Deutschland rüstet bei der KI auf, während die Gesellschaft verarmt

Deutschland rüstet bei der KI auf, während die Gesellschaft verarmt

Deutschland rüstet bei der KI auf, während die Gesellschaft verarmt

Ein Artikel von Günther Burbach

Das Märchen von der deutschen Unabhängigkeit im Bereich Künstliche Intelligenz ist eine Illusion. Hinter der glänzenden Fassade steckt ein Projekt, das Europa tiefer in die Abhängigkeit von US-Konzernen treibt, finanziert von deutschen Steuerzahlern und auf Kosten einer Gesellschaft, die zugleich immer stärker unter Kürzungen, Verfall und Ungleichheit leidet. Die Milliarden der Bundesregierung für „Souveränität“ fließen in Wahrheit direkt in die Kassen der US-Technologie-Industrie. Die Jubelmeldungen über „Effizienz“ und „Innovation“ sind nichts anderes als Meldungen über zukünftige Massenentlassungen. Von Günther Burbach.

Es klang nach einem historischen Moment: Anfang September 2025 reiste Kanzler Friedrich Merz nach Jülich, um den neuen Supercomputer Jupiter einzuweihen. Die Schlagzeilen waren voller Superlative: der erste Exascale-Rechner Europas, das Tor in eine neue Ära der Forschung, ein Symbol der europäischen Stärke.

Nur wenige Tage später kündigte Volkswagen an, bis 2030 rund eine Milliarde Euro in Künstliche Intelligenz zu investieren. Von effizienterer Fahrzeugentwicklung war die Rede, von optimierter Logistik, von einer „neuen industriellen Revolution“.

Die Botschaft war eindeutig: Deutschland ist nicht länger Zaungast beim globalen KI-Wettlauf. Politik und Konzerne verkaufen die Offensive als „Zeitenwende der Technologie“. Man habe die Abhängigkeit erkannt, nun beginne der „europäische Aufbruch in die digitale Souveränität“.

Doch schaut man genauer hin, zeigt sich: Das Märchen von der Unabhängigkeit ist eine Illusion. Hinter der glänzenden Fassade steckt ein Projekt, das Europa tiefer in die Abhängigkeit von US-Konzernen treibt, finanziert von deutschen Steuerzahlern und auf Kosten einer Gesellschaft, die zugleich immer stärker unter Kürzungen, Verfall und Ungleichheit leidet.

Nvidia inside: Europas „Supercomputer“

„Jupiter“ soll mehr als eine ExaFLOP leisten, also über eine Milliarde Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde. Das klingt beeindruckend und ist es auch: Mit dieser Leistung lassen sich komplexeste Simulationen in Medizin, Klima, Materialforschung oder Teilchenphysik durchführen.

Doch der Stolz über die europäische Spitzenleistung bekommt Kratzer, wenn man sich die Hardware ansieht. Herzstück von Jupiter sind Nvidia-Grafikprozessoren, also Technologie eines US-Konzerns, der den Markt für KI-Hardware dominiert und dessen Börsenwert seit ChatGPT & Co. in astronomische Höhen geschnellt ist.

Europa hat zwar Atos und ParTec am Bau beteiligt, aber ohne die Chips aus Kalifornien wäre der „europäische Meilenstein“ nichts weiter als eine leere Halle. Es ist, als würde man den ersten „europäischen“ Airbus feiern und verschweigen, dass Tragflächen, Triebwerke und Avionik komplett aus den USA stammen.

Die politische Rhetorik von „Technologiesouveränität“ entpuppt sich so als Hülle. Tatsächlich ist Jupiter nicht der Beweis europäischer Stärke, sondern der Beweis europäischer Schwäche.

Das Geschäftsmodell: Fortschritt für Wenige

Volkswagens Milliarde für KI klingt nach Investition in die Zukunft. Doch was steckt dahinter? Offiziell geht es um die schnellere Entwicklung neuer Modelle, „smarte“ Produktionsprozesse, präzisere Logistik. In Wirklichkeit ist es ein weiteres Kapitel im Drehbuch der industriellen Rationalisierung: KI ersetzt menschliche Arbeit.

