Leserbriefe zu „„Staatsräson“ – ein schwülstiger und blödsinniger Begriff“

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Hier wird der Begriff „Staatsräson“ in Verbindung mit der Verpflichtung Deutschlands, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen, hinterfragt. Albrecht Müller meint, der Begriff sei nicht nötig. Er sei „blödsinnig, weil er uns in die Hände jedweder israelischen Regierung bringt“ und „auch schädlich, weil er den vielen vernünftigen Menschen in Israel, die mit den Palästinensern menschlich, friedlich und gut zusammenleben wollen, die Arbeit erschwert“. Wir haben hierzu zahlreiche E-Mails bekommen. Danke dafür. Hier nun eine Auswahl der Leserbriefe. Christian Reimann hat sie für Sie zusammengestellt.


1. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für diesen Artikel. Er war längst fällig.

Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Ebert


2. Leserbrief

Lieber Her Müller,

vorweg: Hundertprozentig einverstanden, Merkel und Scholz wollen sich profilieren mit dieser Aussage, diesem Standpunkt. Und gleichzeitig demjenigen ihre Servilität versichern, in dessen Auftrag sie unterwegs sind (USA).

Die Gründung des Staates Israel wurde von Großbritannien initiiert, als militärischer und politischer Stützpunkt im Nahen Osten und ist heute für die USA genau das.

Sie haben darauf hingewiesen, dass das politische Spektrum in Israel keineswegs so homogen ist, wie es der Schwarz-Weiß-Blick der deutschen Regierung behauptet.

Was ist nun die Verpflichtung eines Deutschen, angesichts der Gräuel des Naziregimes gegen Juden in Europa? Und, genau so, gegen Russen und andere Slawische Völker? Sie waren 1945 sieben Jahre alt und haben deshalb sicher keine direkte Schuld an diesen Verbrechen. Ich bin 1949 geboren, habe ich deswegen mit alldem nichts zu tun? Ich denke nein, so einfach ist es nicht. Schaut man sich Geschichte, Kultur, gesellschaftliche und familiäre Beziehungen und Entwicklung genauer an, dann wird klar, dass so eine “Schuld”, die tiefere Einstellung und das Verhalten, das damit verbunden ist, über Generationen weiter trägt. Schuld in Anführungsstrichen, denn das was ich meine, ist weder mit juristischen Kategorien zu greifen, noch sollte es politisch missbraucht werden.

Mein Elternhaus steht in der Nähe des Stadtfriedhofs. Da haben wir als Kinder gespielt. In einem kleinen Teil des Geländes sah man nie Menschen, die Gräber waren mit Efeu überwuchert und auf den Grabsteinen stand eine fremde Schrift. Es hieß, das sei der “Judenfriedhof”. Was das mit den Juden auf sich hatte, habe ich erst später verstanden. Aber als kleines Kind schon, dass man nicht darüber sprach. Das wurde ausgegrenzt.

Vergangenheit kann man nur bewältigen, wenn man sich ihr bewusst stellt. Das hat nach 1945 nicht stattgefunden. Stattdessen hat man sich mit dem (vermeintlichen) Sieger (USA) identifiziert. Und war wieder wer, nahtlos, ohne Unterbrechung. Ich bin keineswegs der Meinung, dass Deutschland in Ewigkeit im Büßerhemd gehen muss. Aber ich bin auch der Meinung, dass so eine Schuld nicht verschwindet, bloß weil man nach 1945 geboren ist. Man muss als Deutscher mit beidem leben. Damit dass diese Vergangenheit nicht auszuradieren ist und damit, daraus zu lernen und es besser zu machen.

Besser machen. Für mich ist Antisemitismus nicht nur der “klassische”, nämlich Diskriminierung von Menschen jüdischer Kultur, jüdischen Glaubens oder Herkunft. Dass man “Juden” (genauer, Menschen im gerade genannten Sinne) als etwas besonderes, damit auch abseitiges stempelt, auch wenn es in vermeintlich  positivem Sinne geschieht, ist genau so Diskriminierung. Juden sind Menschen wie andere auch, wie Bayern, Ostfriesen, Franzosen, Russen, etc.. Erst wer das begriffen hat, dem ist Antisemitismus fremd.

Anstatt den Staat Israel mit “Staatsräson” in den Himmel zu heben, sollte man lieber die Menschen jüdischer Kultur, Tradition hervorheben, die etwas Positives für den Frieden und die Menschen geleistet haben. Um nur ein paar zu nennen, die mir spontan einfallen: Georg Kreisler, Leonard Cohen, Mel Brooks, Albert Einstein. Die Genannten sind Beispiele für einen pazifistischen und subversiven Charakter, den es in der jüdischen Kultur gibt.

Herzliche Grüße,
Rolf Henze


3. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihren sehr informativen und wie ich finde sehr richtigen Beitrag.Ich kann Ihnen in jeder Hinsicht nur zustimmen.Ich denke auch, dass mit dieser «Staatsräson» gegenwärtige und zukünftige Generationen festgelegt werden sollen, wie sie über Israel und dessen Politik zu denken haben. Diese «Staatsräson» ist doch in Wahrheit nichts anderes als ein Maulkorb und eine Anweisung zum Denkverbot über politische Irrwege der gegenwärtigen rechten israelischen Regierung.Es hat mich immer gestört, dass Politiker wie Netanjahu den Holocaust als eine Art Generalamnestie benutzen, um einen Freibrief für eigene politische Verbrechen an der arabischen Bevölkerung zu erhalten.

