Interviews mit und ein Beitrag von Naomi Klein

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Im Zusammenhang mit Naomi Kleins neuem Buch “The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism.” weisen wir auf einen Beitrag der Autorin im Alternet und auf ein Interview mit dem Spiegel hin. Außerdem hat Brigitta Huhnke für uns freundlicherweise ein Interview zwischen Amy Goodman und Naomi Klein übersetzt. Sie finden alle drei Beiträge nacheinander. Albrecht Müller.

A. Alan Greenspan and the Myth of the True Believer
By Naomi Klein, The Nation
Posted on September 29, 2007, Printed on September 29, 2007

B. KAPITALISMUSKRITIKERIN KLEIN

“Die Räuberbarone kommen zurück”

Eine Konzernkritikerin legt nach: In ihrem neuen Buch stellt die “No Logo”-Autorin Naomi Klein den Kapitalismus als brutales Regime dar, das nach Kriegen, Schocks und Krisen besonders gut funktioniert. Im SPIEGEL-Gespräch verteidigt sie ihre Thesen und spricht über “demokratischen Sozialismus”.
Quelle: Spiegel-Online

C. Übersetzung eines Interviews von Amy Goodman mit Naomi Klein
Übersetzung und Einführung durch Brigitta Huhnke:

Am 17. September 2007 hat Amy Goodman in New York, die in Kanada lebende Autorin Naomi Klein befragt. Wie Naomi Klein ist auch Amy Goodman eine vielfach ausgezeichnete Journalistin, Publizistin und Buchautorin. Die bei Konservativen gefürchtete US-Journalistin Goodman leitet die Sendung „Democracy Now“, die während der Woche täglich über Hunderte von öffentlichen und alternativen Radiosendern ausgestrahlt wird. Beide Autorinnen sind international in der kritischen Öffentlichkeit überdies für ihre gründlichen Recherchen gerade auch in den Krisenregionen der Welt bekannt. Beide begnügen sich nicht damit, bloße Action zu berichten. Sie schauen vielmehr hinter die Kulissen, sind exzellente Rechercheurinnen, analysieren Machtverhältnisse, führen Täter unerbittlich vor, bannen als Rednerinnen ihr Publikum, wo sie auch auftreten. Und beide sind als hartnäckige Interviewerinnen bekannt, die mit Verve und mit viel Wissen besonders gern Neoliberale in die Enge treiben. Nur eine Woche nach diesem Interview haben beide dies zusammen mit Alan Greenspan getan, unerbittlich dessen Mitschuld an den Verbrechen im Irak und anderswo vor einer größeren Öffentlichkeit bloß gestellt.

Vor dem Interview , das in der Redaktion Democracy Now in New York City stattfand, unmittelbar vor der ersten US-Präsentation des Buches, hat Amy Goodman auf den Kurzfilm „The Shock Doctrine“ von Alfonso Cuarón and Naomi Klein, in der Regie von Jonás Cuarón verwiesen, der kurz zuvor beim Toronto Filmfestival ausgezeichnet worden war.

The Shock Doctrine Short Film, a film by Alfonso Cuarón and Naomi Klein, directed by Jonás Cuarón.

Und hier das Interview:

Naomi Klein, eine mit Preisen aus. gezeichnete Journalistin, Autorin des Bestsellers “No Logo” and Mitregisseurin des Films “The Take.” Ihr neuestes Buch heisst “The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism.” Mehr Informationen dazu unter www.NaomiKlein.org

AMY GOODMAN: Es ist sehr schön, Sie bei uns zu haben. Warum fangen Sie nicht einfach an, genau darüber zu sprechen, was Sie die „Schock-Strategie“ nennen?

NAOMI KLEIN: Nun, die „Schock Strategie“ ist, wie alle Strategien (im Sinne von Doktrin), eine Philosophie der Macht. Es ist eine Philosophie darüber, wie sich politische und ökonomische Ziele umsetzen lassen. Und dies ist eine Philosophie, die davon ausgeht, der beste Weg, die beste Zeit, radikale Ideen des „freien Marktes“ durchzusetzen, sei, dies nach einem großen Schock zu tun. Nun, dieser Schock könnte eine Art ökonomische Kernschmelze sein. Es könnte eine Naturkatastrophe sein, es könnte ein terroristischer Angriff sein. Es könnte ein Krieg sein. Aber die Idee (…) ist, dass diese Krisen, diese Katastrophen, diese Schocks ganze Gesellschaften weich klopfen. Sie verwirren sie. Die Menschen verlieren ihre Geduld. Und ein Fenster öffnet sich, genau wie das Fester in einem Zimmer, in dem Verhöre stattfinden. Und durch dieses Fenster können Sie durchdrücken, was Ökonomen „die ökonomische „Schock-Therapie“ nennen. Damit sind extreme Eroberungen von Ländern gemeint. Es ist alles auf einmal, nicht, wissen Sie, eine „Reform“ hier, eine „Reform“ da, sondern die Art radikaler Veränderung, die wir in Russland in den 90er Jahren gesehen haben; was Paul Bremer versucht hat nach der Invasion im Irak durchzusetzen. So, das ist die „Schock-Strategie“. Und das sagt nicht, dass Rechte in der gegenwärtigen Zeit die einzigen Leute sind, die eine Krise ausgebeutet haben, weil diese Idee des Ausbeutens (einer Katastrophe) nicht nur für diese konkrete Ideologie einzigartig ist. Faschisten haben das so getan. Staatskommunisten haben das getan. Aber dies ist ein Versuch, die Ideologie besser verstehen zu können, mit der wir leben, die dominante Ideologie unserer Zeit, die der ungezügelten Markt Ökonomie.

AMY GOODMAN: Erklären Sie, wer Milton Friedman ist, auf den Sie sich in großen Teilen ihres Buches beziehen.