Wenn KI-Systeme ganze Entwicklungsschritte simulieren können, braucht es weniger Ingenieure. Wenn KI Logistik in Echtzeit steuert, braucht es weniger Disponenten. Wenn KI Roboter in den Fabriken koordiniert, braucht es weniger Arbeiter.

Die Jubelmeldungen über „Effizienz“ und „Innovation“ sind in Klartext nichts anderes als Meldungen über zukünftige Massenentlassungen. Für die Konzernspitze bedeutet das steigende Gewinne. Für Beschäftigte bedeutet es Arbeitsplatzverlust oder noch stärkere Ausbeutung in den Bereichen, die sich nicht automatisieren lassen.

Die deutsche KI-Offensive – ein Potemkin’sches Dorf

Die Bundesregierung verkauft die „nationale KI-Strategie“ als Jahrhundertprojekt:

  • Schulen sollen KI-Unterricht integrieren.
  • Verwaltung soll digitalisiert werden.
  • Start-ups sollen gefördert werden.

Die Versprechen klingen modern. Doch die Realität ist ernüchternd: Jede einzelne Schicht dieser KI-Offensive hängt an den USA.

  • Chips: Nvidia, AMD, Intel. Europa hat keine Konkurrenz in dieser Liga.
  • Clouds: Amazon AWS, Microsoft Azure, Google Cloud. Ohne sie läuft keine großskalige KI.
  • Software: OpenAI (Microsoft), Anthropic (Amazon/Google), Meta. Europäische Alternativen existieren kaum.

Selbst wenn deutsche Firmen wie SAP oder kleinere Start-ups eigene Lösungen entwickeln, sie sind stets auf US-Infrastruktur angewiesen. Europa bleibt also digitaler Kolonialmarkt, in dem Konzerne wie Microsoft, Amazon und Nvidia die Wertschöpfung kontrollieren.

Die Milliarden der Bundesregierung für „Souveränität“ fließen also in Wahrheit direkt in die Kassen der US-Technologieindustrie.

Milliarden für Maschinen – Armut für Menschen

Während Berlin Milliarden in Supercomputer und Konzerne steckt, sieht die Realität für den Großteil der Bevölkerung so aus:

  • Schulen kämpfen mit maroden Gebäuden und Lehrermangel.
  • Kliniken müssen Betten abbauen, weil Personal fehlt.
  • Pflegekräfte brechen reihenweise unter der Arbeitslast zusammen.
  • Brücken, Schienen, Straßen: vielerorts kurz vor dem Kollaps.

Die Politik nennt es „Investition in die Zukunft“, doch für die Gegenwart der Bürger bleibt nichts übrig. Es ist dieselbe Logik wie bei den Rüstungsausgaben: Milliarden für Panzer, Milliarden für KI, aber kein Geld für die Reparatur der Heizung im Klassenzimmer.

Die Diskrepanz könnte größer nicht sein: Während man im Kanzleramt stolz auf „Jupiter“ verweist, frieren Kinder im Winter in ungeheizten Schulen.

KI als Waffe: Dual Use

Offiziell soll Jupiter der Wissenschaft dienen: Klimamodelle, medizinische Forschung, Materialtests. Inoffiziell aber weiß jeder, dass solche Rechner Dual-Use-Technologien sind, also sowohl zivil als auch militärisch nutzbar.

Mit Exascale-Leistung lassen sich Atomwaffentests simulieren, ballistische Flugbahnen berechnen, Cyberwaffen entwickeln. KI-Modelle, die angeblich für die Diagnose von Krankheiten trainiert werden, können ebenso für autonome Drohnenschwärme genutzt werden.

Wer glaubt, dass Militär und Geheimdienste keinen Zugriff auf Jupiter haben werden, ist naiv. Europa investiert also nicht nur in Forschung, sondern höchstwahrscheinlich auch in Rüstungsfähigkeit. Die „KI-Offensive“ ist damit nicht nur ein ökonomisches Projekt, sondern auch ein geostrategisches.

USA, China – und das abhängige Europa

Der globale Wettlauf ist klar:

  • USA: Silicon Valley kontrolliert Chips, Clouds, Software. Das Pentagon pumpt Milliarden in KI für Militär.
  • China: massive staatliche Investitionen, eigene Chipproduktion, KI in Verwaltung und Industrie breit ausgerollt.
  • Europa: Kauft Chips bei Nvidia, Clouds bei Amazon, Software bei Microsoft und nennt das „Souveränität“.

