Archiv: Monat: Februar 2013

Connection reset by Peer – Steinbrück zieht die Reißleine

Das „Peerblog“ wird wohl als einer der skurrilsten Episoden in die Geschichte der deutschen Kanzlerkandidaturen eingehen. Angefangen mit der verdeckten Finanzierung, über die nur noch als dilettantisch zu beschreibende Machart, gepaart mit einem größtmöglichen Fremdschämpotential, wirkte das Peerblog so, als sei es vielmehr eine besonders perfide Kampagne des politischen Gegners. Damit reiht sich das Peerblog nahtlos in den Katastrophenwahlkampf Steinbrücks ein.

peerblog - das wars

Und dabei kann Steinbrück noch von Glück reden, dass ihm gestern ein vermeintlicher „Hackerangriff“ die Möglichkeit offenbarte, das verunglückte PR-Experiment vom Netz nehmen zu lassen – denn gleichzeitig kündigte die Linkspartei an, die Bundestagsverwaltung wegen eines Verstoßes gegen das Abgeordnetengesetzes gegen Steinbrück und die anonymen Hintermänner des Peerblogs ermitteln zu lassen. Von Jens Berger

Hinweise des Tages

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Leserbrief von A. G.

Liebes Team der NachDenkSeiten,

in der Presse finden sich zum Fall von Ministerin Schavan nahezu ausschließlich oberflächliche Diskussionsansätze.

Dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit wissenschaftsrechtlichen Fragen der Täuschung weitgehend ausbleibt, ist nur die eine Sache.

Daneben müsste Fall weit mehr Anlass geben, grundsätzliche Fragen zur Doktorandenbetreuung an deutschen Universitäten zu stellen.

Schavan ist offenbar ein Beispiel für Betreuungsversagen auf allen Ebenen der Erstellung einer Dissertation:

  1. Die Themenauswahl. Dass ein Betreuer in den Erziehungswissenschaften, dazu noch in einem Direktpromotionsverfahren einer Mittzwanzigerin, eine Arbeit “zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung” (vgl. den Untertitel der Arbeit) annimmt, muss zumindest arg verwundern. Dieses Thema wäre selbst für eine Habilitationsschrift zu breit, ist aber für eine Dissertation gänzlich ungeeignet. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einmal muss die schiere Masse der Literatur, mit der sich der Doktorand auseinandersetzen muss, bereits den zeitlichen Rahmen sprengen, der für eine Dissertation zur Verfügung steht. Auch ist das Thema zu schwierig, ist doch “die Gewissensbildung” in dieser allgemeinen Fragestellung ein so komplexer, die Grenzen gleich mehrerer Fachdisziplinen (z.B. allgemeine Psychologie, Enwicklungspsychologie, Neuropsycholgie, diverse Teildisziplinen der pädagogischen Wissenschaften, vielleicht der Philosophie, insbesondere der Ethik) berührerender Gegenstand, dass ein Doktarand ihn selbst bei Hochbegabung kaum voll erfassen und dann in einer eigenständigen Bearbeitung (!) nicht nur darstellen, sondern ihm auch noch eigene Thesen hinzufügen kann, die wiederum dem kritischen Auge gleich mehrerer “Fachwelten” standhalten müssen.
  2. Die Betreuung während der Erstellung. Zur Qualität der Betreuung weiß man nicht viel. Hätte es sich um einen vorbildlichen Kontakt zwischen Betreuer und Doktorandin gehandelt, hätte aber schon noch einigen Monaten auffallen müssen, dass die Arbeit sich in eine völlig falsche Richtung bewegt, indem die Erstellerin tatsächlich versucht, das Thema in all seinen Grundsatzfragen abzubilden, statt eine sinnvolle Schwerpunktbildung zu verfolgen. Es ist doch nicht verwunderlich, dass Schavan mit Kapiteln wie “Der Verstehenshorizont”, “Kant: Das Gewissen als Richter der Vernunft”, “Gewissen in tiefenpsychologischer Sicht” oder “Das Gewissen in der christlichen Ethik” nahezu zwangsläufig am Anspruch vertiefter, eigenständiger Auseinandersetzung scheitern muss. Ein guter Betreuuer hätte zu einer klaren Schwerpunktsetzung angehalten und der Doktorandin klar gemacht, dass jedes (!) ihrer Kapitel eigenständige Habilitationsschriften verdient.
  3. Die Begutachtung. Der Betreuer hätte unzureichende Quellenangaben erkennen und die Arbeit (zur nochmaligen Überarbeitung) zurückweisen müssen. Denn es ist zumindest für den wissenschaftlich ausgebildeten Leser offensichtlich, dass Schavan ihre Ausführungen unzureichend belegt. Nur ein Beispiel: In ihrem Kapitel zur christlichen Ethik schreibt Schavan (S. 244): “Die Epikie-Lehre gewinnt bei Aristoteles ihre volle Legitimation im Kontext der Lehre von der Polis und damit dem Verständnis vom Menschen als “zoon politikon”, bei Thomas hingegen im Bild vom Menschen als “imago Dei”.” Übernommen hat sie diese Inhalte nach “Schavan-Plag” aus einem Text von Korff (1979): “Gewinnt die Lehre von der Epikie bei Aristoteles ihre volle Begründung erst aus dem Kontext seiner Lehre von der Polis […], so gewinnt sie ihre genuine Legitimation bei Thomas vorgängig aus dem Kontext seiner theologischen Freiheitslehre […]. Ausgangspunkt ist hier nicht der Mensch als “zoon politikon”, sondern der Mensch als “imago Dei” […].” Dazu wirft ihr “Schavan-Plag” vor: “Die Verfasserin verweist vor bzw. nach diesem Fragment auf S. 31 bzw. 33 bei Korff (1979), macht aber nicht kenntlich, dass sie die vorliegende Aussage von S. 32 übernimmt.” So etwas nennt man ein “Bauernopfer”. Nur: Dass sich Schavan diese Ausführungen zu der Lehre von der Epikie bei Aristoteles nicht selbst ausgedacht haben konnte, gewissermaßen als aus sich selbst schöpfendes Genie, muss jedem Leser aus dem Fach klar sein. Folglich muss auch klar sein, dass sie hier entweder die Primärquellen hätte nennen, oder aber deutlich machen müssen, sich weiter auf Korff zu beziehen. So ist es immer wieder: Das Fehlen von ausreichenden Belegen wird nicht – von einigen Fällen abgesehen – verschleiert, sondern es ist offensichtlich.

