Rentenreform in Frankreich: der Widerstand bleibt ungebrochen – Teil 2

Rentenreform in Frankreich: der Widerstand bleibt ungebrochen – Teil 2

Rentenreform in Frankreich: der Widerstand bleibt ungebrochen – Teil 2

Marco Wenzel
Ein Artikel von Marco Wenzel

Angesichts der unvermindert starken Proteste gegen ihre Rentenreform hofft die Regierung, dass den Streikenden die Luft ausgehen möge und die Proteste sich irgendwann von selber totlaufen. Aber es läuft nicht so gut für Macron, wie er gehofft hatte. Sand ist im Getriebe. Der Wille zum Widerstand in der Bevölkerung ist weiterhin ungebrochen, etwa zwei Drittel der Franzosen unterstützen auch nach zwei Monaten Streik noch immer die Proteste. Immer neue Berufsgruppen erklären sich solidarisch und schließen sich den Protesten an. Jetzt rügte der Staatsrat das Gesetzesprojekt und die Senatspräsidenten lehnen das Schnellverfahren zu dessen Verabschiedung ab. Im März sind Kommunalwahlen und Macrons Partei LREM droht eine schwere Niederlage. Die nächsten paar Wochen werden entscheidend sein. Entscheidend auch dafür, wie lange Macron noch Frankreichs Präsident sein wird. Von Marco Wenzel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie dazu auch den ersten Teil Rentenreform in Frankreich: der Widerstand bleibt ungebrochen – Teil 1 und „Die Rentenreform in Frankreich“.

Die Rentenreform sollte das Herzstück der Reformpläne von Macron werden. Zwei Jahre wurde an der Vorbereitung dafür gearbeitet, zahlreiche Gespräche wurden im Vorfeld geführt, auch mit Laurent Berger, dem Lieblingsgewerkschaftler der LREM. Obwohl die Vorarbeit an den Rentenplänen schon im Herbst 2017 begann, wurden die Details dazu von Anfang an verschwiegen oder nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit gebracht. Macron wollte so die Chancen zur Durchsetzung erhöhen und den Gewerkschaften die Mobilisierung gegen das Projekt erschweren. Von Anfang an wurde immer wieder die Zahl von 42 verschiedenen Rentensystemen gebetsmühlenartig wiederholt. Das sei alles viel zu kompliziert und ungerecht, Privilegien müssten abgeschafft werden und ein einheitliches System für alle Berufsgruppen müsse her. Das hörte sich erst einmal vernünftig an.

Philippe und Macron planen aber nicht, das Rentensystem zu verbessern oder zu vereinfachen, wie sie immer behaupten, im Gegenteil: Sie wollen das Rentensystem aushebeln. Ihre Rentenreform ist ein neoliberales, arithmetisches Modell, das darauf abzielt, die Sonderinteressen großer Unternehmen zu wahren sowie Pensionsfonds und kapitalgedeckten Renten einen lukrativen Markt zu öffnen. Deshalb orientiert sich der Anteil der Renten allein am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und ist im Reformprojekt fest und unveränderlich auf 14% festgelegt. Nach über vier Jahrzehnten Arbeit soll der Durchschnittsrentner nur noch eine Rente am Existenzminimum bekommen. Alles darüber hinaus soll privat geregelt werden.

