Abgeordnete konkurrierender Parteien können die durch starke Indizien gestützten Forderungen des BSW zu einer seriösen Klärung des Wahlvorgangs nach den gegenwärtigen Regelungen ganz einfach aussitzen. Und anscheinend haben sie genau das vor. Dieser Zustand ist demokratiefeindlich und unfair – er sollte unabhängig von der aktuellen und fragwürdigen Entscheidung des Verfassungsgerichts dringend überprüft werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte wegen starker Indizien bezüglich Unregelmäßigkeiten beim Wahlvorgang und angesichts eines historisch knappen Abschneidens unterhalb der fünf Prozent vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu diversen Aspekten geklagt, wie Medien berichten. Im Zentrum stehe der Vorwurf an den Bundestag, keinen sogenannten Rechtsbehelf eingeführt zu haben, um bei Zweifeln an der Richtigkeit des Wahlergebnisses umgehend eine Neuauszählung der Stimmen verlangen zu können. Dieser Vorwurf ist meiner Meinung nach berechtigt und die diesbezügliche Situation muss geändert werden. Nun seien die Klagen aber vom BVerfG „als unzulässig“ verworfen worden, so die ARD.
Der EU-Abgeordnete des BSW Fabio De Masi stellt zur Einordnung der Entscheidungen des BVerfG auf X fest: „Es ging nur um die bereits per Eilantrag abgewiesenen Sachverhalte, ob bei knappen Wahlergebnissen ein schnelleres Wahlprüfungsverfahren geschaffen werden muss und ob die Reihung auf dem Stimmzettel zulässig war.“ Medienberichte, nach denen das BSW mit seiner Wahlprüfungsbeschwerde endgültig vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sei, seien unzutreffend.
Die folgenden Passagen aus einem Artikel der „Tagesschau“ machen deutlich, wie absurd und ganz offensichtlich inakzeptabel die bestehende Situation des Wahlrechts in den vom BSW angesprochenen Punkten ist:
„Allerdings verweisen die Richterinnen und Richter in Karlsruhe darauf, dass das BSW sich ja an das ‚übliche Wahlprüfungsverfahren im Bundestag‘ wenden könne. Doch da gibt es ein Problem. Denn mehr als drei Monate nach der Wahl gibt es noch immer niemanden, der sich im Bundestag für diesen Einspruch zuständig erklärt.“
Das BSW habe sich an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gewandt. Doch von dort komme zurück:
„Zu Ihrem Anliegen kann ich mich als Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung nicht äußern. Dieser Ausschuss führt zwar die Wahlprüfung im Titel, diese obliegt aber dem vom Plenum gesondert gewählten Wahlprüfungsausschuss.“
Demokratiefeindlich und unfair
Es gebe also offenbar einen – wichtigen – Unterschied zwischen dem „Ausschuss für Wahlprüfung“ und dem „Wahlprüfungsausschuss“, so der Artikel. Die Pressestelle des Bundestages würde zudem mitteilen, dass sich alle Bundestags-Ausschüsse am 21. Mai konstituiert hätten, so auch der Ausschuss für Wahlprüfung. Den Vorsitz hat Macit Karaahmetoglu von der SPD. Der wiederum verweise aber auf den Wahlprüfungsausschuss (nicht Ausschuss für Wahlprüfung!), nur der sei für die Bewertung der Einsprüche zur Bundestagswahl 2025 zuständig – und: Dieser Ausschuss müsse erst noch vom Plenum gewählt werden, so die ARD.
Der Ausschuss-Vorsitzende schreibt demnach weiter: „Der Wahlprüfungsausschuss wird dann abschließend dem Plenum des Deutschen Bundestages zu jedem Einspruch eine Beschlussempfehlung vorlegen. Das Plenum wird anschließend über die Beschlussempfehlung entscheiden.“ Gänzlich inakzeptabel ist aber dieser Zustand: Laut Wahlprüfungsgesetz gibt es „keine Frist für die Beratungen und die Abgabe einer Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses an den Deutschen Bundestag“.
Im Klartext heißt das: Die durch starke Indizien gestützten und darum meiner Meinung nach absolut berechtigten Forderungen des BSW nach einer seriösen Klärung des Wahlvorgangs können durch Abgeordnete konkurrierender Parteien ganz einfach ausgesessen werden. Und es sieht schwer danach aus, als würden viele der momentan im Parlament sitzenden Politiker genau das vorhaben. Das ist, da es möglicherweise nicht illegal ist, demokratiefeindlich, unfair, ehrlos und ganz einfach skandalös.
Eine Überprüfung der Unregelmäßigkeiten wäre selbstverständlich ergebnisoffen: Möglicherweise würden dadurch ja auch die Sorgen der BSW-Wähler eindeutig widerlegt, dass ihre Stimmen unberechtigt unter den Tisch fallen sollen. Aber Klarheit muss geschaffen werden – und das schnell! Dass sich auch Politiker gegen eine solche seriöse Klärung sträuben, die permanent vom hohen Stellenwert der Demokratie reden, macht den Vorgang noch aufreizender.
Titelbild: penofoto / Shutterstock
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