NAOMI KLEIN: Nun, ich beziehe mich auf Milton Friedman, weil er das Symbol der Geschichte ist, die ich versuche herauszufordern. Milton Friedman ist letztes Jahr gestorben. Er ist 2006 verstorben. Und als er starb, mussten wir in sehr aufgeblasenen Nachrufen mit anhören, als der vielleicht wichtigste Intellektuelle der Nachkriegszeit geehrt worden zu sein, nicht lediglich als wichtigster Ökonom, sondern auch als wichtigster Intellektuelle. Und ich denke, dafür kann in der Tat ein wichtiges Argument geltend gemacht werden: Er war ein Berater von Thatcher, von Nixon, von Reagan, bis zur gegenwärtigen Bush Administration. Er hat Donald Rumsfeld in den frühen Tagen von dessen Karriere angeleitet. Er hat Pinochet in den 70er Jahren beraten. Er hat auch die Kommunistische Partei Chinas beraten, in der Zeit der Schlüsselreformen, in den späten achtziger Jahren. So hat er einen enormen Einfluss ausgeübt. Und ich habe vor einigen Tagen mit jemandem gesprochen, der ihn als den Karl Marx des Kapitalismus bezeichnet hat. Und ich denke, dies ist gar keine so schlechte Beschreibung, obwohl ich sicher bin, Marx hätte das sehr ungern gehört. Aber er (Friedman) war wirklich ein populärer Verbreiter dieser Ideen.
Er hatte eine Vorstellung von Gesellschaft, in der die einzige akzeptable Rolle des Staates die ist, Verträge durchzusetzen und Grenzen zu bewachen. Alles andere soll komplett dem Markt überlassen sein, ob das Erziehung ist, die National Parks, das Postamt; alles was sich in etwas Profitträchtiges umwandeln lässt. Und er war wirklich der Meinung (…): Einkaufen, Kaufen und Verkaufen sei die höchst entwickelte Form der Demokratie, die höchste Form der Freiheit. Und sein bekanntestes Buch war Kapitalismus und Freiheit.
So, (…) als er letztes Jahr starb, wurden wir alle mit der offiziellen Version versorgt, wie diese radikalen Ideen des freien Marktes es geschafft haben, den Globus zu dominieren, wie sie durch die frühere Sowjetunion gezogen sind, durch Lateinamerika, Afrika, (…), wie diese Ideen in den letzten 35 Jahren Triumphe gefeiert haben. Und ich war so sprachlos, ich befand mich da gerade mitten im Schreiben dieses Buches, wir haben nichts über Gewalt gehört und wir haben nichts über Krisen gehört und wir haben nichts über Schocks gehört. Ich meine, die offizielle Version ist: diese Ideen feierten Triumphe, weil wir das so wollten, dass die Berliner Mauer gefallen ist und die Menschen ihre Big Macs zusammen mit ihrer Demokratie eingefordert haben. Und (…) die offizielle Story des Erstarkens dieser Ideologie wurde (Anm.: vorher) von Margret Thatcher begünstigt, mit ihrem Ausspruch „Da ist keine Alternative“ bis zu Francis Fukuyama, der sagt „Die Geschichte ist zuende, Kapitalismus und Freiheit gehen Hand in Hand“ (…) Was ich in diesem Buch versuche, ist genau diese Geschichte zu erzählen, die Schlüsselverbindungen aufzuzeigen, an denen diese Ideologie sich immer weiter fortgesetzt hat. Aber ich füge die Gewalt ein, ich ergänze sie um die Schocks. Und ich sage, dass da eine Verbindung zwischen Massakern, zwischen Krisen, zwischen großen Schocks und Körpern, die sich in Ländern in die Luft sprengen besteht sowie der Fähigkeit, Formen der Politik aufzubürden, die tatsächlich von der Mehrheit der Bevölkerung dieses Planeten zurückgewiesen werden.

AMY GOODMAN: (…) Naomi, Sie reden über Milton Friedman, erweitern sie das doch noch um die „Chicago Schule“

NAOMI KLEIN: Richtig. So, der Einfluss von Milton Friedman resultiert aus seiner Rolle als derjenige, der wirklich popularisiert hat, was als „Chicago Schule der Ökonomie“ bekannt ist. Er hat an der Universität von Chicago gelehrt. Er studierte, tatsächlich, an der Universität von Chicago und er wurde da Professor. Er ist von dem radikalsten Ökonomen der Ökonomie des „freien Marktes“ in unserer Zeit betreut worden, von Friedrich von Hayek, der ebenfalls eine zeitlang an der Universität von Chicago gelehrt hat. Und die „Chicago Schule für Ökonomie“ steht wirklich für diese Konterrevolution gegen den Wohlfahrtsstaat. In den fünfziger Jahren tendierten Harvard und Yale, die Ivy Leage Schulen dazu, von Ökonomen, die durch Keynes geprägt waren, dominiert zu sein, Leute wie der verstorbene John Kenneth Galbraith, der sehr stark daran geglaubt hat, nach der Grossen Depression sei es entschieden, Ökonomen als eine moderierende Kraft des Marktes zu sehen die Schärfen mildern müsse. Und das war wirklich die Geburtsstunde des New Deal, des Wohlfahrtstaates, all der Dinge, die tatsächlich den Markt weniger brutal machen, ob es eine Form der öffentlichen Gesundheitsversorgung ist, Arbeitslosenversicherung, Wohlfahrt und so weiter. (…) Die Nachkriegsperiode war eine Zeit des unglaublichen ökonomischen Wachstums und der Prosperität, in diesem Land und weltweit, aber es hat auch die Profitraten der wohlhabendsten Menschen in den Vereinigten Staaten beschränkt, weil dies die Periode war, in der die Mittelklasse wirklich wuchs und sich stark ausdehnte.
(…) Die Bedeutung des Fachbereichs für Ökonomie der Universität Chicago besteht darin, wirklich ein Werkzeug für die Wall Street zu sein, die wiederum die Universität von Chicago sehr, sehr stark finanziell unterstützt hat. Walter Wriston, der Kopf der Citibank, war sehr mit Milton Friedman befreundet und die Universität wurde so eine Art „Ground Zero“ für diese Konterrevolution gegen den Keynesianismus und den New Deal, um den New Deal zu demontieren. So, in den 50er und 60er Jahren, war das sehr, sehr marginal in den Vereinigten Staaten, weil starker Staat und der Wohlfahrtsstaat und alle diese Dinge, die nun gerade dank der Chicago Schule zu schmutzigen Wörtern in unseren Lexika geworden sind, dominierten – hatten sie keinen Zugriff zu den Hallen der Macht.
Aber das fing an, sich zu ändern. Der Wandel setzte mit der Wahl von Nixon ein. Obwohl Nixon sehr eng mit Milton Friedman verbunden war, strebte Nixon diese Politik nicht für das Inland an, weil er realisiert hat, er würde dann die nächste Wahl verlieren. Und das ist es, wo ich denke wir können erstmals die Inkompatibilität dieser Politik des „freien Marktes“ mit einer Demokratie im Frieden sehen. (…) Als Nixon gewählt worden war, ist Friedman als Berater geholt worden. Er hat eine ganze Handvoll Ökonomen der Chicago Schule angeheuert. (…) Milton Friedman schreibt in seinen Memoiren, dass er dachte, (…), endlich sei ihre Zeit gekommen. Sie sind vom Rand hereingekommen und diese Art „revolutionäre“ Gruppe, diese Konterrevolutionäre waren endlich dabei, den Wohlfahrtsstaat der USA zu demontieren. Und was tatsächlich passierte: Nixon (…) schaute sich um, auf all die Umfragen und er realisierte, wenn er dem folgen würde, was Milton Friedmann ihm geraten hatte, würde er mit ziemlicher Sicherheit die nächsten Wahlen verlieren. Und deshalb tat er das schlimmste, was sich die Chicago Schule vorstellen konnte. Das bedeutet: Löhne und Preise zu kontrollieren.
Und die Ironie liegt darin, dass zwei Schlüsselfiguren der Chicago Schule dabei waren, Donald Rumsfeld, der bei Friedman studiert hat als eine Art von – Ich schätze, er hat dessen Kurse irgendwie aufgezeichnet; er war nicht als Student eingeschrieben, aber er beschreibt diese Zeit als eine, in der er zu Füßen von Genies studiert habe, und er beschreibt sich selbst als den „jungen Hund“ an der Universität von Chicago — Und: George Schultz. Das waren die beiden Leute, die Lohn- und Preiskontrollen unter Nixon aufbürdeten. Und (…) Nixon sagte dieses berühmte „Wir sind jetzt alle Keynsianer“. (…) Nixon wurde danach mit 60 Prozent wiedergewählt. Aber er ließ die Schule in Lateinamerika von der Leine und verwandelte Chile unter Augusto Pinochet in ein Laboratorium für diese radikalen Ideen, die in den USA mit Demokratie nicht kompatibel waren, aber sie waren ohne Grenzen in einer Diktatur in Lateinamerika möglich.

