Bildungs(bananen)republik auf einen Blick

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Die nachfolgenden Grafiken aus dem neuen OECD-Bildungsbericht sprechen eigentlich für sich und sagen mehr als tausend Worte. Deutschland nimmt bei fast allen Daten zur Finanzierung des Bildungsbereichs und bei allen Statistiken über die Bildungsbeteiligung und –erfolge vor allem im tertiären Bereich bestenfalls einen Platz im Mittelfeld, ja vielfach sogar am unteren Tabellenende der Rankings ein.
Und die Bundesregierung hat nichts Besseres zu tun, als sich zu loben: Deutschland liege als Zielland für ausländische Studierende an dritter Stelle in der Welt – ohne darauf hinzuweisen, dass dies auch daran liegt, dass an den meisten deutschen Universitäten noch keine Studiengebühren erhoben werden. In Deutschland sei der Anteil junger Menschen, die einen Hochschlussabschluss erworben haben, gestiegen – ohne darauf hinzuweisen, dass auch die anderen Länder zugelegt haben und wir immer noch im hinteren Mittelfeld liegen. Statt aber den großspurigen Ankündigungen über den Vorrang der Bildung Taten folgen zu lassen, wird angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels, nach ausländischen Fachkräften gerufen. Wolfgang Lieb

„Die Bildungsausgaben sind in Deutschland im internationalen Vergleich weiter niedrig. Das geht aus dem neuen Bericht “Bildung auf einen Blick” der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die gesamten öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildungseinrichtungen lagen laut OECD in Deutschland im Jahr 2007 lediglich bei 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Unter den OECD-Ländern, für die entsprechende Zahlen vorlagen, gaben nur die Slowakei, Tschechien und Italien einen geringeren Anteil der Wirtschaftsleistung für Bildung aus. Bei den Spitzenreitern USA, Korea und Dänemark lag der Anteil bei mehr als sieben Prozent des BIP. Die Zahl der Hoch- und Fachhochschulabsolventen wuchs der Studie zufolge zwischen 2000 und 2008 um mehr als ein Drittel auf 260.000 pro Jahr. Ihr Anteil an einem Jahrgang stieg dadurch von 18 auf 25 Prozent. Im OECD-Mittel wuchs der Anteil der Hochqualifizierten dagegen im gleichen Zeitraum von 28 auf 38 Prozent.“

Grafik 01 zu Bildungs(bananen)republik

Grafik 02 zu Bildungs(bananen)republik

Quelle: ZDF heute.de OECD-Bericht zu wenige Studienanfänger anklicken

Grafik 03 zu Bildungs(bananen)republik

Grafik 04 zu Bildungs(bananen)republik

Grafik 05 zu Bildungs(bananen)republik

Grafik 06 zu Bildungs(bananen)republik

Quelle: BMBF

Typisch für ihre wirtschaftsliberale Ausrichtung ist für die OECD Bildung reduziert eindimensional auf die Entwicklung des „Humankapitals“ als wesentliches Element des Standortwettbewerbs. In den Auszügen des voluminösen Berichtes „Bildung auf einen Blick 2010“, den das Bundesbildungsministerium veröffentlichte [PDF – 800 KB], steht denn auch die Kosten-/Nutzen-Rechnung für private und öffentliche Investitionen in Bildung im Vordergrund. So wird denn auch vorgerechnet wie hoch die Rendite für ein privates Investment in ein Studium ausfällt:

„Entscheidet sich in Deutschland eine männliche Person, ein Studium aufzunehmen, muss sie für die Zeit des Studiums mit einem entgangenen Einkommen von rund 59.000 US-Dollar (50.000 Euro) rechnen. Hinzu kommen weitere Kosten in Höhe von knapp 5.900 US-Dollar (5.000 Euro). Dem stehen allerdings geschätzte Einnahmen in Höhe von über 200.000 US-Dollar (170.000 Euro) gegenüber, so dass unter dem Strich zusätzliche Einnahmen in Höhe von fast 140.000 US-Dollar (120.000 Euro) bleiben. Damit kann er eine jährliche Rendite von 9 % für sich verbuchen.“

In der Logik dieses bildungspolitischen Ansatzes liegt es, dass für Studiengebühren bzw. für eine höhere private Kostenbeteiligung für ein Studium einzutreten.