Der Zeitplan der Regierung

Die Regierung will das Gesetzesprojekt im Schnellverfahren durch die beiden Kammern, Parlament und Senat, bringen. Eigentlich sind es ja zwei Gesetzestexte: der erste zur Schaffung eines Einheitssystems der Rentenkassen und der zweite zur Schaffung der Ad-hoc-Kommissionen dazu, wie z.B die Kommission, die später den monetären Punktwert festlegen soll, oder die Kommission, die das „Gleichgewichtsalter“ bestimmen soll. Artikel 45 der französischen Verfassung lässt ein Schnellverfahren zur Gesetzgebung zu, die Prozedur ist wie folgt: Der Gesetzestext wird erst von einer Spezialkommission, die extra dafür ins Leben gerufen wird, untersucht. Die hat dafür 14 Tage Zeit. Die Mitglieder der Kommission zur Rentenreform sind bereits benannt. Ihr gehören 71 Abgeordnete an. Das Gesetzesprojekt wurde am 6. Januar vom Ministerrat verabschiedet und gleich darauf an den Staatsrat weitergeleitet. Dieser muss sich zu den Gesetzesprojekten der Regierung äußern. Der Staatsrat ist, unter anderem, auch das Beratungsgremium der Regierung zu Rechtsfragen und prüft das Gesetzesprojekt auf seine Legalität und Verfassungskonformität, bevor es dem Parlament vorgelegt wird. Der Staatsrat hat am 24. Januar 2020 seine Stellungnahme abgegeben.
Die Spezialkommission hat ihre Arbeit am 3. Februar aufgenommen und wird diese bis zum 17. Februar abschließen. Sie hört unter anderem auch die Meinung der Sozialpartner und des Rentenbeirates an. Ab dem 17. Februar sollen dann die Debatten im Parlament geführt werden. Das Parlament soll den endgültigen Text spätestens am 3. März verabschieden, notfalls in Sitzungen auch an den Wochenenden, aber rechtzeitig vor der Parlamentspause vor den Kommunalwahlen, die am 15. und 22. März stattfinden. Nach der Verabschiedung des Gesetzestextes wird er an den Senat weitergeleitet, der in letzter Instanz darüber entscheiden muss. Wenn der Plan der Regierung so aufgeht, könnte das Gesetz so um Pfingsten herum in Kraft treten.

Man sieht, Macron hat es plötzlich sehr eilig. Obwohl rein objektiv gesehen diese Eile gar nicht geboten wäre. Das Schnellverfahren ist eigentlich dazu gedacht, dass die Regierung in Notfällen rasch die notwendigen Gesetze erlassen kann, um einer Notlage Herr zu werden. Wo aber ist die Notlage in diesem Fall? Es ist keine Dringlichkeit ersichtlich. Aber die soziale Situation in Frankreich ist zurzeit sehr angespannt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das Volk ist täglich auf der Straße, die Popularität von Macron und seiner Regierung ist auf dem Tiefpunkt. Und alles, was der Popularität der Regierungsmehrheit schadet, soll so schnell wie möglich beseitigt werden. Die Rentenreform droht für Macron auf längere Sicht zum Fiasko zu werden. Da hilft nur noch die Flucht nach vorn.

Die Stellungnahme des Staatsrates

Der Staatsrat ist in Frankreich nicht gerade dafür bekannt, der Regierung Steine in den Weg zu legen. Obwohl der Staatsrat nur beratende Funktion und keine Entscheidungsbefugnis hat, ist seine Stellungnahme vom 24. Januar zum Rentenprojekt eine Ohrfeige für die Regierung Macron. Ungenügend, setzen! Der Staatsrat fordert den Präsidenten auf, seinen Gesetzestext nochmals zu überprüfen. Obwohl der Staatsrat nur ein Gutachten abgegeben hat, kommt dies einer Einstweiligen Verfügung gleich.

Der schwerste Vorwurf des Staatsrats ist die angeprangerte Verfassungswidrigkeit. Es geht hierbei um das Versprechen einer Aufwertung der LehrerInnen im Austausch gegen ein neues Rentensystem, dessen große Verlierer sie wären. Das Gesetz der Rentenreform darf laut Staatsrat aber nicht vorschreiben, dass später weitere Gesetze auf den Weg gebracht werden müssen, um das ursprüngliche Versprechen an die LehrerInnen zu erfüllen. Mit anderen Worten, die “Anordnung” des Rentenprojekts, zusätzlich ein Gesetz zur Höherstufung von Lehrern vorzuschlagen, ist nicht verfassungskonform. Die Beibehaltung dieser Bestimmung würde die Gefahr einer Ablehnung des Textes durch den Verfassungsrat in sich bergen.
Der Wunsch der Regierung nach einer Stellungnahme innerhalb von drei Wochen habe es dem Staatsrat zudem nicht ermöglicht, seinen Auftrag mit der notwendigen Ruhe und Bedenkzeit zu erfüllen, um die Rechtssicherheit der von ihr durchgeführten Prüfung zu gewährleisten, zumal der Gesetzesentwurf in derselben Zeit noch sechs Mal abgeändert wurde.