Außerdem ist mir diese «Staatsräson» immer verdächtig gewesen.Kann es nicht sein, dass sie als eine Art Feigenblatt diente, um damit nach Außen zu demonstrieren, wie sehr man doch die Verbrechen der Nazis bereut und wie zutiefst geläutert man nun ist?Ich frage mich nämlich ob Reue und Scham teilbar sind.Ich habe nie von einer «Staatsräison» der Bundesrepublik in ähnlicher Form gegenüber der Sowjetunion und später Russlands gehört, obwohl dieses Land bei weitem den größten Blutzoll gezahlt hat.Ich frage mich, wie ernst diese Reue gemeint ist angesichts der Tatsache das wir es mit der BRD mit einem Land zu tun haben in dem immer noch die KPD verboten ist, -obwohl Kommunisten die ersten Opfer der Nazis waren- in dem Leute wie Globke und Filbinger Karriere machen konnten und in dem wir heute mit einer Russlandhetze leben müssen die mich stark an die Rassenhetze der Nazis erinnert.Ist Reue und Scham also teilbar? Meiner Ansicht nach ist geteilte Scham geheuchelte Scham.In mir hat sich das unwürdige Verhalten der bundesdeutschen Politik und der Medien anläßlich des 80.Jahrestages des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion tief eingebrannt.Ich bin mir sicher, das einzelne Menschen wie Sie, Herr Albrecht, ganz bestimmt eine tiefe Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk angesichts des Holocausts empfinden-aber es fällt mir sehr schwer zu glauben das diese verordnete «Staatsräison» Ausdruck echter Gefühle seitens der offiziellen BRD-Eliten insgesamt ist.Nicht zuletzt läßt mich die bundesdeutsche Unterstützung für ein faschistisches Regime in Kiew am Antifaschismus der BRD zweifeln.

Wer den Holocaust aufrichtig verurteilt muß geradezu aufschreien wenn wieder ein Volk nur wegen seiner Herkunft,seines Glaubens und seiner Kultur verfolgt wird.Wenn aus purem Rassenhass Palästinenser unterdrückt und massenhaft ermordet werden, dann darf eine «Staatsräison» niemanden verbieten, hinzuschauen und zu protestieren.Wenn Israel als Staat auf Irrwegen ist, dann müßte es gerade unsere Aufgabe sein, die dortige Führung daran zu erinnern,wohin Rassenhass führen kann-eben wegen unserer Geschichte! Es gibt auch helfende Kritik!Die von Ihnen so treffend aufs Korn genommene «Staatsräison» ist in meinen Augen ein Vehikel für zur Schau getragene Hypermoral,wie sie besonders für die Grünen typisch ist.Weil man sich als bedingungs- und kritikloser Freund Israels in Szene setzt ist man automatisch ein Teil der Achse des Guten!

Ich weiss das ich jetzt etwas schreibe, was vielleicht bei einigen Menschen tiefe Empörung auslösen wird.Vor einiger Zeit stand ich vor dem Holocaust-Denkmal in Berlin und ich war kurz zuvor in Buchenwald gewesen und habe das DDR-Mahnmal dort gesehen.Ich konnte einfach das Gefühl nicht loswerden das man mit dem Berliner Denkmal durch die pure gewaltige Masse dieses Mahnmals etwas ausdrücken wollte was man aufrichtig und gefühlsmäßig gar nicht auszudrücken vermag- weil man es nicht wirklich empfindet.Ein bisschen habe ich bei diesem Denkmal immer das Gefühl das man hier mit bloßer Quantität jeden Zweifel daran erschlagen will,das die BRD ein zutiefst vom Faschismus geläuterter Staat ist.»Seht her-wir haben so ein großes Denkmal errichtet weil wir so aufrichtig betroffen sind!».In Buchenwald erlebt man hingegen aufrichtigen in der Kunst zum Ausdruck gekommenen Schmerz.Aber das ist sicher mein subjektiver Eindruck.Mir fehlen auch in diesem «besten Deutschland das es je gab» ähnliche Denkmäler für die anderen Völker,die Opfer der Nazibarbarei geworden sind- insbesondere für die Völker die östlich und südlich von uns leben!

Aufgabe der bundesdeutschen Republik hätte es von Anfang an sein müssen Israel daran zu erinnern das es auf die Dauer auch für Israel selbst nur von Vorteil sein kann mit seinen Nachbarn in Frieden zu leben.Stattdessen wird jedes Verbrechen gegenüber den arabischen Nachbarn gedeckt und jede Kritik an Israel geradezu inflationär mit dem Totschlagargument «Antisemitismus» verunglimpft.Doch Apartheid bleibt Apartheid!Unrecht wird nicht dadurch Recht weil es jemand begeht dem einst selbst Unrecht widerfahren ist.Und wenn wir als Deutsche beim Unrecht gegenüber den Palästinensern wegschauen-ja,es sogar durch eine idiotische «Staatsräison» decken-beweisen wir nur,das wir aus unseren Fehlern absolut nichts gelernt haben und auf eine gewisse Weise schänden wir das Andenken der Juden,die in Auschwitz ermordet wurden ein zweites Mal.