Während Washington und Peking eigene Ökosysteme aufbauen, bleibt Europa Zwischenhändler und Kunde. Jupiter ist der Versuch, wenigstens symbolisch aufzuschließen. Doch ohne eigene Industrie ist das, als wolle man den Weltmeistertitel im Fußball mit geliehenen Spielern und ohne eigenes Stadion gewinnen.

Beispiele der Abhängigkeit

Die „digitale Kolonialisierung“ zeigt sich nicht nur bei Jupiter:

  • Bundeswehr: hat große Teile ihrer IT-Infrastruktur an Microsoft ausgelagert.
  • Deutsche Verwaltung: setzt in weiten Teilen auf Microsoft-Office und US-Clouds.
  • Gesundheitswesen: elektronische Patientenakten laufen auf US-Servern.

Wenn heute über „digitale Souveränität“ gesprochen wird, ist das nicht mehr als ein politisches Feigenblatt.

Energieverbrauch und Klima-Illusionen

Supercomputer dieser Größenordnung verschlingen enorme Energiemengen. Schätzungen zufolge benötigt Jupiter mehrere Megawatt Dauerleistung – genug, um eine Kleinstadt zu versorgen.

Während die Bundesregierung an Klimaziele und CO₂-Reduktion erinnert, baut sie gleichzeitig Energiefresser, die gigantische Mengen Strom verbrauchen. Und das in einem Land, das ohnehin mit Energieknappheit kämpft und wo Haushalte kaum noch ihre Rechnungen bezahlen können. Die Frage, ob dieser Energieeinsatz gesellschaftlich sinnvoll ist, wird gar nicht gestellt.

KI als Kontrollinstrument

Neben Rüstung und Wirtschaft birgt KI noch eine weitere Gefahr: die Ausweitung staatlicher und unternehmerischer Kontrolle.

Mit KI lassen sich Datenmengen durchforsten, Bewegungen analysieren, Gesichter erkennen, Texte auswerten. Systeme, die angeblich nur „Produktion optimieren“, können auch zur Überwachung von Beschäftigten oder zur Kontrolle politischer Bewegungen genutzt werden.

Wer heute Milliarden in KI investiert, schafft nicht nur neue Jobs, sondern auch neue Instrumente der Macht.

Fazit: Fortschritt für Wenige, Abhängigkeit für Alle

Die Politik feiert Jupiter als „europäischen Meilenstein“. VW feiert die „Milliarde für KI“. Die Bundesregierung schwärmt von „Souveränität“.

Doch die Realität lautet:

  • Ohne Nvidia, Amazon, Microsoft läuft nichts.
  • Milliarden fließen an US-Konzerne, während die deutsche Gesellschaft verarmt.
  • Supercomputer dienen nicht nur Forschung, sondern auch Krieg.
  • „Effizienz“ bedeutet Arbeitsplatzabbau, nicht Wohlstand.

Es bleibt die Frage: Für wen ist dieser Fortschritt? Für die Konzerne, für die Rüstung, für die politischen „Eliten“. Für die Bürger bleibt die Rolle des Zahlmeisters und die Aussicht auf ein Leben in einer immer stärker überwachten, von Maschinen gesteuerten Gesellschaft.

Titelbild: SomniaMachina / shutterstock.com


Quellen:

OECD – Artificial Intelligence Review of Germany (2024)
https://www.oecd.org/content/dam/oecd/en/publications/reports/2024/06/oecd-artificial-intelligence-review-of-germany_c1c35ccf/609808d6-en.pdf

Reuters – Deutsche Telekom, Nvidia to build AI cloud for industry in Germany (13.06.2025)
https://www.reuters.com/business/media-telecom/deutsche-telekom-nvidia-build-ai-cloud-industry-germany-2025-06-13/

arXiv – Energy-aware operation of HPC systems in Germany (Nov 2024)
https://arxiv.org/abs/2411.16204

The Guardian – AI could account for nearly half of datacentre power usage by end of year (22.05.2025)
https://www.theguardian.com/environment/2025/may/22/ai-data-centre-power-consumption

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