Hinweise des Tages

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(KR/WL)
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  1. Mi-Mi-Mindestlohn
    Eine Satire von Extra3 zum Mindestlohn.
    Quelle: NDR
  2. Kommt die Wende?
    Lohnpolitik in Deutschland und Europa – Bilanz der Tarifrunde 2007.
    Von Thorsten Schulten, Wissenschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
    Quelle: Junge Welt
  3. Postbranche: Phantomdebatte über Mindestlohn
    Die große Koalition hat auf dem Weg zu einem Postmindestlohn offenbar künstliche Hürden aufgebaut: Keinesfalls muss ein Tarifvertrag mindestens die Hälfte der Beschäftigten erfassen, damit sein Mindestlohn mit Hilfe des Entsendegesetzes für alle Arbeitnehmer verbindlich vorgeschrieben werden kann. Zu diesem Ergebnis kommt die Tarifabteilung des Deutsche Gewerkschaftsbundes (DGB) in einer juristischen Prüfung. “Die 50-Prozent-Klausel zur Ausweitung des Entsendegesetzes auf die Postdienste ist nicht erforderlich”, heißt es in der Analyse.
    Quelle: FR
  4. Die Welle von Preiserhöhungen verschärft die Ungleichheit in Deutschland
    Vor allem die Güter des täglichen Bedarfs werden teurer. Das trifft besonders die ärmeren Bevölkerungsschichten: Der tägliche Einkauf belastet sie mit bis zu 4,5 Prozent höheren Ausgaben. Haushalte mit höherem Einkommen leiden dagegen weniger unter dem Preisanstieg. Dies haben Berechnungen der Universität Fribourg für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ergeben. Der Grund: Ärmere kaufen relativ oft Produkte, die derzeit deutlich teurer werden.
    Quelle: FAZ Net
  5. Jeder zehnte Erwachsene ist finanziell am Ende
    Das Gesamtvolumen des aufgehäuften Schuldenberges: 208 bis 271 Milliarden Euro. Diese Berechnung findet sich in dem neuen Jahresbericht der Wirtschaftsauskunftei Creditreform über die Schulden-Lage der deutschen Privathaushalte. Auslöser für die Überschuldung sind Creditreform-Vorstand Helmut Rödl zufolge meist Schicksalsschläge: Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit.
    Überrascht bemerkte Rödl, dass der Wirtschaftsaufschwung nicht zu einem Rückgang der Verschuldung geführt habe. Seine Erklärung: Viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze seien im Niedriglohnbereich angesiedelt. Die Betroffenen verschwänden damit zwar aus der Arbeitslosen-Statistik. Die Überschuldungsgefahr verringere sich jedoch wenig, da der Verdienst oft nicht zu einem normalen Leben reiche. Außerdem werde vielen einkommensschwachen Haushalten zum Verhängnis, dass die Reallohn-Entwicklung in den vergangenen Jahren nicht mit dem Preisanstieg mitgehalten habe.
    Quelle 1: SPIEGEL
    Quelle 2: Creditreform

    Kommentar: Dass der “Aufschwung” bei der Masse der Arbeitnehmer nur marginal angekommen ist, ist für NDS-Leser nichts Neues. Die ansteigende private Verschuldung ist ein weiteres Indiz. Allerdings geht der Spiegel ausgesprochen perfide und manipulativ mit dem Bericht um. Der Spiegel untertitelt: “Trotz Aufschwung und sinkender Arbeitslosigkeit: Mehr als sieben Millionen Deutsche können ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen, stehen vor dem Ruin. Immer öfter wird ihnen die von der Werbung angeheizte Lust am schnellen Konsum zum Verhängnis.” Immerhin benennt im Text selbst Rödl Schicksalsschläge wie Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit als Hauptursachen, auch wenn der Begriff Schicksal nur eine verfehlte Wirtschafts – und Sozialpolitik auf verschiedensten Ebenen kaschiert. Der Spiegel setzt mit der “Lust am schnellen Konsum” in der Titelung einen anderen Akzent. Sei es, weil die selbstverschuldete Verschuldung ein besserer Aufreißer ist oder weil das versagende Individuum wieder in Mode ist. Nur nicht an den Verhältnissen rütteln! Dass diese “Akzentsetzung” wirkt, zeigt das an den Artikel anschließende Forum.