AMY GOODMAN: Erklären Sie, was in Chile passiert ist.

NAOMI KLEIN: Nun, ich denke ZuschauerInnen und HörerInnen von Democracy Now! Kennen dieses Kapitel der Geschichte, die stattfand, nachdem Salvador Allende gewählt worden war, ein demokratischer Sozialist, der 1970 gewählt worden war. Da kam es zu einem Komplott, ihn zu beseitigen. Nixon sagte bekanntermaßen „Lasst die Wirtschaft aufschreien“. Und der Komplott hatte viele Seiten, ein Embargo, etc. und schließlich die Unterstützung für den Coup von Pinochet am 11. September 1973. Und wir hören oft über die Chicago Boys in Chile, aber wir hören nichts über die vielen Details, die zeigen, wie sie wirklich waren.
(…) Was ich im Buch mache, ist, dieses Kapitel der Geschichte wieder zu erzählen, aber für mich steht die ökonomische Agenda der Pinochet Regierung vielmehr im Vordergrund und im Zentrum, weil ich denke, wir wissen über die Menschenrechtsverletzungen Bescheid, wir wissen, wie Pinochet Menschen zusammengetrieben hat, sie hat in die Stadien bringen lassen, wissen von den Sammelexekutionen, der Folter. Wir wissen etwas weniger über das ökonomische Programm, dass er durch das Fenster gedrückt hat (…), das nach dem Schock dieses Coups offen stand. Und das ist der Punkt, der zu der These von der Schock Strategie passt.
Ich denke, wenn Sie nach Chile schauen – und das ist es, warum ich einige Zeit in dem Buch dabei verweile, darauf zurückschauen – sehen wir den Irak. Wir sehen den Irak heute. Wir sehen so viele Ähnlichkeiten zwischen der Verbindung einer vorgefertigten Krise und dem Betrug durch die radikale Schock Therapie gleich danach. So, ich denke über Ähnlichkeiten zu Paul Bremers Zeit im Irak nach, als er nach Bagdad ging, als die Stadt immer noch brannte. (…) Ich ging dort hin, um mir die Show anzuschauen, um darüber (Anm.: mit den Menschen im Irak) zu reden, wie er die ganze ökonomische Architektur des Landes eingerissen und in ein Laboratorium für die bisher radikalste Politik des möglichen „freien Marktes“ verwandelt hat.
Nun, in Chile, am 11. September 1973, als die Panzer durch die Straßen von Santiago rollten, während der Präsidentenpalast brannte und Salvador Allende tot da lag, da gab es eine Gruppe der sogenannten „Chicago Boys“. Sie waren chilenische Ökonomen, die an die Universität von Chicago gebracht worden waren, um auf einem Vollstipendium, finanziert von der US-Regierung, Teil von dem zu werden, was Chiles früherer Außenminister das „Projekt des bewussten ideologischen Transfers“ genannt hat. Dies geschah beispielsweise dadurch, diese Studenten an diese sehr extreme Universität von Chicago zu bringen und für eine ökonomische Richtung (Marke) zu indoktrinieren, die zu der Zeit in den Vereinigten Staaten marginale Bedeutung hatte – und um sie dann als ideologische Krieger nach Hause zurück zu schicken.
So, diese Gruppe von Ökonomen, die versagt hatten, ChilenInnen auf ihren Standpunkt einzuschwenken, als das gerade noch Teil (…) einer offenen Debatte war, die standen nun auf, die ganze Nacht lang, in der Nacht des 11. September 1973 und sie waren dabei ein Dokument zu fotokopieren, „The Brick“( Ziegelstein). Es ist als „The Brick“ bekannt (Anm.: Milton Friedmann selbst hat diesen Begriff geprägt und auf Chile bezogen). Und das war das ökonomische Programm für Pinochets Regierung. Und es hat diese verblüffenden Ähnlichkeiten, Amy, mit der Wahlstrategie von George Bush im Jahre 2000 – der Wahlplattform. Darin ist von einer Gesellschaft der Besitzenden die Rede, private Sozialversicherung, Vertragsschulen, eine niedrige Besteuerung. Dies stammt alles genau so aus Milton Friedmans Spielanleitung. Dieses Dokument lag am 12. September auf dem Tisch der Generäle, als sie über die Arbeit einen Tag nach dem Coup Bestandsaufnahme abhielten – und es war das Programm für Pinochets Regierung.
So, was ich in dem Buch mache, ist zu sagen, dass (…) diese beiden Dinge nicht zufällig sind. Wissen Sie, als Pinochet starb (…), er starb tatsächlich kurz nach Milton Friedman, hörten wir diese Geschichte, über Organe wie die Washington Post und Wall Street Journal ‚ in etwas so: „natürlich, wir missbilligen seine Menschenrechtsverletzungen“, in dieser Tour (…). Dieses Finger auf die Grausamkeiten zeigen über Chile von denen wir wissen – doch: „aber in der Ökonomie war er grandios“, als ob da keine Verbindung zur „Revolution des freien Marktes“ bestanden hat. Dass er in der Lage war, das durchzudrücken und die außergewöhnlichen Verletzungen der Menschenrechte, die zur gleichen Zeit stattfanden. Und was ich in dem Buch mache und was viele Lateinamerikaner in ihrer Arbeit tun, ist ganz augenfällig, nämlich dies beides zu verknüpfen und festzuhalten, es wäre unmöglich gewesen, dieses ökonomische Programm durchzudrücken ohne außerordentliche Repression auszuüben und die Demokratie zu zerstören.

