Alterssicherung – eine „Echternacher Springprozession“: Ein Schritt nach vorn, zwei Schritte zurück. Der Konflikt mit Gesetz und Verfassung ist programmiert. Eine Trendumkehr in der Rentenpolitik dringend erforderlich

Ein Artikel von Ursula Engelen-Kefer

Der „Renten-Aktionismus“ der Großen Koalition gleicht der „Echternacher Springprozession: Ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung ist die Erhöhung der Renten 2008 um 1,1 Prozent und 2009 um über 2 Prozent durch Aussetzen des sog. Riesterfaktors, der das Rentenniveau seit 2003 erheblich vermindert hat. Nach mehreren „Nullrunden“ bei gleichzeitig stark steigenden Lebenshaltungskosen, insbesondere für Lebensmittel, Energie, Gesundheitsversorgung und Pflege ist die jetzt geplante Rentenerhöhung überfällig – wenn auch viel zu niedrig, um die Inflation auszugleichen. Die gute Konjunktur und die von den Gewerkschaften durchgesetzten Lohnsteigerungen gingen ohne die (nominale) Erhöhung sonst vollends an den Rentnern vorbei.
Allerdings ist der jetzige Koalitionskompromiss zu den Rentensteigerungen 2008 und 2009 ein allzu durchsichtiges Wahlkampfmanöver und wird für viele Rentner zu einem Danaergeschenk. Denn bereits ab 2012 sollen die ausgesetzten Rentenminderungen sowohl durch den Riesterfaktor als auch dann noch durch den Nachhaltigkeitsfaktor wieder wettgemacht werden. Damit sind weitere Nullrunden auf unabsehbare Zeit für die Rentner unvermeidlich. Von Ursula Engelen-Kefer

Konflikt mit Gesetz und Verfassung
Vertrauen in Politik und den Sozialstaat wird ausgehöhlt

Die Große Koalition mit ihrer Zwei Drittel Mehrheit entzieht sich ihrer Verantwortung für eine nachhaltige Sanierung der gesetzlichen Alterssicherung: Ein Konflikt mit der gesetzlichen Verpflichtungen, die Renten nicht zu kürzen, ja sogar ein Verstoß gegen das Grundgesetz (nämlich dem Eigentumsschutz der beitragsfinanzierten Rente) bahnt sich an.

  • Die seit 1990 sowohl von „Schwarz-Gelb“ als auch von „Rot-Grün“ hektisch durchgesetzten Verschlechterungen bei den Rentenleistungen haben zu einer Absenkung des Rentenniveaus um inzwischen mehr als einem Drittel geführt. Die absehbaren Rentenabschläge, die mit der stufenweisen Einführung der Rente mit 67 ab 2012 verbunden sind, werden diese Spirale nach unten weiter beschleunigen.
  • Die Rentenversicherungsbeiträge wurden mit der Riesterreform von 2001 auf höchsten 20 Prozent bis 2020 und maximal 22 Prozent bis 2030 gedeckelt. Ebenfalls festgelegt wurde ein Mindestniveau der Nettorentenleistungen von 46 Prozent im Jahr 2020 und 43 Prozent 2030. Schon damals musste man davon ausgehen, dass beide Bedingungen gleichzeitig nicht einzuhalten sind. Diese Befürchtung hat sich inzwischen bestätigt.
  • Die vom Gesetzgeber verfügten Kumulierungen der Rentenanpassungen hätten in den letzten Jahren nicht nur das Rentenniveau, sondern auch die Rentenzahlungen abgesenkt. Eine Kürzung der Renten ist jedoch per Gesetz aus dem Jahr 2006 ausgeschlossen. Damit würde auch der grundgesetzliche Eigentumsschutz der auf Beitragszahlungen beruhenden gesetzlichen Altersrente eklatant verletzt.

Ein Teil der gesetzlich verfügten Rentenanpassungen musste somit bereits ausgesetzt werden – allerdings mit der politischen und gesetzlichen Drohkulisse, dass die aufgrund der Rentenformel gesetzlich fixierten Rentenminderungen so bald wie möglich nachgeholt werden. Die Folgen für Rentner und Arbeitnehmer sind: Nullrunden bei der gesetzlichen Altersrente auf unabsehbare Zeit.

