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Wirtschaftspolitik und Konjunktur

Tarifrunde 2012 – Medizin für eine kränkelnde Volkswirtschaft

Die Zeichen stehen auf Sturm. Nachdem die Arbeitgeberseite trotz Warnstreiks bis dato noch nicht ernsthaft auf die Forderungen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eingegangen ist, droht dem Land nun ein zäher Arbeitskampf mit massiven Streiks im öffentlichen Dienst. Dabei sind die Forderungen der Arbeitnehmer nicht nur im Sinne der Frage eines gerechten Lohns gerechtfertigt, sondern stellen ein zwingend notwendiges Korrektiv für die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone dar. Da bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Staat auf Seiten der Arbeitgeber verhandelt, könnte hier die Politik endlich ein Zeichen setzen, gelten die Verhandlungen doch auch als Vorlage für etliche Tarifverhandlungen, die in den nächsten Monaten anstehen. Von Jens Berger.

Fatale Weichenstellung – Brüssel erklärt das deutsche Modell zum Vorbild für Europa

Um ökonomische Ungleichgewichte innerhalb der EU abzubauen, baut die EU-Kommission in diesem Jahr ihren Stabilitätspakt aus und erweitert dabei die Zahl der Indikatoren von zwei auf zehn. Künftig spielen beispielsweise auch Außenhandelsüberschüsse eine Rolle bei der Bewertung, ob ein Land die ökonomische Stabilität der EU gefährdet. Was sich in der Theorie ursprünglich sehr gut anhörte, ist jedoch dank der massiven Einflussnahme Deutschlands in der Praxis zu einer einzigen Farce geworden, wie der gestern veröffentlichte „Alarmbericht“ [PDF – 127 KB] zeigt. Anstatt Ungleichgewichte abzubauen, nutzt die EU-Kommission die zehn Indikatoren dazu, die Mitgliedsstaaten anzuhalten, Löhne zu senken, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und den Einfluss des Staates immer weiter zurückzufahren. Europa soll keine Ungleichgewichte abbauen, sondern deutscher werden. Von Jens Berger.

Der Bundesverband der Industrie tut nichts gegen die Belastung der realen Wirtschaft durch die Akteure des Finanzkasinos

Heute erschien im „Südkurier“ meine aktuelle Kolumne. Diesmal zum Thema „Die reale Wirtschaft braucht eine Stimme“. Hier der Vorspann der Wirtschaftsredaktion des Südkurier: „Die Industrie leidet unter den Folgen der Finanzkrise. Doch sie schafft es nicht, ihre Interessen gegen die Macht der Finanzwirtschaft durchzusetzen.“ Und hier die gesamte Kolumne [PDF – 1.1 MB]. Wenn Sie diesen Text hilfreich finden, verbreiten Sie ihn bitte weiter – unter Handwerkern, Unternehmern, Managern und unter Arbeitern und Angestellten von Industrie und Gewerbe. Albrecht Müller.

Ungleichgewichte nach Lesart der EU

Es hat sich mittlerweile auch bis zur EU-Kommission herumgesprochen, dass eine Gemeinschaftswährung nur dann funktionieren kann, wenn die Mitgliedsstaaten sich zumindest bemühen, volkswirtschaftliche Ungleichgewichte abzubauen. In diesem Jahr tritt erstmals das sogenannte „Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“ in Kraft. Was eigentlich eine gute Idee ist, erweist sich in der Umsetzung jedoch als ein weiterer Baustein der deutschen Strategie, Europa neoliberale Reformen aufzuzwingen. Von Jens Berger

Allmählich dämmert es … Hoffentlich geht noch vor dem Abgrund ein Licht auf

„Die Euro-Krise zeigt auf dramatische Weise, welchen Schaden permanente Exportüberschüsse anrichten. Der größte Verlierer ist Deutschland … Aus gutem Grund steht im deutschen Stabilitätsgesetz das Ziel eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Es geht dabei nicht um weniger deutsche Exporte. Wichtig ist vielmehr eine Stärkung der Binnennachfrage durch Umschichtungen im Steuersystem, höhere Löhne und eine Flexibilisierung des Dienstleistungssektors“; das konnte man gestern im Handelsblatt lesen. Solche wirtschaftspolitische Positionen konnten Sie bislang fast ausschließlich auf den NachDenkSeiten finden oder sie wurden von einigen wenigen Ökonomen wie Heiner Flassbeck oder Thomas Fricke vertreten und von amerikanischen Fachleuten wie Paul Krugman oder James Galbraith öffentlich wahrgenommen.
Aber nicht nur im Handelsblatt, auch anderswo scheint es zu dämmern, dass eine Politik, die nur eine härtere Bestrafung von Defizitländern kennt, in den Abgrund führt. Von Wolfgang Lieb

Welche Verantwortung kommt der Lohnpolitik bei der Lösung der Euro-Krise zu?