Ich kann nicht abschließend beurteilen, sondern nur mutmaßen, dass im Fall Schavan auch ein Betreuungsversagen eine gewichtige Rolle spielte. Zumindest hätte der Fall doch aber ANLASS geben sollen, die Missstände an deutschen Fakultäten einmal grundlegend zu diskutieren. Aus meiner eigenen Erfahrung leider typisch sind folgende Umstände: 1. Oft verkennen Betreuer, dass Doktoranden die Themenauswahl nicht allein überlassen werden kann. Denn am Anfang wissenschaftlicher Tätigkeit stehen nicht selten Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten, was zu zu breit angelegten, überkomplexen Themen führt. 2. Ebenfalls eher die Regel denn die Ausnahme ist die ausbleibende Überwachung des Arbeitsfortschritts. Die Aussage von Betreuern “Dann bis zur Abgabe!” ist kein Scherz, sondern Realität, die oftmals noch mit dem verlogenen moralischen Wert unterfüttert, man überlasse die Arbeit eben dem Doktoranden, pflege somit die Freiheit der Wissenschaft und erziehe zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten. Zur Diskussion über Themen, die bei der heutigen Komplexität der Wissenschaften unentbehrlich ist, wird seitens der Betreuer nicht einladen, so dass die Doktaranden sich fast schon wie Versager vorkommen, wenn sie beim Prof. anklopfen, um Nachfragen zu stellen. 3. Fehlentwicklungen bei der Erstellung wird nicht gegengesteuert. 4. Auch nach Abgabe sind viele Betreuer keine hilfreichen, kritischen Leser einer “Erstfassung”, bei der es naturgemäß – die Dissertation ist eine wissenschaftliche Einstiegsarbeit! – Fehler auftreten können, die nun noch gut zu korrigieren wären. Dabei wird oftmals gesagt “Und bitte keine halbfertige Fassung!”, was aber bedeutet, dass der Doktarand von vornherein einem Perfektionszwang unterworfen wird, an dem er nur scheitern kann. Die Scham, eigene Grenzen erfahren zu haben, wird in solch einem “Betreuungsverfahren” nicht abgebaut bzw. relativiert, sondern geradezu heraufbeschworen, und mit ihr auch die Gefahr, dass Doktoranden zu viel Literatur und fremde Gedanken einfließen lassen, und sich zu wenig auf ihre eigenen, gegenüber den großen Meistern des Fachs oft geringgewichtig oder unterkomplex anmutenden Ideen verlassen.

