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Ideologiekritik

CETA und TTIP als Gefahr für das europäische Sozialmodell

Seit das „Multilaterale Abkommen über Investitionen“ (MAI) kurz vor der Jahrtausendwende durch Aufklärungskampagnen globalisierungskritischer Organisationen und Massenproteste in mehreren Ländern zu Fall gebracht wurde, hat es immer wieder Anläufe zu einem die größten Wirtschaftsblöcke der Erde übergreifenden Vertrag gegeben, mit dem die transnationalen Konzerne das kapitalistische Weltsystem perpetuieren, ihre gesellschaftliche Vormachtstellung zementieren und unbotmäßige Regierungen disziplinieren wollen. Gewerkschaftliche, soziale, ökologische und verbraucherschutzpolitische Initiativen sollen ins Leere laufen, Kapitalverwertungsinteressen rechtlich absolut privilegiert sein. Letztlich geht es um die Errichtung eines globalen Herrschaftsregimes, das unternehmerischen Investitionsentscheidungen jedweder Art dauerhaft freie Bahn schafft und mögliche Einsprüche dagegen mittels juristischer Sperren blockiert. Unter dem Einfluss neoliberaler Kräfte und mächtiger Wirtschaftskreise, die auf der Grundlage eines „Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens“ (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) mit Kanada geheime Verhandlungen der EU mit den USA über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) bzw. ein „Transatlantisches Freihandelsabkommen“ (Trans-Atlantic Free Trade Agreement, Tafta) vorantreiben, ist das europäische Sozialmodell etwa seit der Jahrtausendwende tiefgreifend verändert worden. Dem modernen „Turbokapitalismus“ (Edward Luttwak) inhärente Tendenzen zur sozialen Polarisierung, zur Prekarisierung und zur Pauperisierung treten dadurch stärker denn je zutage. Von Christoph Butterwegge

NRW-Rektoren setzen auf bedingungslose Kapitulation der Landespolitik

Wenn nun die Landesregierung NRW gehofft hatte, durch einen Kotau vor den Hochschulleitungen den Hochschulfrieden wieder herstellen zu können, so muss sie sich spätestens durch das Interview der Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz und Rektorin der TU Dortmund, Ursula Gather mit der Welt am Sonntag vom 23. März 2014 vom Gegenteil belehren lassen. Die Rektorinnen und Rektoren setzen offenbar auf die bedingungslose Kapitulation der Landespolitik gegenüber den Hochschulen. Von Wolfgang Lieb.

Die Illusion vom Bildungsaufstieg

Von Jens Wernicke

Dass das deutsche Bildungssystem hochgradig sozial selektiv ist, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Dass die meisten aktuellen Reformbemühungen jedoch faktisch auf eine umfassende „Modernisierung von Auslesemechanismen“ hinauslaufen, wie Torsten Bultmann und Oliver Schwedes dies bereits vor einigen Jahren in ihrem Aufsatz „Die Zukunft des Bildungssystems: Lernen auf Abruf – eigenverantwortlich und lebenslänglich!“ konstatierten, gerät bei weitergehender Analyse aktueller Bildungsreformen zu schnell aus dem Blick.

Die Instrumente des neoliberalen EU-Orchesters

Das geplante Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) ist nur die Fortsetzung einer schon jahrzehntelang betriebenen, massiven Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungspolitik innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union sowie darüber hinaus. Inzwischen gibt es eine Vielzahl kaum noch überschaubarer innereuropäische, aber auch bilaterale oder regionale Verträge oder interkontinentale Verhandlungsansätze, die die Weichen für eine solche Politik längst gestellt haben – zumal innerhalb Europas. Wenn ein Abkommen scheiterte, gab es kurze Zeit später unter anderem Namen einen neuen Anlauf. Der Widerstand dagegen glich dem Kampf gegen eine Hydra, jenem schlangenähnlichen Unwesen, dem immer wieder neue Köpfe nachwachsen. Mit dem transatlantischen Abkommen TTIP soll diese neoliberale Politik nun auch jenseits der Europäischen Union abgesichert werden. Da die Bestrebungen der WTO, den grenzenlosen Freihandel weltweit einzuführen, nur teilweise erfolgreich waren, zielt das TTIP nun als weiterer Schritt auf eine weitgehende transatlantische Marktöffnung außerhalb der Europäischen Union, bilateral mit den USA. Dieses Abkommen ist jedoch – wie viele andere – gleichfalls nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer weltweiten grenzenlosen Bewegungsfreiheit für Investoren und zu Handelsfreiheit für internationale Konzerne, ohne steuernde Einflussmöglichkeiten demokratischer Gesetzgebung. Dank ihres gerade schon filzartigen Netzwerks an Lobbygremien innerhalb Europas und weltweit, sind Gewinner dieser Entwicklung die großen Konzerne. Verlierer sind die nur national oder regional orientierte Wirtschaft, die nationalen Parlamente und vor allem die Bürger, deren demokratische Rechte noch stärker durch internationale Vorgaben verbarrikadiert werden. Christine Wicht versucht das Dickicht der übernationalen Verträge ein wenig zu lüften, um einen Blick auf die Instrumente und die Partitur des neoliberalen EU-Orchesters freizumachen.