Ulrich Guhl


4. Leserbrief

Ja, lieber Albrecht Müller,
 
diese Frage stellt sich wirklich: Sollen wir uns 7? 70? 700? Jahre schuldig fühlen…?
 
Ich mache mir dazu immer ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, es gäbe Reinkarnation wirklich – und ein kleiner jüdischer Junge David wurde von den Nazis zu Tode gequält … und dann 20 Jahre später wiedergeboren als deutscher Junge Stefan. Und Stefan ist links und macht sich Schuldvorwürfe wegen der Nazitaten – aber dabei war er doch der, dem es ANGETAN wurde, er war doch damals DAVID! Das heißt, er fühlt sich schuldig für etwas, was ihm angetan wurde!
 
Daran sieht man, wie sinnlos der Gedanke einer Volksschuld ist, finde ich.
 
Es steht eigentlich JEDEM lieben und klugen Menschen auf der Welt gut zu Gesicht, die Augen offen zu halten, dass so etwas nie wieder passiert – egal, ob seine Väter auf der oder der Seite standen.
 
Und sagt man uns nicht immer: Wer heute noch was an seiner deutschen Volkszugehörigkeit festmacht, ist ewig gestrig – heute ist jeder weltoffen und bunt! Aber komisch: wenn es um die Erbschuld aus den Hitlerjahren geht, DA ist plötzlich meine deutsche Volkszugehörigkeit sehr wichtig!
 
Dass das alles von Anfang an nur eine Instrumentalisierung war – sieht man auch daran, dass man bei den RUSSEN nie sagte: “Wir haben 27 Millionen Russen, die uns nichts getan hatten, auf dem Gewissen – nun müssen wir auf immer an der Seite Russlands und seiner Regierung stehen, egal, was sie für Mist baut!”
 
Zu dem ganzen Trauerspiel in Palästina … Ich verstehe schon den ersten Grundgedanken damals nicht: Wie konnte man einfach sagen: Die Palästinenser wischen wir (wie Krümel auf einem Tisch) weg – und geben das Land den Juden, als Sühne für den Holocaust! Die Palästinenser hatten doch den Juden nichts getan!!! Das waren doch die Deutschen! DIE hätten Land abgeben sollen – das wäre fair gewesen! Was können denn die armen Palästinenser dafür?!
 
Ach schade, dass es kein schöner Garten geworden ist – für beide Völker – das hätte ich ihnen am liebsten gewünscht!
 
Nee, ich habe nichts für Staatsräsons, Erbschuldmechaniken oder Vokabelheftgüte übrig (so Vokabelhefte, wo drinsteht, welche Gruppen erstwichtig sind und welche nur zweitwichtig)! Es gibt doch bloß M-e-n-s-c-h-en … jeder hat einmal seine Augen zum allerersten Mal aufgemacht, sein Gesichtchen in die Welt gehalten und gelacht und gehofft, das Leben hier sei schön …
 
Martin


5. Leserbrief

Lieber Albrecht Müller,

Sie sprechen mir mit Ihrem Artikel aus der Seele. Aber hinter der Verwendung des Begriffs steckt durchaus Kalkül. Wie überhaupt Sprache und sprachliche Vereinfachungen immer mehr zur Methode der Manipulation werden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die um sich greifende Gleichsetzung von Antisemitismus und Kritik am Staat bzw. der Regierung Israels, die mich zunehmend nervt. Jüngstes Beispiel aus meinem Wohnort Witten: die zweimalige Entfernung einer israelischen Flagge vor dem Rathaus wird vom Bürgermeister und den zustimmenden Medien sofort ohne Erklärung als Antisemitismus gebrandmarkt. Ich werde dem Bürgermeister empfehlen, anstatt die Entferner der israelischen Flagge zu verfolgen, besser eine palästinensische Flagge neben die israelische zu hängen – als Zeichen für den Wunsch nach eine Versöhnung der beiden Parteien und als Zeichen für die Solidarität mit den nicht-jüdischen Menschen in Palästina und ihren berechtigten Interessen.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich habe vor vielen Jahren u.a. über Zwangsarbeit unter den Nazis im Zweiten Weltkrieg geforscht und kannte mich damals ziemlich gut in der Geschichte der Verfolgten des NS-Regimes aus. Am Staat Israel und seiner Politik übe ich heftige Kritik, sehr heftige wie auch viele israelische Menschen, Antisemitismus ist mir absolut fremd.

Viele Grüße
Ulrich Zumdick


6. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

ich bin ganz bei Ihnen, was den ersten Teil Ihrer Überlegungen zur Staatsraison im Zusammenhang mit Israel betrifft. Man muss tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass die Bundesregierung die Politik Israels immer zu 100% unterstützt und dieser somit einen Blankoscheck ausstellt, vor dessen Gefahren wir eigentlich aus schmerzhafter historischer Erfahrung gewarnt sein müssten.

