Hinweise des Tages

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Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Deutschland nur mittelarm
    In Deutschland liegt das Armutsrisiko unter dem Durchschnittswert der Europäischen Union (EU). Etwa jeder achte Einwohner (13 Prozent) gilt hierzulande als armutsgefährdet, das geht aus den am Dienstag vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden vorgestellten Zahlen aus dem Jahr 2005 hervor. In der gesamten EU gilt das für etwa jeden sechsten Bürger (16 Prozent).
    Quelle 1: FR
    Quelle 2: destatis

    Anmerkung Orlando Pascheit: Mittelarm im Verhältnis zu wem? Wir wollen doch nicht vergessen, dass wir im Verhältnis zu den hochentwickelten Industrieländern der Alt-EU sehr schwach abschneiden. Hinzukommt, dass die Schwelle der Armutsgefährdung (60% des Medians) in Deutschland ungewöhnlich niedrig ausfällt. Während er in Deutschland 9.370 € beträgt, liegt dieser Wert in Dänemark bei 13 598 € oder in Irland bei 11 808 € (am Beispiel Allein Lebende/r). Würde man diese Werte auf Deutschland übertragen, würde die Zahl der Armutsgefährdeten viel höher ausfallen. Auch sollte nicht unterschlagen werden, dass Deutschland 2006 in der Altersgruppe der 55 bis 65 Jährigen unterdurchschnittlich abschneidet.

  2. Dazu passt:

  3. Deutsche so reich wie noch nie
    Mit rund 4,6 Billionen Euro Geldvermögen hatten die Bundesbürger Ende 2007 mehr auf der hohen Kante als jemals zuvor. Das entspricht fast dem Dreifachen des jährlich verfügbaren Einkommens.
    Quelle 1: Focus
    Quelle 2: Bankenverband

    Anmerkung: Die Frage ist nur: Welche Deutschen sind so reich wie nie?
    Nach früheren Datensätzen des DIW besitzt das reichste Zehntel der Bevölkerung fast zwei Drittel des gesamten geldwerten Vermögens, dagegen verfügen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung nur über einen Anteil am Gesamtvermögen von weniger als zehn Prozent. Noch deutlicher wird die statistische Verzerrung durch Durchschnittswerte, wenn man bedenkt, dass 5,3% der Bevölkerung verschuldet (negatives Vermögen) und 24,3% ohne Vermögen sind.

  4. Siemens: Die Auftragsbücher sind voll – und dennoch streicht Siemens in Deutschland Tausende Stellen. Politik und Gewerkschaften sind empört, dabei ist die Radikalkur überfällig.
    Andererseits ist die Radikalkur unvermeidbar. Jahrzehntelang hat sich das Siemens-Management nicht an tiefgreifende Reformen herangetraut. Das rächt sich jetzt. Die Organisation des Unternehmens ist rückständig (…)
    Dabei ist Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung besonders wichtig.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung J.A.: „Reform“, „Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung“ – vom SPIEGEL erwartet man eigentlich nur noch die üblichen neoliberalen Phrasen – und wird auch nicht enttäuscht.

    Da ist sogar die konservative Welt noch ehrlicher:

    Siemens opfert der Rendite Tausende Jobs
    Quelle: Die Welt

  5. Maßnahmen gegen künftige Altersarmut notwendig
    “88 Prozent der Bürger der neuen Bundesländer gehen davon aus, dass die Armut in Deutschland in den nächsten zehn Jahren zunehmen wird.” Darauf machte der Präsident des Sozial- und Wohlfahrtsverbandes Volkssolidarität, Prof. Dr. Gunnar Winkler, am Dienstag in Berlin aufmerksam. Er verwies auf eine Untersuchung im Auftrag des Verbandes, der zufolge sich jeder Zweite der über 18-Jährigen in Ostdeutschland “große Sorgen” angesichts der sozialen Entwicklung macht.

    Der Verbandspräsident machte erneut darauf aufmerksam, dass Berechnungen zufolge in 10 bis 20 Jahren mehr als jeder Fünfte der künftigen Rentnergeneration von Altersarmut betroffen sein werde. Ursache seien geringe Beitragsleistungen zur Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und fehlende Möglichkeiten zu privater Vorsorge durch Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung. “Das Konzept, weniger Rente durch mehr private Altersvorsorge zu ersetzen und so den Lebensstandard im Alter zu sichern, erweist sich als Irrweg.” Winkler sprach sich in dem Zusammenhang für die Einführung von Mindestlöhnen aus und fügte hinzu: “Unter den gegenwärtigen und absehbaren arbeitsmarktpolitischen Bedingungen bleiben wir bei der Ablehnung der Rente mit 67.

