Die infame Kanzler-Aussage, Israel würde im Iran „die Drecksarbeit für uns alle“ erledigen, möchten nun einige Politiker und Journalisten verteidigen – die dafür genutzten „Argumente“ sind zurückzuweisen: Neben der Behauptung von der „unbequemen Wahrheit“ wird einmal mehr ein falsches „Wir“ beschworen – denn für mich oder für „uns alle“ wird diese „Arbeit“ bestimmt nicht erledigt. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Eine aktuelle Verteidigung des inakzeptablen Merz-Satzes lautet, dass die Aussage mit der „Drecksarbeit“ zwar stilistisch grenzwertig, aber inhaltlich zutreffend sei. Beispielhaft für ähnliche Äußerungen, die Merz in Schutz nehmen wollen, schreibt etwa die FAZ:
„Nein, es ist nicht das feine Diplomatengesäusel, mit dem deutsche Politiker sonst gern ihre Macht- und Ratlosigkeit überspielen, wenn der Bundeskanzler öffentlich davon spricht, dass Israel in Iran die ‚Drecksarbeit für uns alle‘ mache. Aber die Wahrheit ist es schon.“
Und Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte laut Bild:
„Der Bundeskanzler spricht die Wahrheit aus.“
Auch der Soziologe Ahmad Mansour springt Merz laut Medien zur Seite und behauptet, dessen Äußerung sei eine „unbequeme Wahrheit“ – und an die Kritiker des Merz-Satzes sagt er:
„Es ist schäbig, die Wahrheit zu verurteilen.“
Drecksarbeit „muss“ eben erledigt werden…
Spricht Merz also eine „unbequeme Wahrheit“ aus, wenn auch in einem grenzwertigen Stil? Nein, das tut er nicht. Das Wort „Drecksarbeit“ beinhaltet indirekt die Aussage, dass eine Tätigkeit nicht nur „dreckig“ ist, sondern auch, dass sie trotz dieses dreckigen Charakters irgendwie erledigt werden „muss“: Als gäbe es eine allgemeine Übereinstimmung, dass die aktuellen Handlungen Israels zwar unschön, aber doch „nötig“ und damit gerechtfertigt seien.
Diese Aussage ist in ihrer Eindeutigkeit und in ihrem Alarmismus bezüglich einer iranischen Atombombe überwiegend unbelegte Propaganda. Auf die seit Jahrzehnten suggerierte „Dringlichkeit“ bezüglich des iranischen Atomprogramms ist Jens Berger gerade im Artikel „Irans Atombombe – und täglich grüßt das Murmeltier” eingegangen. Auch die NZZ schreibt, US-Geheimdienste und die internationale Atombehörde würden der israelischen Darstellung von der „Gefahr im Verzug“ widersprechen. Weitere Hintergründe zum Iran-Krieg als gefährlichen Präzedenzfall beschreibt Detlef Koch in diesem Artikel.
„Für uns alle…“ – Die Propaganda und das falsche „Wir“
Trotzdem wird von manchen Stimmen jetzt versucht, den Eindruck zu erwecken, als seien alle moralischen, rechtlichen und militärischen Fragen bezüglich des israelischen Überfalls auf Iran längst beantwortet und als sei es „Konsens“, dass die iranische Regierung mit allen Mitteln und unter Bruch des gestern noch selektiv geheiligten Völkerrechts bekämpft werden darf oder gar „muss“.
Gänzlich inakzeptabel ist das von Merz und seinen Verteidigern nun genutzte falsche „Wir“. Wenn Merz sagt, Israel mache die Drecksarbeit „für uns alle“, dann behauptet er eine Gemeinschaft, die so nicht existiert. Für mich wird diese „Drecksarbeit“ jedenfalls nicht erledigt. Und so gibt es sicher zahllose Bürger weltweit, die es vehement ablehnen würden, in eine Mithaftung mit den Tätern genommen zu werden, indem behauptet wird, sie würden von den aktuellen Verbrechen der israelischen Armee in Gaza und Iran langfristig indirekt profitieren.