Anders verhält es sich allerdings mit dem zweiten Teil Ihrer Ausführungen, denen ich nicht so pauschal zustimmen kann.

Die Schuld, die Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus dem jüdischen Volk gegenüber auf sich geladen hat, ist meiner Meinung nach so ungeheuerlich, dass es durchaus angemessen ist, wenn sich auch noch die Urenkel und Ururenkel der Tätergeneration an diese Schuld erinnern lassen müssen. Ob sie es wollen oder nicht – sie sind nun einmal die Nachfahren eines Volkes, das ohne nennenswerten Widerstand die Horrortaten der Nazis zugelassen und in nicht unerheblichem Umfang unterstützt hat.

Andererseits darf diese zeitlose Verantwortung nicht dazu führen, die Augen vor den Gräueltaten anderer, aktueller Regierungen und Regime zu verschließen.

Mit freundlichen Grüßen
Manfred Clauss


7. Leserbrief

Liebe NDS-Redaktion,

für eine “Staatsräson” muss man erst einmal einen Staat haben (wollen). Deutsche Regierungen vermitteln etwa seit der Jahrtausendwende eher den Eindruck, der Staat sei ein angestaubtes Relikt einer fernen Vergangenheit. Der Begriff der Staatsräson bedeutet das Streben nach Sicherheit und Selbstbehauptung des Staates mit beliebigen Mitteln. In diesem Sinn ist die Staatsräson ein vernunftgeleitetes Interessenskalkül einer Regierung, einzig der Aufrechterhaltung des funktionierenden Staatsgebildes verpflichtet. Ein Staat, der nicht fähig oder gewillt ist, seine Grenzen zu schützen – nämlich dann, wenn Außenstehende bestimmen, wie viele kommen, wann sie kommen und wohin sie gehen – wird schlicht und ergreifend zerfallen. Die moderne Demokratie gründet auf zwei Voraussetzungen: dem Territorialstaat und der Nation, also dem Staatsvolk, gedacht als Einheit freier Bürger. Beides könnte verschwinden, zum einen durch die politische Internationalisierung wie im Falle der EU, zum anderen durch Globalisierung der Wirtschaft. Allerdings haben diese vermeintlichen Modernisierungsschübe durchaus auch anti- und vormoderne Effekte. Wer vorschnell das Ende des Staates fordern und feiern möchte, sollte das bedenken.

Viele Grüße
Michael Wrazidlo


8. Leserbrief

Das Schlagwort „Staatsräson“ – ein Schlagwort, mit dem jedes Nachdenken niedergeschlagen wird – verdeckt die völlig irregeleitete Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels. Die israelische Journalistin Amira Hass hat dieser Tage in der Zeitung Haaretz einen fiktiven Appell an Bundeskanzler Scholz publiziert. Dort sagt sie uns: „Ihr Deutschen habt Eure Verantwortung, die sich ‚aus dem Holocaust‘ ergibt […] längst verraten. Ihr habt sie verraten durch eine vorbehaltlose Unterstützung eines Israels, das besetzt, kolonisiert, den Menschen Wasser entzieht, Land stiehlt, zwei Millionen Menschen in Gaza in einem überfüllten Käfig einsperrt, Häuser zerstört, ganze Gemeinden aus ihren Häusern vertreibt und Siedlergewalt fördert.“ Mit der „vorbehaltlosen“ Unterstützung wurde das verfehlt, was gefordert gewesen wäre, nämlich zumindest in stiller Diplomatie immer wieder auf die Einhaltung der UNO-Resolutionen zu pochen. Vor allem hätte man nach dem Oslo-Abkommen die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung anmahnen müssen. Die ist inzwischen unrealistisch geworden. Das ständige Stillhalten bundesdeutscher Regierungen hat der Sicherheit Israels nicht gedient, wie sich spätestens jetzt zeigt. Was als Solidarität beschworen wird, ist zur Komplizenschaft geworden. Verantwortung im Sinn von Amira Hass hätte vorausgesetzt, dass man die Vertreibung der Palästinenser nicht bloß als Kollateralschaden der israelischen Staatsgründung abgetan hätte, sofern man sie überhaupt wahrnehmen wollte. Viele von uns haben sie früher sogar im Denkschema des europäischen Kolonialismus als eine selbstverständliche Folge zivilisatorischer Überlegenheit betrachtet. Außerdem steht dem verantwortungsvollen Umgang das Bedürfnis entgegen, „das Verhältnis zu Israel als exklusive Zweierbeziehung zu sehen, als ein deutsch-jüdisches Wunder der Versöhnung“ (Charlotte Wiedemann 2022). Die Instrumentalisierung des Holocaust, um den Bruch aller UN-Resolutionen und Abkommen zu rechtfertigen, die kritische Israelis ihren Regierungen vorgeworfen haben, wollte man von deutscher Seite nie wahrhaben. Das hätte die Harmonie gestört.