    “Die verabschiedeten Rentenreformen erhöhen den Anteil älterer, in Armut lebender Menschen in Gegenwart und Zukunft”, kritisierte Winkler. “Wir fordern deshalb Schutz gegen sinkendes und sich entwertendes Alterseinkommen durch Leistungsverbesserungen im Rentenrecht. Die Rentenpolitik seit Mitte der 90er Jahre habe “einen sprunghaften, überdurchschnittlichen Wiederanstieg von Altersarmut – besonders in den neuen Bundesländern” zur Folge. “Nur 17 Prozent der Rentenneuzugänge kommen aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in die Rente. Deutlich über 70 Prozent der Frauen und Männer im Osten müssen beim Renteneintritt empfindliche Abschläge hinnehmen.
    Quelle: Volkssolidarität

    Anmerkung: Die Volkssolidarität ist mit über 300.000 Mitgliedern, darunter mehr als 12.000 Neuzugänge, fast 31.000 freiwillig Engagierten und mehr als 16.000 hauptamtlichen Mitarbeitern einer der großen Sozial- und Wohlfahrtsverbände in der Bundesrepublik.

    Dazu:

    Altersarmut: Vorbeugen im System
    Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Rentenkürzungen führen in den kommenden Jahren zu einer Rückkehr der Altersarmut – wenn nicht die gesetzliche Rentenversicherung gestärkt wird. Die Zunahme der Altersarmut ist nicht in erster Linie eine Folge der Demografie oder des Umlageverfahrens in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Wissenschaftlerinnen Claudia Bogedan und Simone Leiber vom WSI führen andere Gründe für die absehbare Rückkehr der Altersarmut an: Arbeitslosigkeit, mehr Niedriglöhne und atypische Beschäftigung. Zudem verschärft sich die finanzielle Situation der Älteren durch eine Rentenpolitik, die vornehmlich auf die Stabilität des Versicherungsbeitrags zielte und dafür das Rentenniveau abgesenkt hat.
    Quelle: Böckler Impuls 11/2008

  6. Göttinger Gruppe: Die kapitalgedeckte Lebensversicherung ist sicher 250.000 geprellte Sparer.
    Quelle 1: plus minus
    Quelle 2: plus minus
  7. Kliniken: Weniger Pflege für mehr Patienten
    In keinem anderen europäischen Land wurden in den vergangenen 15 Jahren so viele Krankenhäuser privatisiert wie in Deutschland. Der Anteil der Krankenhausbetten in Kliniken privater Träger ist hierzulande fast so hoch wie in den USA. Er liegt bei rund 14 Prozent. Knapp die Hälfte der Klinikbetten steht in öffentlichen Krankenhäusern, die übrigen in den Spitälern so genannter freigemeinnütziger Träger. Das sind in erster Linie Kirchen und Wohlfahrtsverbände. Im internationalen Vergleich fällt auf, wie stark sich das Gewicht in der jüngsten Vergangenheit zugunsten privater Gesundheitskonzerne verschoben hat. Dies zeigt eine Analyse des WSI im Auftrag der Europäischen Kommission.

    Infolge zahlreicher Privatisierungen hat sich der Anteil kommerzieller Krankenhäuser an allen Kliniken von 1991 bis 2006 von 15 auf über 27 Prozent nahezu verdoppelt. Das WSI rechnet damit, dass sich “die Privatisierungswelle in den nächsten Jahren weiter fortsetzen wird”. Bald könnten 40 Prozent aller Krankenhäuser in privater Hand sein.