Der Staatsrat stellt zudem fest, dass die vorgelegten Finanzprojektionen völlig unvollständig seien. Zudem enthalte der Gesetzentwurf Bestimmungen, die die Regierung zum Erlass von 29 Verordnungen ermächtigen. Der Staatsrat betont, dass damit die für die Bewertung der Folgen der Reform und folglich ihrer Verfassungs- und Vertragsmäßigkeit erforderliche „allgemeine Sichtbarkeit“ verloren geht.

Der Gesetzentwurf schaffe auch kein “universelles Rentensystem“. Innerhalb des neuen Systems gibt es fünf Systeme, nämlich das allgemeine System für Angestellte, das System für Beamte, Richter und Militärangehörige, das System für Beschäftigte in der Landwirtschaft, das System für Nichtagrarbeschäftigte außerhalb der Landwirtschaft und das System für Seeleute. Der Beruf des Flugpersonals, der dem allgemeinen System für Angestellte angeschlossen ist, behält sein Zusatzsystem bei. Innerhalb jedes dieser geschaffenen oder beibehaltenen Schemata werden für verschiedene Berufe Regeln definiert, die vom Prinzip des allgemeinen Systems abweichen.

Schließlich weist der Staatsrat darauf hin, dass das Ziel, dass “jeder eingezahlte Euro für alle die gleichen Rechte eröffnet”, die Komplexität und Vielfalt der im Gesetzentwurf festgelegten Regeln für die Beitragszahlung oder die Öffnung der Rechte nur unvollkommen widerspiegelt.

Der Staatsrat stellt weiterhin fest, dass das Ziel des Projekts darin besteht, die Rentenausgaben bei 14% des BIP zu stabilisieren. Da jedoch die Zahl der über 65-Jährigen bis 2070 um 70% steigen wird, macht er die Regierung darauf aufmerksam, dass sie die Auswirkungen solcher Änderungen auf die Konten der Arbeitslosenversicherung angesichts der niedrigen Beschäftigungsquote der über 65-Jährigen und auf die Ausgaben für die sozialen Mindestbeträge berücksichtigen müsse, alles Daten, die in der Studie über die Auswirkungen des Gesetzes fehlen.

Der Staatsrat stellt weiterhin fest, dass die Wahl einer jährlichen Festlegung der einzelnen Parameter des Systems zur Folge hat, dass die Vorausschaubarkeit der für die Versicherten kurz vor der Rente geltenden Regeln eingeschränkt wird. Der Staatsrat rügt weiterhin, dass es keine Berücksichtigung von Zeiten unkompensierter Arbeitslosigkeit für die Mindestrente mehr geben soll.

Eine sinkende Mindestrente im öffentlichen Dienst und einige Sondersysteme habe weiterhin zur Folge, dass die Höhe der Mindestrente für den öffentlichen Dienst und bestimmte Sondersysteme unter sonst gleichen Bedingungen deutlich reduziert wird, […] um etwa 6,8% für die Beamten, 9,6% für die Angestellten der SNCF und 13,8% für die Angestellten der Banque de France”.

Natürlich ließen die Reaktionen aus den Reihen der Reformgegner nicht lange auf sich warten. Was in den meisten Erklärungen hervorgehoben wird, ist der “Dilettantismus” der Regierung und der “schlecht ausgearbeitete” Charakter des Gesetzes. Die CGT sagte dazu, die Regierung habe vom Staatsrat verlangt, dem Gesetzesprojekt einen Blankoscheck auszustellen. Das sei misslungen.