Von Anfang an war das Verhältnis Deutschlands, das mit einem der größten Verbrechen der Geschichte belastet war, zu Israel unehrlich. 1952 setzte Konrad Adenauer gegen Widerstände eine Entschädigungszahlung an Israel durch, die in Waren und Dienstleistungen im Wert von 3,5 Milliarden DM bestand. Mit diesem „Wiedergutmachungsabkommen“ erkaufte sich die Bundesregierung die Entspannung im Verhältnis der beiden Staaten und die internationale Rehabilitation. Von israelischer Seite nahm man in Kauf, dass die westdeutschen Institutionen durchweg mit alten Nazis besetzt waren. Aber Israel brauchte die Unterstützung des Westens, vor allem der USA, und wusste, dass die Bundesrepublik deren unverzichtbarer Frontstaat im Kalten Krieg war. Die DDR-Führung folgte in ihrer Israel-Politik der Moskauer Linie. Die Schuld an den Verbrechen des Deutschen Reichs wälzte sie auf die Kapitalistenklasse ab, so wie man sich im Westen mit Verweis auf die Nazis entlastete. Was in der DDR zählte, war eine antifaschistische Haltung. Im Westen bemühte sich viele Gruppen ernsthaft um eine Aufarbeitung der belastenden Vergangenheit. Aber der herrschende Diskurs blieb davon weitgehend unberührt. Man achte auf die Argumentationsmuster in Verlautbarungen und Feiertagsreden! Von der geläuterten Haltung sollte die vorbehaltlose Unterstützung Israels zeugen. Jede Kritik an der dortigen Politik löste den Antisemitismus-Vorwurf aus. Die Hysterie bei der Verfolgung von Antisemitismus ist verräterisch. Für das Alltagsbewusstsein aufschlussreich ist auch, dass 1992 ein Rostocker Kommunalpolitiker in einer Diskussion mit Ignatz Bubis, dem damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, unterstellte, dessen Heimat sei Israel.

In der neuen Bundesrepublik brachte Gregor Gysi als Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke 2008 den Begriff Staatsräson im Zusammenhang mit den Nahostkonflikt in die Debatte ein, wobei er übrigens unter Bezugnahme auf den Juristen und Rechtsphilosophen Hermann Klenner klarstellte, Staatsräson bedeute historisch die Selbstbehauptung des Staates mit allen, auch unmoralischen Mitteln. Böswillig könnte man interpretieren, die absolute Solidarität mit dem Staat Israel solle der moralischen Selbstbehauptung der Bundesrepublik im Kreis der Staatengemeinschaft dienen, und das mit allen Mitteln.

Von unserem Leser G.A.


9. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

es ist bezeichnend: Jene, die mit Blick auf Israel die “deutsche Staatsräson” wie eine Monstranz vor sich hertragen, verweigern den Blick auf die deutsche Verantwortung auch gegenüber dem palästinensischen Volk. Denn ohne die durch den Holocaust an den europäischen Juden beförderte Staatsgründung Israels würden die Palästinenser nach wie vor in ihren eigenen Staatsgrenzen leben.

Die Staatsgründung Israels im Jahre 1948 ging mit massiven Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen einher: der Vertreibung von ca. 750.000 Palästinensern aus ihrer Heimat, der Entvölkerung von 11 Stadtteilen ehedem palästinensischer Städte und mancherorts mit der Tötung aller männlichen Palästinenser ab 14 Jahren. Die darauf folgenden Jahrzehnte waren bis zum heutigen Tag immer wieder geprägt von völkerrechtswidrigen Annexionen (so z.B. Ost-Jerusalems), Vertreibungen, permanenten Demütigungen und Schikanen sowie einer “Apartheidspolitik” (so Amnesty International und Human Rights Watch) gegen die palästinensische Bevölkerung.

Wer glaubt, mit der Formel “deutsche Staatsräson” dies alles zukleistern zu können, zeigt einmal mehr, dass der vom Globalen Süden gegen die NATO und deren engste Verbündete erhobene Vorwurf der Doppelstandards seine volle Berechtigung hat.

Mit freundlichen Grüßen
Günter Kieren


10. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

Ich stimme Ihnen zu, dass der Begriff der “Staatsräson” unpassend ist, insbesondere aber deshalb, weil er von seiner potenziellen “Rechtswirksamkeit” her erhebliche Probleme schafft. Dies kommt in einem Beitrag der DW sehr gut zum Ausdruck:

dw.com/de/hamas-terror-gegen-israel-was-bedeutet-deutschlands-staatsr%C3%A4son/a-67107688

Allerdings erachte ich (Jahrgang 1960) die international sehr besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als etwas Andauerndes, das es über Generationen hinweg weiterzugeben gilt. Ich sehe das als einen zentralen Baustein unseres politischen Wertekanons.

Um es mit den Worten Willy Brandts auszudrücken:

…. Die Frage der Schuld erledigt sich nicht mit der Ablösung der Generationen. Sie wirkt (in uns) nach als geschichtliche Macht. …

Beste Grüße
Thomas Schaefers


11. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,
Sehr geehrte Redaktion,

ich muss bei einem Punkt, den Sie schreiben, protestieren.

Sie schreiben: „Sie kann machen, was sie will, sie kann zum Beispiel ein Hospital bombardieren und dabei gleich einige 100 Menschen zu Tode bomben“.