  6. Armut in Deutschland
    Konkret ist nach einer Studie des Statistischen Bundesamtes vom Dezember vergangenen Jahres relativ arm, wer im Jahr 2004 in Deutschland als Single nicht über 856 Euro verfügbares Einkommen im Monat hinauskam. Bei einer Familie mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1798 Euro im Monat. Insgesamt waren laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Jahr 2005 etwa 17 Prozent der Menschen in Deutschland armutsgefährdet, vier Prozentpunkte mehr als im Jahr 2000.
    Grundproblem dieser “wachsenden Minderheit” ist meist Arbeitslosigkeit, häufig in Kombination mit fehlenden Schul- und Ausbildungsabschlüssen. “Bildungschancen werden vererbt”, heißt es schon im aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2005. Demnach haben Kinder von Eltern mit hohem sozialen Status eine 2,7fach größere Chance, ein Gymnasium zu besuchen, als Kinder von Facharbeitern. Die Wahrscheinlichkeit, ein Studium zu beginnen, ist bei Wohlhabenden sogar um das 7,4fache größer. Jedes vierte Kind, dessen Eltern keinen Schulabschluss haben, wird später ebenfalls von staatlichen Transfers leben.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Reichlich zynisch finde ich das in dem Artikel wiedergegebene Zitat eines hessischen Sozialrichters: „Familien, in denen der größte Teil des Einkommens aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, sind grundsätzlich aufstiegsorientiert und begrüßen Werte wie Fleiß, Pünktlichkeit und Bildung. In Familien, die vor allem von staatlicher Hilfe leben, geht Borchert zufolge diese Grundhaltung irgendwann verloren und wird infolgedessen auch dem eigenen Nachwuchs nicht übermittelt.“ Nicht die Selektion durch das deutsche Schulsystem, nicht die fehlenden Arbeitsplätze, nicht die Nachteile infolge fehlender Netzwerke und Kapital, nein, der Sozialstaat ist also an der Armut Schuld, der macht faul und träge! Am besten schafft man die staatliche Hilfe also ab, dann gibt es keine vererbte Armut mehr.

  7. Schlechte Chefs bekommen dicke Abfindungen
    Untaugliche Konzernchefs können beim Rausschmiss mit viel Geld rechnen. Trotz Fehlentscheidungen, die Milliarden kosten, sind die Ex-Bosse noch Rekordsummen als Abfindungen wert. Das zeigen Beispiele aus den USA. Es gibt aber rühmliche Ausnahmen.
    Quelle: Die Welt

    Anmerkung WL: Eigentlich nichts Neues, interessant nur, weil die konservative Welt das Thema aufgreift und wegen der Bildfolge.

  8. BA-Rücklage höher als die gesamten Arbeitslosengeld-Ausgaben 2007
    Ende 2006 betrug die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus ihren Überschüssen zu bildende Rücklage (§ 366 SGB III) insgesamt 11,2 Milliarden Euro. Im Verlauf der ersten zehn Monate dieses Jahres wurde ein Überschuss von etwa 4,4 Milliarden Euro erzielt. Dieser Überschuss wird in den beiden verbleibenden Monaten, die i.d.R. durch überdurchschnittliche Einnahmen und unterdurchschnittliche Ausgaben gekennzeichnet sind, auf etwa 6,8 Milliarden Euro steigen. Das heißt, die Rücklage wird bis Ende 2007 von zur Zeit 15,6 Milliarden auf etwa 18 Milliarden Euro steigen.
    Die Arbeitslosengeld-Ausgaben der BA werden in diesem Jahr voraussichtlich auf knapp unter 17 Milliarden Euro (brutto) sinken. Dies sind etwa 6 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr (2006) und etwa 4,8 Milliarden Euro weniger als im BA-Haushalt 2007 veranschlagt. Und dies sind über 12 Milliarden Euro weniger als 2003 und 2004 und über 13 Milliarden Euro (44%) weniger als vor zehn Jahren (1997.)
    Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) [PDF – 220 KB]

    Anmerkung WL: Daran mag man erkennen, wie absurd die Argumentation der Kanzlerin ist, eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I müsse zwingend „kostenneutral“ sein.

