Kategorie:
Wirtschaftspolitik und Konjunktur

Bekommen wir die Verschuldung überhaupt noch in den Griff?

Viele Menschen sind angesichts der wachsenden Staatsverschuldung in Sorge und fragen, ob es überhaupt noch einmal möglich sein wird, diese Schulden abzubauen. Diese Sorgen sollte man ernst nehmen, auch dann, wenn das Thema erkennbar benutzt wird, um politische Entscheidungen gegen die Interessen der Mehrheit zu begründen – etwa um eine Mehrwertsteuererhöhung auf 25 % durchzudrücken oder den Abbau sozialer Leistungen fortzusetzen. Ich will versuchen, einige eher zuversichtliche Antworten zum gesamten Fragenkomplex zu geben. Albrecht Müller

Wo bleibt eigentlich Mr. Insolvenz zu Guttenberg? (Finanzkrise XVII)

Der Bundeswirtschaftsminister ist dafür gelobt worden, dass er für eine faire und gerechte Lösung eintrat, als es darum ging, eine staatliche Rettung von Arcandor abzulehnen – für die Insolvenz, wenn in einem Unternehmen Management-Fehler gemacht worden sind und wenn obendrein Überkapazitäten in der entsprechenden Branche festzustellen sind. Jetzt ist wieder an zwei Beispielen deutlich geworden, dass von einer fairen, gerechten Behandlung der Finanzwirtschaft einerseits und der normalen Wirtschaft andererseits nicht die Rede sein kann. Außerdem ist die Sache mit den Insolvenzen viel komplizierter als die Befürworter uns glauben machen wollten. Albrecht Müller.

„Ordnungspolitik“, „Für alle die gleichen Maßstäbe“, „Der Staat soll sich möglichst weit heraushalten“ – ein Bündel verlogener Floskeln.

Gestern berichteten die „Tagesthemen“ über den Tag der Deutschen Industrie und „Report München“ feierte zuvor den Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg als einen, der „konsequent für Gerechtigkeit“ eintrete. BDI-Präsident Keitel wandte sich gegen Rettungspakete für einzelne Firmen und Guido Westerwelle sah mit dem Rettungspaketen schon kommunistisches Gedankengut am Werk. In den beiden genannten Sendungen wurde diese gezielte Meinungsmache ohne jeden kritischen Unterton transportiert. Die beiden Sendungen verdienen den Preis der Manipulation der Monats. Albrecht Müller.

Das Wort „systemrelevant“ steht vermutlich für die teuerste Irreführung (Finanzkrise XVI)

Laut Tagesspiegel hat die Bundeskanzlerin im Vorfeld der Insolvenz von Arcandor erklärt: „Wir geben denen Hilfe, die gut gewirtschaftet haben und durch die Krise unverschuldet in Not geraten sind“. Und ihr Parteifreund, der Europa-Abgeordnete und Vertreter des CDU-Wirtschaftsrates Lauk erklärte laut Handelsblatt vom 10. Juni, für Unternehmen, die durch ein schlechtes Management und andere Fehler in Probleme geraten seien, dürfe es generell keine Staatshilfen geben. Ähnlich äußerte sich der Sachverständigenrat (Anlage 1). Diese Haltung wäre durchaus diskussionswürdig und akzeptabel, wenn sie konsequent auch auf die Finanzindustrie angewendet würde. Dort gelten aber ganz andere Regeln und dies bei extrem höheren Beträgen. Albrecht Müller.

Deflatorische Lohnkürzungspolitik

Die Finanz- und Wirtschaftskrise wird von vielen Unternehmen dazu benutzt, Druck auf die Löhne auszuüben. Jetzt soll das zum Beispiel auch bei der Deutschen Bahn AG so laufen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann man das verstehen. Jedes Unternehmen versucht, seine Kosten zu drücken. Gesamtwirtschaftlich ist das in der jetzigen Situation Gift. Deflatorisches Gift sozusagen. Heiner Flassbeck hat vor kurzem in der Berliner Zeitung am Beispiel der Lohnsenkungen bei Daimler vorgerechnet und erläutert, was das für unsere gesamte Volkswirtschaft bedeutet und wie falsch diese Sparversuche sind. Siehe Anhang. Albrecht Müller.