Auch die Große Koalition „wurschtelt“ sich in der Rentenpolitik weiter durch und verschiebt die Manipulationen nach unten an der Rentenformel mit ihren negativen Konsequenzen für die Renten in die folgenden Legislaturperioden. Damit befindet sie sich in „guter Gesellschaft“ ihrer Vorgängerregierungen. Dabei hätte sie – wie kaum eine andere Regierung vor ihr – auch angesichts der sich verbessernden Finanzsituation der Rentenversicherung gute Voraussetzungen zu einer nachhaltigen Sanierung der gesetzlichen Alterssicherung.

Aber nicht einmal der vom SPD Bundesarbeitsminister Olaf Scholz vorgesehenen Aufstockung des Höchstbetrages der sog. Schwankungsreserve mochte die CDU/CSU zustimmen. Diese sollte von derzeit von knapp 12 Mrd. Euro auf 40 Mrd. Euro oder 2,5 Monatsausgaben aufgestockt werden. Diese Aufstockung hätte wenigstens dazu beitragen können, die Rentenfinanzen auch in konjunkturell wieder schwierigeren Zeiten stabil zu halten und damit das verlorene Vertrauen in die gesetzliche Rente wieder ein Stück weit zu stärken. Stattdessen sollen diese Finanzreserven der gesetzlichen Rentenversicherung jetzt nur auf 1,5 Monatsausgaben oder 24 Mrd. Euro anwachsen. Damit soll die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge von derzeit 19,9 Prozent auf 19,5 im Jahr 2012 und im Folgejahr auf 19,1 Prozent gegenfinanziert werden.

Die Koalition huldigt lieber weiter dem Mythos der Senkung der sog. Lohnnebenkosten statt die Rentenfinanzen zu stabilisieren. Die Rentenminderungen sind ja nur für wenige Jahre ausgesetzt. Mit der Senkung der Beiträge auf der Arbeitnehmerseite um gerade einmal 0,4 Prozent „mehr netto“ erkauft sich der Beitragszahler die doppelte Rentenminderung durch das Wiederinkrafttreten des Riesterfaktors und des sog. Nachhaltigkeitsfaktors.

Bei so großen „Zumutungen“ durch wechselnde Regierungskoalitionen könnte man meinen, es ginge bei der Alterssicherung nur um Randprobleme einer kleinen Gruppe der Bevölkerung. Tatsächlich sind derzeit etwa 20 Millionen Rentner betroffen – mithin ein Drittel der Konsumenten und einem hohen Anteil der Wähler – und deren Zahl steigt in Zukunft sogar noch an. Die Minderung der Kaufkraft einer so großen Bevölkerungsgruppe ist gleichzeitig ein lähmender Mühlstein für die Binnenkonjunktur. Aber was noch schlimmer ist: Das Vertrauen der Bürger in die Zukunftsfähigkeit der solidarischen Sozialversicherung als einem wesentlichen Eckpfeiler unseres Sozialstaates wird weiter ausgehöhlt. Rentnern und Arbeitnehmern drohen immer niedrigere Rentenleistungen. Kommen noch geringe Löhne, unterbrochene Erwerbsbiografien vor allem bei Frauen, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Krankheit hinzu ist Armut im Alter die unausweichliche Folge. Selbst amtliche Untersuchungen und Rentenberichte schlagen inzwischen Alarm.