Beitrag für die Nachdenkseiten von Friederike Spiecker

Die Eurokrise spitzt sich von Woche zu Woche zu und droht, die ersten konjunkturellen Schwächeanzeichen in einen klaren Abwärtstrend der Realwirtschaft zu verwandeln, der mutmaßlich ein noch gravierenderes Ausmaß als bei der Lehmann-Pleite annehmen dürfte. Wie sollen sich die deutschen Gewerkschaften, allen voran die IG Metall als eine der führenden Arbeitnehmerorganisationen, in der nächsten Lohnrunde angesichts dieser Ausgangslage positionieren? Sollen sie in ihre Lohnforderungen die drohende negative Entwicklung der Konjunktur vorausschauend einbeziehen und sich damit die Früchte des bisherigen Aufschwungs entgehen lassen? Müssen sie also auf den Verlauf der Eurokrise „flexibel“ reagieren? Oder können sie aktiv auf deren Verlauf Einfluss nehmen, sie also entschärfen helfen und, wenn ja, wie könnte das konkret gehen?

James K. Galbraith im NachDenkSeiten-Interview

Am Donnerstag und Freitag letzter Woche fand in Austin, Texas der Kongress „The Crisis in the Eurozone“ statt, an dem auch gute Bekannte und Freunde der NachDenkSeiten, wie beispielsweise die Ökonomen Heiner Flassbeck, Norman Birnbaum und James Galbraith teilnahmen. Unser Kollege Roger Strassburg hatte die Gelegenheit, im Anschluss an die Konferenz den Mitveranstalter James Galbraith für die NachDenkSeiten zu interviewen. Wir möchten unseren Lesern dieses hochinteressante Gespräch wärmstens empfehlen. Galbraiths Aussagen zu den Ursachen der Eurokrise, den Möglichkeiten, die Krise in den Griff zu bekommen, der Rolle der EZB und der Scheuklappenmentalität der deutschen Regierung heben sich erfreulich von dem ab, was viele deutsche Ökonomen von sich geben.

Schulden streichen – gut gemeint, aber nicht ausreichend und Konsequenzen nicht durchdacht

In den letzten Wochen sind wir oft auf Texte von Dritten mit dem Vorschlag zum Schuldenschnitt im Falle Griechenlands aufmerksam gemacht und aufgefordert worden, uns den Vorschlägen anzuschließen. Heiner Flassbeck, dem ich mich auch bei diesem Thema verbunden fühle, hat am 21.10. einen aufschlussreichen Text dazu geschrieben: „Schuldenstreichen – und was dann?“ Siehe unten. Albrecht Müller.

Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft 2011

Gesamtwirtschaftslehre gegen Staatsinterventionismus
Zwei US-Pioniere einer neoklassischen Makroökonomik

Der durch die Schwedische Reichsbank 1969 eingeführte Preis für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel geht in diesem Jahr an Thomas J. Sargent (geb. 1943) von der New Yorker Universität sowie an Christopher A. Sims (geb. 1942), der an der Princeton Universität lehrt. Damit erhöht sich die Zahl der von den insgesamt neunundsechzig Nobelpreisvergaben an die USA auf achtundvierzig. Geehrt wird eine neoklassisch ausgerichtete Makroökonomik, die ihre Sturm- und Drangzeit längst hinter sich hat. Diese Lehre von der Rationalität der Märkte ist nicht erst durch die letzte Finanzmarktkrise tief erschüttert worden. Die beiden Ökonomen haben durchaus zur gesamtwirtschaftlichen Analyse über Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Inflation einen wichtigen, jedoch nur beschränkten Beitrag geleistet. Von Rudolf Hickel

Die Geldpolitik am Scheideweg – die jüngsten Einsichten der EZB kommen spät und sind unvollständig