Endlich sagt’s mal einer – die selektive „Offenheit“
Auch die angebliche „Ehrlichkeit“, die manche angepasste Journalisten jetzt den Aussagen von Merz zugestehen – nach dem Motto: „Endlich sagt’s mal einer“ -, auch diese „Ehrlichkeit“ ist höchst fragwürdig: Denn auch wenn man sich oft eine weniger verklausulierte Sprache von Politikern wünschen mag, so haben sich doch bestimmte „sanfte“ Ausdrucksformen eingeschliffen, gerade in der internationalen Diplomatie. Von diesen gewohnten Sprachregelungen in einer so plötzlichen und harten Weise abzuweichen, hat auf viele Bürger die Wirkung einer zynischen Schocktherapie – und meiner Meinung nach ist diese erschütternde und verrohende Wirkung kein Versehen, sondern Vorsatz. Auch wegen dieser mutmaßlichen Motivation für seine „neue Offenheit“ ist die angebliche „Ehrlichkeit“ von Merz keineswegs zu begrüßen.
Diese „Offenheit“ wird von Politikern und Journalisten außerdem sehr selektiv eingesetzt – diese selektive Praxis entfaltet wiederum im politischen Gesamtkontext eine vernebelnde Wirkung, also das Gegenteil von Offenheit. Die HAZ bezeichnet den selektiven Zynismus von Merz trotzdem voller Hochachtung als „Der neue German Mut“.
„Hasssprache von Oben“
Die Darstellung, die Regierung in Teheran, deren politische und gesellschaftliche Ziele ich nicht teile, sei nach „allgemeiner“ Ansicht die „gefährlichste Regierung der Welt“, bringt außerdem die Verhältnisse durcheinander: Unter anderem das Land, dessen Armee in den letzten Jahrzehnten mit Abstand zu allen anderen Ländern die meisten Menschen im Ausland getötet hat, wird durch die übertriebene Dämonisierung Irans moralisch relativ verniedlicht: die USA.
Zu den konkreten politischen Auswirkungen des Merz-Satzes kommt noch der eher allgemeine Aspekt hinzu, dass eine „Hasssprache von Oben“ noch mehr gesellschaftlichen Schaden anrichten kann als tausende von enthemmten Bürger-Kommentaren in sozialen Netzwerken.
Zur Rolle der Medien bei dem Vorgang sei noch daran erinnert, dass das Wort „Drecksarbeit“ in dem betreffenden Interview zuerst von der ZDF-Journalistin Diane Zimmermann genutzt wurde, die es Merz in einem befremdlichen Ping-Pong-Spiel mit dem Politiker „angeboten“ hat. Das entlastet den Kanzler nicht, es wirft aber zusätzlich ein Licht auf die Qualität des bürgerfinanzierten Rundfunks.
Neue Gipfel der Doppelmoral
Dass die „offizielle“ politisch-mediale Bewertung des Vorgehens Israels in Gaza/Iran einerseits und des Vorgehens Russlands in der Ukraine andererseits hierzulande eine politische Doppelmoral offenbart, die man gar nicht mehr angemessen in Worte fassen kann, hat Jens Berger gerade in diesem Artikel beschrieben. Eine starke Doppelmoral hat ein Leser nun auch bezüglich mancher Reaktionen auf die „Drecksarbeit“-Äußerung von Merz festgestellt: „Man stelle sich nur einmal vor, diese Wortwahl wäre aus der Richtung des BSW oder der AfD gekommen – die Reaktion der Politik und der Presse kann ich mir lebhaft vorstellen.“
Friedrich Merz zeigt übrigens keinerlei Einsehen in der Sache: Laut einem Bericht der Bild denkt der Kanzler „nicht im Traum daran, seine Aussage zurückzunehmen“.
Titelbild: EUS-Nachrichten/shutterstock.com
Strafanzeige gegen Bundeskanzler Friedrich Merz
Israel und die „Drecksarbeit“: Kanzler Merz erklimmt neuen Gipfel der Verrohung und der Doppelmoral
Ich will nie wieder das Wort ‘Völkerrecht’ hören
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