Griechenland: Regierungskoalition bricht über die ERT-Krise zusammen

Ein Artikel von Niels Kadritzke

Nach der dritten Verhandlungsrunde über die ERT-Krise zwischen den Spitzen der drei Koalitionsparteien, die gestern Abend in Athen zu Ende ging, steht Griechenland vor einer „halben“ Regierungskrise. Der kleinste Koalitionspartner, die linkssozialdemokratische Dimar, zieht die von ihr nominierten Minister und Vize-Minister (insgesamt vier Personen) zurück und scheidet damit aus der Regierung Samaras aus. Weil die Pasok nach Aussage ihres Vorsitzenden Venizelos diesen Schritt nicht mit vollzieht, schrumpft die Dreier- zu einer Zweiter-Koalition aus Nea Dimokratia und Pasok entgegen. Von Niels Kadritzke.

Nachdem die Fraktion der Dimar die Entscheidung von Parteiführer Fotis Kouvelis bestätigt hat, sind Samaras und Venizelos bereits am heutigen Nachmittag zu Gesprächen über die Zusammensetzung der „neuen“ Regierung und über eine „Aktualisierung“ des Koalitionsvertrags zusammen gekommen. Offen ist derzeit noch, ob Pasok-Chef Venizelos selbst als Vize-Regierungschef in das Kabinett Samaras eintreten wird.

Auch die um die Dimar reduzierte Koalition hält im Parlament noch eine knappe Mehrheit von 153 der 300 Sitze. Da ND-Chef Samaras weiterhin Ministerpräsident bleibt, muss er sich auch keinem neuen Vertrauensvotum des Parlaments stellen; ein fälliges Misstrauensvotum der Oppositionsparteien dürfte die neue Regierung überstehen, da sie auch auf die Stimmen mehrerer fraktionslose Abgeordnete (vormals ND bzw. Pasok) zählen kann.

Diese Entwicklung kommt deshalb unerwartet, weil die beiden Juniorpartner Pasok und Dimar mit abgestimmten, identischen Positionen in die Koalitionsrunde vom Donnerstagabend gegangen waren. Beide forderten, dass sämtliche ERT-Programme wieder auf Sendung gehen, was technisch wie redaktionell nur mit dem alten Personal denkbar ist. Beide bekannten sich aber auch zu einer tiefgreifenden Reform der staatlichen Sendeanstalt, bis zu deren Verabschiedung diese jedoch voll weiter funktionieren müsse. Zudem hatte Venizelos noch vor dem Spitzentreffen gegenüber Samaras telefonisch erklärt, für die Pasok sei keine Regierung ohne die Dimar denkbar (Kathimerini-online vom 20. Juni).

Am Donnerstagabend hat Samaras die beiden kleinen Parteien dann offenbar mit einem Kompromissplan auseinander dividiert. Dieser sah vor, dass für den „vorläufigen“ Weiterbetrieb der Sender, der ohnehin durch das Oberste Verwaltungsgericht verfügt worden war (siehe meinen Bericht vom 19. Juni), ein Großteil der alten ERT-Belegschaft verantwortlich sein sollte, die dafür zeitlich begrenzte Arbeitsverträge erhalten sollte. Eine Zahl enthielt der Plan nicht, doch nach Presseberichten soll Samaras im Lauf des Abends sein „Angebot“ von 1.000 auf rund 2.000 Beschäftigte erhöht haben. Das würde bedeuten, dass knapp 80 Prozent der 2.670 ERT-Mitarbeiter vorübergehend ihre Arbeit fortsetzen könnten – wenn auch bereits unter einem neuen Träger. Dieses Konstruktion hat Kouvelis offenbar zurückgewiesen, während Venizelos sie geschluckt hat – mit der bemerkenswerten Begründung, die Pasok lehne es ab, mit flüchtigen Erfolgen (die Griechen haben dafür den Ausdruck: Löcher im Wasser) kurzfristig Eindruck zu schinden. Wobei daran zu erinnern ist, dass die Pasok noch tags zuvor die Schließung der ERT als Problem der Demokratie und der Medienvielfalt gesehen hatte.

