Ramschhypotheken, etc.: Dass von den Verantwortlichen die hohen Risiken nicht gesehen wurden, ist nicht zu begreifen.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Unsere Leser bitte ich darum zu entschuldigen, dass ich mich wieder mit der Finanzkrise beschäftige. Man konnte einige Zeit meinen, das gehe uns nichts an. Es geht uns aber alle massiv an. Weil wir alle dafür zahlen. Alle als Steuerzahler. Und jene, die im Erwerbsleben stehen oder demnächst ins Arbeitsleben eintreten, sind doppelt gekniffen, wenn die ohnehin schwache Konjunktur darunter leidet. Albrecht Müller

Ich saß neun Jahre lang praktisch täglich mit circa 10 anderen Personen aus der Leitung des Bundeskanzleramts und dem Regierungssprecher um den Tisch der morgendlichen Lage. Diese Einrichtung gab es auch, um täglich und möglichst rechtzeitig Gefahren für das Land, seine Menschen und die Wirtschaft zu erkennen. Es ist für mich nach dieser Erfahrung absolut unvorstellbar, dass meine Kollegen von der Wirtschaftsabteilung, von der außenpolitischen Abteilung oder wir von der Planungsabteilung nichts mitbekommen hätten, wenn deutsche Banken in den USA und anderswo solche abenteuerlichen Risiken eingegangen wären, wie sie jetzt von den Akteuren und ihren Aufsehern zugegeben werden. SPIEGEL Online (siehe Anhang 1) zitiert die Finanzaufsichtsbehörde Bafin. Diese schätzt die „Einbußen“ der deutschen Banken und anderer Finanzeinrichtungen zur Zeit auf mindestens 430 Milliarden €. Es könnten auch 600 Milliarden oder mehr sein.

Das ist eine unvorstellbar hohe Zahl. Das ist mehr als 1/6 des Bruttoinlandsproduktes, 2007 waren das 2.423 Milliarden. Dass riskante finanzielle Engagements mit dieser Dimension stattfinden, hätten die Aufsichtsbehörden, die Bundesbank, der Bundesfinanzminister und die Spitzen der Banken zu Beginn der Engagements merken müssen. Man musste es erkennen an den Finanzströmen und vor allem an den extrem hohen Renditen, deren sich manche der Akteure brüsteten und die alle nicht durch Wertschöpfung, sondern nur durch massive Spekulationen zu Stande kommen konnten. Das Ganze stank gen Himmel. Das musste einem einigermaßen wachen Ökonomen klar sein.

Dass unsere offiziellen und nicht offiziellen verantwortlichen Personen, vom Bundesfinanzminister, seinen Staatssekretären und sonstigen Mitarbeitern über den Bundesbankpräsidenten, den Bafin-Präsidenten, die Bankchefs, ihre Vorstände und Aufsichtsräte keine Warnungen von sich gaben, als mit diesen Geschäften begonnen wurde, sondern sich offensichtlich ob der sprudelnden Gewinne die Hände rieben, zeugt von bodenloser Ignoranz und Dummheit oder von krimineller Energie. Siehe dazu den Beitrag in der NachDenkSeiten vom 17. August 2007 (Die Blase – das Werk von Kriminellen, kriminellen Vereinigungen und Hehlern.) Siehe auch die hilflosen Erklärungen und Ausreden im letzten Absatz des im Anhang 1 zitierten Artikels. „Es handle sich um das erste Mal, dass eine Krise in Kernbereichen des globalen Finanzsektors ein dermaßen großes Ausdehnungspotenzial gewonnen hat und die Realwirtschaft weltweit bedeutsam beeinträchtigt, heißt es.“ – So können sich die Herrschaften nicht herausreden. Die Krise hat nicht passiv „ein dermaßen großes Ausdehnungspotenzial gewonnen.“ Dieses Ausdehnungspotenzial ist die Folge von aktiven Anlage- beziehungsweise Spekulationsentscheidungen.

Im Grunde gehören alle diese Personen – vom Bundesfinanzminister über den Bundesbankpräsidenten und den Bafin-Präsidenten bis zu den Chefs der involvierten Banken wegen Unfähigkeit oder des Fehlens jeglicher ethischer Dimension aus dem Verkehr gezogen.

Nach Abschluss des vorigen Textes kam mir dank des Hinweises eines unserer Leser noch ein Artikel des Handelsblatts vom 6.4. auf den Tisch. Der Titel: „Entzauberte Finanzinnovationen“ Siehe Anlage 2. Dieser Artikel dreht sich ebenfalls um die Analyse der Bafin und enthält eine weitere wichtige Information über den Inhalt dieses Papiers. Ich zitiere:

Eine Hoffnung hat sich nach Darstellung der BaFin-Experten möglicherweise ganz nebenbei mit der Krise und ihren Folgen erledigt. Das, was bisher zutage gefördert worden sei, „steht in krassem Gegensatz zu der These, dass Finanzinnovationen per se kräftige Wohlfahrtsaspekte innewohnen, indem sie für eine bessere Verteilung von Risiken sorgen“, heißt es in dem Vermerk.

