Regierung unter der Reichstagskuppel: ratlos

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Da sind wir mitten in einem weltweiten Finanzstrudel von historischem Ausmaß, da drohen Rezessionsgefahren, da sind Menschen in Angst um ihr Erspartes und um ihre Arbeitsplätze und unsere Bundeskanzlerin bietet eine der kürzesten und nichtssagendsten Regierungserklärungen. Da wurde vor dem Parlament eine Banalität nach der anderen aneinandergereiht. Da wurde so getan, als sei das Unglück von Amerika über uns gekommen wie eine Grippeepidemie. Da wurde nicht analysiert, was bei uns falsch gelaufen ist und stattdessen viel von „Vertrauen“ und „sozialer Marktwirtschaft“ geschwafelt. Da wurde so getan, als könne man mit ein paar kleinen Maßnahmen alles wieder in Ordnung bringen. Und da wurde vor allem die konsequente Fortsetzung des eingeschlagenen Reformkurses propagiert, gerade so als hätten nicht einige der Reformpakete, wie z.B. die Privatisierung der Rente oder die steuerliche Begünstigung der Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren die Finanzspekulationen in Deutschland nicht wesentlich angeheizt. Wolfgang Lieb

Die Lage sei ernst wie noch nie. Vieles was selbstverständlich gewesen sei, werde in Frage gestellt. Es habe Missmanagement gegeben. Man brauche jetzt zunächst einmal ein kurzfristiges klassisches Krisenmanagement wie bei der Hypo Real Estate und danach eine neue Systematik für das Zusammenwirken aller im Finanzsektor Tätigen, um eine Zukunftsperspektiven auf dem Finanzmarkt zu gestalten.

Was war das eigentlich für ein gelungenes „klassisches Krisenmanagement“ bei der HRE, wo ein Rettungspaket schon nach einer Woche um zwanzig Milliarden nachgebessert werden musste? Was ist eigentlich gelungen an einem kurzfristigen Krisenmanagement, wenn das Ergebnis ist, dass der Steuerzahler mit dem Löwenanteil bürgen muss?

Am Anfang sei die amerikanische Hypothekenkrise gestanden, aus einer amerikanischen Immobilienkreditkrise sei eine globale Finanzmarktkrise geworden. Das Vertrauen, die wichtigste Währung der Finanzmärkte sei verloren gegangen, die Banken misstrauten sich. Entscheidend sei, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zurück zu gewinnen.

Hätte es also die Immobilienkreditkrise in den USA nicht gegeben, so wäre alles in bester Ordnung? Wie konnte eine hausgemachte Hypothekenkrise über den Globus schwappen? Die faulen Hypothekenkredite mögen der Auslöser gewesen sein, aber war es nicht das von der realen Wirtschaft abgekoppelte Casino auf den Finanzmärkten, das das Spekulationssystem zusammenbrechen ließ?

Man habe bei der HRE ein „systemisches Risiko“ auffangen müssen, aus der staatlichen Bürgschaft könne jedoch ein Entgelt genommen. Es sei nur darum gegangen den Liquiditätsbedarf abzudecken. Die Regierung habe darauf gedrungen dass, das Management ausgewechselt werde und das sei nun geschehen.

Ein neues verschleierndes Tarnwort scheint erfunden worden zu sein: „systemisches Risiko“. Was steckt dahinter? Will man damit verschleiern, dass das ganze System zusammengebrochen wäre, wenn das „systemische Risiko“ nicht aufgefangen worden wäre? Will man mit dieser beschönigenden Formulierung verhindern, dass die „System“-Frage gestellt wird, d.h. womöglich das System eines von der Realwirtschaft abgekoppelten Finanzkapitalismus in Frage gestellt wird? Darf man erwarten, dass die Bürgschaft nicht in Anspruch genommen wird und welche Entgeltregelung wurde für eine Inanspruchnahme der Bürgschaft getroffen? Ist man überhaupt sicher, dass der Liquiditätsbedarf abgedeckt ist? Was ist das für ein Erfolg, dass jetzt allmählich das Management der HRE ausgewechselt wird? (Mit vermutlich opulenter Abfindung.)