Warum wir Arbeitsrechte im Kontext des EU-US-Freihandelsabkommens anders diskutieren sollten

Pro- und Contra-Stimmen zum EU-US-Freihandelsabkommen (TTIP) haben häufig eine Gemeinsamkeit, wenn es um die Frage der Arbeitsrechte geht: Beide stellen die von den USA nicht unterzeichneten ILO-Kernarbeitsnormen in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Die einen sehen TTIP als Chance, die USA zur Unterschrift unter weitere Kernarbeitsnormen zu bewegen. Die anderen lehnen TTIP ab, gerade weil sie die Arbeitsstandards in den USA für viel zu niedrig halten, erkennbar an der Nichtunterzeichnung von sechs der acht Kernarbeitsnormen. Überzeugend sind beide Argumentationen nicht. Ein Gastartikel von Patrick Schreiner[*].

TTIP: Internationale Megakonzerne verhindern die soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung

Die geplante „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ zwischen den USA und der EU ist heftig umstritten. Das Kürzel TTIP (Transatlantic Trade- and Investmentpartnership) taucht bereits auf den Plakaten nicht nur der Globalisierungskritiker auf. Zwei Positionen stehen sich ziemlich unversöhnlich gegenüber. Die Befürworter eines entgrenzten Freihandels betonen die Wohlfahrtsgewinne für alle durch sinkende Preise, mehr an Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze. Die Kritiker dieser Globalisierung mit abgeschmolzenen arbeits- und verbraucherbezogenen, sozialen sowie ökologischen Mindeststandards befürchten den Machtgewinn internationaler Konzerne gegenüber dem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern und Beschäftigten. Die modellhaft skizzierbaren Vorteile einer grenzüberschreitenden Liberalisierung der Märkte durch den Abbau protektionistischer Hürden und damit sinkender Preise werden durchaus gesehen. In der Realität der international monopolistischen Konkurenz dominieren jedoch die einzelwirtschaftlichen Gewinninteressen zu Lasten breiter Wohlstandsgewinne. Von Rudolf Hickel[*], mit einer Anmerkung von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Auf dem richtigen Weg? PISA 2012 und die Migranten

Migrantenkinder machen zwar einen rasch anwachsenden Anteil der Schülerschaft aus (in Köln schon insgesamt 50%), es gibt aber nur wenige Überlegungen, was das heißen könnte für schulisches Lehren und Lernen. In der Grundschuldidaktik wird vielfach übersehen, dass ein wachsender Anteil an Schülern nicht mehr Deutsch als Muttersprache spricht. PISA macht bei aller berechtigten Kritik immerhin auf die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus soziökonomisch benachteiligten Familien aufmerksam. Aber die richtigen Konsequenzen werden nicht gezogen, vielleicht auch deshalb, weil Pädagogen zwar Aufgaben für das sprachliche Lernen formulieren, während die eigentlich zuständige Didaktik für das sprachliche Lernen aber höflich schweigt.
Eine fortschrittliche Schulpolitik muss sich Gedanken über diese Situation machen. Additive Maßnahmen bei Weiterbestehen der Regelsysteme helfen nicht mehr, wenn es um eine langfristige Trendwende gehen soll. Ein Kommentar zu PISA 2012 und daraus abzuleitende Schlussfolgerungen für Migrantenkinder von Thomas Jaitner [*]