  9. Bloß keine Steuern senken
    Wahlkampf auf Dänisch, das bedeutet für Beobachter aus anderen westlichen Industrieländern ungewohnte Szenen. Die Befürworter der Steuersenkungen haben ein Argumentationsproblem. Dänemark geht es wirtschaftlich derzeit bestens – das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt erheblich über dem der alten EU-Mitglieder, Arbeitslosigkeit ist quasi nicht vorhanden und die Regierung erwirtschaftet solide Staatsüberschüsse. Einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Megafon für den Fernsehsender TV2 zufolge lehnen 48 Prozent der Dänen Steuersenkungen ab, nur 32 Prozent sind dafür, der Rest ist indifferent. Wer die Wahlen gewinnen will, muss in Dänemark auf mehr, nicht auf weniger Staat setzen. Mehr Geld für das steuerfinanzierte Gesundheitssystem und die Schulen, lautet die Devise.
    Quelle: Wiener Zeitung
  10. Neue Variante bei Bahnprivatisierung
    Trotz des eindeutigen SPD-Parteitagsbeschlusses ist der umstrittene Verkauf der Bahn nicht vom Tisch. Diskutiert wird jetzt die Aufteilung des Unternehmens in zwei Holdings, von denen eine teilprivatisiert wird. Koalitionsausschuss tagt am Montag.
    Quelle: TAZ
  11. PPP: Volle Fahrt rückwärts
    Chaos und Milliardenlöcher: Vier Jahre nach dem Verkauf der Metro an ein Firmenkonsortium ist Londons Verkehrsgesellschaft TFL der einzige Interessent, um die bankrotte Metronet Rail zu übernehmen. Das ist nicht nur im wirtschaftsliberalen Königreich eine kleine Revolution, sondern auch eine peinliche Niederlage für Premierminister Gordon Brown.
    Quelle: Handelsblatt
  12. NRW nennt Empfänger von Agrarsubventionen
    Dass die EU Milliarden in die Agrarwirtschaft pumpt, ist bekannt. Wo die Euros hinfließen, bislang nicht. Eine Journalistin wollte es genauer wissen und verklagte das Land auf Herausgabe der Daten. Ergebnis: Vor allem Adelshäuser, Großbetriebe und die Agroindustrie profitierten davon und hätten jahrelang verhindert, dass die Öffentlichkeit über die Subventionszahlungen informiert werde.
    Quelle: WDR
  13. Falsch verbunden: Sinnlose Datenspeicher
    Selten hat eine Bundesregierung so schwach argumentiert, um einen tiefen Einschnitt in die Grundrechte ihrer Bürger zu machen.
    Quelle: FR
  14. “Störung der Privatsphäre ohne Tatverdacht”
    Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut für Strafrecht in Freiburg erklärt das umstrittene Gesetz: „Von deutschen Verfassungsschützern wird das aktuelle Gesetz als ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen. Es ist übrigens interessant, dass etwas Vergleichbares bisher nicht einmal in den USA eingeführt wurde. Es gab zwar immer wieder Vorstöße einzelner Bundesstaaten, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Kinderpornographie im Internet oder gegen den Terrorismus. Selbst nach dem 11. September ist es nicht durchgegangen. Dieser Vorgang ist bisher einmalig.“
    Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.
  15. Wenn die Polizei Post sortiert
    Die Polizei hat in Berlin die Zustellungen an mehrere Zeitungen durchwühlt – auf der Suche nach Schreiben der “mg”. Vermutlich ist das von der Strafprozessordnung nicht gedeckt.
    Quelle: TAZ
  16. Gegenwind für Exportwirtschaft