Sie spielen wohl auf den Vorfall vor 2 Tagen an ?. Sie geben dem israelischen Militär die Schuld, obwohl die Schuldfrage doch noch gar nicht geklärt ist. Ganz im Gegenteil, es gibt Indizien, die dafürsprechen, dass das israelische Militär nicht die Verantwortung trägt. Wie können Sie also etwas behaupten, wenn  die Beweisführung noch gar nicht abgeschlossen ist ?. Die Behauptung, dass es das israelische Militär war, hat wohl die Hamas in die Welt gesetzt. Muss ich erst die BILD lesen, um zu erfahren, dass zum Beispiel der Deutschlandfunk diese Behauptung zurückgezogen hat ? Oder glauben Sie etwa dieser widerlichen Mörderbande  namens Hamas ?

Sie behaupten oft, die Medien berichten (über manche Themen ) nur sehr einseitig und scheren sich nicht um die Quellen.

Bei allem Respekt, genas das tun Sie in diesem Fall allerdings auch !

Es ist mir aufgefallen, dass sie über die Massaker in Butscha 2022 nichts geschrieben haben.  Sie haben sogar noch geschrieben, dass es sogar ukrainische Militärs (!!!) gewesen sein könnte. Daran kann ich mich noch sehr genau erinnern.

Sind Sie übrigens immer noch dieser Meinung ? Wegen dieser Behauptung sind Sie übrigens auch bei der Gegneranalyse aufgetaucht.  Darüber haben Sie sich ja auch beschwert.

Warum behaupten Sie im Fall der Bombardierung eines Krankenhauses, dass es „ Israel  „ war, aber über Butscha  schreiben sie nichts ?. Es ist mir auch aufgefallen, dass Sie über russische Kriegsverbrechen noch nie etwas geschrieben haben, es sei denn, ich habe es übersehen.

Sie schreiben sogar noch über angebliche ukrainische Kriegsverbrechen. Einseitiger gehts nicht mehr.

Ihr Russland-Berichte stammen von Hr. Heyden, dem zumindest Kremlnähe attestiert wird und auf dessen Dienst alle anderen mittlerweile verzichten (Der Freitag usw).

Können Sie mir das bitte erklären ?!

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich leider nicht unter Russophobie, die Vorgeschichte des Ukrainekrieges ist mir bekannt. Mir geht es nur um die Wahrheit, nicht um die Dämonisierung mancher Leute.

Ich gebe Ihnen sogar Recht, ich halte auch nichts von Phrasen, wie zum Beispiel einer uneingeschränkten Solidarität, wie das mal Gerhard Schröder nach den Anschlägen am 11.09.2001 getan hat.

Viele Grüße
Jan Brandt

Anmerkung Albrecht Müller: Der Leserbriefschreiber Brandt erhebt eine Reihe von Vorwürfen. Leider ohne konkrete Quellen zu nennen. Mit einer Kritik hat er recht: ich habe, bevor die Umstände weiter geklärt waren, die Bombardierung eines palästinensischen Krankenhauses Israel zugeschrieben. Darüber wird noch gestritten. Das Zwischenergebnis ist so, dass man die Behauptung, es sei Israel gewesen, nicht aufrechterhalten kann.

In Sachen Butscha haben wir ausdrücklich geschrieben, dass wir uns kein abschließendes Urteil anmaßen können. Siehe hier: „Butscha – leider sind wir nicht so hellsichtig wie Scholz, Lambrecht, Melnyk, Sievers (ZDF), Adler (DLF), die ARD und Co“.

Dann bleibt noch anzumerken: Wenn andere Medien auf die Berichte von Ulrich Heyden verzichten, ist das deren Sache und sagt nichts darüber aus, was sachlich berechtigt ist. Schon die Bemerkung des Leserbriefschreibers Brandt, „Heyden, dem zumindest Kremlnähe attestiert wird…“, löst Fragen aus, zum Beispiel: Wer attestiert? Wenn schon, dann bitte Ross und Reiter nennen.


12. Leserbrief

Lieber Herr Müller,
liebes Nachdenkseiten-Team,
 
wie bei vielen Ihrer Beiträge stimme ich auch der Einschätzung bezüglich „deutscher Staatsräson“ zu, mit einer Abweichung:
ich würde sogar noch weiter gehen und diese proklamierte „Staatsräson“ nicht nur für künftige Generationen, sondern auch im Jetzt in Frage stellen bzw. anders interpretieren.
 
Dass Deutschland eine ganz besondere Verantwortung (!) für all diejenigen Völker, Religionsgemeinschaften und Ethnien aufbringen müsste, welche durch unser Land – unmittelbar oder mittelbar – enormes Leid und Unrecht erfahren haben, steht für mich außer Frage. Und ebenso außer Frage steht natürlich, dass Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung ganz besonders von der unfassbaren Brutalität deutscher Staatsgewalt betroffen waren und insofern Deutschland seine diesbezügliche Verantwortung nicht abschütteln kann – vielleicht auch nicht in Zukunft. Eine schwierige und vielleicht auch unnötige Diskussion – wenn „Verantwortung“ entsprechend interpretiert würde.
 