Diese späte Erkenntnis ist der Schlüssel zum Verständnis des Wahnsinns, dem die Verantwortlichen in Politik und Bankenwelt verfallen sind. Sie glaubten und glauben wirklich, mit den Spekulationen auf den Finanzmärkten würde messbarer und großer Wohlstand geschaffen. Offenbar gründen sie ihr (Fehl-)Urteil auf der Beobachtung enorm hoher Gewinne, Gehälter und Provisionen jener Zeitgenossen, die im Investmentbanking und verwandten Bereichen tätig sind. Sie haben offenbar mit glänzenden Augen und Bewunderung verfolgt, dass zum Beispiel der Chef von Blackstone, Schwarzmann, 300 Millionen pro Jahr an Gehalt und Boni kassiert hat oder ein junger Chef eines Hedgefonds sogar über eine Milliarde kassierte. Sie fanden auch die 30 Millionen, die der ehemalige Chef von Mannesmann, Klaus Esser, bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone kassierte, angemessen, weil sie offenbar annahmen, bei der im Umfeld dieses Deals stattgefundenen Aktien-Kurs-Rallye seinen Werte und Wohlstand geschaffen worden.

Vom Bundesfinanzminister wissen wir, dass er bewundernd auf die Vorgänge auf den Finanzmärkten schaut und auch alles tat, um das Spiel der Akteure, die ich Spekulanten nenne, zu erleichtern. Das Finanzministerium hat den Heuschrecken den Weg nach Deutschland erleichtert. Steinbrück hat das Verscherbeln öffentlicher und gemeinnütziger Wohnungsbeständen erleichtert. Seine Mitarbeiter schwärmen von der Verbriefung. (Siehe dazu den ebenfalls heute eingestellten Beitrag über die Verantwortung des Steinbrück-Ministeriums für die hohen Verluste auf den Finanzmärkten.)

Steinbrück hat mit mehreren Äußerungen seine Absicht bekundet, unser Land wenigstens annähernd zu einem Finanzplatz zu machen, wie es London und New York sind.

Hier wird immer der gleiche Denkfehler gemacht. Hier werden einzelwirtschaftliche Erfahrungen – die hohen Gehälter und Boni der Investmentbanker und Spekulanten – übertragen auf volkswirtschaftliche Belange. Das ist schon deshalb ein Denkfehler, weil die Verluste, die ebenfalls, wie man jetzt sieht und schon vorher wissen konnte, bei anderen Einzel-Wirtschaftssubjekten (Bayern LB, IKB und so weiter) anfallen, von korrekt denkenden Menschen gegengerechnet werden müssen. Was die Gewinner auf den Märkten für faule Hypothekenkrediten über Provisionen und Spekulationsgewinne abgesahnt haben, fällt – jetzt offen gelegt – als Verlust bei den Banken und anderen Beteiligten an. So ist das mit der Saldenmechanik .

Das war wie bei jedem Kettenbriefsystem Alles vorhersehbar. Insofern ist es besonders dreist, wenn unser Bundesfinanzminister von einem „Spring-ins-Feld-Teufel“ spricht, der ihn ohne Vorankündigung angesprungen habe. Ich zitiere weiter das Handelsblatt:

Finanzminister Peer Steinbrück hat ein anschauliches Bild für die Bedrohungslage durch Auswirkungen von Geschäften mit US-amerikanischen Ramschhypotheken gefunden. Er sprach in einem Rundfunkinterview von Risiken aus neuartigen Finanzprodukten, sogenannten strukturierten Produkten, die einen ohne Vorankündigung wie ein „Spring-ins-Feld-Teufel“ angreifen. Und dieser Teufel lauert weiter, folgt man der BaFin.

Es war klar erkennbar, dass es bei den Verbriefungen amerikanischer unsicherer Hypotheken um ein Kettenbriefsystem handelt. Dafür sprechen die Dimensionen der Geschäfte und die realen ökonomischen Verhältnisse der Hypothekenschuldner.

Wer in Anbetracht dieser klaren Situation von einem „Spring-ins-Feld-Teufel“ spricht, ist entweder dreist oder bezeugt seine Unfähigkeit, die ökonomischen Zusammenhänge zu durchschauen.
Ich komme nach langer Beobachtung dieses Politikers zu dem Ergebnis, es muss eine Mischung sein, vor allem aber das Ergebnis von schlechter volkswirtschaftlicher Ausbildung und einer unglaublichen Ansammlung von Vorurteilen.

Mir geht es hier nicht um eine persönliche Attacke. Mir geht es um die wichtige Frage, ob sich eine große Volkswirtschaft wie die Deutsche neben einem nicht besonders qualifizierten Bundeswirtschaftsminister auch noch einen Bundesfinanzminister leisten kann, dem das Wissen um wichtige volkswirtschaftliche Zusammenhänge bei seiner Ausbildung offenbar vorenthalten worden sind. Und der ansonsten eine Fülle von Vorurteilen pflegt. Unter anderem auch gegen keynesianische Instrumente. Auch dies ist eine Belastung, unter der wir alle leiden. Wir bräuchten nämlich gerade in dieser Situation mit der Gefahr des Übergreifens der Finanzkrise auf die wirtschaftliche Entwicklung Politiker in der Verantwortung, die fähig sind und willens sind die verschiedenen Instrumente der Wirtschafts- und Finanzpolitik vorurteilsfrei einzusetzen.