Künftig gehe es nun darum Manager rechtlich in Haftung zu nehmen, das vorhandene Instrumentarium sei nicht genutzt worden.

Warum hat das vorhandene Instrumentarium versagt? Was soll konkret geschehen, um Haftungsansprüche zu schaffen?

Die EU sei übereingekommen, dass die EZB Liquidität in ausreichendem Maße schaffe.

Das ist nun das Mindeste, was man erwarten kann. Wozu wäre eine Zentralbank denn sonst da?

Man müsse die Bilanzierungsregeln an amerikanische Standards angleichen, sonst gebe es keinen fairen Wettbewerb zwischen Europa und den USA.

Man will also tatsächlich den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und die Regeln des Handelsgesetzbuches, das den vorsichtigen Kaufmann unterstellt, den amerikanischen Bilanzmethoden angleichen, wo die Unternehmen Aktien, Anleihen und andere Finanzpapiere in ihrem Handelsbestand nach Zeitwerten bilanzieren. Das heißt, man wählt weniger Sicherheit und Stabilität sondern fördert Geldanlagen, bei denen die Rendite im Vordergrund steht. Man muss ernsthaft bezweifeln, ob die Kanzlerin versteht, was sie da fordert.

Nationale Aktionen müssten mit europäischen Aktionen verzahnt werden. Es gehe nicht, dass wie in Irland nur unabgestimmt ausschließlich nationale Banken abgesichert würden und es gehe aus deutscher Sicht auch nicht, dass man in Europa 27 Staaten unter einen Schirm spanne und in einen Fonds einzahle.

Man müsse zwar gemeinsam Vorgehen, aber jeder für sich „systemische Risiken“ absichern, um wieder Verlässlichkeit in Europa herstellen, und man müsse die Spielräume für Absicherungen voll ausnutzen.

Es gilt für Kanzlerin wohl das Prinzip: Jeder für sich und Gott für Alle. Die Regierungsklärung zeigt die völlige konzeptionelle Ratlosigkeit, wie die Europäische Union das Problem gemeinsam angehen könnte. Wie soll so eine „Verzahnung“ innerhalb der EU-Länder mit völlig unterschiedlichen Interessen- und Problemlagen gelingen? Was geschieht, wenn Island oder Irland den Staatsbankrott ausrufen müssen, weil sie durch ihre nationalen Rettungsaktionen überfordert sind? Warum sollen die Iren die Risiken der „Depfa“, also das schwarze Loch der Hypo Real Estate alleine tragen, eine Bank die nur nach Irland ausgelagert wurde, um von dort (steuererleichert) unkontrollierter spekulieren zu können?

Warum sollen der deutsche Steuerzahler oder gar die Arbeitnehmer eines aufgekauften deutschen Betriebs für die Risiken gerade stehen, die durch geplatzte Kredite angelsächsischer Heuschrecken auftreten?

Alle Maßnahmen dienten dem Funktionieren unserer Wirtschaft und damit den Bürgerinnen und Bürgern. Keiner müsse um seine Spareinlagen bangen. Es gehe darum wieder Vertrauen in die Wirtschaft- und Gesellschaftsordnung herzustellen. Die soziale Marktwirtschaft sei das Beste Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das es gebe.

Die Krise bedeute eine Chance, die internationale Dimension der sozialen Marktwirtschaft zu erkennen verstehen zu lernen und den Anspruch zu erheben sie global zu gestalten, schon der G 8-Gipfel sei Teil einer langfristigen Strategie für die Gestaltung der soziale Marktwirtschaft in ihrer internationalen Dimension gewesen.

Offenbar spürt die Kanzlerin doch, dass die „systemische Krise“ zu einer Systemkrise ausarten könnte, deshalb wohl so völlig unvermittelt das hohe Lied auf die soziale Marktwirtschaft.

Ob ihr wohl die Bürgerinnen und Bürger die Gleichsetzung des (derzeitigen) Funktionierens der Wirtschaft mit dem Wohl der Allgemeinheit noch abnehmen werden? Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gewinnen, wo gerade die derzeitige Krise jedermann zeigt, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste auf der Allgemeinheit abgeladen werden?