Immerhin macht die OECD auch die Gegenrechnung auf und berechnet die „gesellschaftlichen Erträge“ eines Studiums:

„Die Kosten der öffentlichen Hand für einen männlichen Hochschulabsolventen betragen im Vergleich zu einem Absolventen einer beruflichen Ausbildung rund 47.000 US-Dollar. Diesen Kosten, die sich zusammensetzen aus direkten Kosten für das Studium sowie entgangenen Steuereinnahmen, stehen auf der anderen Seite Einnahmen in Höhe von rund 226.000 US-Dollar (ca. 190.000 Euro) durch höhere Steuereinnahmen, Beiträge zur Sozialversicherung und geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko gegenüber. Im Saldo bedeutet dies ein Plus von rund 180.000 US-Dollar (ca. 150.000 Euro).“

Im Ergebnis bringen der öffentlichen Hand die Investitionen in eine Hochschulausbildung mehr, als das private Investment in ein Studium. Und wenn man statt Studiengebühren eine Akademiker-Steuer bzw. noch einfacher eine entsprechende Steuererhöhung für die durch staatliche Investitionen in Bildung erzielten privaten „Renditen“ einführte, so wäre das Thema Studiengebühren vom Tisch.

Man kann und muss die kapitaltheoretische Sichtweise auf Bildung mit guten Gründen kritisieren, aber an den nackten Zahlen des OECD-Bildungsberichts kann und sollte man nicht einfach vorbeigehen. Und schon gar nicht sollte man, wie die Bundesbildungsministerin ein paar Rosinen herauspicken, wo die Bundesrepublik Deutschland nicht ganz so schlecht da steht.

Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass die duale Berufsausbildung in Deutschland einen internationalen Sonderstatus hat und deshalb die hohen Abschlussquoten im Hochschulbereich in anderen Ländern zu relativieren sind. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass trotz der leicht angestiegenen Hochschulabsolventenquote in absehbarer Zeit in vielen Berufsfeldern nicht einmal der Ersatzbedarf an altersbedingt ausscheidenden Akademikern befriedigt werden kann.
(In der Gesamtheit der arbeitenden Bevölkerung zwischen 25 und 64 Jahren haben 25 Prozent der Deutschen einen Hochschulabschluss. Hier liegt der OECD-Durchschnitt bei 28 Prozent. Betrachtet man jedoch nur die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen, liegt Deutschland mit 24 Prozent bereits weit unterhalb des OECD-Durchschnitts von 35 Prozent).

Keinerlei beschönigende Ausflucht lassen aber die Vergleiche zwischen den OECD-Ländern zu, wie viel den einzelnen Ländern die Bildung wert ist. Und da liegt eben Deutschland bei den Bildungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt genauso unter dem OECD-Durchschnitt auf dem viertletzten Platz wie beim Anteil der Bildungsausgaben an den gesamten öffentlichen Ausgaben.

Nachbemerkung:
Zur Kritik der humankapitaltheoretischen Betrachtung von Bildung
Dieser Ansatz ist in vielfacher Hinsicht eindimensional:

  • Er blickt nur auf den Status quo der Angebotsseite des Arbeitsmarkts, also darauf, was derzeit einem Arbeitnehmer ein Studium an Rendite bringt. Die Nachfrageseite, die schließlich für die Chancen einer Verwertung eines privaten Investments entscheidend ist, bleibt ausgeblendet.
  • Dieser Ansatz lässt andere Bedingungsfaktoren für unterschiedliche Bildungs- und Qualifikationsniveaus und auch für unterschiedliche Einkommen außer Betracht.
  • Und natürlich betrachtet die Humankapitaltheorie Bildung allein aus dem Nutzen/-Kosten-Kalkül bzw. im Hinblick auf die erzielten oder möglicherweise erzielbaren Erträge.

Schon der Begriff Human-“Kapital“ ist ein Tarnwort. Es verschleiert den Widerspruch zwischen dem Kapital (als dem Eigentum an den Produktionsmitteln) und dem Faktor Arbeit. Plötzlich ist jeder sein eigener Unternehmer, der Besitzer einer Firma genauso wie der Humankapitalist, der seine Bildung selbstunternehmerisch verwertet. Man suggeriert, die Individuen könnten über ihr Humankapital verfügen und seine Vermehrung und Verringerung selbst steuern.

Dennoch nutzt die OECD den neoklassischen Humankapitalansatz als Methode zur Lösung von volkswirtschaftlichen, bildungspolitischen (z.B. Pisa) und sogar auch für soziale Probleme. Quantitativ richtige Aussagen auf der Makroebene werden häufig unvermittelt als Lösungsansatz auf die Mikroebene übertragen. Auch wenn die OECD diesen humankapitaltheoretischen Ansatz über das ökonomische auch auf das soziale Wohlergehen des einzelnen „Humankapitalisten“ auszuweiten versucht, so ändert das nichts an seinem grundlegenden Charakter, wonach Bildung vor allem auf die Selbstverwertung reduziert bleibt, sei es als Faktor der Produktivität oder sei es im Hinblick auf nicht-ökonomische Erträge, wie etwa auf des gesellschaftliche Ansehen und Wohlergehen. (Siehe ausführlicher dazu: Kompetenzen als Humankapital)

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