Propaganda der Finanzindustrie auf Hochtouren

Statt die gesetzliche Alterssicherung auch für die Zukunft „armutsfest“ zu machen, läuft die Propaganda-Maschine der Finanzindustrie auf Hochtouren: Ungeniert wird dabei mit hohen Renditen geworben – so als ob die sich auftürmende Krise auf den nationalen und internationalen Finanzmärkten die kapitalgedeckte Rente gar nichts anginge. Lobbyisten in Politik und Wissenschaft überbieten sich in ihrem Einsatz für die Absenkung von Rentenleistungen und -beiträgen bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie verschwenden allerdings kein Wort darauf, dass eine private Zusatzversicherung nicht nur mit unsicheren Renditen, sondern auch mit höheren Kosten für die Arbeitnehmer verbunden ist. Für die Privatvorsorge gibt es nämlich keine anteilige Mitfinanzierung der Arbeitgeber, und dazu kommen noch hohe Verwaltungskosten bei den Finanzdienstleistern bis zu 15 Prozent. (Im Gegensatz dazu machen bei der gesetzlichen Rentenversicherung die Verwaltungskosten weniger als 2 Prozent aus). Darüber hinaus werden für die private Alterssicherung erhebliche steuerliche Subventionen eingesetzt. Diese sind allerdings auch zum großen Teil von den Arbeitnehmern in ihrer Rolle als Steuerzahler aufzubringen, und zwar unabhängig davon, ob sie die öffentlich geförderte Riesterrente in Anspruch nehmen können oder nicht. So setzt die Bundesbank im Jahr 2009 für die Förderung der Riesterrente Steuerausfälle von bis zu 12,5 Mrd. Euro an. Zusätzlich müssen noch die Kosten für die aufwendige Werbe-Maschinerie von Finanzindustrie und Bundesregierung zum großen Teil von Riestersparern und Steuerzahlern aufgebracht werden.

Die private Finanzindustrie kann sich ob der Rentenpolitik der Großen Koalition einmal mehr die Hände reiben. Ihre Lobbyarbeit ist erfolgreich – allerdings zu Lasten der Arbeitnehmer und Rentner, denn mit jeder neuen Rentenminderung wird ein weiteres Loch in einen wesentlichen Eckpfeiler unseres Sozialstaates gerissen.

Alterssicherung: Paradeplatz für Lobbyisten

Die schon beinahe hysterische mediale Auseinandersetzung um die minimale Rentenerhöhung ist ein besonders anschauliches Beispiel, wie das Jonglieren mit Zahlen für die politische Lobbyarbeit eingesetzt werden kann. Passend zum Osterfest hatte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz einen kleinen Extrazuschlag um gut 0,5 auf 1,1 Prozent angekündigt. Die erste mediale Runde der Kritik kam vor allem von den sog. Rentenexperten aus der Wissenschaft, die ob der „willkürlichen“ Veränderung der Rentenformel zugunsten der Rentner empört aufheulten. Seltsam ist allerdings, dass genau diese Vertreter der Wissenschaft, an der Spitze „Rentenpapst“ Bert Rürup, mit von der Partie waren, als die Rentenformel 2001durch die Einführung des Riesterfaktors mehr als „willkürlich“ manipuliert wurde – damals allerdings zu Lasten der Rentner.

Damals wurden für alle derzeitigen und zukünftigen Rentner die der Rentenberechnung zugrunde liegenden Bruttoeinkommen um 4 Prozent gekürzt – mit der Fiktion, dass alle Arbeitnehmer in dieser Höhe eine Riesterrente abschließen und 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in einen Riester-Sparvertrag einzahlen sollten. Die Realität sieht jedoch anders aus: Lediglich ein Viertel der Betroffenen hat eine Riesterrente abgeschlossen. Nach dem großen Debakel auf den Finanzmärkten ist es niemandem zu verdenken, dass die Entscheidung über den Abschluss einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung – und sei es auch die geförderte Riesterrente – nur mit größter Vorsicht und Zurückhaltung getroffen wird. Die Riester-Rente entpuppte sich vor allem als ein subventioniertes Sparmodell, für Menschen, die es sich ohnehin erlauben können, einen Betrag fürs Alter beiseite zu legen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen in unserem Land, die sich selbst bei großzügiger Förderung eine Riesterrente nicht leisten können.

Dem Aufschrei der Rentenexperten folgte in der nachrichtenarmen Zeit nach Ostern ein Trommelfeuer der Arbeitgeberseite gegen die leichte Rentenerhöhung.