    Der Unternehmensverband Business Europe bezeichnete den starken Euro als “das Besorgnis erregendste Abwärtsrisiko für das Wirtschaftswachstum”. Der Europäische Gewerkschaftsbund forderte die Zentralbank auf, die Zinsen zu senken, um eine stärkere Konjunkturabkühlung zu vermeiden. “Die EZB unterschätzt die Abwärtsrisiken für das Wachstum”, sagte die Gewerkschaft.
    Quelle: FR
  17. Schily soll Nebeneinkünfte offenlegen
    Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verlangt von Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) seine Nebeneinkünfte entsprechend den neuen Transparenzregeln zu veröffentlichen. Da dieser sich bislang weigert, leitet Lammert nun ein förmliches Verfahren auf Grundlage der Verhaltensregeln ein. Wenn das Verfahren einen Verstoß von Schily gegen die Transparenzregeln feststellt, kann das Bundestagspräsidium ein Ordnungsgeld gegen Schily verhängen, das bis zur Hälfte der jährlichen Abgeordnetendiät von etwa 84.000 Euro reichen kann. Schily selbst sagte der Süddeutschen Zeitung, wenn er einzelne Mandate seiner Rechtsanwaltstätigkeit offenlegen solle, werde er das nicht tun.
    Quelle: LobbyControl
  18. Kommission muss Lobbyistenkontakte offenlegen
    Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied gestern, dass die EU-Kommission die Namen von Lobbyisten offenlegen muss, die an Treffen mit der EU-Kommission teilnehmen. Das Urteil ist ein weiterer Schlag gegen die Geheimniskrämerei der EU-Kommission und dürfte weitreichende Folgen haben.
    Quelle: LobbyControl
  19. Conduits, ABCP-Programme und CDOs
    Die Subprime-Verluste waren nur der Auslöser der Krise, meint Fed-Cef Bernanke. Was das Finanzsystem tatsächlich ins Wanken brachte, waren die neuen Finanzinstrumente, mit denen die großen Investmentbanken seit Jahren Rekordgewinne erwirtschafteten.
    Quelle: Telepolis
  20. Werner Vontobel: Willkommen in Pumpistan
    Wenn 70 Millionen Haushalte monatlich 280 Dollar mehr ausgeben als sie einnehmen, läppert sich das zu globalen Ausmaßen. Der aktuelle Pegelstand der privaten US-Schulden liegt bei 13500 Milliarden Dollar. Die Kreditpyramide ist auf Sand gebaut. Wer den Job verliert, ist auch die Krankenversicherung los: Jede Infektion kann da zum Ruin führen. Und den General-Motors-Angestellten werden zurzeit die Löhne um 20 bis 40 Prozent gekürzt. Da kommt so manche Hypothek ins Wanken. Das ist der aktuelle Zwischenstand der Katastrophe: 7,2 Millionen Familien in den USA haben ungenügend gesicherte Hypokredite (Subprime loans) im Wert von 1300 Milliarden Dollar.
    Quelle: Blick
  21. Prostitutionsverbot in Schweden: “Glückliche Huren gibt es nicht”
    Das Prostitutionsverbot in Schweden zeigt Wirkung: Die Zahl der Huren und der Menschenhandel haben deutlich abgenommen. Den Frauen wird beim Ausstieg aus der Szene geholfen, die Ächtung des Kaufs sexueller Dienstleistungen bereits im Grundschulunterricht vermittelt.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung AM: Wo sind die großen Benchmarker geblieben? Das Modell Schweden hat den Kauf sexueller Dienstleistungen geächtet. Machen wir den Erfolg nach!
    Heute kann ich Spiegel Online loben. Die dortigen Kollegen und Kolleginnen berichten vom Prostitutionsverbot in Schweden und über das Elend der Prostitution in Berlin. Wahrlich ein großes menschliches und soziales Problem. Wenn es um den Abbau sozialer Leistungen ging, dann waren die konservativen Benchmarker immer zur Stelle. Warum nicht bei diesem Thema? Vielleicht können wir auch hier von den Schweden lernen.

