Es wird Panik gemacht!

Ein Artikel von Gerd Bosbach

Ein erster ärgerlicher Blick auf die Vorstellung der neuen Bevölkerungs-vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes am 7.11.2006. Gerd Bosbach

Nur 3 Jahre ist es her, da verkündete der Präsident des Statistischen Bundesamtes, dass im Jahre 2050 in Deutschland 75 Millionen Menschen leben, davon 29,6 Prozent über 65-Jährige. Und da er sich sehr sicher war, benutzte er noch nicht einmal den Konjunktiv.
Heute wird mit der gleichen Sicherheit verkündet, dass 2050 nur noch 69 bis 74 Millionen Menschen leben werden – immerhin eine Änderung von 1 bis 6 Millionen! Der Anteil der über 65-Jährigen wird jetzt mit 31,8 bis 33,2 Prozent angegeben, also 7 bis 12 Prozent höher als beim letzten Mal.
Eigentlich müsste man jetzt folgern, dass das mit den Langfristberechnungen nicht so sicher ist, wie immer behauptet. Ansonsten sind nach 3 von damals 47 Prognose-Jahren nicht solche Änderungen nötig. Zum Ärger des Artikelschreibers wird aber gerade das von den Journalisten nicht erkannt und von Politik und Wirtschaft gut ausgenutzt. Und der größte Teil der Öffentlichkeit glaubt die heutigen Zahlen, genauso wie die anderen von vor 3 Jahren.
Dabei war die politische Panikmache bei der Vorstellung der neuen Modellrechnung nicht zu übersehen. Bemerkungen über „die Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen durch die steigende Belastung der sozialen Sicherungs-systeme“ (aus der Rede des Vizepräsidenten des Amtes) gehören genauso wenig zum bevölkerungsstatistischen Teil, wie Gedanken der Art „müsste die Altersgrenze im Jahr 2050 bei 74 oder 75 Jahren liegen“ (gemeint ist das Renteneintrittsalter; aus der Pressemitteilung des Amtes zu den neuen Rechnungen). Stattdessen hätte es dem Amt gut zu Gesicht gestanden, sich zum Thema der eigenen Bevölkerungs-Daten zu bedienen. Dann hätte man aus den bekannten Werten der Vergangenheit berechnen können, dass in den letzten 45 Jahren die Alterung und die Verringerung des Jugendanteils fast genauso waren, wie heute für die Zukunft bis 2050 „berechnet“. Und die eigenen Daten hätten ebenfalls gezeigt, dass diese Alterung der Gesellschaft mit einer mehr als Verdreifachung des Wohlstandes verbunden waren.
Diese positive Seite zeigen die Daten des Amtes, aber dieser Blick war politisch offensichtlich nicht erwünscht!
Kurz für Interessierte: Wie kommt das Statistische Bundesamt nach nur 3 Jahren zu einer deutlich veränderten Modellrechnung? Im Prinzip ganz einfach: Die Annahmen für die Computerberechnung werden verändert.

  1. Die Wanderungsgewinne der Zukunft werden deutlich reduziert. Von 200 Tausend im Schnitt pro Jahr auf nur noch 150 Tausend. Und das, obwohl in Zukunft Versorgermangel herrschen soll! Und das, obwohl Europa immer mehr zusammen wächst!
    So erreicht man eine stärkere „Schrumpfung“ der Bevölkerung. Die Wortwahl der Amtsspitze spricht auch nicht gerade für seriöse Absichten, die eigenen Fachstatistiker sprechen neutraler von einer Verringerung.
  2. Man erhöht die Vermutung über die steigende Lebenserwartung. War diese 2003 im Schnitt noch mit ca. 6 Jahren angesetzt, wird heute von einer um 7 bis 9 steigenden Lebenserwartung ausgegangen.
    So erreicht man natürlich eine Erhöhung des Altenanteils, also die gewünschte Aussage.

Diese kurzen Bemerkungen – tiefer gehende mit vielen weiteren offensichtlichen Widersprüchen – zeigen, dass die Politik leider über demografische Seriösität gesiegt hat. Wie schon die vergangenen inhaltlichen Auseinandersetzungen – z.B. über die Berücksichtigung des Jugendquotienten, über fälschliche Konstanz von Altersgrenzen bei steigender Lebenserwartung, über Fehler bei der Angabe von Kinderlosigkeit, vor allem bei Akademikerinnen – gezeigt haben, scheint es der Amtsspitze trotz Rates aus der Fachgruppe nicht nur um Statistik zu gehen. Schade.

Gerd Bosbach ist Professor für Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz

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