Erst mit diesen Fragestellungen würden wir zu einer politischen Debatte gelangen: Warum sind die Betreuungsrelationen in vielen Fakultäten so schlecht? Warum sind unter den Professoren so viele, die sich als Betreuer, als “Anreger eigenständiger Gedanken”, nicht eignen (i.e.: Welche Charaktere “spült” das System “Uni” eigentlich nach oben, also auf die Lehrstühle?).

Lesenswert: Täuschen und Verschleiern

Beste Grüße,

A.G.

Die GroßeMittelKlasse

  1. Was erlaubt sich Buffett? – Eigensinn

    „Wieso denn Klassenkampf? Das ist Betrug!“ rief die ältere Dame vor weithin studentischem Publikum aus. Die Veranstaltung galt der Finanzkrise 2007 bis 2009, ihren Ursachen und Folgen. Die Dame aber sah nur unfähige Politiker, erdrückende Schulden und sich selbst als „Opfer finanzieller Repression durch den Staat“.

    Klassenkampf? Klassenkampf ist out, der Begriff so verpönt wie die Wahrnehmung der Praxis. Sicher, Warren Buffett kritisiert gelegentlich den „Class War“, den seinesgleichen führe und selbstredend gewinne, aber der Mann ist auch 82 und unantastbar reich.

    Gewöhnliche Leute und die Alltagsmedien meiden das Wort, es ist sogar einem kämpferischen Internet-User wie @advance so unangenehm wie „Arschficken mit Hämorriden“, alternativ: eine schmerzhafte sexuelle Aktivität.

    Gekämpft, ja gekämpft wird in dieser Welt um alles, selbst um Parkplätze – aber kämpfende Klassen? Überhaupt: Klassen? Ehrenwert ist doch nur eine, die „Mittelklasse“. Sie hat das Bewusstsein so imponierend ergriffen, dass der User @radura sie ironisch und sprachspielerisch „GroßeMittelKlasse“ nennt.

    Von Karl-Heinz Klär[*].

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Die Umverteilung von unten nach oben durch die Steuerpolitik

Im Rahmen des Projekts „Für einen produktiven und solide finanzierten Staat” hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in drei Studien die Entwicklung der Einnahmen, der Ausgaben und der Effizienz des Staates untersuchen lassen.
Ich fand die Ergebnisse interessant für unsere Leserinnen Leser, deshalb erlaube ich mir die Studien in einer kleinen Fortsetzungsserie zusammen zu fassen.
In einem ersten Teil referiere ich einen Teil der Studie von Margit Schratzenstaller [PDF – 492 KB], in der sie sich der Frage angenommen hat, wie sich die Steuern und Abgaben vor allem im Verlauf des zurückliegenden Jahrzehnts des „Steuersenkungswahns“ (R. Hickel) entwickelt haben. Die Studie zeigt, wie Umverteilung von unten nach oben gerade auch durch die Steuerpolitik stattgefunden hat. Von Wolfgang Lieb.

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ESM 2.0 – Es ist an der Zeit, grundsätzlichere Fragen zu stellen

Wie die WELT berichtet, wird der Rettungsschirm ESM hinter den Kulissen zu einer Haftungsunion für eine europaweite „Bankenrettung“ umgewandelt. Künstliche Aufregung ist hier jedoch fehl am Platze, setzt der „ESM 2.0“ doch nur fort, was im Juli 2007 in Deutschland mit der „Rettung“ der kleinen Privatbank IKB begann – die Übernahme der Verluste der Banken durch den Steuerzahler. Heute wird viel darüber debattiert, welcher Weg zur Sozialisierung privater Schulden der beste sei. Die naheliegende Frage, ob Risiko und Haftung nicht zusammengehören und das Finanzsystem für sein Scheitern selbst in Haftung genommen werden sollte, wird überhaupt nicht mehr gestellt. Warum? Von Jens Berger.