29 Verordnungen, das sind 29 Unbekannte, die die jetzige Regierung, und alle späteren Regierungen auch, nach ihrem eigenen Willen gestalten kann. Niemand kann genau wissen, wie diese Verordnungen einmal aussehen werden. Niemand kann damit die Auswirkungen der Macron‘schen Rentenreform genau vorhersehen. Es bleibt dem Willen der Regierung allein überlassen, mit welchem Inhalt sie die Verordnungen später immer wieder neu, je nach aktueller Lage oder je nach Gusto, ausfüllen wird. Eine Vielzahl der gesetzlichen Bestimmungen bleibt demnach unklar, wird auf später vertagt und an noch unbekannte Kommissionen ausgelagert.
Der Gesetzestext ist zudem voller Ausnahmen und korporatistischen Vereinbarungen für verschiedene Berufsgruppen, um für diese die Verluste durch die Rentenreform auszugleichen. Vor allem für Berufsgruppen, wie die Polizei und das Militär, mit denen es sich die Regierung nicht verderben will, werden sie doch gebraucht, um die Gegner durch Repression zur Ruhe zu bringen. Die Regierung will die Polizisten davon abbringen zu streiken, indem sie ihnen verspricht, den Status quo vorerst beizubehalten.
Polizei, Militär, Pariser Oper, EDF, Fluglotsen … die Liste der Sektoren, mit denen die Regierung versucht, korporatistische Vereinbarungen zu schließen, wird immer länger. Den LehrerInnen bietet die Regierung an, ihre Gehälter zu erhöhen, damit sie die Rentenreform akzeptieren. So will die Regierung die Streikfront brechen. Da er die Reform als Ganzes nicht verkaufen kann, möchte Macron sie gerne einzeln verkaufen.

Das scheinbar einfache Punktesystem ist ungerecht, weil es gegen die elementarste Grundlage des Gerechtigkeitsprinzips verstößt, das verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Es geht nicht um die Abschaffung von Privilegien, sondern um einen Ausgleich für geringe Löhne und harte Arbeit während eines gesamten Berufslebens und dem damit verbundenen Versprechen auf eine frühe und gute Altersrente. Mit der Einführung eines Punktesystems werden Versprechen gebrochen, an denen sich Menschen in der Arbeit und im Leben orientiert haben.

Nicht nur das Renteneintrittsalter soll erhöht werden, sondern durch eine Kombination aus Verschiebung des Alters und Abwertung des Punktwertes soll das Gleichgewicht des gesamten Systems alleine auf Kosten der Berufstätigen aufrechterhalten werden.
Die Rentenreform ist volkswirtschaftlich gesehen Unfug. Sie spült einzig und allein Geld in die Taschen der Finanzakteure. Sogar der Staatsrat bestätigt das in seinem Gutachten, wenn man es genau liest. Welchen Sinn soll eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit um ganze 2 Jahre machen, wenn es gleichzeitig im Land 3,5 Millionen Arbeitslose gibt? Was der Staat bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung einspart, muss er bei der Versorgung der Arbeitslosen und der Altersarmut wieder drauflegen. Aber auch das Gesetz zur Arbeitslosenversicherung hat Macron ja bereits „reformiert“ und die Leistungen dort beschnitten. Aber verhungern lassen kann man die Menschen, die im neoliberalen System nicht mehr gebraucht werden, ja dann doch nicht. Aber dahinvegetieren lassen, bis sie sterben, das geht scheinbar schon.

Obwohl die LREM eine Mehrheit im Parlament hat, um das Gesetz trotz allem Gegenwind doch noch zu verabschieden, wird das ein steiniger Weg werden, da das Projekt rechtlich und verfassungsmäßig jede Menge Schwächen aufweist. Handwerklich gesehen bewegt sich der vorgelegte Gesetzesentwurf auf sehr niedrigem Niveau. Die Regierung hat daher auch schon durchblicken lassen, das Gesetz notfalls wiederum per Regierungsdekret unter Anwendung von Artikel 49-3 der Verfassung durchzuboxen.

Der Senat rügt das Schnellverfahren

Die nächste Rüge für Macron kam kurz darauf aus dem Oberhaus. Die Konferenz der Senatspräsidenten forderte am 28. Januar, dass das beschleunigte Verfahren zur Rentenreform, die die Regierung noch vor dem Sommer in Kraft setzen will, nicht eingeleitet werde. Mit großer Mehrheit beschloss sie, sich “gegen die Einleitung des beschleunigten Verfahrens” zu stellen, das die parlamentarische Diskussion auf eine Lesung pro Kammer beschränkt. Diese Entscheidung wurde dem Parlamentspräsidenten mitgeteilt. Die vom Staatsrat geäußerten Vorbehalte hatten die Entschlossenheit der Senatoren, die Ablehnung der Durchführung des beschleunigten Verfahrens zu fordern, bestärkt: “Wir wollen wirklich, dass die Regierung erkennt, dass wir ein Thema wie dieses nicht auf diese Weise behandeln können”.