Das Freihandelsabkommen TTIP – eine Neuauflage des „vergoldeten Zeitalters“

1873 schrieben Mark Twain und Dudley Warner die gesellschaftskritische Satire „Das vergoldete Zeitalter – Eine Geschichte von heute“. Über 140 Jahre später ist die Geschichte so aktuell wie damals im sog. „Gilded Age“. Der amerikanische Soziologe Charles Derber stellt in seinem Buch „One World“ Verbindungslinien zwischen dem Kolonialismus und der Globalisierung her und er sieht das “Gilded Age“ als das Fenster zur Seele der Globalisierung. Für Gerber ist mit der Globalisierung die Leiche des „Vergoldeten Zeitalters“ wieder ausgegraben worden, einer Wirtschaftsepoche während der auf der einen Seite sich der Reichtum einiger „Räuberbarone“ auf unglaubliche Weise vermehrt und sich auf der anderen Seite Massenarmut und Korruption verbreitet hat. Mit dem Freihandelsabkommen TTIP könnte sich die Geschichte des „vergoldeten Zeitalters“ wiederholen und tatsächlich eine „Geschichte von heute“ werden. Von Christine Wicht.

Eine Million Jobverluste in Deutschland? Zur Diskussion über die Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen

Die Entscheidung von Union und SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Stunde einzuführen, rief die erwarteten Reaktionen hervor.[1] Bereits im Vorfeld hatte „Star-Ökonom“ („Focus“) Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, vor den verheerenden Folgen gewarnt: „Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro würde nach unseren Schätzungen gut eine Million Arbeitsplätze vernichten“ (zit. nach Focus-Online – Ifo-Chef Sinn warnt vor Mindestlohn: „Vernichtet eine Million Arbeitsplätze“). Unterstützung erhielt er von einem zweiten „Star-Ökonomen“ („Focus-Money“), nämlich Thomas Straubhaar, dem Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Dieser beklagte nicht nur „die Beschäftigung zerstörenden Wirkungen von Mindestlöhnen“, sondern auch die fehlende Einsicht in die negativen Folgen auf Seiten der Politiker und ihrer Wähler: „[…] offensichtlich sind weder die politischen Entscheidungsträger noch deren Wähler(innen) willens, sich die klugen ökonomischen Argumente zu Eigen zu machen“ (Straubhaar 2013).[2] Ein Gastartikel von Günther Grunert.

Nach rechter Stimmungsmache: Schule verlegt „Multikulturelle Feier zum Fest der Werte“

Mit einer „Multikulturellen Feier zum Fest der Werte“ wollte das Gottlieb-Daimler-Gymnasium das Kalenderjahr ausklingen lassen. In der Schule sind 23 Nationalitäten vertreten. Stattfinden sollte die Feier in der katholischen Lieb-Frauen-Kirche. Als der Termin bekannt wurde, brach auf rechtsextremen und islamkritischen Internetseiten ein wahrer shitstorm über die Schule her. Der Schulleitung war das Risiko zu groß. Eine Feier unter Polizeischutz wollte man wohl nicht. Die Feier findet jetzt in kleinerem Rahmen und innerhalb der Schule statt. Ein Beitrag von Hermann Zoller.

Kunst- und Meinungsfreiheit – Zweierlei Maß

Erfolgreich hat FIFA-Präsident Sepp Blatter die Veröffentlichung einer Karikatur von ihm verhindert. Ein Züricher Bezirksgericht hat zugunsten Blatters entschieden. Demnach darf der Karikaturist – ausgerechnet ein Däne – seine Zeichnungen, die angeblich Blatters „Ehre“ verletzen sollen, nicht veröffentlichen. Laut dem verantwortlichen Richter darf der Zeichner sich in diesem Fall nicht auf die Künstlerfreiheit berufen, da er den FIFA-Präsidenten unter anderem auf „privater Ebene“ angreift, ihn mit „rassistischem Gedankengut“ in Verbindung bringt und durch sein Werk den Ruf des Weltfußballverbandes FIFA „empfindlich“ herabsetzt. Ein Gastartikel von Emran Feroz

Nachtrag zur Steinmeier-Rede vor dem Arbeitgeberverband BDA: hier für NDS-Leser die wichtigen Redeteile in schriftlicher Form