AMY GOODMAN: Lassen Sie uns über Schock in bezug auf die Folter reden. Es ist, womit sie beginnen: „Blank is Beautiful“ (Anm.: so heißt das 1. Kapitel, auch auf dt., meint in etwa „reinen Tisch machen ist wunderbar“). Reden Sie darüber.

NAOMI KLEIN: Nun, ich beginne im Buch, indem ich auf die beiden Laboratorien für die Schock Strategie schaue. Wie ich erwähnt habe, schaue ich mir verschiedene Formen des Schocks an. Das eine ist der ökonomische Schock und ein anderer ist der Körper Schock, sind Schocks verübt gegen Menschen. Und sie sind nicht immer dabei verübt worden, aber sie haben eine Funktion in den Schlüsselverbindungen. Dies ist der Schock der Folter.
(…) Eine der Laboratorien für diese Strategie war in den 50er Jahren die Universität von Chicago, als alle diese lateinamerikanischen Ökonomen darauf trainiert worden sind, ökonomische Schock Therapeuten zu werden. Ein anderes – und, wissen Sie, das ist keine Art großer Konspiration (meinerseits), dass alles geplant war. Aber da existierte noch eine andere Schule, die wie eine andere Art von Schock Laboratorium funktionierte, das war die McGill Universität (Anm.: in Montreal, Kanada) in den fünfziger Jahren. Die McGill Universität war „ground zero“ für Experimente, die die CIA unterstützt hat, in erster Linie, um zu verstehen, wie das Foltern funktioniert.
Ich meine, es wurde zu der Zeit „Bewusstseinskontrolle” genannt, oder „Gehirnwäsche”, aber jetzt verstehen wir, dank der Arbeit von Menschen wie Alfred McCoy (…), dass tatsächlich das, was in den fünfziger Jahren geforscht worden ist in dem MK-ULTRA Programm, als da diese Experimente mit extremen Elektroschocks stattgefunden haben, sowie mit LSD, PCP, extremer Deprivation der Wahrnehmung, Überflutung der Wahrnehmung. Dass war tatsächlich das Handbuch, dass wir nun auch in Guantanamo und Abu Ghraib am Werk sehen. Dies ist ein Handbuch zur Zerstörung von Persönlichkeiten, zur totalen Regression von Persönlichkeiten und dem Entwickeln einer einmaligen Möglichkeit, da (zu wirken), wo Menschen sehr beeinflussbar sind, wie wir das in dem Film (Anm.: in dem Short Film zum Buch) gesehen haben. So, McGill, zum Teil, denke ich, gehörte dazu, weil nach Einschätzung der CIA es leichter war, diese Experimente außerhalb der USA durchzuführen.

AMY GOODMAN: McGill in Montreal.

NAOMI KLEIN: McGill in Montreal. Zu der Zeit, war Ewen Cameron der Direktor der Psychiatrie. Er war tatsächlich ein amerikanischer Bürger. Er war zuvor der Direktor der „American Psychiatric Association” gewesen, was, wie ich meine, ziemlich relevant für die Debatten ist, die gegenwärtig in der psychiatrischen Profession zur Komplizenschaft mit den aktuellen Verhörtechniken (Anm.: meint die im Irak) stattfinden. Er (Cameron) ist an die Universität von McGill gegangen, um Direktor der Psychiatrie zu werden und um ein Krankenhaus zu führen, das Allan Memorial Hospital, das ein psychiatrisches Krankenhaus war.
Er wurde dafür von der CIA unterstützt und er hat das Allan Memorial Hospital in ein außerordentliches Laboratorium für etwas verwandelt, was wir heute als „alternative Verhörtechniken“ kennen. Er dosierte seine Patienten mit diesen merkwürdigen Drogen Cocktails wie LSD und PCP. Er versetzte sie in Schlaf, in eine Art Koma, bis zu einem Monat lang. Er versetzte einige seiner Patienten in eine extreme sensorische Deprivation, mit der Absicht, sie ihre Wahrnehmungen von Zeit und Raum verlieren zu lassen.
Und woran Ewen Cameron glaubte, oder wenigstens, was er sagte, er glauben würde, war: alle psychische Krankheiten sind erlernt worden, als Muster im späteren Leben. Er war als Psychologe Verhaltenstherapeut. Und so, statt an die Wurzeln dieser Probleme zu gehen und zu versuchen, sie zu verstehen, glaubte er, der Weg, psychische Erkrankungen zu behandeln, könne darin bestehen, erwachsene Patienten zu nehmen und sie in einen kindlichen Status zurück zu versetzen. Und es ist sehr wohl bekannt – es war zu der Zeit sehr bekannt – dass eine der Nebenwirkungen der Elektroschock Therapie Gedächtnisverlust war. Und das war etwas, das tatsächlich von den meisten Doktoren als Problem gesehen worden ist, weil Patienten, die so behandelt worden waren, zwar von einigen positiven Erlebnissen berichtet haben, aber sie hatten andererseits viele Dinge ihr Lebens betreffend vergessen. Ewen Cameron schaute sich seine Forschung an und dachte ‚ah, das ist gut’, weil er glaubte, es sei ein Muster, weil er glaubte, das Muster sei später im Leben ausgeprägt worden. Und, wenn er nun seine Patienten zurück in einen infantilen Status zurückversetzen könnte, zurück in eine vorsprachliche Zeit, bevor sie wussten, wo sie waren, dann könnte er sie grundlegend „wieder- bemuttern“ und könnte sie so in gesunde Menschen verwandeln. So, das ist die Idee, die die Aufmerksamkeit der CIA auf sich gezogen hat, diese Idee der absichtlich herbeigeführten, extremen Regression.