Damit das beschleunigte Verfahren nicht eingeleitet wird, muss der Antrag von der Konferenz der Präsidenten des Parlaments, die dort mit der LREM die Mehrheit hat, angenommen werden. Dies aber wird kaum geschehen. Der Staatssekretär für die Renten, Laurent Pietraszewski, sagte, die Regierung sei gegen eine Änderung des Zeitplans. “Die parlamentarische Zeit reicht aus, um eine Debatte unter guten Bedingungen zu ermöglichen”, erklärte Marc Fesneau, der Minister für die Beziehungen zum Parlament, der an der Sitzung im Senat teilnahm.

Die sozialdemokratische Fraktion meinte dazu, “ein solch verpfuschtes Gesetz, das alle französischen Bürger betrifft und finanzielle Auswirkungen auf etwa 14% des BIP hat, im beschleunigten Verfahren prüfen zu wollen, ist jenseits der Verachtung der parlamentarischen Arbeit, eine echte Verleugnung der Demokratie”.

Die Kommunalwahlen

Die Regierung Macron will das Gesetz auch deshalb im Schnellverfahren durchpeitschen, um es noch vor den Kommunalwahlen am 15. und 22. März unter Dach und Fach zu bekommen und um damit die Diskussionen darüber soweit wie möglich aus den Wahlen herauszuhalten. Viele Kommunalpolitiker stehen aufseiten der Streikenden und drohen, sich mit ihrer Partei deswegen zu überwerfen.

Ein Kommunalpolitiker, der sich offen für Rentenkürzungen ausspricht, hat schlechte Karten, gewählt zu werden, wenn gleichzeitig drei Viertel der Wähler dagegen sind. Wenn er aber gegen Paris Stellung bezieht, riskiert er Ärger mit und sogar Ausschluss aus seiner Partei. Es gibt eine große Kluft zwischen Paris und den Lokalpolitikern vor Ort. Und wie soll man verhindern, dass die Rentenreform auf einer Wahlveranstaltung zur Sprache kommt, wenn sie gleichzeitig im ganzen Land in aller Munde ist?

Weiteres Ungemach droht Macron und der LREM in Paris: Der französische Mathematiker und Abgeordnete der LREM, Cédric Villani, hat, entgegen dem Willen von Macron, seine Kandidatur als Bürgermeister von Paris für die diesjährigen Kommunalwahlen aufrechterhalten. Er wurde dafür letzten Donnerstag aus der Partei ausgeschlossen. Villani ist sehr beliebt bei den Einwohnern von Paris und hat gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen. Dabei ist Villani nicht der einzige Abtrünnige der LREM. Die LREM hatte vorher schon zwei Abgeordnete und mehrere andere Oppositionelle aus der Partei ausgeschlossen. Andere haben die Partei von selber verlassen. Ein Abgeordneter hat jetzt angekündigt, innerhalb der LREM eine linke Opposition gründen zu wollen.

Die Zeitung 20 minutes berichtet, dass in weiteren 25 großen französischen Städten, darunter Lyon, die Kandidaten der LREM von den Oberen in Paris nicht mehr aufgestellt wurden und nun eigene Wege gehen wollen. In vielen Dörfern und Städten Frankreichs sind Kommunalvertreter aus der LREM ausgetreten und kandidieren jetzt auf eigene Faust oder auf einer anderen Liste.

Um die drohende Wahlschlappe der LREM zumindest statistisch zu verschleiern, hatte Innenminister Castaner bereits am 10. Dezember letzten Jahres einen Rundbrief an alle Präfekten in den einzelnen Departements verschickt. Das Castaner-Rundschreiben forderte die Präfekten dazu auf, den politischen Farbton in Städten mit weniger als 9.000 Einwohnern von den Listen zu streichen.