Wie sich das Zerbrechen der alten Koalition auf die Parteienlandschaft auswirkt, wird sich nicht so schnell feststellen lassen, weil die Neubildung der Regierung vorzeitige Neuwahlen zunächst verhindert. Neuwahlen wollten im übrigen alle alten Regierungspartien vermeiden – also auch die Dimar, die offen lässt, ob sie im Parlament bei bestimmten Entscheidungen für die Regierung stimmt oder nicht. Die meisten Athener Beobachter gehen davon aus, dass selbst die größte Oppositionspartei Syriza, die seit sechs Monaten in den Umfragen stets Kopf an Kopf mit der Nea Dimokratia liegt (und nur im Gefolge der Zypern-Krise zeitweilig hinter die ND zurückgefallen war), an Neuwahlen kein Interesse hat. Ihr steht im Juli ein Parteitag bevor, der zugleich eine schwierige Neugeburt als integrierte Volkspartei bringen soll, mit dem die Autonomie der einzelnen Fraktionen des alten „Bündnisses“ stark eingeschränkt wird.

Auf diesem Parteitag werden auch die inneren Differenzen zutage treten, die der Parteivorsitzende Alexis Tsipras zu moderieren versucht. Dazu gehört auch die Euro-Frage, die auf die Tagesordnung der Linken zurückgekehrt ist: Seit der Zypern-Krise zeigen die Umfragen, dass die Mehrheit der Syriza-Wähler die griechische Euro-Zugehörigkeit ablehnt – nachdem Tsipras und die ökonomischen Experten der Partei seit Herbst 2012 bemüht waren, alle Welt von ihrer Euro-Treue zu überzeugen.

Auf diese und andere Problemen der Syriza werde ich zurück kommen, wenn ich in einem folgenden Artikel die wirtschaftliche Situation Griechenlands und den Realitätsgehalt der „Erfolgsgeschichte“ untersuchen werde, die der griechische Regierungschef rastlos und nicht ganz erfolglos im Inland wie auf seinen Reisen verbreitet. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass die europäischen Partner, die der Samaras-Erfolgsstory zumindest nicht widersprechen, dem Braten offenbar nicht so recht trauen. Das erklärt zu einem erheblichen Teil ihren Horror vor Neuwahlen, die sie ebenso wenig wünschen wie die griechischen Politiker.

Eine neue Regierung Samaras-Venizelos, deren Zusammensetzung nächste Woche feststehen wird, steht vor gewaltigen Problemen. Das größte Problem ist ihre mangelnde Glaubwürdigkeit als „Saubermänner“, die jetzt versprechen, das Land zu retten, nachdem sie mit ihrer unausrottbaren Klientelpolitik die Gesellschaft und ihren öffentlichen Sektor – gemeinsam und in problemverschärfender Konkurrenz – in die Krise gesteuert haben. Dabei hat die neue-alte Regierung gerade mit ihrer brachialen „Bewältigung“ des Problemfalls ERT demonstriert, dass ihr jedes Gespür dafür abgeht, wie man die Gesellschaft von den notwendigen Reformen überzeugen oder sogar dafür aktivieren kann.

Zunächst steht die Regierung aber vor einem akuten Problem, das sie in den unmittelbar anstehenden Verhandlungen mit der Troika lösen muss. Es geht darum, bis Ende Juli ein neues „Loch“ zu schließen, das im griechischen Finanzierungsprogramm entstanden ist und das zwei verschiedene Ursachen hat. Zum ersten die Lücke von etwa zwei Mrd. Euro, die dadurch entstanden ist, dass mehrere europäische Banken sich weigern, fällig werdende griechische Bonds durch neue Bonds abzulösen (eine sog. Rollover-Operation). Zum zweiten die Lücke bei den erwarteten Privatisierungsgewinnen, die durch den Rückzug der russischen Gazprom vom Kauf der staatlichen Anteile des Erdgas-Unternehmens DEPA entstanden ist. Auf beide Themen – und insbesondere auf die Illusionen und Denkfehler in Bezug auf das gesamte Privatisierungsprogramm – werde ich demnächst ausführlicher eingehen.

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