Die Diskussion um Euro, um den Rettungsschirm, um die Krise, die man fälschlicherweise Schuldenkrise nennt, wird immer schlimmer. Auch Beobachter, von denen wir gelegentlich einiges halten, kommen zu den einfachen Analysen und einfachen Lösungen: es liegt am billigen Geld zum Beispiel oder Schuldenschnitt oder aus dem Euroraum raus werfen, usw.. Auf dem Weg zu einem Text über diese teils obskure und zynische Debatte erreichte mich ein „Beitrag für die Nachdenkseiten von Friederike Spiecker“. Es ist ein Stück Aufklärung. Deshalb vorab. Albrecht Müller.

Auch wenn es fast sinnlos ist, einem „Ochs ins Horn zu pfetzen“, was bleibt uns anderes übrig.

So sieht es auch Heiner Flassbeck und schreibt an Wolfgang Schäuble einen Offenen Brief zu der vom Bundesfinanzminister anvisierten Austeritätspolitik. Gestern hatten wir auf die Torheit hingewiesen, die die erkennbar prozyklische Politik leitet. Fast ein hoffnungsloser Fall. Damit der Badener Schäuble versteht, wie man sein Verhalten werten muss, wähle ich in der Überschrift den ihm wie mir geläufigen badisch-kurpfälzischen Sprachgebrauch. Hier „pfetzt“ man einem Ochs ins Horn. Nutzen tut es selten. Aber man kann nie wissen. Vielleicht erreicht den BMF der Tonfall seiner Heimat. Albrecht Müller.

Nichts gelernt aus der Geschichte: Prozyklische Politik wie bei Brüning

Aus Schaden wird man klug, diese Lebenserfahrung gilt allenfalls für einzelne Personen. Für Völker und ihre Politiker gilt sie offensichtlich nicht. Sie lernen nichts aus der Geschichte, auch wenn ihre Ignoranz Millionen Menschen ins Unglück stürzt. In dieser Situation sind wir heute: Bundesfinanzminister Schäuble und viele Sekundanten in Politik, Wissenschaft und Medien wenden sich – wie hier im Handelsblatt von gestern berichtet – trotz erkennbarer Anzeichen einer weltweiten Rezession gegen konjunkturfördernde Maßnahmen und pochen darauf, die Finanzen zu konsolidieren. Albrecht Müller.

Warum Eurobonds?

Wie wir aus zahlreichen Zuschriften wissen, gibt es bei unseren Lesern ein großes Interesse am Thema Eurobonds. Zeit, sich dieses Thema einmal ausführlicher anzunehmen, zumal viele klassische Medien sich bei der Berichterstattung nicht eben mit Ruhm bekleckern und verschiedene Interessengruppen gezielt Desinformation streuen. Von Jens Berger

Hurra, wir sparen uns kaputt

Wie überall in Europa und den westlichen Industriestaaten bricht das Wachstum auch in Deutschland ein. Nur noch um 0,1 Prozentpunkte ist das BIP im Sommer gegenüber dem ersten Quartal 2011 gestiegen. Von wegen „Aufschwung XL“. Da in ganz Europa und in den westlichen Industrienationen nur noch massiv gespart wird, bricht nahezu überall das Wachstum ein. Das bringt logischerweise den deutschen Wachstumsmotor „Export“ ins Stottern. Trotz eines angeblich „robusten Arbeitsmarktes“ bremst eine schwache Binnennachfrage den „Aufschwung“. Da es in einer Art von Gehirnwäsche gelungen ist, die Banken- und Finanzkrise in eine „Staatsschuldenkrise“ umzudeuten, ist in den Regierungen eine Spar-Pandemie ausgebrochen. Während der letzte Wirtschaftseinbruch im Gefolge der Finanzkrise noch mit staatlichen Konjunkturprogrammen abgemildert werden konnte, werden jetzt, wo angeblich alles der „Staatsverschuldung“ geschuldet ist, mit einer knallharten Austeritätspolitik die Fehler der ersten Weltwirtschaftskrise wiederholt. Wenn kein Umdenken erfolgt, landen wir erneut in einer europa- oder gar weltweiten wirtschaftlichen Depression – mit kaum vorhersehbaren schlimmen Folgen. Wolfgang Lieb