird, macht ihr Vorsitzender Platzeck nun umgekehrt den Versuch diesen sozialdemokratischen Kernbegriff der praktizierten Politik der SPD anzupassen. Nach dem Motto: Wenn wir schon unsere früheren programmatischen Vorstellungen von „sozialer Gerechtigkeit“ nicht mehr in praktische Politik umsetzen wollen, müssen wir wenigstens diesen Grundwert so umdeuten, dass er wieder mit unserem politischen Handeln einigermaßen zusammenpasst. Kurz: Man hat den Topf schon längst gewechselt und sucht nun den passenden Deckel.

Die SPD begreift immer noch nicht, dass sie gelinkt worden ist.

Heute wird gemeldet, SPD-Chef Platzeck halte Unterstellungen, es gebe einen Zusammenhang zwischen Schröders Neuwahlbegehren und seinem Abgang einerseits und seinem neuen Engagement bei Gasprom andererseits, für „schlicht und ergreifend nicht für hinnehmbar“. Als Begründung führt Platzeck an, erstens sei das Pipeline-Projekt lange vor dem 22. Mai, dem Tag der Ankündigung von Neuwahlen, in Gang gesetzt worden, und zweitens habe Schröder wie ein Löwe für seinen Verbleib im Amt gekämpft, auch über den Wahltag hinaus. – Die Logik dieser Argumente erschließt sich wohl einzig und allein Matthias Platzeck.

Die Gnade des Neuanfangs: Sozialdemokratische Töne und „weiche Themen“ vor dem Hintergrund der harten politischen Realität einer Großen Koalition

Für einen „sozialisierten Ostdeutschen“, wie Matthias Platzeck sich in seiner Bewerbungsrede zum SPD-Vorsitzenden selbst charakterisierte, sind 99,4% Zustimmung bei einer Wahl überraschend und fast ein wenig peinlich. Aber nach der Art seiner Rede war das Abstimmungsergebnis nicht erstaunlich. Es war eine Rede, die die Stimmung dieses Parteitages nicht besser hätte aufnehmen können und die die Delegierten nicht hätte besser ansprechen können. Die Rede bot eigentlich keinen Grund, Matthias Platzeck nicht zu wählen. Doch wie verträgt sich diese Rede mit dem Koalitionsvertrag?

Ich würde die SPD und sogar die große Koalition über den grünen Klee loben, wenn es Gründe dafür gäbe.

Unter unseren Lesern sind respektable und geschätzte Freunde, die manchmal finden, wir gingen zu kritisch mit der SPD um. Dem Wunsch, dies anders zu handhaben, würde ich von Herzen gerne nachkommen. Aber: was man von den Verhandlungen in Berlin hört und was öffentlich erklärt wird, verhindert die Erfüllung dieses Wunsches jeden Tag neu. An fünf gravierenden Beispielen der vergangenen vier Tage sei das belegt.

SPD-Spitze taumelt orientierungslos in eine Große Koalition

Während die SPD-Spitze vor allem im Wahlkampf noch öfters mal links geblinkt hat, tatsächlich dann aber immer wieder nach rechts abgebogen ist oder bedingungslos dem Schröderschen Regierungskurs gefolgt ist, hat die neue SPD-Spitze den Blinker gleich ganz abgeschafft und taumelt orientierungslos in eine Große Koalition. Sie wirft den linken Flügel ab und nimmt so den Absturz in Kauf.

Müntefering hat den Bogen überspannt. Der SPD-Chef machte eine nachrangige Personalie zur Prestigefrage und musste daran scheitern, wenn die SPD, nach all dem was sie sich durch ihre Führung hat bieten lassen, noch ein bisschen Selbstachtung wahren wollte.

Die SPD und ihre Führung haben Olaf Scholz und Klaus Uwe Benneter als Generalsekretäre überstanden, warum also nicht auch Andrea Nahles. So wichtig ist der Posten wohl nicht. Warum hängt der SPD-Vorsitzende sein politisches Schicksal an einen solchen Personalvorschlag? Warum macht die Mehrheit des Parteivorstandes gerade diesen Personalvorschlag für den Bundesparteitag der SPD zu einer Kraftprobe?

Posten statt Politik. Noch vor dem ersten Koalitionsgespräch, verteilt die SPD die Ministerposten.

„Wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken…, dass es in erster Linie um Posten geht“, sagte Michael Glos im ZDF. Wo er Recht hat, hat er Recht. Ich beobachte nun Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildungen seit den siebziger Jahren. Dass vor dem ersten Gespräch über die Ziele und Vorhaben einer neuen Regierung nicht nur die Ressorts zwischen den Koalitionspartnern aufgeteilt wurden sondern auch noch die Minister vorgestellt werden, das hat es nach meiner Erinnerung noch nie gegeben. Andererseits, wenn man schon keine neuen Ziele hat, dann bleiben eben nur die Namen, die für die Inhalte einer künftigen Politik stehen.