Das Defizit der Person Steinbrück könnte aufgefangen werden, wenn er sich mit Mitarbeitern umgeben hätte, die einen Durchblick haben. Daran mangelt es aber genauso, wie wir schon mehrmals und auch in dem schon erwähnten anderen Beitrag von heute gezeigt haben.

Wenn Sie Zugang zu sozialdemokratischen Abgeordneten oder wichtigen anderen Mandatsträgern und Funktionären dieser Partei haben, dann sollten Sie dort einen Aufklärungsversuch wagen.
Ich kann zwar nicht garantieren, dass es in der SPD noch Mandatsträger und andere wichtige Leute gibt, die ein offenes Ohr haben. Manchmal befällt einen der Eindruck, sie sind alle schon im Bunker. Aber der Versuch kostet ja nichts.

Anhänge:

  1. Link und Auszüge aus dem Artikel in SPIEGEL Online:

    SPIEGEL ONLINE
    05. April 2008, 15:45 Uhr

    FEHLSPEKULATIONEN
    Finanzaufsicht fürchtet Eskalation der Kreditkrise – Gerüchte um Dresdner Bank

    Mehr Risiken, mehr Abschreibungen: In der Kreditkrise steht den Banken das Schlimmste noch bevor, warnen Regierung und Bundesbank. Ein Börsenbrief spekuliert über Probleme bei der Dresdner Bank – und die Finanzaufsicht warnt, auch Versicherungen und Fonds könnten bald erfasst werden.

    Ljubljana – Mahnende Worte aus Slowenien. Am Rande des EU-Finanzministertreffens in Ljubljana sagte Bundesbank-Chef Axel Weber, die Turbulenzen auf den weltweiten Finanzmärkten seien noch lange nicht ausgestanden. Den Banken stehe das Schlimmste sogar noch bevor, sagte er, weil sie “Verluste nicht wie im letzten Jahr gegen ein sehr gutes erstes Halbjahr buchen können”. (…)

    Kaum einer kann sich mehr sicher fühlen vor den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise – diesen Eindruck vermittelt auch ein Vermerk der deutschen Finanzaufsichtsbehörde BaFin über die globalen Folgen des Kreditdebakels. Die Kernbotschaft eines BaFin-Dokumentes: Viele Risikopotentiale schlummern noch immer unaufgeklärt.

    Nüchtern listeten die Finanzaufseher bis Mitte März alle veröffentlichten Verluste von Instituten in Verbindung mit der vom US-Hypothekenmarkt ausgehenden Krise auf. Sie kamen auf ein Verlustvolumen von mindestens 295 Milliarden Dollar. Inzwischen dürfte die 300-Milliarden-Marke weit überschritten sein, denn es gab in den letzten zwei Wochen neue Verlustmeldungen – zuletzt von der BayernLB. Insgesamt könnten die geschätzten Einbußen als direkte Auswirkungen der Krise bei maximal 600 Milliarden Dollar liegen, für realistischer hält die BaFin aber 430 Milliarden Dollar.

    Das allerdings ist nach Einschätzung der Finanzaufseher wohl noch nicht alles. “Die indirekten Auswirkungen könnten sogar noch gravierender sein”, heißt es in dem Vermerk. Hinzu kämen Verluste in anderen Bereichen des US-Kreditgeschäfts, etwa bei Kreditkarten, Autofinanzierungen, Studenten-Krediten und in anderen Sektoren, die die Krise vertiefen könnten. Die Rede ist von neuen Verlustquellen, die zwar zunächst Finanzinstitute in den USA und in Europa treffen dürften, sich darauf aber nicht unbedingt beschränken müssten. Auch Hedgefonds, Versicherer und andere Fonds könnten stärker in Mitleidenschaft geraten.

    “Es ist bereits offenkundig, das die Subprime-Krise ihrer Natur nach eine globale ist, die sich auf viele Länder erstreckt hat”, befinden die BaFin-Experten. Es handle sich um das erste Mal, dass eine Krise in Kernbereichen des globalen Finanzsektors ein dermaßen großes Ausdehnungspotenzial gewonnen hat und die Realwirtschaft weltweit bedeutsam beeinträchtigt, heißt es.

    Quelle: SPIEGEL Online

  2. Artikel Handelsblatt vom 6.4.2008:

    Ernüchterndes Fazit
    Entzauberte Finanzinnovationen

    Eine aktuelle Einschätzung der Finanzaufsichtsbehörde Bafin zur Kreditkrise geht einen Schritt weiter als viele Aussagen dieser Art zuvor. Sie zählt nicht nur weitere, noch verdeckte Risiken auf, sondern greift auch eine Grundthese der modernen Finanzmärkte an: die Annahme, dass Finanzinnovationen fast automatisch Wohlfahrt schaffen können.
    Quelle: HANDELSBLATT, Sonntag, 6. April 2008

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!