Allerdings sind ja leider jüdische Menschen nicht einmal die einzigen Opfer rechtloser, willkürlicher Gewalt durch den deutschen Staat, wenn auch auf eine unfassbar brutale und explizit vernichtende Art und Weise. Ebenfalls betroffen, quantitativ sogar ein vielfaches mehr – wobei sich Vergleiche hier ohnehin verbieten – sind ja auch Russen und überhaupt alle Völker der ehemaligen Sowjetunion. Die Gesamtzahl aller Betroffenen ist ja noch weit umfangreicher, spätestens sicherlich beginnend mit dem deutschen Kolonialismus, auch da mit unfassbaren Verbrechen, über marginalisierte Gruppen wie Sinti und Roma bis hin in die jüngste Vergangenheit mit beispielsweise Serbien und Afghanistan. Das ist nicht relativierend gemeint, sondern soll dem Vergessen gegenüber anderen Opfern deutscher Gewalt entgegenwirken.
Wo bleibt für all diese Länder und Ethnien der Ausdruck unserer Verantwortung?
 
Dann noch die Frage, welche ja immer wieder zurecht angestoßen wird: Wem gegenüber gilt eigentlich heute diese besondere Verantwortung Deutschlands? Explizit dem Staat Israel gegenüber, welcher ja während des menschenverachtenden NS-Regimes noch gar nicht existiert hatte und der auch weder alle Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft noch alle Opfer des NS-Regimes repräsentiert? Oder doch zuallererst allen noch lebenden Betroffenen und den Nachfahren der Millionen Betroffenen, etwas weiter gefasst allen Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung, die ja alle im Fokus der faschistischen Vernichtungsmaschinerie gestanden hatten – wie eben auch weitere betroffenen Gruppen?
 
Oder sollte diese besondere Verantwortung – aus dem Bewusstsein der Verbundenheit oder meinetwegen Unterschiedslosigkeit aller Menschen – oder wenigstens als Lehre aus der eigenen Geschichte nicht allen unterdrückten, marginalisierten und von Gewalt oder gar Vernichtung bedrohten Ethnien, Völkern und Gruppen zuteilwerden? … aktuell also gerade insbesondere dem unfassbares Leid erfahrenden palästinensischen Volk, natürlich den Betroffenen und Angehörigen des Hamas-Massakers und darüber hinaus allen verunsicherten Menschen in Israel, ebenso aber den von unserem Gaslieferanten Aserbaidschan bekriegten (ehemaligen) Einwohnern Bergkarabachs, den von der Türkei immer wieder bombardierten Kurden, den weltweit vor Krieg und Gewalt Flüchtenden und im Mittelmeer Ertrinkenden und vielen mehr?
Weshalb auch hier so unverständlich krass differierende Standards?
 
Und schließlich: Was bedeutet unsere (besondere) Verantwortung konkret? Es kann und darf doch nicht bedeuten, dass ein Staat, der auserwählt worden ist als Repräsentant der Opfer des deutschen Staatsterrorismus in der NS-Zeit, obwohl er tatsächlich nicht einmal alle Opfer repräsentiert, der jahrzehntelang Völkerrecht (zB. etliche UNO-Resolutionen) missachtet, bedingungslos von Deutschland unterstützt wird, egal wie er agiert? Was, wenn er oder seine Vertreter schließlich selbst, wie im Falle Israels ja immer wieder berichtet, zum Unterdrücker, zum rassistischen Apartheidsystem, zum Gewalttäter wird oder Extremisten die Macht übernehmen?
 
Dient dies tatsächlich den Menschen in Israel? Muss unsere besondere Verantwortung nicht bedeuten, gerade das zu verhindern? Gerade aus dieser bestehenden besonderen Verbindung heraus?
Müsste uns unsere Verantwortung nicht eintreten lassen für Menschenwürde, Frieden, Gewaltlosigkeit, Verstehen und fairen Interessensausgleich?
Ist es nicht insofern völlig inakzeptabel und vielleicht auch verfassungswidrig, wenn jetzt gerade in Deutschland nahezu jede Form der Solidaritätsbekundung mit dem palästinensischen Volk repressiv unterdrückt wird?
 
Nach Wikipedia „bedeutet (der Begriff Staatsräson) das Streben nach Sicherheit und Selbstbehauptung des Staates mit beliebigen Mitteln.“ (!)
Wobei es auch deutlich gemäßigtere Definitionen gibt.
 
Doch kann es wirklich das Ziel einer demokratisch verfassten Republik sein, die „Sicherheit“ eines bestimmten anderen Staates zu Lasten Dritter „mit beliebigen Mitteln“ zu unterstützen? Jedes Vorgehen dieses anderen Staates bedingungslos zu unterstützen? Darf – wie ja auch schon im Falle der Ukraine immer wieder diskutiert – die Sicherheit eines Landes zu Lasten der Sicherheit und des Wohlergehens seiner Nachbarn gehen?
 
Ist das alles wirklich im Interesse Deutschlands? Ist das die folgerichtige Konsequenz aus den Verbrechen des NS-Regimes? Ist diese behauptete Staatsräson überhaupt verfassungskonform?
 