    Der Trend “zur Ökonomisierung des Krankenhauswesens” hat dem WSI zufolge erhebliche Konsequenzen für Beschäftigte und Patienten: Weil die Personalausgaben etwa 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, wird gerade hier gespart. Seit Anfang der 90er-Jahre ist die Beschäftigung in Krankenhäusern um gut neun Prozent zurückgegangen – obwohl die Patientenzahl gestiegen ist. Dass jede einzelne Pflegekraft immer mehr Patienten versorgen muss, sei besonders in privatisierten Häusern zu beobachten, so die Untersuchung.
    Quelle: Böckler Impuls 11/2008

  8. 10.000 ohne Hartz IV
    Rund 10 000 Hartz-IV-Empfänger in ganz Deutschland haben Anfang Juli kein Arbeitslosengeld erhalten, teilweise traf die Überweisung erst nach mehreren Tagen ein. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bestätigte die Panne. Inzwischen seien die fehlenden Zahlungen angewiesen. Hartz-IV-Empfänger, die immer noch kein Geld auf dem Konto hätten, könnten sich umgehend an die zuständige Arbeitsagentur wenden, teilte die Behörde mit. Anders als zunächst vermutet handelte es sich laut BA nicht um ein Software-Problem. Offenbar war eine Liste mit Daten zur manuellen Bearbeitung in Nürnberg liegengeblieben, anstatt sie an die zuständigen Arbeitsagenturen vor Ort weiterzugeben.
    Quelle: FR
  9. Heiner Flassbeck: Im Kasino des Finanzsystems
    Warum die Spekulation mit Lebensmitteln und Öl so gefährlich ist.

    Das Wichtigste aber ist, dass wir begreifen: In einer Wirtschaft, deren Produktivität jährlich um zwei Prozent wächst, kann nicht das Finanzsystem – das zu dieser Produktivität praktisch nichts beiträgt – Renditen in zweistelliger Höhe erzielen, ohne die Schwachen im System vollkommen ungerechtfertigt zu schädigen.

    Das Finanzsystem ist heute zu einem Kasino geworden: Der eine gewinnt, was ein anderer verliert. Regierungen, die in der Krise den Feuerwehrmann spielen und Spekulanten vor dem Ruin retten, können das nur verantworten, wenn sie vorher systematisch die Schwachen gegen die Willkür der Geldmächtigen geschützt haben.
    Quelle: Heiner Flassbeck aus der Zeit 29/2008 [PDF – 20 KB]

  10. Pin-Affäre: Juristisches Nachspiel
    Die Finanzierung der Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste GNBZ durch den mittlerweile insolventen Postdienst Pin hat nun doch ein juristisches Nachspiel. Die Kölner Generalstaatsanwaltschaft will im zweiten Anlauf ein Verfahren wegen des Verdachts der Untreue anstoßen.

    Das Verfahren richtet sich voraussichtlich gegen die ehemalige Pin-Führungsriege, die die Zahlungen an die Gewerkschaft veranlasste, wie der stern in seiner am Donnerstag erscheinenden Ausgabe berichtet. Die Staatsanwaltschaft muss nun Ermittlungen aufnehmen. Die Gründung der GNBZ war am 8. Oktober 2007 in Berlin von Pin initiiert worden, um die Macht der etablierten Gewerkschaften bei den Verhandlungen über einen branchenweiten Mindestlohn zu brechen. Über den Umweg einer Anwaltskanzlei flossen gut 133.000 Euro an die GNBZ sowie ihren Vorsitzenden; inklusive Beraterhonorare ließ sich Pin die Gewerkschaft sogar 150.558,45 Euro kosten, wie Rechnungen belegen, die dem stern vorliegen.
    Quelle: stern

  11. Lehrreicher Blick ins Kleingedruckte
    Die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn ist für den Bund mit deutlich höheren Haftungsrisiken verbunden als bisher bekannt. Das sagte am Dienstag der renommierte Unternehmensrechtler Carsten Schäfer von der Universität Mannheim der Nachrichtenagentur ddp unter Verweis auf ein internes Bahnpapier zur künftigen Struktur der Deutsche Bahn AG.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung: Es ist halt wie immer bei Privatisierungen, die Risiken stecken im Kleingedruckten. Wozu brauchte man sonst so viele Berater, die die Verträge für viel Geld ausarbeiten.