Am 27.11. hatten die NachDenkSeiten auf ein Video mit der Rede Steinmeiers hingewiesen. Damit Sie und die angesprochenen Gewerkschafter und Sozialdemokraten im Vorfeld der Abstimmung über den Koalitionsvertrag besser mit diesem empörenden Text arbeiten können, ist er jetzt in Schriftform gebracht. Siehe unten. – So wie Steinmeier kann man nur reden, wenn man fremdbestimmt ist. Wenn man auch nur noch ein bisschen sozialdemokratische Würde empfindet, dann geht das nicht. „Fremdbestimmt“ kann erstens meinen, dass die Gruppe Steinmeier, Müntefering, Steinbrück und einige mehr so sehr von der Weisheit neoliberalen Denkens überzeugt sind oder überzeugt worden sind, dass sie jede Sensibilität für das Empfinden von Menschen, die die Opfer dieser Ideologie sind, verloren haben. „Fremdbestimmt“ kann aber zweitens auch heißen, dass die Personalentscheidungen deutscher Parteien und deren inhaltliche Positionen von außerhalb mitbestimmt werden. Albrecht Müller.

Wer steuert die Hochschulen in Zeiten von Postdemokratie?

Der Begriff „Postdemokratie“ wurde vor allem durch den britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch in die Debatte eingeführt. Crouch beschreibt damit zwar die formale Fortexistenz demokratischer Institutionen, hinter deren Fassade aber eine weitreichende Selbstaufgabe der Politik stattgefunden hat.
In einer Gesellschaft gibt es aber kein Vakuum der Macht. In dem Maße, in dem die Politik ihre Macht selbst abgegeben hat, hat es eine Verlagerung der Macht- und Entscheidungszentren auf andere Machtinhaber gegeben.
Eine solche Verlagerung der Macht bei formaler Fortexistenz demokratischer Institutionen hat es gerade auch an den nach wie vor weitgehend öffentlich finanzierten Hochschulen im Verlauf der letzten 10 Jahre gegeben.
Vorbereiteter Beitrag von Wolfgang Lieb in der Podiumsdiskussion an der Goethe Universität Frankfurt am Main [PDF – 180 KB] (ich habe allerdings frei gesprochen)

Wolfgang Lieb nimmt heute an einer Podiumsdiskussion an der Goethe Universität in Frankfurt a.M. teil

„Wer steuert die Hochschulen in Zeiten von Postdemokratie?“, so lautet die Einladung zu einer Podiumsdiskussion an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Veranstalter ist die Demokratische Liste im Senat (DL). Auf dem Podium diskutieren Prof. Dr. Tanja Brühl (Vizepräsidentin der Goethe-Universität), Gerd Köhler (Mitglied des Hochschulrates der Goethe-Universität) Wolfgang Lieb (Mitherausgeber von www.NachDenkSeiten.de)
Moderation: Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink (Demokratische Liste im Senat).
Montag, 18.11.13, 18.00 c.t., Campus Westend, Casino 1.811 [PDF – 180 KB]

Rezension: Ulrike Herrmann, „Der Sieg des Kapitals“

Das Buch ist, anders als sein Titel vermuten lässt, keine Kapitalismuskritik, sondern es will erklären, was Kapitalismus eigentlich ist, wie er entstanden ist und wie er funktioniert. Anders als im angelsächsischen Sprachraum wird der Begriff „Kapitalismus“ bei uns nicht gerne in den Mund genommen, man spricht lieber von „Marktwirtschaft“, das klinge „kuscheliger“. Ulrike Herrmann begründet, warum „Marktwirtschaft“ zur Beschreibung modernen Wirtschaftens unzureichend ist: Märkte gab es schon immer in der Menschheitsgeschichte, schon im Zweistromland, im römischen Reich, im kaiserlichen China, im mittelalterlichen Europa und seit Menschengedenken wurde schwunghafter Handel betrieben. Auch eine Geldwirtschaft existierte schon in der Antike, es gab Banken, schon die Bibel und der Koran beschäftigten sich mit Zinsen, es gab schon vor Jahrhunderten bargeldlosen Zahlungsverkehr und erstaunlich raffinierte „Finanzprodukte“. Und vor allem, es gab auch schon immer Wettbewerb zwischen den Völkern und Kontinenten. Man kannte die Dampfkraft schon bei den Römern und Gewinnstreben sowie Reichtum gab es zu allen Zeiten sowieso. Aber es gab keinen Kapitalismus. Was also ist Kapitalismus? Von Wolfgang Lieb.