Mit Hilfe der Boulevard-Presse wurden dem Bundesarbeitsminister zu niedrige Angaben über die Kosten der Mini-Rentenerhöhung unterstellt. Das Sozialministerium hatte für 2008 und 2009 die Kostenbelastung mit etwa 2,5 Mrd. Euro beziffert. Die Arbeitgeberverbände setzten jedoch Vergleichszahlen über die Kostenentwicklung bis 2011 in die Welt, die natürlich schon auf Grund der mehr als doppelt so langen Zeitperiode höher sein mussten. Doch selbst mit einigermaßen realistischen 9 Mrd. Euro gab man sich nicht zufrieden. Um einen Skandal zu inszenieren wurden gleich noch knapp 3 Mrd. Euro an zusätzlichen Ausgaben des Bundes drauf gelegt und die Kosten der Rentenerhöhung auf 12 Milliarden hochgerechnet. Dabei wurde allerdings unter der Decke gehalten, dass der Löwenanteil des Bundeszuschusses nicht der Rentenerhöhung, sondern der Aufstockung der Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung zuzurechnen ist.

In ziemlich bösartiger Weise wurden in der österlichen Zeit die jüngeren Arbeitnehmer gegen die Rentner ausgespielt und der „Generationenkonflikt“ geschürt.

Gesetzliche Altersrente muss vor Armut schützen

Eine wirklich nachhaltige Sanierung der Rentenfinanzen wäre zu erreichen, wenn der durch nichts zu rechtfertigende Riesterfaktor völlig aufgehoben würde. Eine Vertrauen schaffende Perspektive der gesetzlichen Rentenversicherung ist nur möglich, wenn endlich die Solidaritätsbasis der gesetzlichen Rentenversicherung erweitert und auf alle Erwerbstätigen unabhängig von ihrem arbeitsrechtlichem Status und der Höhe ihres Einkommens ausgedehnt würde.

Das „Drei-Säulen-Modell“ in der Schweiz bietet hierzu ein anschauliches Beispiel vor allem in der Ersten Säule. Darin sind alle Personen mit Wohnsitz in der Schweiz obligatorisch versichert. Es gilt das Umlageverfahren mit Beitragsätzen von 10 Prozent des gesamten Einkommens ohne Beitragsbemessungsgrenze – grundsätzlich je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmer; Ausnahmen bestehen für Selbständige, Nichterwerbstätige und Arbeitnehmer in prekärer Beschäftigung und unterhalb eines bestimmten Einkommens. Die Rentenleistungen aus dieser Ersten Säule sollen eine angemessene Existenzsicherung gewähren – derzeit 2000 Schweizer Franken für Alleinstehende. Im Übrigen ist auch für die Zweite Säule – der für alle abhängig Beschäftigten obligatorischen „beruflichen Vorsorge“ durch eine ergänzende betriebliche Zusatzrente – die hälftige Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gesetzlich festgelegt. Wer sich darüber hinaus noch in einer dritten Säule zusätzlich absichern möchte, kann dies privat tun.

An Stelle eines aktionistischen „Durchwurschtelns“ müsste endlich wieder eine nachhaltige Zukunftsperspektive der Alterssicherung eröffnet werden. Eine solche Perspektive wäre möglich, wenn man, statt ständig an der Rentenformel herumzumanipulieren, an den wirklichen Stellschrauben ansetzen würde, das hieße unter anderem eine Verbreiterung der Solidaritätsbasis, die Steuerfinanzierung (renten-)versicherungsfremder Leistungen (z.B. Erziehungszeiten), höhere Beitragsleistungen für Arbeitslose, die Zurückdrängung des Niedriglohnsektors, Mindestlöhne, der Produktivität und der Inflation angemessene Lohnerhöhungen und dementsprechende Beitragssteigerungen, gleiche Löhne für Frauen und Männer und vor allem auch eine Wirtschaftspolitik, die zu mehr sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit führen kann. Nur so könnte dem zunehmenden und immer gefährlicher werdenden Verlust des Vertrauens der Bürger in die Politik und die Politiker Einhalt geboten werden. Hier überzeugende und die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf die gesetzliche Alterssicherung integrierende Konzepte zu erarbeiten und dafür um politische Mehrheiten zu werben, wäre nicht nur ein Gebot der generationsübergreifenden sozialen Gerechtigkeit, sondern vor allem auch ein Weg dem Vertrauensverlust in die Parteien, in die Politik und letztlich in das Funktionieren unseres demokratischen Staatswesens entgegen zu wirken.

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