Sollte nicht – wenn schon der Begriff Staatsräson in Folge der grausamen historischen deutschen Erfahrungen gebraucht werden muss – im Gegenteil das Eintreten Deutschlands für Frieden, für Völkerverständigung über alle Blöcke hinweg, für friedliche Unterstützung aller bedrängten und unterdrückten Völker, Ethnien und sonstigen Gemeinschaften zentraler Inhalt einer deutschen Staatsräson sein? Wäre das nicht sogar förderlicher auch für die Menschen in Israel?
 
Wäre dies so, sähe wohl die aktuelle Politik Deutschlands völlig anders aus – und vielleicht auch die Welt als Ganzes.
 
Herzliche Grüße
Peter Langhammer


13. Leserbrief

Lieber Albrecht Müller,

Ich hatte soeben einen Leserbrief zum Thema Staatsräson an unsere Regionalzeitung (Waltroper Zeitung, Bauer-Verlag in Marl) geschickt, da sehe ich zum selben Thema den Beitrag in meinen geliebten Nachdenkseiten.

Da habe ich gedacht, dass mein Brief euch auch interessieren könnte. Der Bauer Verlag in seinem überregionalen Angebot (6 Städte im Kreis Recklinghausen) hat in seinen Leserbriefen eine wesentlich größere Toleranz als alle anderen Zeitungen in unserer Gegend (z.B. WAZ).

Ich bin gespannt, ob seine Toleranz auch diesmal wieder reicht.

Mit solidarischen Grüßen,
Ernst-W. Belter

Leserbrief zu „Blick hinter ein Bekenntnis“ vom 18.10.2023

In diesem Beitrag geht Christian Driessen der Frage nach, was die Aussage von Angela Merkel „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“ eigentlich bedeutet. Seine Antwort ist, dass „Deutschland für die Sicherheit Israels einsteht“ und bezweifelt, ob Deutschland das überhaupt leisten kann, weil „Israel sich mit den USA auf einen ungleich stärkeren Partner verlassen kann.“

Ich denke, dass Merkels „Staatsräson“ eine Zusammenfassung dessen ist, was man in den letzten Tagen nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel aus sehr vielen Mündern gehört hat, nämlich dass Deutsche aufgrund der historischen Verantwortung den Jüdinnen und Juden in Israel uneingeschränkte oder bedingungslose Solidarität zukommen lassen muss.

Dass Deutschland aufgrund des Holocaust eine historische Verantwortung hat, ist unbestritten und sollte nie vergessen werden. Aber uneingeschränkte oder bedingungslose Solidarität? Dazu habe ich einige Fragen:

Ist es deutsche Staatsräson, dass Israel

  • den Palästinensern seit 75 Jahren jede wirtschaftliche, kulturelle und politische Entwicklung verwehrt?
  • den gesamten Gazastreifen vor 16 Jahren zu einem großen Freiluftgefängnis gemacht hat? –
  • den gesamten Gazastreifen nach Raketenangriffen immer wieder bombardiert mit großen Zerstörungen und tausenden Opfern?
  • den Osloprozess und alle weiteren Bemühungen um einen wirklichen Frieden immer wieder torpediert hat?
  • im Gazastreifen in den letzten Jahren immer wieder willkürliche Tötungen vorgenommen hat (in diesem Jahr vor dem Anschlag bis zu 300 Opfern), die nie weiter strafrechtlich verfolgt werden?
  • allen Bewohnern des Gazastreifens Wasser, Lebensmittel und Energie entzieht?
  • alle Bewohner im nördlichen Gaza zur Flucht aufgerufen werden?
  • den fliehenden Palästinensern kein Fluchtweg geöffnet wird?
  • mit seiner „Selbstverteidigung“ gegen Völker- und Menschenrechte verstößt?

In einem Staat, der alle diese Fragen mit „Ja“ beantwortet, möchte ich nicht gerne leben.

Der Begriff der Staatsräson ist letzten Endes schädlich, weil er uns jedweder israelischen Regierung ausliefert, insbesondere der jetzigen mit ultraorthodoxen und sogar einigen offen faschistisch agierenden Mitgliedern. Sie kann machen, was sie will, zum Beispiel den Palästinensern elementare Menschenrechte verweigern und fliehende Menschen bombardieren.

Der Begriff ist auch schädlich, weil er den vielen vernünftigen Menschen in Israel, die sich für einen Ausgleich mit den Palästinensern für ein friedliches Zusammenleben engagieren, die Arbeit erschwert.

Meiner Meinung nach muss immer das Menschliche im Vordergrund stehen, d.h. bei aller Solidarität müssen die Menschenrechte gewahrt bleiben. 
Auch die Palästinenser sind Menschen und keine “menschlichen Tiere” wie sie der faschistische Verteidigungsminister Galant genannt hat.

Ein Frieden kann nicht herbei gebombt werden, es kann nur eine friedliche Lösung geben, wenn beide Partner einander respektieren und mindestens dem anderen auch seine elementaren Rechte zugestehen.

Ernst-W. Belter, 18.10.2023


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