    Siehe auch:

    Elendsprostitution in Berlin
    “Die Freier warten immer auf eine, die noch weiter unten ist.“
    Quelle: Spiegel Online

  22. Der Zukunft zugewandt
    Um Deutschland für die Zukunft fit zu machen, braucht es einen Paradigmenwechsel. Die SPD hat sich mit ihrem neuen Grundsatzprogramm dieser Herausforderung gestellt. Von Jürgen Kocka
    Quelle: taz

    Anmerkung O.P.: Wärest Du doch bei der Sozialgeschichte, Betonung liegt auf Geschichte, geblieben!

    Anmerkung AM: Dieser Beitrag von Professor Kocka ist eigentlich kaum erträglich, aber wenn man ein Dokument und einen Beleg dafür haben will, mit welchen Sprechblasen einige unserer Sozialwissenschaftler ihr Brot verdienen, dann muss man sich diesen Artikel ausdrucken. Das Meiste ist einfach so daher gesagt, ohne Beleg, sogar ohne den Versuch eines Belegs, und dann noch voller Klischees. Ein paar Kostproben:

    Die Sorge um die Nachhaltigkeit habe jetzt auch das Soziale erfasst. – Wo denn? Mit der Zerstörung des Vertrauens in die gesetzliche Rente und der staatlichen, hoch subventionierten Förderung der Riester-Rente? Mit der Zerstörung des Vertrauens in die Arbeitslosenversicherung?
    Etwas später spekuliert der Autor, warum Angst in Deutschland umgehe. Vielleicht wirke hier die Geschichte der Deutschen im 20. Jahrhundert nach, die Erfahrung von Diktatur und Krieg, von selbst begangenen Verbrechen und erlittenen Verletzungen. – Warum soll die geschichtliche Erfahrung gerade jetzt durchschlagen, wo doch Deutschland angeblich fit gemacht werden soll? Alleine die Frage, warum dann die Menschen in den fünfziger, sechziger und den siebziger Jahren nicht so viel Angst hatten, hätte den Professor darauf bringen müssen, wie abwegig seine Spekulation ist.
    Deutschland leide unter starken Reformblockaden. – Der Historiker hat noch nicht mitgekriegt, was schon seit Kohls Zeiten ständig reformiert worden ist. Reformstau und Reformblockade – das sind Propagandaformeln jener, die zur Befriedigung einseitiger Interessen Strukturreformen durchsetzen wollen und leider schon viel zu viele durchgesetzt haben. Das hat der Geschichts-Professor aus Berlin offenbar auch noch nicht gemerkt.
    Wir leiden angeblich unter zu viel Regulierung. – Wo ist der Beleg? Wo ist wenigstens der Versuch eines Vergleiches?
    Das Modell Deutschland stamme aus besseren Zeiten, es knirsche und bremse, die international verstärkte Konkurrenz stelle es auf den Prüfstand. – Einmal abgesehen davon, dass das Modell Deutschland schlecht knirschen und bremsen kann; jedenfalls kommt einem das komisch vor: Kocka nimmt offenbar nicht zur Kenntnis, dass wir unter Wettbewerbsunfähigkeit nun wirklich nicht leiden. Unsere europäischen Partner leiden unter unserer sehr hohen Wettbewerbsfähigkeit. Wer über Nachhaltigkeit nachdenkt, müsste über dieses Problem des Ungleichgewichts in der Eurozone und in der Weltwirtschaft nachdenken. Aber dann müsste man viel zu viele Fakten erwägen und wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen wollen. Fehlanzeige.
    Der deutsche Sozialstaat hänge hinter anderen Sozialstaaten Europas zurück. – Eine der vielen applaussicheren Sprechblasen. Wo sind die Belege, wo die Zahlen?
    Mut mache dem Autor „gleichwohl die offensichtlich zunehmende Energie der Zivilgesellschaft, dass selbst organisierte, verantwortliche, bürgerschaftliche Engagement zwischen Staat und Markt.“ Dass sich zwischen Staat und Markt gerade jene bürgerschaftlich engagieren und durchsetzen können, die das nötige Geld haben (wie etwa die Bertelsmann Stiftung oder die INSM oder der BürgerKonvent), liegt außerhalb des Wahrnehmungshorizonts von Kocka.
    Und so weiter und so weiter. Bisher habe ich nur etwa ein Drittel kommentiert. Das weitere überlasse ich Ihnen.
    Und wo erscheint dieser Text? In der TAZ – das ist schon typisch für Teile (!) dieses Blattes. Es ist zudem die Kurzfassung eines Beitrags in der „Berliner Republik“. Das ist das Blatt der Netzwerker in der SPD – jener emsigen Anpasser-Gruppe in der SPD, die fähig ist, auch noch unter dem flachsten Gedanken durchzukriechen. Kocka passt sich da offenbar an.