AMY GOODMAN: Erzählen sie über die Frau, die Sie im Pflegeheim besucht haben, die das durchgemacht hat.

NAOMI KLEIN: Ja, Ich starte das Buch mit dem Profil einer Frau namens Gail Kastner, Gail Kastner war eine der Patientinnen von Ewen Cameron. Und ich hatte über sie gelesen, weil sie einen erfolgreichen Prozess gegen die kanadische Regierung geführt hat, die damals Ewen Caneron ebenfalls gefördert hatte. Ich habe über ihren Rechtsstreit gelesen, dass sie gerade einen wichtigen Sieg erreicht hatte: Sie hatte eine Wiedergutmachung bekommen, weil sie ohne ihr Wissen als Versuchskaninchen in diesen Experimenten benutzt worden ist.
So habe ich sie angerufen, habe ihre Nummer einfach im Telefonbuch gefunden. Und sie war zunächst, sehr, sehr zugeknöpft. Sie sagte, sie hasse JournalistInnen und es sei sehr schwierig für sie, darüber zu sprechen, weil sie alle diese Erlebnisse wieder durchleben würde. Und ich sagte, nun – sie sagte „worüber wollen Sie mit mir sprechen?“ Und ich sagte „nun, ich bin gerade aus dem Irak zurückgekommen“ – und das war 2004 – „und ich habe das Gefühl, etwas von dem, was Ihnen angetan worden ist, die Philosophie dessen, was Ihnen angetan worden ist hat irgendetwas mit dem zu tun, was ich im Irak gesehen habe. Was beispielsweise dieser Wunsch bedeutet, ein Land zu säubern und neu zu gestalten. Und ich denke auch, einiges von dem, was wir in Guantanamo sehen, dieser Versuch Gefangene durch Entzug der Sinnesreize in die Regression zu versetzen, und sie ‚neu zu gestalten’ hat ebenfalls eine Beziehung zu dem was Ihnen passiert ist.“ Und dann war da eine lange Pause. Und sie sagte „O.k., kommen Sie und sehen Sie mich“.
So bin ich nach Montreal geflogen und wir haben einen Tag lang mit Gesprächen verbracht und sie hat mit mir ihre Geschichte geteilt. Sie redete mit mir über ihre durch die Elektronik ausgelösten Träume, was bedeutet, sie hat nicht sehr viele Erinnerungen an das, was ihr in diesem Zeitraum passiert ist, weil sie einem solchem außerordentlichen Schock unterzogen und dadurch ihre Erinnerung ausgelöscht worden war. Sie ist bis zu dem Punkt regrediert, dass sie am Daumen genuckelt, auf den Boden uriniert hat, nicht wusste, wer sie gewesen ist. Und sie hatte keine Erinnerung an das, nicht eine einzige Erinnerung daran, dass sie hospitalisiert worden war. Sie hat es nur realisiert, ich denke 20 Jahre später, als sie einen Artikel über eine Gruppe von PatientInnen mit ähnlichen Erfahrungen gelesen hat, die erfolgreich gegen die CIA prozessiert hatten. Und sie hatte einige Stichworte aus dem Zeitungsartikel aufgenommen: Regression, Verlust der Sprache – und sie dachte, „warte mal, das klingt nach mir. Das klingt nach mir, was ich über mich gehört habe“. Und so fragte sie die Familie: „War ich jemals im Allan Memorial Hospital?“ Und als erstes haben sie das verleugnet und dann haben sie es zugegeben. Sie fragte nach ihrer Akte und sie hat das gelesen. Ja sie war von Dr. Ewen Cameron aufgenommen worden und sie registrierte all diese außerordentlichen Behandlungen, die ihr angetan worden sind.

AMY GOODMAN: (…)…..Ich möchte vom individuellen Körper, der dem Schock unterzogen worden ist zur Politik kommen. Sie haben über Chile gesprochen, lassen Sie uns über den Irak sprechen, die Privatisierung des Krieges im Irak. Wir haben diese Hauptnachricht heute: Das Irakische Regierung sagt, nach der Beteiligung der US Sicherheitsfirma Blackwater an der fatalen Schießerei am Sonntag (16.9.07), entziehe sie dieser die Lizenz. Der Sprecher des Innenministeriums Abdul –Karim Khalaf gab bekannt, es seien acht ZivilistInnen getötet und dreizehn verwundet worden. Die Vertragsnehmer der Sicherheitsfirma Blackwater glaubten, für die USA zu arbeiten, als sie das Feuer auf eine vorherrschend von Sunniten bewohnten Stadtteil im Westen von Bagdad eröffnet haben. „Wir haben die Lizenz für Blackwater gekündigt und sie daran gehindert, im ganzen Irakischen Territorium weiter zu arbeiten. Wir werden außerdem diejenigen, die beteiligt waren, der Irakischen Justiz überstellen“ (so der Minister). Es ist nicht sofort klar, ob die Maßnahme gegen Blackwater darauf abzielt, zeitweilig zu sein oder permanente Gültigkeit haben wird. Naomi Klein, setzen Sie von hier aus fort:

NAOMI KLEIN: Nun, das ist eine außerordentliche Nachricht. Ich meine, dies ist wirklich das erste Mal, das eine dieser Söldner Firmen unter Umständen wirklich verantwortlich gemacht wird. Wissen Sie, wie Jeremy Scahill dies in seinem unglaublichen Buch Blackwater: The Rise of the [World’s] Most Powerful Mercenary Army, beschrieben hat: das eigentliche Problem ist, es hat keine staatsanwaltlichen Ermittlungen gegeben. Diese Firmen arbeiten in einer absoluten Grauzone und (…) die sind entweder Pfadfinder und dann ist (angeblich nichts dabei) nichts verkehrt, was absolut nicht mit dem übereinstimmt, was wir darüber wissen, wie die sich im Irak verhalten. Und alle diese unterschiedlichen Videos, die wir online über die Praxis gesehen haben, wie sie auf irakische Zivilisten zielen, über deren Verhalten. Oder die Gesetzlosigkeit und die Immunität, mit der sie arbeiten, hat sie geschützt. (…) Wenn die Irakische Regierung tatsächlich Blackwater aus dem Irak rauswerfen wird, dann könnte das wirklich ein Wendepunkt in der Hinsicht sein, diese Firmen in die Verantwortung vor dem Gesetz zu bringen Und dann könnten die ganzen Vorraussetzungen hinterfragt werden: Warum ist dieses Level der Privatisierung und die Gesetzlosigkeit erlaubt worden.
Aber, wissen Sie, ich habe erwähnt, wie Donald Rumsfeld, in den sechziger Jahren tatsächlich Student von Milton Friedman war. Und die Sache mit Donald Rumsfeld ist: er ist wirklich (noch) über seinen Mentor hinausgegangen, weil Milton Friedman, wie ich bereits erwähnt habe, glaubte, die einzig akzeptable Rolle für die Regierung sei zu kontrollieren, das war das Militär. Das war die einzige Sache, die er wirklich im Kopf hatte, was die Regierung tun sollte, alles andere sollte privatisiert werden. Donald Rumsfeld hat bei Friedman studiert, sah ihn als Mentor, feierte jedes Jahr seinen Geburtstag mit ihm, aber er tat wirklich diesen Schritt weiter. Weil Rumsfeld tatsächlich glaubte, die Arbeit des Kontrollierens und des Krieg Führens könnte ebenso privatisiert und ausgelagert werden. Und das hat er sehr deutlich gemacht.
Das war wirklich seine Mission der Veränderung, was ich denke, nicht wirklich bisher verstanden worden ist, wie radikal das war. Wissen Sie, wir hören diese Phrase und wir hören Bush, wie er Rumsfeld für seine radikalen Visionen preist, das Militär umzugestalten. Und es sind all diese Modeworte, die schwer zu verstehen sind, aber wenn wir auf Rumsfelds Hintergrund schauen. (…)Ich schreibe in dem Buch, (…) dies ist jemand, der, nach seinem Ausscheiden aus der Regierung Ford, einige Jahrzehnte lang in der Industrie gearbeitet hat und sich wirklich als ein Mann der neuen Ökonomie gesehen hat.
Und in dieser Hinsicht, meine ich, dass die Recherche, die ich für No Logo betrieben habe, passt wirklich zu dem Zustand des Katastrophen-Kapitalismus, in dem wir uns jetzt befinden. Rumsfeld hat in den 90er Jahren die Revolution des „Branding“, (des Markenschaffen) der Konzerne betrieben. Und das ist es, was ich in No Logo geschrieben habe, als alle diese Konzerne Produkte herstellten und dabei mit großen Fanfaren verkündeten, sie würden keine Produkte mehr produzieren, sondern sie würden Images produzieren und sie könnten andere Leute ranlassen, so eine Art kleinere Vertragsnehmer, die dann die dreckige Arbeit der tatsächlichen Herstellung machen lassen. Und das war genau diese Art der Revolution des Outsourcing, (…) das war das Paradigma der ausgehöhlten Unternehmen (hollow corporation).
Ganz besonders Rumsfeld kommt aus jener Tradition. Und als er als Verteidigungsminister an Bord kam, er ritt ein, als sei er ein neuer ökonomischer CEO (Geschäftsführer), war er im Begriff, einer dieser radikalen Umstrukturierungen zu bewerkstelligen. Aber was er getan hat: Er hat diese Philosophie dieser Revolution in der Konzernwelt auf das Militär übertragen. Und was er dabei übersehen hat, war die Aushöhlung des amerikanischen Militärs, dessen grundlegende Rolle darin besteht sollte, das „Branding“ zu übernehmen, das Projizieren des Bildes von Strenge und Dominanz über den Globus, und dann – aber Outsourcing für jede andere Funktion zu betreiben, von der Gesundheitsvorsorge – der Gesundheitsversorgung für Soldaten über den Gebäudekomplex der jeweiligen militärischen Basis, was bereits während der Clinton Regierung passiert ist, bis hin zu der außerordentlichen Rolle, die Blackwater gespielt hat und Unternehmen wie DynCorp, die (…) wie Jeremy das beschrieben hat, tatsächlich in den Kämpfen aktiv sind.

AMY GOODMAN: Und, es stimmt Blackwater hat mit den Soldaten von Pinochet gearbeitet, aber im Irak …

NAOMI KLEIN: Ja, (…) dies sind – wie wir sehen diese Schichten der Kontinuität. Ich meine, Paul Bremer war der Assistent von Kissinger während der Nixon Regierung, als damals die Unterstützung für Nixon so stark war. So hat man all die Schichten historischer Kontinuität. Und (…) wahrscheinlich war meine Motivation, dieses Buch zu schreiben die: dass niemand für diese Verbrechen verantwortlich gemacht worden ist (…) In Lateinamerika, da hat es Wahrheitskommissionen gegeben, da hat es Gerichtsverfahren gegeben. Von den Menschen, die im Inneren dieser sehr gewalttätigen Umwandlung verantwortlich waren, sind viele mittlerweile zur Verantwortung gezogen worden – nicht alle, aber viele sind bisher zur Verantwortung gezogen worden, wenn nicht vor Gerichten, dann sicherlich in gründlichen und wichtigen öffentlichen Debatten über Wahrheit und Versöhnung.