Konkret bedeutete dies, dass 96% der Gemeinden und 50% der Wähler aus den Ergebnissen der Kommunalwahlen verschwunden wären, insbesondere aus den Orten, in denen LREM fast nicht vertreten ist. Das Rundschreiben sah auch vor, das Etikett “Liste verschiedener Zentrumsparteien” (LDVC), das zugunsten der Regierungspartei gezählt wird, den Kandidatenlisten zuzuschreiben, die nicht von der LREM aufgestellt worden war, aber von ihr unterstützt wird. Es geht darum, die Wahlergebnisse zu manipulieren, um die absehbare Schwierigkeit der LREM-Listen bei den nächsten Kommunalwahlen zu relativieren.
Der Staatsrat setzte, da er “ernsthafte Zweifel” an der Rechtmäßigkeit des Rundschreibens hatte, dieses nun aus. Dies ist eine neue Ohrfeige, die der Staatsrat der Regierung verpasst hat, wenige Tage nach seiner heftigen Kritik am Rentenreformgesetz. Die Regierung versuchte mit diesem Rundschreiben, die Ergebnisse der LREM bei den Kommunalwahlen künstlich aufzublähen, indem sie die politischen Farbtöne in den Kleinstädten, in denen die Präsidentenpartei nicht oder nur unzureichend vertreten ist, nicht berücksichtigt. Um Missverständnissen hier vorzubeugen: Natürlich wären die Wahlen und die Wahlergebnisse für die Kandidaten selber dadurch nicht verändert worden, wohl aber die offizielle Statistik.

Ein Gesetz zum Streikverbot soll her

Bereits als die Erdölraffinerien im Streik waren und kein Kraftstoff die Fabriken mehr verließ, drohte Philippe den Streikenden mit der Polizei, um den Streik in den Raffinerien zu brechen.
Seit dem 23. Januar sind drei Müllverbrennungsanlagen in der Region Ile de France geschlossen. Streiks bei der Müllabfuhr haben dazu geführt, dass die Sammlung von Haushaltsabfällen in fast allen Gemeinden der Region um Paris zum Stillstand gekommen ist. Der Müll liegt noch immer auf den Straßen. Die Verwaltung der Müllverbrennungsanlagen hat nun in einem Brief an die Regierung geschrieben und um Hilfe gebeten, insbesondere darum, die Müllmänner zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen.

Zudem hat die französische Eisenbahn SNCF den Beschäftigten, die nicht gestreikt haben, mit dem Januarlohn eine Prämie zwischen 500€ und 1500€ für ihre „Verfügbarkeit während der Streiks“ ausbezahlt. Während die Streikenden eine Null auf ihrem Lohnzettel für Januar stehen hatten, bekamen die Streikbrecher eine Extraprämie.

Während die Rentenreform noch auf dem Weg durch die Instanzen ist, arbeitet der Senat bereits an einem Gesetz, das das Streikrecht im öffentlichen Verkehr durch die Einführung eines „Mindestdienstes“ angreift. Ein Gesetzentwurf zur Schaffung “des garantierten Rechts auf öffentliche Verkehrsmittel” wurde dazu bereits im Ausschuss für soziale Angelegenheiten vorgelegt. Die Regierung scheint entschlossen, hart durchzugreifen, um das Streikrecht fundamental einzuschränken.

Ausblick

Da die Regierung entschlossen ist, das Gesetz gegen alle Widerstände und ohne Rücksicht auf Verluste durchzuboxen und das sogar im Schnellverfahren, werden die nächsten Wochen entscheidend sein. Es gibt für beide Seiten kaum noch ein Zurück. Macron hat sich weit aus dem Fenster gelehnt und will sein Gesicht als „Reformer“ nicht verlieren. Wobei den Arbeitern das Gesicht von Macron eigentlich egal sein kann. Denn Macron hat so oder so ausgesorgt. Wenn er gehen muss, dann bestimmt nicht zum Arbeitsamt. Für die Arbeiter, die jetzt zwei Monate gestreikt haben, sieht die Sache schon ganz anders aus. Sie haben zwei Monate Lohn geopfert, ihre Ersparnisse sind soweit aufgebraucht und ihre Zukunft sieht in der „Macronie“, wie das neoliberale System von Macron inzwischen überall genannt wird, ziemlich düster aus. Sie werden jetzt nicht mehr aufgeben und einfach nach Hause gehen. Die Proteste werden nicht mehr aufhören, so lange diese Regierung nicht auf die eine oder andere Weise ihren Hut genommen hat. Zu sehr sind die Fronten verhärtet.