Agrardiesel: Bauernverband sorgt für 500-Millionen-Geschenk für Großbauern

Lutz Ribbe, Direktor der Naturschutzpolitischen Abteilung von EURONATUR schickt mir einen Vermerk zur am 25.5. beschlossenen Aufstockung der Agrardiesel-Subvention. Hier wird gezeigt, wie der Bauernverband – mit Hilfe von Union und SPD – im Dunste der Debatte um die Milch Steuergeld an die großen Ackerbauern im Osten umlenkt. Eine Sauerei. Albrecht Müller.

Der Kampf des Ritters zu Guttenberg gegen „Freibier“ für Opel und die seit Jahrzehnten offene Hand Bayerns für Subventionen vom Bund

Zugegeben, die Entscheidung über den Versuch zur Rettung von Opel mithilfe eines 1,5 Milliarden-Überbrückungskredit und andere Hilfen ist nicht einfach gewesen. Warum Opel retten und nicht Arcandor? Sind Arbeitsplätze bei der Automobilindustrie wertvoller als Arbeitsplätze im mittelständischen Gewerbe, beim Handwerk und beim Außenhandel? Meines Erachtens Nein. Wie weit reicht die Kraft zur Rettung? Warum keine Staatsbeteiligung, wenn schon öffentliches Geld fließt? Das sind durchweg berechtigte Fragen. Aber diese Fragen und Zweifel rechtfertigen keineswegs die jetzt begonnene Profilierung des Bundeswirtschaftsministers Guttenberg. Er lässt sich mit Polemik gegen die „Freibier-für-alle-Mentalität“ in Bayern feiern (siehe im Anhang zwei Beiträge von Spiegel Online), war aber in Berlin nicht konsequent genug, zurückzutreten, als sich seine Forderung nach Insolvenz nicht durchsetzen ließ. Und zu Guttenberg lässt bei seiner Wertung außen vor, wie sehr gerade Unternehmen in Bayern von der von ihm gegeißelten Freibiermentalität profitiert haben und profitieren. Albrecht Müller

Schuldenbremse – eine Absage an eine aktive, zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik

Der 29. Mai wird als ein schwarzer Tag für die aktive und die zukünftigen Generationen in die Geschichte unseres Landes eingehen. Kurz nach den Lobgesängen auf das wirtschaftspolitisch bisher neutrale Grundgesetz anlässlich des 60. Jahrestages seiner Verkündung wird einer aktiven makroökonomischer Wirtschaftspolitik und einer nachhaltigen Finanzpolitik eine verfassungsrechtliche Barriere vorgeschoben. Die Chance, von diesem unverantwortbaren Irrweg wieder mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundes abzukehren, dürfte sich politisch so bald nicht mehr ergeben – das wäre nur noch durch eine dramatische Notsituation denkbar, die hoffentlich nie eintreten möge. Die Hoffnung, dass der Bundesrat oder die Gerichte diese Verfassungsänderung wegen ihres Eingriffs in die Finanzautonomie und damit in die Eigenstaatlichkeit der Länder [PDF – 270 KB] stoppen, ist nur gering.
Als Bürgerinnen und Bürger bleibt uns nur noch die Möglichkeit, die Kandidatinnen und Kandidaten für den künftigen Bundestag zur Rede zu stellen. Deswegen können wir Sie nur noch ermuntern, sich mit Argumenten gegen die Schuldenbremse zu wappnen, und – auf welchem Wege auch immer – Ihre Vertreterinnen und Vertreter für das Bundes- und für die Länderparlamente damit zu konfrontieren. Wolfgang Lieb