AMY GOODMAN: Sprechen Sie Naomi Klein über die Zerstörung des Iraks. Reden sie über „Shock and Awe“, die ökonomische Schock Therapie von Paul Bremer, auch über den Schock der Folter, was er alles im Irak zusammengebracht hat.

NAOMI KLEIN: Ja, nun, wie ich erläutert habe (…) in Chile sehen wir dieses dreifache Schock Schema am Werk und Folter als eine Form des Durchsetzens dieser Politik. Und ich denke, wir sehen das gleiche dreifache Schock Schema im Irak. Der erste war die Invasion, die „Shock and awe“ Invasion in den Irak. Und wenn Sie das Handbuch lesen, das militärische Handbuch, das die Theorie von „shock and awe“ (Schock und Entsetzen“) enthält (-) Viele Menschen denken, dies bedeute lediglich eine Menge Bomben, viele Geschosse, aber das ist wirklich eine psychologische Strategie, was an sich schon ein Kriegsverbrechen ist, weil sehr deutlich gesagt wird: Während des ersten Golf Krieges sei das Ziel gewesen, Saddams militärische Infrastruktur zu zerstören. Aber unter einer „Schok and Awe“ Kampagne, sei die Vollstreckung der Gesellschaft als Ganzes das Ziel. Das ist ein Zitat aus der „Shock and Awe“ Strategie.
Nun, für Gesellschaften, die zur Zielscheibe werden, kommt kollektive Bestrafung ganz besonders stark zur Anwendung, was ein Kriegsverbrechen ist. Militärs ist es nicht erlaubt, Gesellschaften als Ganze zur Zielscheibe zu nehmen. Es ist ihnen lediglich erlaubt, auf das Militär zu zielen (…) Diese Strategie ist tatsächlich ziemlich erstaunlich, weil sie davon redet – sie redet von der Deprivation der Wahrnehmung auf Massenbasis. Das bedeutet: Abschirmung, das Abschneiden der Sinne, einer ganzen Population. Und wir sahen, wie während der Invasion die Lichter ausgingen, alle Formen der Kommunikation wurden lahmgelegt, die Telefone verstummten. Und dann die Plünderungen, was ich tatsächlich nicht glaube, dass das Teil der Strategie war, aber ich bin der Meinung, nichts zu tun, war dann in gewisser Weise Teil der Strategie. Natürlich, wir wissen, von allen Seiten gab es Warnungen, dass Museen und Bibliotheken hätten geschützt werden müssen und nichts ist unternommen worden. Und dann hatten Sie den berühmten Ausspruch von Donald Rumsfeld: „Stuff happens“ („solches Sachen/Zeugs passiert eben“).
(…) Das Ziel war, wie dies in der New York Times der Kolumnist Thomas Friedman mit der bekannten Phrase formuliert hat: Nicht Nation Building (Aufbau der Nation) – sondern Nation Creating (Erschaffen der Nation) (…) was eine außerordentlich gewalttätige Idee ist, wenn Sie innehalten und darüber nachdenken, was das bedeutet, eine Nation innerhalb einer Nation zu erschaffen, die bereits existiert. Etwas soll mit einer Nation, die bereits da war, passieren. Und wir reden hier über eine Kultur, die so alt wie die Zivilisation ist. So, ich denke, weil diese Idee vorhanden war, ‚wir starten ganz von vorne’, (…) steht alles, was bereits da ist nun im Wege. So, wenn das dann auf Lastwagen verbracht (Anm.: meint z.B. Interieur aus Museen, etc.) und in Syrien und Jordanien verkauft wird, das macht dann den Job leichter (…) Ich meine, wir haben das auf vielen, vielen Ebenen sehen können.

AMY GOODMAN: Naomi Klein, wie passt Abu Ghraib in dieses Bild?

NAOMI KLEIN: Nun, ich zitiere im Buch Richard Armitage (Anm.: US Vize-Außenminister bis 2005), dass die Theorie – das die Arbeitsthese war, die Iraker würden durch den Krieg so desorientiert sein und dann mit dem Fall von Saddam (-) dass sie leicht von A nach B gebracht werden könnten. Nun, wie wir wissen, ist dies nicht der Fall gewesen. Und als Paul Bremer – als Paul Bremer eingeritten ist und diese radikale Landnahme vollzog, feuerte er das ganze irakische – einen Großteil der irakischen zivilen Beschäftigten, genauso wie Angehörige der Armee. Er erklärte den Irak als für die Geschäftswelt eröffnet, Billigimporte überschwemmten das Land. Irakische Geschäftsleute konnten damit nicht standhalten. In jenem ersten Sommer gab es große Ansammlungen von friedlichen Protesten, außerhalb der Grünen Zone und es wurde deutlich, es war einfach nicht möglich, IrakerInnen von A nach B umzusiedeln.
Und es war danach, als der erste bewaffnete Widerstand im Irak entstanden war, als der Krieg dann in die Gefängnisse getragen worden ist. Und das geht wiederum auf Donald Rumfsfelds Vision zurück, diese Art von CEO Verteidigungsminister zu sein (-), weil natürlich, wie jeder andere CEO, verstand er etwas vom Krieg. Und noch war er nicht in einer Position, oder die US Besatzungsmacht war nicht in einer Position, mit dieser drastischen Fehlkalkulation umgehen zu können. Und diese Phantasie, die Iraker würden einfach folgen und diese ökonomische Schock Strategie akzeptieren und dieses – dieses wirkliche Plündern ihres Landes (-) So, als die IrakerInnen nun anfingen, Widerstand zu leisten, konnte die Unterdrückung dieses Widerstandes nicht in den Strassen stattfinden, weil dafür einfach nicht genügend Personenstreitkräfte vorhanden waren.
So wurden die Menschen zusammen getrieben, in Gefängnisse gebracht und Folter wurde ausgeübt, so wie dies in Lateinamerika der Fall gewesen war, um eine Botschaft an das ganze Land zu verbreiten. (…) Folter ist immer – ist beides privat und öffentlich zur gleichen Zeit. Und das ist wahr, egal, wer sie nutzt, Folter als Werkzeug staatlichen Terrors bedeutet nicht nur, da passiert etwas zwischen einem Verhörenden und einem/einer Gefangenen, sondern das bedeutet auch das Senden einer Botschaft an diese größere Gesellschaft: das wird passieren, wenn Ihr aus der Reihe tanzt. Und ich glaube, Folter wurde für die US Okkupation in dieser Weise genutzt, nicht nur um Informationen zu bekommen, sondern auch um das ganze Land zu verwarnen.