Anonymes Geld für Steinbrück! – Zur Attacke darauf kann die CDU einfach frühere Anzeigen der SPD umkopieren.

Die Kommunikationsagentur steinkuehler-com hat das neue “PeerBlog” für den SPD-Kanzlerkandidaten an den Start gebracht hat. Seit Sonntag bloggen Agenturinhaber Steinkühler und seine Mitarbeiter „für“ den Kandidaten. Finanziert wird das Projekt von anonymen „Unternehmerpersönlichkeiten“. Diese Nachricht erinnerte mich an meine eigene Wahlkampf-Vergangenheit: Vor gut 40 Jahren war ich verantwortlich für Willy Brandts Wahlkampf und für diese Anzeige:

Sie war Teil einer wichtigen Kampagne der SPD gegen das „Große Geld“ – siehe auch unten – und seinen Einfluss auf die CDU und ihren Kanzlerkandidaten Barzel. Vor allem mit dieser Kampagne haben SPD und Brandt damals 100 tausende von Menschen dazu bewegt, sich im Wahlkampf zu engagieren. „Wahlkampf von unten“ nennt die SPD Führung das heute. Wie will sie das schaffen, wenn sich Steinbrück mit anonymen Geldern finanzieren lässt? Albrecht Müller.

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Altmaiers neuer Versuch

Aufgeschreckt durch die Höhe der EEG Umlage, gedrängt von den Verbraucherverbänden und möglicherweise aus wahltaktischen Motiven hat Umweltminister Altmaier einen neuen Vorschlag zur Neu-Verteilung der Ausgaben für die Strom-Einspeise Vergütung vorgelegt.
Der Vorschlag kommt ein wenig überraschend, da man nach der Senkung der Vergütungs- Sätze, seinen eher lauen Vorschlägen (siehe NDS „Alle reden von der sozialen Gestaltung der Energiewende, doch keiner tut was dafür“) zur sozialen Abfederung und seinem Papier zum Vorgehen für eine grundsätzliche Reform – alles im zweiten Halbjahr 2012 – jetzt nicht mehr mit einem neuen Vorschlag rechnete.
Was sind die Ziele dieser neuen Vorschläge? Welche direkten und welche Nebenwirkungen haben sie? Welche denkbaren Maßnahmen kommen nicht vor? Von [*]

Korrektur zum Artikel „100% Spitzensteuersatz? Was für eine Schnapsidee!“

In unserem Artikel „100% Spitzensteuersatz? Was für eine Schnapsidee!“ kritisierten wir am Freitag eine steuerpolitischer Forderung, die angeblich Bestandteil eines Wahlprogrammentwurfs der Linkspartei sein soll. Dabei bezogen wir uns auf eine Meldung der Mitteldeutschen Zeitung, die am Freitag auch von den Agenturen weiterverbreitet wurde. Diese Meldung hat sich im Nachhinein als falsch herausgestellt. Zwar hat die Parteivorsitzende Katja Kipping in der Vergangenheit einen 100%-Steuersatz für Einkommen ab 500.000 Euro zur Diskussion gestellt, der Wahlprogrammentwurf der Linken [PDF – 549 KB] sieht dies jedoch nicht vor. Die NachDenkSeiten bedauern den Fehler.

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Hinweise des Tages II

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Rezension: Joke und Petra Frerichs, Literarische Entdeckungen. Vergessene und neu gelesene Texte

In ihrem Buch Literarische Entdeckungen. Vergessene und neu gelesene Texte stellen Joke und Petra Frerichs eine Reihe von Schriftstellern vor, die der Literaturbetrieb weitgehend ignoriert oder schlichtweg vergessen hat (Schreyer; Mickel; Hilbig; Némirovsky; Reimann; Steffens; Wilms). Sie wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, ist eines der Anliegen des Buches.
Andere Werke haben die Autoren nach erneuter Lektüre neu interpretiert; das gilt für Die Wellen von Virginia Woolf; Rot und Schwarz von Stendhal und die Lyrik Rolf Dieter Brinkmanns. Und schließlich wurde die Erzählung Die Augen von Dieter Wellershoff analysiert, deren subtile Konstruktion sie zur Auseinandersetzung mit dem Text reizte.