Genossenschaftsmodelle erleben eine Renaissance

Der Wunsch in der Bevölkerung nach finanzieller Stabilität und Unabhängigkeit von globalen Finanzsystemen, der Ruf nach alternativen Wirtschaftsmodellen mit gerechter Entlohnung und sicheren Arbeitsplätzen wächst und immer mehr Menschen stellen sich die Frage ob Unternehmen in einer globalisierten Welt existieren nur können, wenn sie neoliberalen Prinzipien zu folgen? Die genossenschaftliche Unternehmensform bewährt sich in der Krise und erlebt derzeit eine Renaissance. Der Genossenschaftsverband Bayern gibt in einer aktuellen Pressemeldung bekannt, dass sich mit 29 Eintragungen in bayerischen Registergerichten der Vorjahreswert neu gegründeter Genossenschaften mehr als verdoppelt habe. Die Spannbreite der Neugründungen umfasse Bereiche der Landwirtschaft und des Dienstleistungsgewerbes ebenso wie den Medizin- und Energiesektor. Stephan Götzl, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern begründet den Zulauf mit den Worten: “Genossenschaften werden von Menschen in den Regionen gegründet, um dort wirtschaftliche Verbesserungen zu ermöglichen oder Marktversagen zu beheben. Sie bieten Stabilität, betriebswirtschaftlich wie volkswirtschaftlich.“ Von Christine Wicht

Unser Spitzenpersonal in der Politik und in der Wirtschaft ist volkswirtschaftlich ungebildet und voller Vorurteile. Zum Beispiel Exportweltmeister

Mit dem Hinweis Nr.5 vom 19. Mai wurde schon auf die Wiedergabe eines FTD-Interviews mit dem Siemens-Chef-Löscher aufmerksam gemacht und kritisiert, dass hier der Fortsetzung eines außenwirtschaftlichen Ungleichgewichtes das Wort geredet wird. Der Artikel zeigt darüber hinaus, dass unser Spitzenpersonal, im konkreten Fall die Bundeskanzlerin und der Chef eines der größten deutschen Unternehmen, die einfachsten volkswirtschaftlichen Zusammenhänge nicht begreift und Vorurteilen und Legenden hinterher rennt, unkritisch begleitet von Medienschaffenden. Das ist nicht ohne Bedeutung, weil diese Vorurteilsbeladenheit immer wieder zu falschen politischen Entscheidungen führen kann und führt. Albrecht Müller

Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik hin zur Prävention

Bei einem erwarteten Wachstumseinbruch in der Wirtschaft um bis zu 6 Prozent und einem drohenden Anstieg der Arbeitslosigkeit auf bis zu 5 Millionen 2010 kommt der präventiven Arbeitsmarktpolitik eine besonders bedeutsame Rolle zu.
Natürlich kann die Arbeitsmarktpolitik kein Patentrezept zur Bekämpfung der größten Weltwirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg bieten. Hierzu brauchen wir weitere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen.
Jedoch spielt die präventive Arbeitsmarktpolitik gerade in der jetzigen Krise eine wichtige Rolle.
Ursula Engelen-Kefer fordert deshalb in ihrem Diskussionsbeitrag einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik hin zu mehr Vorbeugung und Prävention.
Es sei unerträglich, wenn jetzt bereits wieder die neoliberalen Ideologen, die uns diese verheerende Krise eingebrockt haben, aus den Schützengräben kämen und davor warnten, den Sozialstaat überzustrapazieren. Wo war der ordnungspolitische Aufschrei der meist wohlbestallten und abgesicherten Wirtschaftskapitäne, Politiker und Wissenschaftler, als auf Kosten der Steuerzahler in bisher unvorstellbar riesigen Größenordnungen Schutzschirme über die marode Finanzdienstleistungsindustrie und notleidende Wirtschaftskonzerne gespannt wurden? Die Lasten der größten weltweiten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg dürfen nicht vor allem auf dem Rücken der arbeitenden Menschen und der sozial Schwachen abgeladen werden. Von Ursula Engelen Kefer