Was hat dieser Mechanismus mit sozialer Marktwirtschaft zu tun?

Es ist geradezu paradox, wenn die die Kanzlerin plötzlich von der „internationalen Dimension“ der sozialen Marktwirtschaft palavert, wo doch von Kohl über Schröder bis zur Großen Koalition alles getan wurde, um die deutsche („rheinische“) Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der angelsächsischen anzupassen. Wurden nicht angelsächsische Marktgläubigkeit, Ellbogenmentalität und Selbstverantwortung als Vorbild gepredigt und Deregulierung, Privatisierung und Abbau des solidarischen Wohlfahrtsstaats politisch umgesetzt.

Wo ist Deutschland international oder auch nur auf der europäischen Ebene – wo die Bundesregierungen ja einen direkten Einfluss hatten – jemals für ein sozialeres Europa eingetreten? War es nicht vielmehr so, dass sowohl im Hinblick auf die europäischen Vertragswerke, als auch faktisch durch Lohn- und Sozialabbau bei uns etwa die Franzosen, die Italiener oder die Spanier zum Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit geradezu gezwungen wurden, unsere liberalen „Strukturreformen“ auch dort durchzusetzen?

Mehr an Heuchelei geht eigentlich nicht.

Wir könnten nicht national handeln, es gehe nun in Europa um

  • eine Verbesserungen des Liquiditätsmanagements,
  • die Behandlung außerbilanzieller Risiken,
  • eine andere Bewertung illiquider Vermögensgegenständen,
  • bessere Transparenzregeln,
  • den Umgang mit Ratingagenturen.
  • Das Finanzsystem selbst müsse die richtigen Anreize setzen, statt dass reguliert würde.
  • Statt einseitiger Fixierung auf kurzfristige Strategien etwa bei der Vergütung der Manager, müsse der langfristige Unternehmenserfolg stehen.
  • Die Finanzaufsicht müsse ihren Aufgaben gerecht werden können. Man brauche eine vorausschauende Aufsicht und deswegen müsse man ihre Strukturen überprüfen. Das Zusammenspiel zwischen Bundesbank und Finanzaufsicht müsse besser gestaltet werden. Schnelle Reaktionen müssten möglich werden.

Insgesamt sei eine neue Architektur nötig, in der sich solche Fehler verbieten.

Die Krise biete eine Chance besser zu verstehen, dass „auf der einen Seite Freiheit und auf der anderen Seite Ordnung keine Gegensätze“ seien. Wir wollen die „menschliche Marktwirtschaft“.

Der Verzicht auf nationales Handeln lässt Böses befürchten. Es ist in den letzten Jahren immer so gewesen, dass das Verschieben auf die europäische Ebene entweder das Abschieben auf die lange Bank bedeutete oder aber die Verweigerung einer politischen Debatte im eigenen Land verbunden mit der Erwartung, dass sich die Regierung sich danach hinter den (liberalen) Regelungen der EU verstecken konnte. Warum sollte der Bundestag per Gesetz nicht die nationalen Transparenzregeln verbessern können? Warum sollten Bilanzverschleierungen nicht national untersagt werden können?

„Verdienen“ nicht die deutschen Manager in Europa am meisten? Das beschönigende Gerede von der „neuen Architektur“, in der die „richtigen Anreize“ gesetzt würden, verdeckt nur, dass man nicht bereit ist, aus dem katastrophalen Marktversagen Konsequenzen zu ziehen.

Was haben die letzten Bundesregierungen dazu beigetragen, um eine menschlichere Marktwirtschaft zu schaffen? Wo hat die Große Koalition und vor allem wo haben die CDU und die FDP „Ordnungspolitik“ jemals anders interpretiert, als die Marktordnung zu liberalisieren und zu deregulieren? Marktfreiheit war doch das oberste Ziel dieser „Ordnung“.

