Konsum aus dem Nichts

Ein Artikel von Heiner Flassbeck

Von Heiner Flassbeck aus FR vom 03.06.2006.

Wie leicht man sich doch in die eigene Tasche lügen kann! In diesen Tagen sind die Medien voll von Kommentaren, in denen der festen Überzeugung Ausdruck gegeben wird, dass in Deutschland nun endlich auch der private Verbrauch anspringt und der Konjunktur, neben dem ohnehin florierenden Export, zu dem dringend gebrauchten zweiten Standbein verhilft. Umfragen werden fleißig zitiert, in denen die Verbraucher angeben, so konsumfreudig zu sein, wie schon viele Jahre nicht mehr, und die Prognosen werden fast durchweg nach oben revidiert.

Erstaunlich ist nur, dass man von den konsum-euphorischen Kommentatoren und Experten nichts gehört hat, als es um die laufende Lohnrunde ging. Wer hat die IG-Metall oder Verdi in ihren Forderungen unterstützt, wenigstens die Reallöhne zu sichern? Man möchte zwar gerne einen boomenden Konsum in Deutschland haben, aber er soll bitte nichts kosten. Diese Einstellung nach dem Motto “wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass” führt zu kuriosen Ideen, wie der Konsum anzukurbeln wäre. So hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem Deutschlandbericht gerade festgestellt, der private Verbrauch müsse dringend angekurbelt werden, aber die Löhne dürften deswegen nicht steigen. Vielmehr sollten die Belastungen für die Verbraucher und die Unternehmen verringert werden, so dass die Beschäftigten mehr Einkommen bei den gleichen Löhnen haben und die Firmen mehr Menschen einstellen. Nur über staatliche Entlastung und mehr Beschäftigung sollten die Einkommen steigen.

Das klingt gut, hat aber den kleinen Haken, dass auch der Staat kein Geld zum Entlasten hat und ein bisschen Bürokratieabbau schon hundertmal versucht wurde und noch nie der große Wurf war.

Noch abwegiger ist die Vorstellung, die Unternehmen müssten nun endlich entlastet werden und würden dann in großem Stil neue Arbeitsplätze schaffen. Die deutschen Unternehmen sind in den vergangenen Jahrzehnten erheblich vom Staat entlastet worden und haben weniger Arbeitskostenbelastung in den vergangenen zehn Jahren gehabt als in irgendeinem auch nur halbwegs vergleichbaren Land der Welt. Das ist ja gerade der Grund für die eklatante und anhaltende Konsumschwäche: Die Reallöhne sind zwar weit weniger gestiegen als die Produktivität, was die Unternehmen massiv entlastet hat, die Unternehmen haben aber im Gegenzug die Beschäftigung nicht so stark erhöht, dass das Einkommen der Arbeitnehmer insgesamt, also die Summe von Lohn je Beschäftigten und der Zahl der Beschäftigten, gestiegen wäre. Warum sollten wir glauben, dass sich das jetzt gerade ändert?

Einfache Wahrheit

Das deutsche Problem ist ein anderes: Jeder, der in den vergangenen Jahren mit großem Pathos über die verantwortungslosen Gewerkschaften hergezogen ist, jeder, der die hohen Lohnnebenkosten beklagt hat, jeder, der behauptet hat, die Lohnsteigerungen und das Lohnniveau seien in Deutschland total überzogen, kann jetzt natürlich nicht sagen, dass die Lohnentwicklung etwas mit der danieder liegenden Binnennachfrage zu tun hat. Die einfache Wahrheit, dass in Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre die Reallöhne brutto nicht mehr gestiegen und netto sogar in den meisten Fällen gesunken sind, die können und wollen wir doch dem Volk nicht zumuten. Und die Tatsache, dass die massive Lohnzurückhaltung in Deutschland nicht zu der allseits erhofften Beschäftigungszunahme geführt hat, muss unbedingt verschwiegen werden, weil ja sonst das ganze Fundament des auf Blut, Schweiß und Tränen aufgebauten Ideologiegebäudes zusammenbräche.

In keinem größeren Land der Welt hat es jemals Wachstum gegeben ohne die kräftige Zunahme des privaten Verbrauchs. Und nirgendwo ist der private Verbrauch gestiegen, ohne dass das verfügbare Einkommen und die Löhne je Arbeitnehmer gestiegen wären. Und dort, wo die privaten Haushalte ihre Ersparnisse zusätzlich massiv heruntergefahren haben, um den Konsum zu steigern, hatten sie zumindest die Illusion, dass sich – über höhere Hauspreise zum Beispiel – ihre Vermögensposition so stark verbessert hat, dass sie sich den Abbau der Ersparnisse leisten konnten. Von nichts kommt nichts, sagt der Volksmund, und er hat vollkommen Recht. Deshalb Vorsicht: Wer heute über Konsum spricht, ohne über die dahinter stehenden Einkommen zu sprechen, will wahrscheinlich verbergen, dass er in seiner Einschätzung der Lohnzurückhaltung auf die Beschäftigung völlig falsch gelegen hat.

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Dokument erstellt am 02.06.2006 um 17:25:01 Uhr
Erscheinungsdatum 03.06.2006