AMY GOODMAN: (…) Beide, Sie und ich waren gerade in New Orleans. Ich habe Sie auch vor zwei Jahren in New Orleans gesehen, gleich nach dem Hurrikan. Passen Katrina und die Antwort der US Regierung auf den Untergang der amerikanischen Stadt in dieses Bild?

NAOMI KLEIN: Nun, New Orleans ist ein klassisches Beispiel für das, was ich Schock Strategie oder Katastrophen-Kapitalismus nenne. (…) Man hatte den ersten Schock, ausgelöst durch die Überflutung der Stadt. Und wie Sie wissen, da Sie gerade aus New Orleans zurückgekehrt sind, das war keine – das war keine Naturkatastrophe. Und die große Ironie besteht in diesem Fall darin, dies war wirklich eine Katastrophe genau gemäß dieser Ideologie, über die wir reden: die systematische Vernachlässigung der öffentlichen Sphäre.
Und ich denke, zunehmend sehen wir das: wenn Sie 35 Jahr stetiger Vernachlässigung öffentlicher Infrastruktur haben und Grundsteinstützen des Staates, das Transportwesen, die Straßen, die Deiche – sind schwach und durchlässig. Und die „American Society of Civil Engineers” schätzt, dass etwa 1,5 Billionen benötigt würden, um diese Stützen des Staates auf ein durchschnittliches Niveau zu bringen, weil sie so ramponiert sind, die Brücken, und die Strassen und die Dämme.
Und so(-), was wir haben ist eine Art von „perfect storm“, indem der geschwächte, zerbrechliche Staat auf vermehrt schweres Unwetter trifft, was, wie ich behaupten würde, ebenfalls für den gleichen ideologischen Wahnsinn genutzt wird, für kurzfristigen Profit und kurzfristiges Wachstum. Und wenn diese beiden kollidieren, haben wir eine Katastrophe. Und das ist es, was in New Orleans passiert ist. Die durchlässigen Dämme trafen auf schweres Unwetter, obwohl das Wetter nicht einmal so schlimm war. Die Stadt hat nicht mal die Kategorie fünf (der Hurrikan Skala) erreicht.
Und ich denke, wissen Sie, nur mal nebenbei, weil wir hier in New York sind: Das ist ein anderes wirklich schlagendes Beispiel dafür – für das, was diesen Sommer hier passiert ist, als die U-Bahn überflutet worden ist. Alle waren geschockt, weil es so schlimm gar nicht geregnet hatte. Aber die Infrastruktur war so heruntergekommen, infolge dieser ständigen Vernachlässigung. Und wie lautete die Schlagzeile der New York Sun? „Verkauft die U-Bahn“.
(…) Als erstes schwächt die Ideologie, ruft die Katastrophe hervor und dann wird diese dazu benutzt, als Entschuldigung dafür, um die Arbeit vollenden zu können, nämlich alles zu privatisieren. Und das ist es, was in New Orleans passiert ist. Unmittelbar nachdem die Stadt überflutet worden ist, hatten wir diese ideologische Kampagne des „ground zero“, verbreitet von der Heritage Foundation in Washington, die immer schon, ich schätze der einflussreichste Motor für diese Vision vom radikalen freien Markt gewesen ist, die verkündet hat, dass dies eine Tragödie sei, aber ebenso eine Gelegenheit, den ganzen Bundesstaat zu erneuern, d.h. zu eliminieren, so, wie es die Explosion der Vertragsschulen zeigt. Die (betroffenen) öffentlichen Schulen wurden nicht wieder eröffnet. Das öffentliche Krankenhaus, das Charity Hospital blieb vernagelt. Der soziale Wohnungsbau – und das ist das dramatischste Beispiel (Anm.: für New Orleans) – dieser entsetzliche Ausspruch eines Kongressabgeordneten der Republikaner: „Wir konnten die Sozialwohnungen nicht säubern, aber Gott hat dies zehn Tage nachdem die Dämme gebrochen sind, vollbracht“. Das ist es, was ich unter Schock Strategie verstehe, diese Idee, eine Katastrophe einzuspannen, um radikale Privatisierung durchzusetzen.

AMY GOODMAN: Naomi, nun, da wir die erste Stunde abschließen: Was hat Sie bei Ihren Recherchen für die Schock Strategie am meisten geschockt?

NAOMI KLEIN: Ich war über dieses Vorhanden sein von Literatur schockiert, darüber, wovon ich nicht wusste, dass sie existiert, in der die Ökonomen genau das zugeben. Wissen Sie, und dies ist es, schätze ich, worüber ich mich am meisten aufgeregt habe, wie viele Zitate ich von sehr hochrangigen Befürwortern der freien Markt Ökonomie dazu gefunden habe, jeder, von Milton Friedman bis zu John Williamson, der Mann, der die Phrase vom „Washington Consensus“ geprägt hat, haben das unter sich zugegeben, nicht öffentlich, aber untereinander, in Form technokratischer Dokumente, dass sie niemals in der Lage sein würden, die Übernahme mit einem radikalen „freien Markt“ zu bewerkstelligen ohne die Indienstnahme einer größeren Krise. D.h. der zentrale Mythos unserer Zeit, Demokratie und Kapitalismus würden Hand in Hand gehen, ist genau bei diesen Leuten, die sie entwickelt haben, als Lüge bekannt und sie geben das auch noch zu Protokoll.

AMY GOODMAN: Nun Leute, dazu wird noch mehr kommen, wir werden diese Unterhaltung später noch fortsetzen und es dann später senden. Naomi Klein, unser Gast, im ersten nationalen Interview zum Erscheinen ihres Buches The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism.

NAOMI KLEIN: Ich danke Ihnen so sehr, Amy.

www.democracynow.org

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!