  12. David gegen Goliath: der verzweifelte Kampf der Briefmarkenverkäufer gegen die Post
    Es gehört wohl bald der Vergangenheit an – das gute alte Postamt. Immer mehr verlagert die Post Dienstleistungen wie Briefmarken verkaufen oder Päckchen annehmen in sogenannte Agenturen. Die gibt es dann im Schreibwarenladen oder auch mal in einem Blumengeschäft. Nach REPORT MAINZ- Recherchen hatten viele dieser Agenturen in der Vergangenheit Probleme mit dem Postkonzern, wenn es um die Abrechnungen geht. Und diese Probleme werden jetzt für viele kleine Agenturbetreiber zur Existenzfrage.
    Quelle 1: ARD Report Mainz (Text)
    Quelle 2: ARD Report Mainz (Video)
  13. Atomkraft spart nur Cents
    Die Atomkraft trägt derzeit zu rund einem Viertel zur Stromerzeugung in Deutschland bei. Eine Kilowattstunde Atomstrom kostet rund 2,65 Cent, für Elektrizität aus Steinkohle oder Gaskraftwerken liegt der Tarif bei 3,35 bzw. 4,90 Cent. Maßgeblich für die Strompreisbildung hierzulande ist das Geschehen an der Leipziger Strombörse. Dort wiederum wird nach dem so genannten Grenzkostenprinzip kalkuliert: die besonders teuren Kraftwerke (meistens Steinkohle oder Gas) bestimmen den Preis.

    Eine Laufzeitverlängerung für deutsche AKW würde zunächst wenig ändern. Verbraucherschützer beziffern die Kostenvorteile in Folge längerer Laufzeiten auf monatlich etwa 30 Cent pro Haushalt. Skeptisch äußerte sich zuletzt auch der Chef der Deutschen Energieagentur Dena, Stephan Kohler: “Alle deutschen AKW sind noch in Betrieb und bilden die Grundlage für den heutigen Marktpreis für Strom. Mir hat noch niemand schlüssig erklärt, wo Preisreduktionen durch eine Laufzeitverlängerung herkommen sollen”, sagte er der FR. Kritiker der Verlängerung führen auch gern an: Die Großen Vier der Branche haben in den vergangenen Jahren Milliardengewinne durch ihr AKW-Geschäft eingefahren; die Kunden bekamen davon wenig zu spüren.
    Quelle: FR

  14. Deutschstunde
    33 Fragen stehen im neuen Einbürgerungstest der Bundesregierung. Wie schwierig ist es, Deutscher zu werden?
    Quelle: Tagesspiegel
  15. SPD: Vorwärts in die Vergangenheit
    “Kurt Beck ist schuld”, denken viele in der SPD angesichts der aktuellen Krise. Aber es ist noch viel schlimmer – die Misere ist grundsätzlich und global. Vielleicht hatte Ralf Dahrendorf doch recht, als er vor 25 Jahren das Ende der Sozialdemokratie prophezeite.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung: Der Autor Christoph Schwennicke ist seit Oktober 2007 Reporter im Hauptstadtbüro des Nachrichtenmagazins “Der Spiegel”. Er war schon in seiner Zeit bei der Süddeutschen Zeitung als Vorkämpfer für Schröders Agenda-Politik hervorgetreten. Nun macht er sich zum Sprachrohr der rechten SPD-Führungsriege: „Es gibt die Leute in der SPD, die wissen, dass sich die SPD derzeit vorsätzlich ins Verderben stürzt. Sie heißen Müntefering, Steinbrück, Steinmeier, Struck und möglicherweise Gabriel. Wenn sie nicht schnell etwas tun und die SPD in ihre Richtung zwingen, dann werden sie bald keine Partei mehr haben.“

    Haben aber nicht gerade umgekehrt die von Schennicke Genannten die SPD „vorsätzlich ins Verderben“ gestürzt? Haben (neben ihrem abgewählten Schröder und ihrem geschassten Clement) nicht gerade Müntefering, Steinbrück, Steinmeier oder Struck den Kurs der SPD bestimmt, mit dem die SPD eine Wahl nach der anderen verlor und inzwischen auf Umfragewerte einer Splitterpartei abgerutscht ist. Schwennicke bedient sich des rhetorischen Tricks der SPD-Rechten und erklärt, diejenigen in der SPD für deren Niedergang verantwortlich, die die Agenda-Politik nicht verhindern konnten. Diejenigen aber, die die SPD durch ihr politisches Handeln ins Verderben gestürzt haben, werden in wundersamer Weise zu den letzten Hoffnungsträgern der SPD erklärt.

    Schwennicke bedient sich zur Begründung der Dahrendorfschen Phrase vom „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“. Erinnert er sich nicht mehr, dass Dahrendorf diese These deshalb erfunden hat, um die Aufkündigung der sozial-liberalen Koalition durch seine FDP und die Beteiligung an einer „geistig-moralischen Wende“ unter Helmut Kohl ideologisch zu rechtfertigen?