Langfristige Auswirkungen der Finanzmarktkrise seien nicht abzusehen und auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft nicht. Deutschland sei stark, es habe sich in den letzten Jahren sehr gut aufgestellt und sei gerüstet für den globalen Wettbewerb. Das wird uns helfen die Folgen der Finanzmarktkrise zu meistern. „Der Reformkurs der Bundesregierung war und ist dabei unabdingbar und er macht sich bezahlt.“ Dieser Kurs umfasse Haushaltskonsolidierung, Senkung der Lohnzusatzkosten, Reaktionen auf die demografischen Veränderungen unsere Gesellschaft, z.B. die Rente mit 67, die konsequenten Investitionen in Bildung und Innovation oder jüngst die Ergebnisse des Koalitionsausschusses. Man müsse nur den Reformkurs konsequent fortsetzen, es wäre das allerfalscheste Signal jetzt von diesem abzuweichen. Ziel sei es Vertrauen zurückzugeben und Vertrauen zu stärken. Vertrauen sei die Währung in der gezahlt werde.

Es ist geradezu ignorant und lässt Schlimmes befürchten, wenn die derzeitige Krise zum Anlass genommen wird, ein Lobeslied auf den „Reformkurs“ zu singen.
Wie können Haushaltskonsolidierung und Milliardenbürgschaften anders zusammenpassen, als mit weiteren Ausgabenkürzungen – natürlich vor allem im Sozialbereich?

Gehörte zum Reformkurs etwa nicht, dass Eichel und Steinbrück mit aller Kraft auf die Deregulierung der Finanzmärkte hingearbeitet haben? Mit dem Finanzmarktförderungsgesetz wurden die Anforderungen für den börslichen Handel gelockert und die Anlagemöglichkeiten von Fonds erweitert und es wurde der Handel mit Derivaten auch im Immobiliengeschäft erlaubt. Die Gewinne aus dem Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften wurden von der Besteuerung befreit und damit spekulierende Finanzinvestoren nach Deutschland eingeladen.

Die Bundesregierung förderte die Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren durch steuerliche Vergünstigungen. Dadurch wurden doch die „außerbilanziellen Risiken“ der Banken erheblich erleichtert.

Es wurde der Weg für die Hedg-Fonds frei gemacht, für spekulative Fonds also, die doch erst das Rennen auf Renditeerwartungen von 25 Prozent und mehr hochtrieben und die Banken in das Investmentgeschäft lockten.

Die Große Koalition hat doch in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, „innovative“ Finanzprodukte und alternative Vertriebswege ausdrücklich zu fördern, die Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren, die Anlagemöglichkeiten für öffentlich-private Partnerschaften (PPP) sollten doch erheblich erweitert werden.
Oder: Gehörte zum Reformkurs nicht auch, dass die gesetzliche Rente ruiniert und durch die private Altersvorsorge dem Finanzmarkt Mittel in Milliardenhöhe für zusätzliche Finanzspekulationen zugeschoben wurden?

Es gäbe sehr viel Raum, um durch die Rücknahme von Gesetzen und Maßnahmen, die zur derzeitigen Finanzmarktkrise beigetragen haben, die „richtigen Anreize“ zu setzen. Kein einziges Wort hat die Kanzlerin darüber verloren. Die Bundesregierung tut immer noch so, als würde die Krise geradezu wie eine Grippe ausgeschwitzt werden können, und danach könnte man mit ein paar kleineren Korrekturen weiter machen wie bisher. Die Große Koalition ist unfähig oder bewusst nicht bereit zu erkennen, dass sie auch selbst den Casino-Kapitalismus nach Kräften gefördert hat und betrachtet die Krise immer noch als einen aus Amerika eingeschleppten Bazillus, den man durch eine Erhöhung der Reformdosis bekämpfen könne. Wie die Bundesregierung mit einem bloßen „Weiter-So“ Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnen will, ist ihr Geheimnis. Wenn aber Vertrauen, die Währung ist, in der gezahlt wird, braucht die Bundesregierung sich nicht zu wundern, wenn ihr die Wählerinnen und Wähler nach diesem Täuschungsmanöver noch mehr Vertrauen entziehen und es Union und SPD bei der nächsten Wahl heimzahlen.

Quelle 1: Audio

Quelle 2: Stenografische Mitschrift

Hinweis: Dieser Text lag bei Abfassung des Beitrags noch nicht vor.

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