Die Arbeiter der Bahn und der Pariser Metro haben ihren Dienst vorläufig wieder aufgenommen. Sie haben ganz einfach kein Geld mehr. Die Sammlungen, die landesweit inzwischen gestartet wurden, um den Streikenden zu helfen, und die auch durchaus Erfolg haben, reichen trotzdem nicht aus, den verlorenen Lohn wettzumachen.

Wenn die Regierung weiterhin die Polizei auf die Demonstranten hetzt, dann wird es bald zu regelrechten Straßenkämpfen kommen. Die Basis ist bereits dabei, sich autonom zu organisieren, die Gewerkschaftsbosse sind durch ihre Verhandlungsbereitschaft mit der Regierung in Verruf geraten. Schon die Gelbwesten wollten mit den Gewerkschaften nicht viel zu tun haben und diese haben ihrerseits die Gelbwesten geschmäht.

Die CFDT und die UNSA haben, spätestens nachdem sie die Gewerkschaftsfront verlassen haben, allen Kredit verloren. Sie können mit Philippe verhandeln, was sie wollen, die Basis wird es nicht akzeptieren. Die Streikenden sprechen von Verrat und schicken massenweise ihre Mitgliedsausweise zurück. Berger und Escure haben jeden Kredit bei den Streikenden verloren und sollten sich besser nicht mehr auf einer Veranstaltung oder Kundgebung der Streikfront blicken lassen.

Macron wird ausgepfiffen, wo immer er auch auftritt. Die Sicherheitskräfte mussten ihn bei einem Theaterbesuch evakuieren, weil sie befürchteten, die Menschenmasse, die sich vor dem Theater angesammelt hatte, könnte ihn dort herausholen. Das erinnert an den Sonnenkönig, den die Menschenmassen 1789 aus Versailles abgeholt und verhaftet hatten. Und manche drohen sogar, die Guillotine wieder aus dem Keller zu holen.

Auch die Spezialkommission für die Renten, die an diesem Montag ihre Arbeit begonnen hat, wird ihren Spaß haben. Es wurden von den Parteien bereits 22.000 Änderungsanträge eingereicht, ein Rekord in dieser Legislaturperiode. Davon stammen 19 000 allein von La France Insoumise, die damit eine Strategie zur Ermüdung der Kommission verfolgt.
Die 71 Mitglieder des Sonderausschusses zur Rentenreform werden also einen Berg von Änderungen in Angriff nehmen müssen. Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen war vergangenen Freitag abgelaufen. Die Änderungsanträge der Berichterstatter und der Regierung, die keiner Frist unterliegen, werden noch dazu kommen.

Am 3. Februar folgten landesweit, vor allem aber in Paris, Anwälte, Ärzte und andere freie Berufe dem Aufruf des Kollektivs “SOS-Renten” und demonstrierten in großer Anzahl gegen die Rentenreform. Allein in Paris waren es 15.000 Weißkittel und schwarze Roben, wobei wieder alle 164 Anwaltskammern streikten. Fünf liberale Gewerkschaften des Gesundheits- und Sanitätswesens rufen zudem zu einem unbefristeten Streik ab dem 3. Februar auf.

Die Oppositionsbewegung auf der Straße bleibt weiterhin unermüdlich. Für die nächsten Tage sind bereits folgende Aktionen angekündigt:
5. Februar: Protestaktionen von verschiedenen Jugendorganisationen mit Unterstützung der Gewerkschaftsfront
6. Februar: ein weiterer landesweiter Aktionstag der Gewerkschaftsfront
14. Februar: Protestkundgebung des Personals der Krankenhäuser und der Notfalldienste gegen die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor
Überraschende Aktionen bleiben zudem nie ausgeschlossen. Die Opposition gegen Macron ist gut vernetzt und die Kommunikation über die sozialen Medien erlaubt es, innerhalb von kurzer Zeit überall präsent zu sein.

Titelbild: Alexandros Michailidis/shutterstock.com