    Als Beleg für den Niedergang der Sozialdemokratie führt er den Verlust der Regierungsmacht in Schweden, Frankreich, Italien, in den Niederlanden, und vorweggenommen nun auch in Österreich und Großbritannien an. Den Wahlsieg von Zapatero in Spanien oder dass die Sozialisten in Portugal erstmals eine absolute Mehrheit errungen haben, passt natürlich nicht ins Bild und wird unterschlagen.

    Dass die von Schwennicke erwähnten sozialdemokratischen Regierungen, wie etwa Gordon Brown in Großbritannien oder Göran Persson in Schweden oder Romano Prodi in Italien gerade deshalb verloren haben, weil sie ihre sozialdemokratische Wählerschaft enttäuscht haben, auf diesen Gedanken kommt Schwennicke natürlich nicht. Dass Schröder das gleiche Schicksal erlitt wie Tony Blair, weil er dessen Politik nachahmte, bleibt außer Betracht.
    Auch auf europäischer Ebene kehrt also Schwennicke Ursache und Wirkung für den Machtverlust von Sozialdemokraten einfach um.

    Wäre es nicht viel logischer den Niedergang der Sozialdemokratie damit zu erklären, dass sie sozialdemokratische Politik aufgegeben hat, dass sie sich weitgehend an die Analysen und Therapievorschläge der Konservativen und deren neoliberalen Ideologie angepasst hat und sie keine Alternative mehr bot. (Vgl. dazu etwa „Niedergang der SPD. – Es liegt nicht nur an Personen. Gravierender: Keine Strategie und falsche Politik“
    Das Tragische an der These Dahrendorfs vom „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ ist, dass es gerade die Sozialdemokraten selbst sind, die dabei sind diesem Zeitalter ein Ende zu setzen.

    Dahrendorf zustimmend zitierend schreibt Schwennicke: “Sozialdemokraten haben das, was wir etwas lose Demokratie nennen, durchgesetzt und verteidigt.” Das sozialdemokratische Programm sei attraktiv, “nur eben: es ist ein Thema von gestern”. Die Durchsetzung und Verteidigung von Demokratie also ein „Thema von gestern“?

    Da kann man als Demokrat den Titel des Beitrags nur noch als Appell aufgreifen: „Vorwärts in die Vergangenheit!“ Zurück zur Demokratie, wo die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger das Sagen hat und nicht die blindwütigen Exekutoren einer auf der ganzen Linie gescheiterten Ideologie.

    Siehe dazu:

    Interview mit Günter Wallraff: “Die SPD ist Konkursmasse”
    Die SPD ist Konkursmasse. Schröder, Clement und Schily haben diese Partei in den Bankrott geführt. Und sie erwecken den Eindruck, dass Politiker allgemein käuflich sind – was ja nicht stimmt. Die drei sind die Totengräber der Sozialdemokratie. Sie haben hohe Werte, die die SPD ausmachten, verraten. Mir ist Beck, was seine sozialen Vorstellungen betrifft, allemal sympathischer als derjenige, der von Wirtschaftskreisen protegiert wird und denen als Kanzlerkandidat allemal willfähriger ist.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Siehe weiter:

    Rettet die SPD! – Eine Partei braucht Ihre Hilfe
    Vor etwas mehr als 100 Jahren hat sich das Funksignal SOS eingebürgert – dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz -, oder, wie wir Funker sagen: ditidittditt dadadah ditditdit. Inzwischen ist es von der technischen Entwicklung überholt, nicht einmal der allerälteste Tanker benutzt es noch. Viele Menschen erfüllt das mit Wehmut, man hatte sich im Kino so schön dran gewöhnt. Aber immerhin: Durch den Äther geistert ein anderer Hilferuf aus alten Zeiten: kurz-kurz-kurz, kurz-lang-lang-kurz, lang-kurz-kurz: S-P-D. Der TAG hat verstanden: Rettung also für die deutschen Sozialdemokoraten.
    Quelle: Hessischer Rundfunk (Podcast, ca. 18 MB, ca. 50 min)

  16. Lobbyismus: Tatort Ministerium
    Über 300 externe Mitarbeiter wirkten in den vergangenen Jahren in Bundesministerien an der Formulierung neuer Gesetze und der Vergabe öffentlicher Aufträge mit. Bezahlt wurden sie von den Konzernen, die sie in die Ministerien entsandt hatten. Bei derart aggressivem Lobbyismus bleibt der Mittelstand auf der Strecke.