Frühjahrsprognose: „Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühjahr 2009 in der tiefsten Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik.“

„Alles in allem wird sich das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2009 voraussichtlich um 6%verringern. Dies dürfte zu einem sich beschleunigenden Abbau der Beschäftigung führen. Zwar wird der Einsatz von Kurzarbeit den Beschäftigungsabbau zunächst abfedern, doch werden sich Unternehmen zunehmend gezwungen sehen, den Personalbestand zu reduzieren, je länger die Kapazitäten unterausgelastet sind. Im Jahresverlauf 2009 ist mit einem Verlust von mehr als 1 Mill. Arbeitsplätzen zu rechnen. Spiegelbildlich wird die Arbeitslosigkeit hochschnellen und im Herbst die Marke von 4 Mill. überschreiten.
Für 2010 erwarten die Institute keine durchgreifende Erholung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte um 0,5% sinken. Zum Jahresende ist mit knapp unter 5 Mill. Arbeitslosen zu rechnen.“ So fassen das Ifo-Institut, das Institut für Weltwirtschaft Kiel, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle, das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in ihrem Gemeinschaftsgutachten [PDF – 86,1 KB] die Aussichten der Wirtschaft für die Jahre 2009 und 2010 zusammen. Wolfgang Lieb

Die ökonomischen Ungleichgewichte werden in der Krise zu einer besonderen Belastung – Deutschland als „Spielverderber“ für ein europäisches Sozialmodell

Deutschland verstärkt unter dem gemeinsamen Dach des Euro durch eine massive Lohndumpingstrategie als Exportweltmeister mit seinen Leistungsbilanzüberschüssen auf der einen Seite die Ungleichgewichte in der Europäischen Union und der gesamten Weltwirtschaft. Auf der anderen Seite üben Lohndruck und Arbeitsintensivierung einen enormen Druck auf alle lohnpolitisch gefestigteren Systeme in Europa aus, in denen die Verteilungsspielräume ökonomisch angemessener ausgeschöpft wurden, während in Deutschland das Lohnniveau deutlich hinter der Inflationsrate und hinter dem Produktivitätszuwachs zurückblieb. (Einen aktuellen Überblick dazu gibt der Europäische Tarifbericht des WSI [PDF – 215 KB].) Von Volker Bahl

Selbst Wendehälse kommen mit guten Vorschlägen: die OECD plädiert u.a. für eine wirksame Ausdehnung der Arbeitslosenversicherung.

Seit Jahren werbe ich dafür, die soziale Sicherung gegen Arbeitslosigkeit, also langes Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe wieder herzustellen und damit Hartz IV loszuwerden. Begründung: die Wiederherstellung einer einigermaßen befriedigenden sozialen Sicherheit. Jetzt kommt ein wichtiges konjunkturpolitisches Argument hinzu. Die Einkommen der von der Krise gefährdeten Arbeitnehmer und der Arbeitslosen müssen stabilisiert und verbessert werden. Andernfalls geraten wir in eine Spirale von weiter sinkenden Masseneinkommen, sinkender Nachfrage, sinkender Beschäftigung und wieder sinkenden Einkommen usw. – Selbst die OECD, die seit 1975 mit neoliberalen Sprüchen über die Bedeutung der Flexibilität der Löhne nervt, ist zur Einsicht gekommen. Der Generalsekretär der OECD Gurria warnte gestern in einer Rede vor den G8-Arbeits- und Sozialminister vor dem gefährlichen Absturz und schlägt eine Reihe von sinnvollen Maßnahmen vor. Siehe dazu die Pressemitteilung in Anlage 1 und den Text der Rede selbst in Anlage 2. Albrecht Müller.