Linker Wahlkampf – rechte Politik. Und die Linken in der SPD merken es nicht.

Gestern stand in verschiedenen Medien, der rechte Seeheimer Kreis und die Parlamentarische Linke in der SPD Fraktion hätten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der die SPD-Verhandlungsführer aufgefordert werden, für einen Kanzler Schröder „hart zu bleiben.“ Die Parlamentarische Linke lässt sich an der Nase herumführen. Schröder hat die SPD programmatisch ausgehöhlt und sie neoliberal auf dem Kopf gestellt, er hat die Mehrheit für Rot-Grün verspielt und er hat viele fähige Köpfe mit einem kritischen Potential „weggebissen“. Die Linke in der SPD nimmt das hin und nimmt offenbar nicht einmal wahr, dass von den linken Tönen des Wahlkampfes in den Koalitionsverhandlungen – soweit erkennbar – weder personell noch sachlich etwas übrig geblieben ist. Angesichts des gängigen und erfolgreichen Brainwashing ist es angebracht, an den Gesamtvorgang zu erinnern.

Appell an die Unterzeichner des Wahlaufruf für die SPD – Wo bleibt Eure Intervention bei den Koalitionsverhandlungen?

Mindestens 2600 Künstler, Intellektuelle, Gewerkschafter etc. haben einen Wahlaufruf zu Gunsten der SPD und Gerhard Schröders unterzeichnet. Ihre öffentliche Intervention bei den Koalitionsverhandlungen wäre jetzt dringend geboten, weil sich abzeichnet, dass zentrale Aussagen des Aufrufs mit Füßen getreten werden. Unter den Unterzeichnern sind eine Reihe meiner Freunde und Weggefährten – Klaus Staeck, Johano Strasser, Egon Bahr, Peter Brandt, Herbert Ehrenberg, Werner Schaub, Friedrich Schorlemmer und viele mehr. An sie wende ich mich mit einer Mail/einem Brief. Da dieser Text von Interesse für NachDenkSeiten-Leser sein dürfte, füge ich ihn zusammen mit dem Aufruf vor der Wahl an.

Schröder pokert weiter. Trotz einer Wahlniederlage erklärt er sich zum Kanzler. Mit einer großen Koalition wird eine Mehrheit links vom bürgerlichen Lager umgedreht.

Gerhard Schröder ist eine Spielernatur. Seit der Bundestagswahl 2002, die Schröder durch Irak-Krieg und Oderflut entgegen aller Trends mit etwa 6000 Stimmen gerade noch einmal gewonnen hat, hat die SPD bei allen 11 Landtagswahlen teilweise dramatisch verloren. Schröder und Müntefering haben alle diese Niederlagen schön geredet, ja – gemessen an den vorausgehenden Umfragewerten – sogar dem staunenden Wahlvolk als Siege verkauft. So auch am Wahlabend der vorgezogenen Bundestagswahl.

Die gekaufte Republik. Der Union fließen seit 2002 mit 6,5 Millionen Euro doppelt so viele Zuwendungen zu wie allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien zusammen.

Die Bosse kehren dem Genossen der Bosse den Rücken. Es ist schon immer so gewesen, die SPD kann sich noch so sehr an die Wirtschaft ranschmeißen, im Zweifel wählen die Wirtschaftsvertreter das Original und werfen die Kopie in den Papierkorb:

BDI-Chef wünscht sich Regierungswechsel (Quelle: FR)

Wer sich dafür interessiert, von wem und wie viel Geld an welche Partei fließt: In Wikipedia wurden die Parteispenden der Großspender auf der Basis der Angaben des Deutschen Bundestages einmal aufgelistet. Glauben Sie wirklich, dass das viele Geld ohne Gegenleistung bezahlt würde?

SPD-Politiker rücken die Linkspartei in die Nähe der NSDAP: Implodiert die SPD in ihrer Panik geistig und moralisch?

Am 23.8. erschien als Dokumentation der Frankfurter Rundschau ein Beitrag des stellvertretenden Landesvorsitzenden der NRW-SPD, Dr. Karsten Rudolph, und eines Historikers aus Dortmund mit dem Titel „Jenseits der großen Dogmen – Die Politik der linken Mitte zwischen Neoliberalismus und Anti-Kapitalismus“: Zur “Quelle”
Man muss den Beitrag zumindest überfliegen, um zu begreifen, wie intellektuell flach und unfähig zur demokratischen Auseinandersetzung das Nachwuchspersonal der SPD inzwischen ist. Geradezu panisch ist der Versuch, die Linkspartei in die Nähe der NSDAP zu rücken. (AM/WL)