    Während der Mittelstand an den Ergebnissen des Programms Seitenwechsel somit schwer zu beißen hat, war die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die Entstehung neuer Gesetze und Vorschriften zu nehmen für die Konzerne das eigentliche Highlight des Austauschprogramms. “Großunternehmen brauchen von der Politik oft binnen kurzer Zeit Regelungen, die ihnen Märkte offen halten oder eröffnen. Je besser sie auf solche Entscheidungen hinwirken können, desto besser ist es für den Aktienkurs der Konzerne und das Ansehen ihrer Manager”, erklärt der Landesgeschäftsführer des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen (BVMW NRW), Herbert Schulte. Das Programm Seitenwechsel gab den Konzernen eine einzigartige Chance, die Bundesregierung in ihrem Sinne zu beeinflussen. “Das wichtigste für Lobbyisten ist es, auf den ersten Entwurf eines neuen Gesetzes Einfluss zu nehmen. Wer die ersten Zeilen schreibt, gibt die Richtung für den gesamten weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens vor”, erklärt Heidi Klein, Vorstandsmitglied der Nichtregierungsorganisation Lobby Control in Köln. Zahlen des Deutschen Instituts für Public Affairs (DIPA) in Berlin untermauern ihr Urteil. Wie eine Untersuchung des Instituts ergab, ist die Einflussnahme auf die Entstehung neuer Gesetze für 96 Prozent der befragten Verbände wichtiger oder sehr wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Die Angestellten der Konzerne wirkten nicht nur bei der Formulierung neuer Gesetze mit. Auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – etwa im Rahmen der Einführung des Lkw-Mautsystems – waren sie beteiligt.

    Wie Lobby Control herausfand, war jeder vierte externe Mitarbeiter an der Vergabe öffentlicher Aufträge beteiligt. Jeder Fünfte arbeitete an Entwürfen neuer Gesetze und Verordnungen mit. “Die Ministerien selbst rechtfertigen dies mit dem Personalmangel, der Folge der Sparmaßnahmen und des Bürokratieabbaus der vergangenen Jahre ist”, erklärt Lobby-Control-Vorstand Klein. So werde im Bericht des BRH der Abteilungsleiter eines Ministeriums zitiert, der nicht mehr wusste, wie er mit seinen Beamten die 50 Gesetzesentwürfe vorbereiten sollte, die sein Dienstherr von ihm erwartete. In seiner Not rief er einen Verband an und fragte, ob dieser ihm mit Fachleuten aushelfen könne. Kleiner wird der Skandal durch diese Personalnot indes nicht, findet Jochen Bäumel, Vorstandsmitglied von Transparency-International (TI) in Berlin.
    Quelle: Markt und Mittelstand

  17. Gekaufte Beiträge: wie Ulla Schmidt politische Werbung als Information verkauft
    Erst vor kurzem hatte REPORT MAINZ herausgefunden, dass unsere Familienministerin Ursula von der Leyen, CDU, Steuergelder in die Hand genommen hatte, um Hörfunkbeiträge produzieren zu lassen. Die klangen wie Journalismus, waren aber Werbung für die Politik von Frau von der Leyen. Ein Einzelfall? haben wir uns gefragt. Nein. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, SPD, macht es auch. Monika Anthes mit den Details.
    Ursula von der Leyen und Ulla Schmidt. Zwei Ministerinnen kämpfen für ihre Politik. Von der Leyen greift da schon mal zu unsauberen Werbemethoden.
    Quelle 1: ARD Report Mainz (Text)
    Quelle 2: ARD Report Mainz (Video)

    Anmerkung Martin Betzwieser: Wenn der Rundfunkstaatsvertrag nach den Vorstellungen privater Sender und Zeitungsverlage abgeändert werden sollte, wäre dieser Beitrag in einer Woche nicht mehr im Netz abrufbar. Fast drängt sich der Eindruck auf, dass sei der Sinn der Sache; manchem Mitglied der Bundesregierung und manchem Betreiber einer Werbeagentur wäre das vielleicht nicht ganz so unrecht.

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