  23. Protestwelle legt Frankreichs Unis lahm
    In ganz Frankreich formieren sich Studenten zum Protest gegen Hochschulreformen der Sarkozy-Regierung. Ihre Parole: “Wer die Fakultäten privatisieren will, dem antworten wir mit Widerstand.” Die Demonstranten befürchten einen Ausverkauf der Unis an die Wirtschaft.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung: Was herrscht doch dagegen in Deutschland der alte Untertanengeist!

  24. Studenten flüchten vor Gebühren
    Die Uni Kiel ist erstaunt über den Andrang von Erstsemestern. Offenbar entscheiden die sich für die Hochschule im Norden, weil dort keine Studiengebühren erhoben werden.
    Quelle: SZ
  25. Schattengewächse des Nahost-Nuklearstreits
    Im Kielwasser des Ringens um das iranische Atomprogramm ist für viele arabische Staaten die nukleare Ära zumindest im Energiesektor angebrochen. Ägypten und Jordanien meldeten eigene AKW-Projekte an, während andere Länder die Planung aufgenommen haben.
    Darüber hinaus tragen natürlich die militärischen Planspiele der Strategen ihre Früchte. Wer oder was beschützt die arabischen Länder, falls die bereits etablierte Atommacht Pakistan weiter destabilisiert wird und anstelle des Musharraf-Regimes extremistische Islamisten die nuklearen Mittelstreckenraketen in ihren Griff kriegen? Oder wenn die iranischen Revolutionswächter entgegen allen Versicherungen doch einen Bausatz für Atombomben zusammenstellen, um die Nachbarn in der Region zu dominieren?
    Quelle: NZZ
  26. Jederzeit bereit und stets stumm
    Das “Tagebuch einer Krise 1968 bis 1970” des Sozialhistorikers Hartmut Zwahr bietet eine einzigartige Geschichte des Prager Frühlings.
    Quelle: TAZ
  27. Umstrittener Reformweg Georgiens
    Georgien gilt als «Laboratorium» für ein liberales Wirtschaftsprogramm. In den knapp vier Jahren seit der «Rosenrevolution» kam es zu einem starken Wirtschaftsaufschwung. Von diesem profitieren aber nicht alle, was eine Grundlage für die Proteste gegen die Regierung ist.
    Quelle: NZZ

    Kommentar Orlando Pascheit: Ein interessanter Bericht, weil auf den sozioökonomischen Hintergrund der Proteste hingewiesen wird. Während der IMF, die Weltbank und EBRD wegen der radikalen Liberalisierungen und Privatisierungen Georgien als “führenden Reformstaat” preisen, stellt selbst die wirtschaftsliberale NZZ fest, daß Regierung auch den Beweis antreten muß, “dass die Reformen zu einer nachhaltigen Verbesserung führen.”

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